Autismus

tiefgreifende Entwicklungsstörung
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Autismus (v. gr. αυτός: selbst) wird in der Medizin eine tiefgreifende Entwicklungsstörung genannt. Geprägt wurde der Begriff 1911 durch den schweizer Psychiater Eugen Bleuler. Autismus nannte er ein Grundsymptom der Schizophrenie, das die Zurückgezogenheit in die innere Gedankenwelt bei an Schizophrenie erkrankten Menschen meinte. Leo Kanner Vorlage:Lit und Hans Asperger Vorlage:Lit nahmen diesen Begriff auf und benannten so ein Störungsbild eigener Art. Im Unterschied zu Menschen mit Schizophrenie, die sich aktiv in ihr Inneres zurückziehen, beschrieben Kanner und Asperger Menschen, die primär, also von Geburt an, in einem Zustand der inneren Zurückgezogenheit leben. Damit unterlag der Begriff Autismus einem Bedeutungswandel. Heute wird der Begriff nur noch zur Bezeichnung des von Kanner und Asperger beschriebenen Störungsbildes gebraucht.

Autismusspektrum: Unterschiedliche Typen von Autismus

 
schematische Darstellung des Autismusspektrums

Es werden drei Typen von Autismus unterschieden:

  1. atypischer Autismus,
  2. frühkindlicher Autismus (auch infantiler Autismus oder Kanner-Autismus genannt) einschließlich der Variante des hochfunktionalen Autismus (engl. high-functioning autism) und
  3. Asperger-Syndrom.

Diese drei Typen bilden zusammen das Autismusspektrum (engl. autism spectrum disorders). Auf der einen Seite dieses Spektrums steht der atypische Autismus, der meist mit schwerer geistiger Behinderung auftritt. Auf der anderen Seite dieses Spektrums ist das Asperger-Syndrom angesiedelt, das in der Regel mit normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz auftritt. Sowohl die Übergänge innerhalb des Spektrums als auch der Übergang vom Asperger-Syndrom zur Normalität sind fließend. Allen Zuständen innerhalb dieses Spektrums sind die Merkmale eingeschränkte soziale Interaktion, eingeschränkte Kommunikation und repetitives Verhaltensmuster gemeinsam. Je nach Intensität der Ausprägung werden Patienten innerhalb dieses Spektrums eingeordnet.

Frühkindlicher Autismus

Frühkindlicher Autismus ist gekennzeichnet durch eine schwere Ausprägung der Symptome, keine oder nur geringe sprachliche Entwicklung und besonders starke Objektbezogenheit. Meist geht er mit geistiger Behinderung einher. Beim frühkindlichen Autismus treten die Symptome bereits in den ersten Lebensmonaten auf, in jedem Fall vor dem dritten Lebensjahr. In der Variante des hochfunktionalen Autismus fehlt eine geistige Behinderung und die sprachliche Entwicklung tritt zwar verspätet ein, ist aber ansonsten normal.

Atypischer Autismus

Atypischer Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus dadurch, dass Kinder entweder nach dem dritten Lebensjahr erkranken oder nicht alle Symptome aufweisen (atypisches Erkrankungsalter oder atypische Symptomatik). Der atypische Autismus tritt in der Regel mit schwerer geistiger Behinderung auf.

Asperger-Syndrom

Das Asperger-Syndrom ist die leichteste Ausprängung im Autismusspektrum. Die Erscheinungsformen sind vielgestaltig und die Übergänge zur Normalität fließend. Zusätzlich zu den Symptomen einer autistischen Störung liegen beim Asperger-Syndrom üblicherweise auch motorische Auffälligkeiten vor. Früher wurde das Asperger-Syndrom auch als „autistische Psychopathie“ bezeichnet.

Differentialdiagnose

Eine Differentialdiagnose zwischen atypischem und frühkindlichem Autismus kann überlicherweise problemlos vorgenommen werden, da der atypische Autismus aufgrund seiner Unterschiede zum frühkindlichen Autismus definiert ist. Da atypischer Autnismus meist mit geistiger Behinderung einhergeht, ist auch eine Abgrenzung zum Asperger-Syndrom eindeutig gegeben. Schwierig werden kann eine Differenzierung zwischen frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom, wenn der frühkindliche Autismus in der Form des hochfunktionalen Autismus auftritt. In der Variante des hochfunktionalen Autismus liegt keine Intelligenzminderung vor und die Symptome ähneln sehr denen des Asperger-Syndroms. Eine Differenzierung kann nur anhand der Entwicklung in der frühen Kindheit vorgenommen werden. Teilweise werden die Begriffe hochfunktionaler Autismus und Asperger-Syndrom auch synonym verwendet. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass beide Störungen sich in ihrem Auftreten ähneln, ignoriert jedoch, dass es sich letztlich um zwei verschiedene Störungen handelt.

