Der Idiot (russisch Идиот) gehört zu den fünf bekanntesten Romanen Fjodor Dostojewskis, die zur Weltliteratur gezählt werden. Er wurde von Dostojewski in Genf 1867 begonnen und in Mailand 1868 beendet und erschien von Januar 1868 bis Februar 1869 in der Zeitschrift Russkij Vestnik.
Titelheld des Romans ist der junge Fürst Myschkin, der nach einem Aufenthalt in einem Schweizer Sanatorium von seiner Epilepsie nicht ganz geheilt nach Russland zurückkehrt und in der Sankt Petersburger Gesellschaft in den Brennpunkt von Intrigen, Begehrlichkeiten, Vorurteilen und gesellschaftlichen Konventionen gerät. Seine Naivität, Offenheit, Ehrlichkeit und vorurteilslose Tugendhaftigkeit wird dabei aufs äusserste ausgenutzt und strapaziert und er kann dem Treiben nur wehrlos sein Ideal der gelebten Menschenliebe entgegensetzen. Als er dann noch zwischen zwei Frauen gleichzeitig gerät und sich nicht zu einer für die Gesellschaft anscheinend positiven Entscheidung durchringen kann, gerät er in einen Strudel aus Gewalt und innerer Zerrissenheit, die zu seiner geistigen Umnachtung führen.
Inhalt des Romans
Myschkin kehrt nach einem jahrelangen Aufenthalt in einer Schweizer Heilanstalt nach St.Petersburg zurück. Er leidet an Epilepsie (wie auch Dostojewski selbst), ist zwar den Jahren nach erwachsen, gleicht aber in emotionaler Hinsicht einem unerfahrenen Kind. Vieles, was in der damaligen russischen Gesellschaft als „idiotisch“ angesehen wird, beruht schlicht auf Myschkins eigenwilliger Ehrlichkeit und Vertrauensseligkeit. Er zeigt sich großmütig und ist immer bereit gelassen zu verzeihen und das Beste in den Menschen zu sehen und zu fördern.
Im Zug trifft er einen Mann namens Rogoshin, seinen zukünftigen Widerpart, der ihm von seiner leidenschaftlichen Liebe zu Nastassja Filippowna erzählt. Diese Nastassja Filippowna Baraschkowa ist eine sehr schöne, aber auch schwierige Frau. Von einem wohlhabenden Mann ausgehalten und missbraucht, schwankt sie zwischen unnahbarem Stolz und Selbstzerstörung. Als der Fürst sie zum ersten Mal sieht, ist er sofort für sie entflammt.
Zuerst sucht er aber seine entfernte Verwandte Jelisaweta Prokofjewna Jepantschina (geborene Myschkina) auf, die mit einem wohlhabenden General verheiratet ist und drei Töchter hat, darunter Aglaja. Dort wird er wohlmeinend aufgenommen und findet bei einem Bekannten der Familie Quartier.
Dieser Bekannte, Ganja, soll Nastassja Filippowna heiraten. Zwischen ihm und Rogoshin herrscht ein dementsprechend gespanntes Verhältnis, und als die Verlobung zwischen Ganja und Nastassja Filippowna bekannt gegeben werden soll, weist sie diesen höhnisch ab und wendet sich Rogoshin zu.
Doch auch ihn lässt sie zappeln. Sie stimmt Hochzeitsterminen zu, verschiebt sie wieder und verschwindet vorher mit Fürst Myschkin. Nach einigen Turbulenzen zieht sich der gesundheitlich erneut angeschlagene Fürst auf Einladung eines Freundes auf dessen Sommerfrische außerhalb von Petersburg zurück. Auch die oben erwähnte Verwandte und ihre Familie halten sich dort auf und Fürst Myschkin verkehrt häufig in ihrem Haus. Langsam deutet sich eine aufkeimende Liebe zwischen ihm und der jüngsten Tochter Aglaja Jepantschina an. Aglaja liebt den Fürsten trotz anfänglichem Widerwillen in einer Mischung aus Spott und Bewunderung. Für sie ist er in Anlehnung an ein Gedicht von Puschkin welches von Cervantes´ Don Quijote handelt, ein „armer Ritter“, der ihr Mitleid- und auch Mitgefühl verdient. Dies auch obwohl sich Myschkin zu Nastassja Filippowna bekannt hat. Andererseits weiß sie auch, dass gerade die Zuneigung Myschkins zu einer gefallenen Frau die Ehe mit ihm fast unmöglich macht. Am Ende siegen die Passivität und emotionale Abhängigkeit Myschkins zu Nastassja und die Konvention über die Liebe und ein Verlöbnis Aglajas mit dem Fürsten kommt nicht zustande.
