Felicia Langer

israelisch-deutsche Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin
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Felicia-Amalia Langer (* 9. Dezember 1930 als Felicia-Amalia Weit in Tarnów, Polen) wurde in Israel als umstrittene Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin bekannt. Seit 1990 lebt sie in Deutschland und nahm 2009 auch die deutsche Staatsangehörigkeit an.[1] Im Juli 2009 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, was in Verbindung mit ihrer Haltung zum Nahostkonflikt[2] eine öffentliche Kontroverse auslöste.

Zeit in Osteuropa

Felicia-Amalia Langer wurde 1930 als Tochter jüdischer Eltern im polnischen Tarnów geboren. 1939 floh ihre Familie vor der deutschen Invasion im Polenfeldzug in die Sowjetunion. Andere Verwandte wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Ihr Vater wurde in der Sowjetunion unter Josef Stalin inhaftiert und starb an den Folgen seiner Haft.[3]

1949 heiratete sie in Breslau Mieciu Langer, der als einziges Mitglied seiner Familie die nationalsozialistische Judenverfolgung überlebt hatte.[4]

Zeit in Israel

1950 wanderte das Ehepaar Langer nach Israel aus. 1953 wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren. 1959 begann sie an der Hebräischen Universität Jerusalem Rechtswissenschaften zu studieren. 1965 wurde sie als Anwältin zugelassen und eröffnete eine eigene Kanzlei. Seit dem Sechstagekrieg 1967, den sie als Wendepunkt in ihrem Leben sieht,[5] engagierte sich Langer politisch. Sie verteidigte als erste israelische Anwältin Palästinenser aus den von Israel besetzten Gebieten vor israelischen Militärgerichten.[6]

In 23 Jahren Anwaltstätigkeit gewann sie nur wenige ihrer Fälle. 1977 entzog das israelische Verteidigungsministerium ihr die Lizenz zum Verteidigen vor Militärgerichten in Israel, so dass sie Palästinenser nur noch in deren Gebieten verteidigen konnte. Sie durfte unter anderen keine Kriegsdienstverweigerer unter israelischen Soldaten mehr vertreten und konnte jederzeit wegen Sicherheitsbedenken von Verfahren ausgeschlossen werden.[7] 1979 verteidigte sie erfolgreich den Bürgermeister von Nablus, Bassam Shaka. Er wurde der Anstiftung zum Terrorismus angeklagt und sollte ausgewiesen werden. Das Oberste Gericht Israels hob die Ausweisung auf.[8]

Sie war Vizepräsidentin der Israelischen Liga für Menschenrechte[9] und schloss sich der binationalen, antizionistischen und pro-palästinensischen Neuen Kommunistischen Liste (Rakach) an, deren Zentralkomitee sie angehörte.[10] Nach einem internen Richtungsstreit trat sie 1990 aus der Partei aus. Sie schloss ihre Anwaltskanzlei und zog mit ihrem Ehemann nach Deutschland. [2]

Zeit in Deutschland

Langer wohnt zur Zeit in Tübingen. Sie erhielt Lehraufträge an den Universitäten Bremen und Kassel. Sie wurde Schirmfrau des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon, der palästinensische Flüchtlingsfamilien unterstützt.[11] Seit März 2009 unterstützt sie das neu gegründete Russell-Tribunal zu Palästina.[12]

Langer kritisiert in ihren Schriften, Vorträgen und Interviews Israels Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten. Israel habe so viele Siedlungen bauen lassen, dass dies einer Annexion gleich komme.[5] Der Siedlungsbau untergrabe die Möglichkeiten für eine Zwei-Staaten-Lösung. Langer fordert den vollständigen bedingungslosen Abzug Israels aus den 1967 eroberten Gebieten und ein Rückkehrrecht für jeden Nachkommen der Palästinserflüchtlinge.[13] 1990 erhielt Langer den Alternativen Nobelpreis für ihren Einsatz für die Rechte der Palästinenser.