Übersicht über die wichtigsten Unterschiede zwischen frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom
frühkindlicher Autismus Asperger-Syndrom
erste Auffälligkeiten erste Lebensmonate ab 3. Lebensjahr
Blickkontakt selten, flüchtig selten, flüchtig
Sprache in der Hälfte der Fälle Fehlen einer Sprachentwicklung; ansonsten verzögerte Sprachentwicklung, anfangs keine kommunikative Funktion, Vertauschen der Pronomina keine bedeutsamen Auffälligkeiten, evtl. etwas verfrüht oder verzögert; grammatisch und stilistisch hoch stehende Sprache
Intelligenz meist erhebliche Intelligenzminderung; in der Variante des hochfunktionalen Autismus normale Intelligenz normale bis hohe Intelligenz, teilweise Hochbegabung
Motorik keine Auffälligkeiten, die auf den Autismus zurückzuführen sind motorische Störungen, Ungeschicklichkeit, Koordinationsstörungen

Symptome und Beschwerden

Dieser Absatz gibt einen allgemeinen Überblick über Symptome und Beschwerden, die allen Störungen aus dem Autismusspektrum gemeinsam sind. Detailliertere Informationen bieten die jeweiligen Einzelartikel.

Experten sind sich darüber einig, dass die Ausprägung des Autismus individuell verschieden ist und somit keine festen und allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können. Die beiden international gebräuchlichen Klassifikationssysteme für Krankheiten, ICD-10 und DSM-IV, nennen drei Punkte, die allen autistischen Störungen gemeinsam sind:

  1. Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion,
  2. qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation und
  3. repetitive und stereotype Verhaltensmuster.

Darüber hinaus treten beim Asperger-Syndrom motorische Störungen auf.

Soziale Interaktion

Störungen in der sozialen Interaktion zeigen sich dadurch, dass sich Autisten von der Außenwelt abkapseln und in ihr Inneres zurückziehen. Je nach Ausprägung des Autismus geschieht das mehr oder weniger intensiv. Patienten mit frühkindlichen Autismus ziehen sich völlig in ihre innere Welt zurück; Patienten mit hochfunktionalem Autismus und Asperger-Syndrom hingegen stehen sozusagen mit einem Bein in ihrer und mit dem anderen in dieser Welt. Sie können am Gesellschaftsleben teilnehmen, ohne als Autisten erkannt zu werden, fallen jedoch meist wegen ihres als merkwürdig empfunden Verhaltens auf.

Autisten haben meist eine besonders starke Objektbezogenheit, häufig beschränkt auf eine bestimmte Art von Gegenständen. Ihre Aufmerksamkeit ist auf wenige Dinge, wie Wasserhähne, Türklinken, Fugen zwischen Steinplatten oder kariertes Papier gerichtet, die sie magisch anziehen. Je nach Ausprägung des Autismus kann das soweit gehen, dass alles andere an ihnen vorbei geht. Oft finden sie in Gegenständen einen für andere fremden Zweck, sortieren beispielsweise die Einzelteile einer Spielzeugeisenbahn nach Größe und Farbe, oder ihr einziges Interesse an einem Spielzeugauto ist es, die Räder unablässig zu drehen.

Anders als neuralgisch typische Menschen nehmen Autisten Menschen und Objekte in der selben Hinregion wahr.

Kommunikation

Bei frühkindlichem Autismus fehlt bei etwa der Hälfte der Patienten eine Sprachentwicklung ganz. Bei der anderen Hälfte der Patienten kommt es zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung. Anfangs fehlt der Sprache die kommunikative Funktion. Wörter oder Sätze werden einfach wiederholt (Echolalie). Im Kindesalter vertauschen die Patienten oft die Pronomina. Sie reden von anderen als „ich“ und von sich selbst als „du“ oder in der dritten Person. Diese Eigenart bessert sich überlicherweise im Laufe der Entwicklung. Wortneuschöpfungen (Neologismen) treten häufig auf. Beim Asperger-Syndrom kann es sowohl zu einer frühen als auch zu einer geringfügung verspäteten Sprachentwicklung kommen. Patienten mit Asperger-Syndrom entwickeln eine grammatisch und stilistisch hoch stehende Sprache, die jedoch recht pedantisch sein kann. Sie haften an bestimmten Formulierungen (Perseveration).In der Kommunikation mit anderen Menschen haben sie Schwierigkeiten, Gesagtes über die genaue Wortbedeutung hinaus zu verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen. Allen autistischen Störungen gemeinsam ist, dass die Sprache eintönig klingt (fehlende Prosodie).

