Ökologisches Gleichgewicht

Zustand eines Ökosystems, bei dem es sich ohne von außen einwirkende Störungen nicht verändert
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Das ökologische Gleichgewicht bezeichnet eine unter ungestörter Systemdynamik positiv invariante kompakte Teilmenge des Zustandsraumes eines Ökosystems.Es ist demnach ein Fließgleichgewicht bezogen auf die konstituierenden Invdividuen, jedoch ein Fixpunkt bzw. ein periodischer Orbit der Dynamik des Ökosystems gemeint.


Bei der Beurteilung der Stabilität öklogischer Gleichgewichte kommt es darauf an, was man unter „Stabilität“ versteht. Es wird hier in Anlehnung an Ellenberg (1996)[1] folgender Vorschlag gemacht:

  • Stabilität spricht man einem Ökosystem zu, dessen Artengefüge bei Störungen von außen im Wesentlichen unverändert bleibt.
  • Zyklizität bewirkt, dass durch regelmäßigen Wechsel der Umweltbedingungen ausgelöste Schwankungen im Artengefüge vollständig und rasch durchlaufen werden.
  • Elastizität besteht, wenn auch katastrophale Stresssituationen, die aber für den Standort typisch sind, kompensiert werden können.
  • Resilienz ist die Fähigkeit, nach wesentlichen Artenverschiebungen durch eine Abfolge von anderen Ökosystemen (Sukzession) wieder zum Ausgangszustand zurückzukehren.

Als „im Gleichgewicht“ kann ein Ökosystem nur dann bezeichnen werden, wenn es längere Zeit in einem Zustand verbleibt oder wenn die gegenwärtige Phase seines regelmäßigen bzw. längerfristigen Entwicklungskreislaufs gut ausgebildet ist. Wenn bspw. bei einer mehrschürigen Wiese (als Beispiel für ein anthropogenes, stabiles Ökosystem) die Bewirtschaftung unterlassen wird, so tritt durch Verbuschung Sukzession zu einem anderen Ökosystem ein, das ebenso stabil sein kann. Während der Zeit der Umstellung ist die Biozönose nicht im Gleichgewicht; der Begriff Stabilität ist in dieser Zeit nicht sinnvoll anwendbar, ohne dass solche Bestände automatisch „weniger wertvoll“ wären.[2]


Zeitspanne, Referenzzustand, Ortsbezug

Je nach Betrachtungsmaßstab (Jahre, Jahrhunderte, geologische Epochen) ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse für das, was als „stabil“ bzw. „im Gleichgewicht“ gelten kann. Insbesondere für Arten, die Pionierstandorte besiedeln, ist das Aussterben von Lokalpopulationen ein natürlicher Prozess, ebenso die Neuetablierung an anderen Standorten (z. B. beim Flussregenpfeifer). Die Frage der Stabilität bzw. des Gleichgewichts der Population hängt hier auch davon ab, welcher Raumbezug gewählt wird.

Berücksichtigung des anthropogenen Einflusses

Unklar ist, ob und ab welchem Grad menschliche Einflüsse auf Ökosysteme als Störung anzusehen sind[3] [4]. Bei strenger Auslegung müsste die gesamte Kulturlandschaft als „gestört“ angesehen werden.



Unausgesprochene Wertung

Begriffe wie „Stabilität“ oder „Gleichgewicht“ enthalten eine normative Komponente: Ungleichgewichte werden vom Menschen eher als bedrohlich empfunden als ein „harmonisches“ Gleichgewicht. Bewerten tut jedoch der Mensch, nicht die Ökologie oder die Natur. Wird von einer „Störung“ des ökologischen Gleichgewichts gesprochen, ist damit meist unausgesprochen gemeint, dass ein Eingreifen zum Wiederherstellen des Gleichgewichtes nötig sei.[4] [5].

Anwendung im Naturschutz

Gegenstand von Natur- und Artenschutzfragen ist oft die Erhaltung eines bestimmten Zustandes: Eine bestimmte Pflanzengesellschaft oder eine Tierart soll – möglichst an derselben Stelle und in ähnlicher Anzahl – erhalten werden.

  • Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts insbesondere im mitteleuropäischen Raum sich ausbreitende Katalogisierung der Vegetation in hierarchische Einheiten (Pflanzensoziologie, z. B. Braun-Blanquet (1928 / 1964)[6] hat wahrscheinlich das Denken in statische Kategorien verstärkt. Diese heute meist als schützenswert angesehenen Einheiten (z. B. Genisto pilosae-Callunetum = Haarginsterheide) waren damals durchaus typische Landschaftselemente, die jedoch z. T. auf einer nicht nachhaltigen Nutzungsweise beruhten (im Beispiel sind die Haarginsterheiden Ersatzgesellschaften für übernutzte Eichenwaldgesellschaften), während das heutige Landschaftsbild durch andere Pflanzengemeinschaften geprägt wird, da sich die (landwirtschaftliche) Nutzungsweise gegenüber vor 100 Jahren stark geändert hat.
  • Breitet sich eine Tierart aus, weil die Lebensbedingungen für sie besser geworden sind, und erfolgt diese Ausbreitung (auch) auf Kosten anderer Zielarten von Naturschutz, Artenschutz und / oder Jagd, entsteht schnell die Forderung, dass zur Bewahrung des ökologischen Gleichgewichtes die Ausbreitung gestoppt bzw. rückgängig gemacht werden soll.

In beiden Fällen ist bei näherer Betrachtung nicht ohne weiteres klar, warum gerade die frühere bzw. aktuelle Situation den zu bewahrenden Optimalzustand eines „ökologischen Gleichgewichtes“ darstellen soll.

  • Bezzel (1992)[7] bringt als Beispiel den Hochwald, der als Schutzwald oder Holzressource bestimmte Funktionen wahrnimmt oder ein Landschaftsbild prägt: „Zuviel Schalenwild stört den dieser Vorgabe entsprechenden Wald. Man will nicht warten, bis Hirsche, Rehe oder Gemsen durch Übernutzung des pflanzlichen Nachwuchses ihren eigenen Lebensraum zerstört haben, so dass sie genötigt sind, durch Ressourcenmangel zu verschwinden und dann der Wald in einem weite Zeiträume umspannenden Zyklus seine Chance erhält. Ob eine solche Absicht, die nicht selten darauf hinausläuft, ein bestimmtes Entwicklungs- (Sukzessions-) stadium anzuhalten, als „biologisches Gleichgewicht“ richtig beschrieben ist, sei mit Nachdruck bezweifelt. „Konstante Verhältnisse oder Strukturen“ wäre der angemessenere Ausdruck.“

Will man bestimmte Lebensgemeinschaften oder eine bestimmten Status der Artenvielfalt bewahren, sollten andere Argumente als dasjenige von der Wiederherstellung eines ökologischen Gleichgewichtes benutzt werden.[4] Für viele Zielarten des Naturschutzes sind Pflegemaßnahmen üblich, die eine Störung von natürlicherweise ablaufenden Sukzessionsprozessen und damit auch eine Störung des sich natürlicherweise einstellenden „Gleichgewichtszustandes“ darstellen (z. B. Kreuzkröte[8], Heidelerche[9], Uferschwalbe[10]).

Einzelnachweise

  1. Ellenberg, H. (1996): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen. 5. Auflage, Ulmer Verlag Stuttgart, 1096 S.
  2. Wilmanns, O. (1998): Ökologische Pflanzensoziologie. Eine Einführung in die Vegetation Mitteleuropas. 6. Auflage. Quelle & Meyer Verlag Wiesbaden, 405 S.
  3. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Honnefelder.
  4. a b c Reichholf, J. (2005): Die Zukunft der Arten. Neue ökologische Überraschungen. C. H. Beck-Verlag München, 237 S.
  5. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Küster.
  6. Braun-Blanquet, J. (1964): Pflanzensoziologie. 3. Auflage, Wien (1. Auflage von 1928)
  7. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Bezzel.
  8. Warren, S. D.; Büttner, R. (2008): Aktive militärische Übungsplätze als Oasen der Artenvielfalt. Studie zur positiven Auswirkung von „Landschaftszerstörung“ auf bedrohte Arten. Natur und Landschaft 83 (6): 267-272.
  9. Mallord, J. W.; Dolman, P. M.; Brown, A. F.; Sutherland, W. J. (2007): Linking recreational disturbance to population size in a ground-nesting passerine. Journal of Applied Ecology 44: 185–195.
  10. Dornberger, W.; Ranftl, H. (1983): Neue Daten von der Uferschwalbe (Riparia riparia) aus Nordbayern. Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspflege Bad.-Württ 37: 21-31.

Siehe auch