2002 erklärte sie, die palästinensischen Terroranschläge seien zwar nicht zu rechtfertigen, doch habe die israelische Politik ihnen „den Weg geebnet“; sie machte sich in diesem Zusammenhang auch die Meinung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP Jürgen Möllemann zu eigen, der die gezielten Tötungen palästinensischer Terrorverdächtiger durch isrealische Sicherheitskräfte „Staatsterror“ genannt hatte.[14] 2003 schrieb sie ein zustimmendes Vorwort für ein Buch von Jamal Karsli.[15] 2007 bezeichnete sie das israelische Regime in den besetzten Palästinensergebieten als „Apartheid der Gegenwart“.[16] Am 29. April 2009 warf sie Israel in einem Vortrag „rassistische Politik“ vor und sagte, Mahmud Ahmadinedschad habe bei seiner Rede zur Antirassismuskonferenz der UNO am 21. April 2009 „die Wahrheit“ gesagt. Sie habe Vertreibung von und Folterungen an Palästinensern miterlebt.[17] In seiner Rede hatte Ahmadinedschad gesagt, die Westmächte hätten den Holocaust als Vorwand zur Vertreibung der Palästinenser und zur Installation eines rassistischen Regimes missbraucht.[18]

Kontroverse um Bundesverdienstkreuz

Bundespräsident Horst Köhler verlieh Langer am 16. Juli 2009 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse als Anerkennung für ihr Lebenswerk. Staatssekretär Hubert Wicker überreichte es ihr in der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger. In seiner Laudatio würdigte er Langers Engagement „für Frieden und Gerechtigkeit sowie für die Wahrung der Menschenrechte“, ihren Einsatz für hilfsbedürftige Personen ohne Ansehen von deren Nationalität oder Religion, unabhängig von ihrer persönlichen politischen, weltanschaulichen oder religiösen Motivation, und erinnerte an ihre Kindheit und Jugend, die von Leid, Krieg, Verfolgung und Flucht geprägt gewesen sei. Viele ihrer Familienmitglieder seien in Konzentrationslagern gestorben.[19]

Die Publizistin Evelyn Hecht-Galinski hatte diese Auszeichnung angeregt, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hatte sie unterstützt.[20][21] Die von Oettinger geführte Landesregierung von Baden-Württemberg hatte seinen Vorschlag übernommen und dabei alle im üblichen Ordensverfahren beteiligten Stellen einschließlich des Auswärtigen Amtes einbezogen.[22]

Der Vorgang führte zu öffentlichen Protesten. Arno Lustiger, Ralph Giordano und Arno Hamburger kündigten die Rückgabe ihrer Bundesverdienstkreuze an, falls Langers Ehrung nicht rückgängig gemacht werde. Sie habe Israels Palästinenserpolitik mit dem Holocaust verglichen[23] und sei eine langjährige „Feindin Israels“ mit „verheerender Wirkung“ für, Giordano zufolge, ein in Deutschland verbreitetes Bedürfnis, „sich vom eigenen Schulddruck durch Kritik an Israel zu entlasten“.[24]

Der israelische Reiseführer Motke Shomrat hatte für sein Eintreten zur Versöhnung zwischen Israelis und Deutschen ein Bundesverdienstkreuz erhalten. Er gab es am 24. Juli 2009 zurück[25], weil Langer israelfeindlichen Aussagen Ahmadinedschads zugestimmt habe.[26]

Der Zentralrat der Juden in Deutschland, das New Yorker American Jewish Committee, Johannes Gerster und die Deutsch-Israelische Gesellschaft[27], Henryk Broder, einige jüdische Gemeinden und andere kritisierten Köhlers Entscheidung und forderten deren Rücknahme. Broder vermutete, Köhler habe diese in Unkenntnis von israelfeindlichen Aussagen Langers getroffen.[28]

Die Kritiker werfen Langer vor, stets ausschließlich Israel die Schuld am Nahostkonflikt zu geben und es zu dämonisieren.[29] Yigal Palmor, Sprecher des israelischen Außenministeriums, erklärte in Zeitungsinterviews, Langer habe beständig die Kräfte unterstützt, die Gewalt, Tod und Extremismus beförderten.[30]

Auch der Antisemitismusforscher Micha Brumlik kritisiert Langers Auftreten, Argumentation und Wortwahl als einseitig. Dass sie nur Israel für die Situation im Nahen Osten verantwortlich mache, schätzt er als antisemitisches Argumentationsmuster ein. Dennoch habe sie das Bundesverdienstkreuz „eventuell in der Sache verdient“, weil sie darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Menschenrechte der arabischen Bevölkerung des von Israel besetzten Westjordanlands ständig verletzt würden.[31]