Autismus äußert sich am auffallendsten in Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme zur Außenwelt und zu anderen Menschen. Manche Autisten scheinen die Außenwelt kaum wahrzunehmen und teilen sich ihrer Umwelt auf ihre ganz individuelle Art mit. Deshalb wurden autistische Kinder früher auch Muschelkinder oder Igelkinder genannt. Die Wahrnehmungen im visuellen und auditiven Bereich sind oft deutlich intensiver als bei neuralgisch typischen Menschen, daher scheint eine Abschaltfunktion im Gehirn die Reizüberflutung als Selbstschutz auszublenden. Autisten haben ein individuell unterschiedlich ausgeprägtes Bedürfnis nach Körperkontakt. Einerseits nehmen manche mit völlig fremden Menschen direkten und teils unangemessenen Kontakt auf, andererseits kann auch jede Berührung für sie aufgrund der Überempfindlichkeit ihres Tastsinns unangenehm sein.

Vor diesem Hintergrund gestaltet sich eine verstehende Kommunikation mit einem Autisten als schwierig. Emotionen werden oft falsch gedeutet oder gar nicht erst verstanden. Diese möglichen Probleme müssen bei der Kontaktaufnahme berücksichtigt werden und verlangen ein großes Einfühlungsvermögen.

Repetitive und stereotype Verhaltensmuster

Veränderungen ihrer Umwelt, wie zum Beispiel umgestellte Möbel oder ein anderer Schulweg, führen bei Autisten zu Beunruhigung und Verunsicherung. Manchmal geraten Betroffene auch in Panik, wenn sich Gegenstände nicht mehr an ihrem gewöhnlichen Platz oder in einer bestimmten Anordnung befinden. Die Tatsache, dass Autisten eine intensive Wahrnehmung für Details haben und daher auch kleine Veränderungen bemerken, verschlimmert dieses Problem. Handlungen laufen aufgrund der Probleme bei Unregelmäßigkeiten stark ritualisiert ab.

Die Interessen von Autisten sind meist auf bestimmte Gebiete begrenzt. Autisten mit normal entwickelter Intelligenz können in dem Bereich ihres Spezialinteressen ein enormes Wissen ansammeln. In Ausnahmefällen zeigen ansonsten geistig behinderte autistische Menschen außergewöhnliche Begabungen in einem sehr begrenzten Gebiet (Inselbegabung). Bekannt unter diesen sogenannten Savants ist der US-Amerikaner Kim Peek (* 1951), der aufgrund seines außergewöhnlichen Erinnerungsvermögens den Inhalt von etwa 7600 Büchern nahezu auswendig kennt; dabei reicht es, wenn er ein Buch nur ein einziges Mal gelesen hat. Er lieferte die Inspiration zum Film Rain Man.

Sonstige Symptome

Menschen mit Autismus neigen zu visuellem Denken. Synästhesie tritt bei ihnen dergestalt auf, dass sie Sinneswahrnehmungen bestimmte Farben zuordnen. In ihrem Denken sind sie hyperspezifisch, d.h. sie sehen im Gegensatz zu neuralgisch typischen Menschen eher Details als das Ganze.

Bei Menschen mit Autismus ist die Intelligenz anders als bei neuralgisch typischen Menschen nicht gleichmäßig ausgeprägt. Während sie im Gebiet ihres Spezialinteresses oft ein enormes Wissen ansammeln und gut logisch und systematisch denken können, sind ihre Fähigkeiten im sozialen und emotionalen Bereich unterentwickelt. Diese ungleichmäßige Intelligenzverteilung erklärt auch, warum manche ansonsten geistig behinderte Menschen auf einem eng umgrenzten Gebiet herausragende Fähigkeiten entwickeln können.

Ursachen

Autismus ist eine neurologische Störung und hat organische Ursachen.