In diesem Teil des Romans treten Nastassja Filippowna und Rogoshin in den Hintergrund. Dostojewski beschreibt eine zutiefst nihilistische Gesellschaft, deren Protagonisten zu keinen konstruktiven Taten fähig sind und deren Dasein sich deshalb in Gerede, Profilierung und Intrigen erschöpft. Dieses Manko versucht ausgerechnet der gesundheitlich angeschlagene Held Myschkin als eine Art moderner Heilandsfigur durch sein Mitgefühl und seine stoische Haltung zu kompensieren. Die dunkle Leidenschaft zwischen Nastassja Filippowna und Rogoshin, in die er fast willenlos hineingezogen wird, verschärft die Situation für Myschkin dann noch zusätzlich.
Am Ende des Romans tötet Rogoshin Nastassja Filippowna und holt heimlich den Fürsten, um mit ihm die Totenwache zu halten. Myschkin ist der seelischen Belastung aber nicht gewachsen und fällt in einen traumatischen Schockzustand. Er ist später nicht einmal mehr in der Lage, seine Freunde zu erkennen, und wird wieder in das Schweizer Sanatorium eingewiesen.
Analyse
Fürst Myschkin, der Held des Romans, ist eine Art russischer Parzival. Unschuldig und naiv gerät er hilflos in die Intrigenspiele der gehobenen Mittelschicht des russischen Adels. Noch übler ergeht es ihm zwischen zwei exzentrischen Frauen. Auf der einen Seite wird er wegen seiner Aufrichtigkeit und Gutherzigkeit anscheinend bewundert, anderseits als naiver Idiot betrachtet, der zu keiner entschiedenen Tat fähig sei.
Myschkin kann als Versuch gesehen werden, einen allein von der Ethik und Gesinnung der Bergpredigt geleiteten Charakter zu entwerfen, der in der realen Welt notwendig scheitern und an seinen Mitmenschen unschuldig schuldig werden muss.
Nastassja Filippowna, eine der beiden weiblichen Hauptfiguren, kann sich nicht zwischen der leidenschaftlichen, körperlichen und besitzergreifenden Liebe von Rogoshin und der Liebe des Fürsten entscheiden, die mehr zu brüderlicher Zuneigung und Mitleid neigt und platonischer Natur ist. Hier stellt Dostojewski die sexuelle Anziehung der Zuneigung in geschwisterlicher Liebe gegenüber und lässt seine Protagonisten schließlich an diesem Widerspruch scheitern.
Die Charaktere und ihre Interaktion beschreibt Dostojewski mit einer vor ihm nicht bekannten psychologischen Feinfühligkeit. Seine Personen sind in aller ihrer Exzentrik verblüffend realistisch und trotz ihrer tiefen Verwurzelung in ihrer Zeit und Gesellschaft archetypisch zeitlos. Die Charaktere werden mehrschichtig in all ihren Widersprüchen und Facetten im Bezug zu ihrer Umwelt gezeichnet, so daß kein einseitiges Urteil vorgegeben ist. Der Leser muss und darf sich in die Charaktere einfühlen und sich selbst Gedanken machen, wird aber durch die bemerkenswerte Menschenkenntnis Dostojewskis reich belohnt. In den zahlreichen, teilweise sehr umfangreichen Disputen und Monologen der Charaktere wird ein breites Spektrum an gesellschaftlichen, politischen und sozialen Themen aufgeworfen. Dies verschafft dem Leser einen Einblick in die damalige russische Gesellschaft, lässt ihm aber auch den Freiraum seine eigene existentielle Situation zu reflektieren.
Rezeption
Dramatisierungen
- F. Weyl und J. W. Bienenstock in Paris (1931)
- Frank Castorf an der Volksbühne Berlin (2002)
- Andre Sebastian an den Städtischen Bühnen Münster (2006)
- Alvis Hermanis am Schauspielhaus Zürich (2008)
Film
- 1946 - Der Idiot (L’idiot) – Regie: Georges Lampin – (mit Gérard Philipe)
- 1951 – Hakuchi – Regie: Akira Kurosawa
- 1958 - Der Idiot (Nastasja Filippowna) - Regie: Iwan Pyrjew
- 1985 - Liebe und Gewalt (L’amour braque) – Regie: Anrdrzej Zulawski)
- 1999 - Die Rückkehr des Idioten (Navrat idiota) – Regie: Sasa Gedeon
- 2003 - Der Idiot (Idiot), Fernsehserie, 10 Folgen - Regie: Wladimir Bortko, Russland
- 2007 - Der Idiot – Regie: Frank Castorf
Weblinks
- Originaltext auf Russisch
- Englischsprachige Übersetzung
- Der Idiot bei Zeno.org., deutsche Übersetzung.