Boris Palmer und Baden-Württembergs Landesregierung verteidigten die Verleihung: Sie habe der Lebensleistung, nicht der Ideologie Langers gegolten.[32] Langer selbst bezeichnete die Kritik an ihrer Ehrung am 23. Juli 2009 als „Verleumdungskampagne“, die Kritik an Israel unterdrücken solle, und lehnte es ab, das Bundesverdienstkreuz zurückzugeben.[33] Sie zeigte sich überzeugt, auch für das israelische Volk, nicht nur die Palästinenser etwas Gutes zu tun.[34]

Schriften

  • Die Zeit der Steine. Aus dem Hebräischen. Lamuv, Göttingen 1989, ISBN 9783889773791
  • Zorn und Hoffnung. Aus dem Hebräischen. Lamuv, Göttingen 1991, ISBN 3-88977-440-7
  • Brücke der Träume. Eine Israelin geht nach Deutschland. Aus dem Hebräischen. Lamuv, Göttingen 1994, ISBN 3-88977-385-0
  • Wo Hass keine Grenzen kennt: eine Anklageschrift. Aus dem Hebräischen und aus dem Englischen. Lamuv, Göttingen 1995, ISBN 3-88977-397-4
  • «Laßt uns wie Menschen leben!» Schein und Wirklichkeit in Palästina. Aus dem Hebräischen und aus dem Englischen. Lamuv, Göttingen 1999, ISBN 3-88977-538-1
  • Miecius später Bericht: eine Jugend zwischen Getto und Theresienstadt. Aus dem Hebräischen. Lamuv, Göttingen 1999, ISBN 3-88977-539-X
  • Quo vadis, Israel? Die neue Intifada der Palästinenser. Aus dem Englischen. Lamuv, Göttingen 2001, ISBN 3-88977-615-9
  • Brandherd Nahost. Oder: Die geduldete Heuchelei. Aus dem Englischen. Lamuv, Göttingen 2004, ISBN 3-88977-644-2
  • Die Frau, die niemals schweigt. Stationen eines Lebens. Lamuv, Göttingen 2005, ISBN 3-88977-664-7
  • Die Entrechtung der Palästinenser. 40 Jahre israelische Besatzung. Aus dem Englischen. Lamuv, Göttingen 2006, ISBN 3-88977-680-9
  • Um Hoffnung kämpfen. Lamuv, Göttingen 2008, ISBN 3-88977-688-4

Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. Ulrich Kurz: Glücklich über Ehrung, Reutlinger General-Anzeiger, 25. Juli 2009 
  2. a b Matthias Drobinski: Felicia Langer: Jüdin und Menschenrechtlerin mit Distanz zu Israel, Süddeutsche Zeitung, 23. Juli 2009 
  3. Landesportal Baden-Württemberg, 16. Juli 2009: Verdienstkreuz 1. Klasse für Felicia-Amalia Langer aus Tübingen
  4. «Israel ist friedensresistent», Badische Zeitung, 23. März 2009. Abgerufen im 24. Juli 2009 
  5. a b Michael Hesse: «Die Qual der Besatzung», Kölner Stadt-Anzeiger, 18. Juni 2007. Abgerufen im 24. Juli 2009 
  6. Landesportal Baden-Württemberg, 16. Juli 2009: Verdienstkreuz 1. Klasse für Felicia-Amalia Langer aus Tübingen
  7. Norman Paech, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen: Laudatio zur Verleihung des Hans-Litten-Preises der VDJ am 5. Februar 1988 in Dachau
  8. Marion Woolfson: Bassam Shaka, portrait of a Palestinian London: Third World Centre, 1981, ISBN 0861990099
  9. a b Norman Paech: Laudatio zur Verleihung des Hans-Litten-Preises der VDJ am 5. Februar 1988 in Dachau. Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, 5. Februar 1988, abgerufen am 25. Juli 2009.
  10. Helena Cobban: The Palestinian Liberation Organisation. People, Power and Politics, Cambridge 1984, S.189. Weiterführende Literatur in: Constanze Krakau: Die Rolle der palästinensischen Minderheit im politischen Leben Israels 1976-1996. Studien zur Zeitgeschichte des Nahen Ostens und Nordafrikas, Bd. 14, Berlin, Hamburg, Münster 2005, S.66f.
  11. Flüchtlingskinder im Libanon e.V. Flüchtlingskinder im Libanon e.V.: Rosa-Wainer-Stipendium für palästinensische Schülerinnen
  12. Russell Tribunal on Palestine: Patrons - Members of the Support Commitee
  13. Christian Kempf: Nobelpreisträgerin vertritt kontroverse Standpunkte, Stuttgarter Zeitung, 10. November 2007. Abgerufen im 24. Juli 2009 
  14. Karl Pfeifer: Sommergespräch der Wiener Grünen: Felicia Langer gibt Möllemann Recht
  15. Palästinaportal: Maulkorb für Deutschland. Fakten, Analyse, Aufklärung zur Antisemitismusdebatte.
  16. Felicia Langer (: »Israels Regierungen sind von jeher friedensresistent« (Nachdruck eines Interviews der Jungen Welt, 5. Juni 2007)
  17. Peter Weidner: "Die „Israelkritik“ der Felicia Langer. Ein Stimmungsbericht aus Linz", in: Die Jüdische, 20. Juli 2009.
  18. Badische Zeitung, 21. April 2009: Ahmadinedschads Rede im Wortlaut
  19. Landesportal Baden-Württemberg, 16. Juli 2009: Verdienstkreuz 1. Klasse für Felicia-Amalia Langer aus Tübingen
  20. Schwäbisches Tagblatt, 22. Juli 2009: Auszeichnung Felicia Langers löst Wirbel aus
  21. Stefan Hupka: Das Kreuz mit den Verdiensten, Badische Zeitung, 21. Juli 2009
  22. Benjamin Weinthal (Jerusalem Post, 22. Juli 2009): Jews to return German honors in protest
  23. Offener Brief Arno Lustigers an Horst Köhler (21. Juli 2009, pdf)
  24. Offener Brief Ralph Giordanos an Horst Köhler (pdf)
  25. Ulrich W. Sahm (ntv, 24. Juli 2009): „Mit großem Schmerz“ Bundesverdienstkreuz zurückgegeben
  26. Benjamin Weinthal (Jerusalem Post, 22. Juli 2009): Jews to return German honors in protest; Motke Shomrat (Die Jüdische, 20. Juli 2009): Eine Schande
  27. Johannes Gerster (Deutschisraelische Gesellschaft, Pressemitteilung 21. Juli 2009): Ehrung von Frau Langer war ein schwerer Fehler. Fehler muss man korrigieren!
  28. Henryk Broder, Spiegel 23. Juli 2009: Feigenblatt des schlechten Gewissens
  29. Die Zeit, 21. Juli 2009: Bundesverdienstkreuz: Köhler gerät über Vergabe unter Druck
  30. Benjamin Weinthal (Der Tagesspiegel, 24. Juli 2009): Israel kritisiert Köhler wegen Orden für Jüdin
  31. Der Spiegel, 22. Juli 2009: Antisemitismusforscher Brumlik: „In der Sache hat Frau Langer das Bundesverdienstkreuz verdient“
  32. Schwäbisches Tagblatt, 23. Juli 2009: Langer-Ehrung: Attacken gegen Palmer
  33. Focus, 23. Juli 2009: Felicia Langer will das Bundesverdienstkreuz nicht zurückgeben
  34. Deutschlandradio Kultur, 23. Juli 2009: Felicia Langer will Bundesverdienstkreuz nicht zurückgeben (Interview)
  35. Laureates: Felicia Langer (Israel), The Right Livelihood Award Foundation. Abgerufen im 25. Juli 2009 
  36. Homepage von Felicia Langer
  37. 6. Verleihung, 18. Januar 1991, Bruno Kreisky Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte. Abgerufen im 25. Juli 2009 
  38. Erich-Mühsam-Preis. Erich-Mühsam-Gesellschaft e.V., abgerufen am 24. Juli 2009.
  39. Andreas Schnell: Vorwärts und nicht vergessen, taz, 14. März 2005. Abgerufen im 24. Juli 2009 
  40. Menschenrechtspreis 2006 an Felicia Langer. Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V., 5. Dezember 2006, abgerufen am 25. Juli 2009.