Weil die Betroffenen meist normal aussehen, werden sie von Außenstehenden in der Öffentlichkeit schnell als unerzogen, unhöflich und provokativ erlebt. Die Schuld an ihrem unangepassten Verhalten wird meist den Eltern zugeschrieben. Solche Schuldzuweisungen und daraus resultierende Schuldgefühle enden nicht selten in Rückzug und sozialer Isolation. Die These, Autismus entstehe aufgrund der emotionalen Kälte der Mutter (sog. „Kühlschrankmutter“), durch lieblose Erziehung, mangelnde Zuwendung, Traumen o.ä. ist eindeutig widerlegt.

Die genauen Ursachen indes sind noch nicht geklärt, es existiert aber eine Reihe von Theorien, von denen die wesentlichen im Folgenden angesprochen werden sollen. Üblicherweise erklären die einzelnen Theorien nur einen Teilaspekt der autistischen Störungen, sodass Autismus letztlich wohl auf Wechselwirkungen mehrerer Faktoren zurückzuführen ist.

Nicht ausgeschlossen werden kann außerdem, dass es sich bei Autismus um ein Produkt der menschlichen Evolution handelt und nicht um eine Behinderung oder Krankheit. Autismus ist vielleicht nur Teil der biologischen Vielfalt der Menschheit. Diese Annahme wird durch neue Forschungsergebnisse untermauert, in denen subklinische Formen von Autismus untersucht werden. Die Frage, ob Autismus vorliegt, wird hierbei zunehmend zu der Frage, wieviel Autismus ein Mensch hat. Fest steht, dass es sich bei Autismus um ein autistisches Spektrum handelt, bei dem alle denkbaren Zwischenstufen zwischen „Autismus“ und „Normal“ vorkommen Vorlage:Lit.

Genetische Faktoren

Bei Familienstudien wurde festgestellt, dass es eine familiäre Häufung von Autismus gibt. Genetische Faktoren sind daher als Ursache für Autismus sehr wahrscheinlich.

Hirnschädigungen

Verschiedene Studien haben ergeben, dass Hirnschädigungen Ursache für Autismus sein können. Festgestellt wurden insbesondere eine Funktionsstörung der linken Gehirnhälfte, abnorme Veränderungen des Stammhirns in Kombination mit Aufmerksamkeitsdefizit sowie Störungen in der sensorischen Reizverarbeitung. Jedoch besteht in diesem Bereich noch weiterer Forschungsbedarf.

Biochemische Besonderheiten

Bei Untersuchungen von Menschen mit Autismus wurden Besonderheiten im biochemischen Bereich festgestellt. Teilweise weisen sie einen erhöhten Dopamin-, Adrenalin-, Noradrenalin- und Serotoninspiegel auf. Jedoch sind die Befunde in diesem Bereich uneinheitlich und lassen keine allgemeingültigen Schlüsse zu. Es gibt starke Hinweise, dass Autismus eine Autoimmunstörung ist. In einer tudie haben fast ale autistischen Kindern darmabnormalitäten ähnlich derjenigen von Zölliakieerkrankten gezeigt. Eine audf den Darm ausgerichtete therapie ist gemäss vielen Eltern und einigen ärzten sehr vielversprechend. Ebenfalls hat man diverse Stoffwechselstörungen bei den meisten Autisten gefunden. Vitalstoffmängel (insbesondere Zink, B-Vitamine, EPA der Omega3 Fettsäure, bei einigen Vitamin A) Die Behebung dieser Defizite haben in einigen wenigen Studien und in der Praxis meist einen starken Rückgang gewisser autistischer Symptome gezeigt. Ebenfalls wurde bei der Mehrheit der Autisten einen genetischen Defekt festgestellt, welche ihnen das körpereigene Ausleiten von Quecksilber erschwert. Diese feststellung passt zu der Erkenntnis, dass Autisten signifikant überdurchschnittliche Svhwermetallbelastungen haben. Mit zweckmässige Ausleiteverfahren zB mit entsprechende Chleatoren (DMPS, DMSA) haben einige Forscher und àrzte teilweise erstaunliche Verbesserungen erzielt.

Gefühlsblindheit (mindblindness theory)

Leo Kanner selbst ging davon aus, dass Kinder mit Autismus Defizite im affektiven Kontakt aufweisen, also ihre Fähigkeit, anhand der Körpersprache anderer Menschen deren Gefühle zu erkennen, eingeschränkt ist. Dies wird auf kognitive Defizite (Gefühlsblindheit, engl. mindblindness) zurückgeführt. Menschen mit Autismus haben Schwierigkeiten zu verstehen, dass Menschen unterschiedliche Empfindungen haben. Außerdem wurde festgestellt, dass Autisten im Gegensatz zu neuralgisch typischen Menschen Objekte und Menschen in der gleichen Gehirnregion wahrnehmen.

empathising-systemising theory (E-S) von Simon Baron-Cohen

Der britische Autismusforscher Simon Baron-Cohen vermutet, dass Autisten, verursacht durch einen hohen Testosteronspiegel im Mutterleib, ein extrem ausgeprägtes männliches Gehirn haben. Seine Mitarbeiter und er untersuchten bei 58 schwangeren Frauen den Testosteronspiegel im Mutterleib. Solche Kinder, die im Mutterleib einem erhöhten Testosteronspiegel ausgesetzt waren, zeichneten sich gegenüber normalen Kindern durch einen kleineren, aber qualitativ höheren Wortschatz und selteneren Blickkontakt aus. Im Alter von vier Jahren waren diese Kinder weniger sozial entwickelt. Daraufhin entwickelte Baron-Cohen die empathising-systemising theory (E-S), die besagt, dass sich das Gehirn von Kindern, die im Mutterleib einem erhöhten Testosteronspiegel ausgesetzt waren, in Richtung zu einer verbesserten Fähigkeit, Muster zu sehen und Systeme zu analysieren, entwickelte. Diese Theorie wird auch extreme male brain theory genannt, da diese Fähigkeiten üblicherweise männlichen Gehirnen zugeschrieben werden.

Neandertal-Thorie

Die Neandertal-Theorie besagt, dass bestimmte psychische Störungen, darunter auch Autismus, auf die Kreuzung von Homo Sapiens und Neandertalern und damit das Eindringen von genetischem Material der Neandertaler in den das Genom des Menschen zurückzuführen sind. Ob solche Kreuzungen überhaupt wirklich aufgetreten sind, ist umstritten und diese Theorie ist extrem spekulativ.

underconnectivity theory

Die underconnectivity theory sieht die Ursache von Autismus in einem Mangel in der Koordination unter den verschiedenen Gehirnbereichen. In fMRI-Aufnahmen wurde festgestellt, dass bei Autisten Verbindungen zwischen Gehirnregionen fehlen. Diese Theorie erklärt, warum bei Autisten die Intelligenz ungleichmäßig ausgeprägt ist.

Epidemiologie

Frühkindlicher Autismus tritt mit einer Häufigkeit von 0,5% auf, wobei das Verhältnis von Jungen und Mädchen bei 4:1 liegt.

Zur Häufigkeit von atypischem Autismus gibt es keine systematischen Studien.

Über die Häufigkeit von Asperger-Syndrom gibt es nur grobe Schätzungen, wobei sich die Zahlen in den letzten Jahren mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Syndroms erhöht haben. Vor 1980 Geborene wurden in der Regel – oft bis heute – nicht erkannt. Im Extremfall sind laut Schätzungen bis zu 1,5% der Bevölkerung betroffen. Asperger-Syndrom tritt treten bei deutlich mehr Männern als Frauen auf, wobei die Angaben des Zahlenverhältnisses von 4:1 bis 8:1 schwanken. Das mag daran liegen, dass sich das Asperger-Syndrom bei Frauen teilweise unauffälliger äußert. So können Frauen durch sozialere Verhaltensmuster, Nachahmung und Schauspielerei, stärkeren Bezug auf Kommunikation und weniger spielende Interaktion mit anderen die negativen Aspekte möglicherweise besser ausgleichen, durch weniger auffällige Besonderheiten oder Verwerfungen mit Auffälligkeiten weniger in Erscheinung treten oder schlicht eine bessere Langzeitprognose haben, da sie besser in der Lage sind zu lernen, wie man mit anderen Menschen umgeht. Insgesamt ist noch einiges an Forschungs- und Aufklärungsarbeit nötig, um angemessenere Zahlen ermitteln zu können.

Verlauf und Behandlung

Dieser Absatz gibt einen allgemeinen Überblick über Verlauf und Behandlung der Störungen aus dem Autismusspektrum. Detailliertere Informationen bieten die jeweiligen Einzelartikel.

 
Einige Menschen mit Autismus tragen eine solche Schleife, um ihrem Wunsch nach Akzeptanz durch ihre Mitmenschen symbolisch Ausdruck zu verleihen.

Eine Behandlung aller Ursache gibt es nicht, da bei Autismus auch ein genetischer Faktor Teil der ursache ist. Vor allem wenn man mit der Behandlung früh beginnt, können mehr als nur einzelne Symptome unterstützend behandelt werden.

Ein wirkungsvolles Therapiekonzept setzt auf 2 Ebenen an:

1. Die biochemischen Besonderheiten (Immunsystemfehlleitungen, Stoffwechselabnormalitäten etc gemäss den unter "biochemische Besonderheiten" erwähnten zu notrmalisieren. Hierzu werden die Erkenntnisse aus Forschungen und Erfahrungen der internationalen DAN-Vereinigungen, eine Vereinigung mit Wissenschaftlern aus dem weitgefassten biochemischen Bereich (Biochemiker, Molekularbiologen, Immunologen, Neurologen etc) und Eltern, welche sich intensiv mit Autismus beschäftigen, angewendet. Einige Studien können auf http://andi.wirecreative.net/news/default.asp?content=Resources&show=Studies entnommen werden.

2. Strukturierte Verhaltens- und vor allem Lerntherapien: Vor allem in den USA und Skandinawischen Ländern hat man grosse Erfolge mit ABA / Loovas Therapie erreicht. ABA / Loovas ist auch die einzige therapetische Therapieform bei welcher die Wirksamkeit wissenschaftlich gesichert ist.

Die ausführlichsten Informationen in deutscher Sprache können dazu auf folgenden links entnommen werden: http://www.autismus-leimen.de http://www.autismus-wir-eltern.de oder com


Menschen mit diesen Autismusformen benötigen ohne Behandlung meist eine intensive, lebenslange Betreuung und eine geschützte Unterbringung. Bei Menschen mit hochfunktionalem Autismus oder Asperger-Syndrom hingegen ist der Langzeitverlauf meist positiv. Mit dem nötigen Verständnis und der erforderlichen Hilfe können sie ein normales Leben führen. Obwohl ihnen ihre sozialen und kommunikativen Probleme meist in entscheidenen Lebensbereichen Schwierigkeiten bereiten, können sie durchaus ein erfülltes Familienleben führen und beruflich erfolgreich sein.

Es existiert eine Reihe von Büchern über autistische Menschen. Die Psychologen Oliver Sacks und Torey Hayden haben Bücher über ihre Patienten mit Autismus und deren Lebensweg veröffentlicht. An autobiographischen Büchern sind insbesondere die Werke der US-amerikanischen Tierwissenschaftlerin Temple Grandin und die Werke der australischen Schriftstellerin und Künstlerin Donna Williams bekannt.

Viele Erwachsene mit Autismus, besonders solche mit normal entwickelter Intelligenz, haben gelernt, mit ihren autistischen Eigenarten zurechtzukommen. Sie wünschen sich vielfach keine Heilung ihres Autismus, sondern die Akzeptanz durch ihre Mitmenschen.

Differentialdiagnose

Autistisches Verhalten kann auch bei anderen Syndromen und Krankheiten vorkommen, von denen Autismus abgegrenzt werden muss.

Wesentliches Unterscheidungskriterium zur Schizophrenie sind das Auftreten von Halluzinationen und Wahn, die bei Autismus nicht vorkommen.

Von autistischem Verhalten bei psychischem Hospitalismus, Kindesmisshandlung und Verwahrlosung unterscheidet sich Autismus dadurch, dass Autisten autistisches Verhalten primär, also von Geburt an, an den Tag legen. Es wird bei ihnen nicht durch falsche Erziehung, mangelnde Liebe, Misshandlung oder Verwahrlosung ausgelöst. Bei psychischem Hospitalismus, Kindesmisshandlung und Verwahrlosung verschwindet das autistische Verhalten bei Besserung der äußeren Umstände wieder, wohingegen Autismus nicht heilbar ist.

Bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung tritt im Gegensatz zu atypischem und frühkindlichem Autismus keine Intelligenzminderung auf. Eine Abgrenzung zum hochfunktionalen Autismus und Asperger-Syndrom kann im Einzelfall schwierig sein. Hierbei ist die Anamnese wichtig.

Bei Menschen mit Zwangshandlungen (obsessiv-kompulsive Störung) ist die Sozial- und Kommunikationsfähigkeit normal ausgeprägt. Im Gegensatz zu Menschen mit Zwangshandlungen erleben Autisten ihre Routinen nicht als gegen ihren Willen aufdrängt, sondern sie schaffen ihnen Sicherheit und sie fühlen sich mit ihnen wohl.

Bei der Bindungsstörung ist das Sprachvermögen anders als beim atypischen und frühkindlichen Autismus intakt. Eine Abgrenzung zum hochfunktionalen Autismus und Asperger-Syndrom kann im Einzelfall schwierig sein. Hierbei ist die Anamnese wichtig.

Das Fragile X-Syndrom wird durch einen genetischen Defekt ausgelöst, der mit entsprechenden Analysemethoden eindeutig nachgewiesen werden kann, sodass eine Unterscheidung von Autismus eindeutig erfolgen kann.

Bei Magersucht können rigide Essgewohnheiten und soziale Isolation aufreten, die an hochfunktionalen Autismus oder Asperger-Syndrom erinnern. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Autismus ist, dass bei Magersucht beide Symptome nur zeitlich begrenzt auftreten und nach Behebung der Ursache wieder verschwinden.

Historisches

Es gab zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Vorstellungen über die Entstehung von Autismus. Im zaristischen Russland etwa glaubte man, dass autistische Kinder als besonders religiöse Menschen zur Welt gekommen seien und dass diese sich freiwillig für ein Leben jenseits aller Konventionen entschieden hätten. Aus überlieferten Berichten weiß man, dass Autisten in Lumpen durch den russischen Winter liefen, ohne sich vor der Kälte zu schützen. Sie sprachen selten, ihr Verhalten war merkwürdig, sie missachteten Gesetz, Ordnung und soziale Regeln. Man nannte sie deshalb „heilige Narren“ und glaubte, dass in ihrem Verhalten göttliche Botschaften verschlüsselt seien.

Siehe auch

Psychische Störung - Liste psychischer Störungen - Liste der Syndrome - Liste der Krankheiten - Portal Psychotherapie

Literatur

Fachliches

  • Hans Asperger: Die „Autistischen Psychopathen“ im Kindesalter. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 117 (1944) 73-136
  • Leo Kanner: Autistic Disturbances of Affective Contact. In: Nervous Child 2 (1943), 217-250
  • Diane M. Kennedy: The ADHD Autism Connection: a Step Toward More Accurate Diagnosis and Effective Treatment. WaterBrook Press 2002, ISBN 1-578-56498-0
  • Helmut Remschmidt: Autismus. Erscheinungsformen, Ursachen, Hilfen. 2. Auflage C. H. Beck, München 2002, ISBN 3-406-44747-3

Erfahrungsberichte

  • Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse. Leben in einer anderen Welt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, ISBN 3-455-09353-1
  • John J. Ratey, Catherine Johnsons: Das Schattensyndrom - Neurologie und leichte Formen psychatrischer Störungen. Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 3-608-91889-2
  • Katja Rohde: Ich Igelkind. Botschaften aus einer autistischen Welt. Nymphenburger, München 1999, ISBN 3-485-00826-5
  • Birger Sellin: Ich will kein Inmich mehr sein. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995, ISBN 3-462-02463-9
  • Temple Grandin, Catherine Johnson: Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier. Wie ich als Autistin Menschen und Tiere einander näher bringen kann. Ullstein, München 2005, ISBN 3-5500-7622-3 - Temple Grandin ist Autistin und Professorin, die versucht, eine Innensicht des Autismus zu liefern. Das Adjektiv froh stammt vom Verlag, die Autorin hatte ursprünglich das Ajektiv ängstlich vorgesehen.
  • Franz Uebelacker: Ich lasse mich durch wilde Fantasien tragen. Selbstporträt eines autistischen Spastikers. Frieling, Berlin 1998, ISBN 3-8280-0503-9

Kinder- und Jugendliteratur

  • Laurie Lears, Karen Ritz: Unterwegs mit Jan. Leben mit einem autistischen Bruder. KiK-Verlag, Berg am Irchel 2000, ISBN 3-906-58137-3
  • Dirk Bracke: Ich bin nicht aus Stein. Rex-Verlag, Luzern 1998, ISBN 3-725-20678-3
  • Kolet Janssen: Mein Bruder ist ein Orkan. Anrich, Weinheim 1997, ISBN 3-891-06304-0