Regina Jonas

erste Rabbinerin Deutschlands
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 5. Juli 2009 um 23:25 Uhr durch Michael Kühntopf (Diskussion | Beiträge) (Eine ''jüdische Theologie'' gibt es nicht.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Regina Jonas (* 3. August 1902 in Berlin; † 12. Dezember 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau) war die erste in Deutschland praktizierende Rabbinerin und damit zugleich die erste Rabbinerin weltweit.

Gedenktafel für Regina Jonas. Ausschnitt

Ihr Leben

Jugend und Ausbildung

Der berufliche Aufstieg von Regina Jonas in eine Position, die bis dahin ausschließlich jüdischen Männern vorbehalten war, sorgte im deutschen Judentum der 1930er Jahre für intensive öffentliche und interne Auseinandersetzungen, die aber kaum verwertbare Spuren für die Biografie der Hauptperson hinterlassen haben. Es existieren wenige Texte von ihrer Hand, kein Tagebuch, kaum Berichte von Zeitzeugen. Ein sehr fragmentarischer Nachlass wurde der Forschung erst nach der deutschen Wiedervereinigung zugänglich gemacht. Bis 1991 war die Rabbinerin Regina Jonas fast vergessen.

Als Tochter des Kaufmanns Wolf Jonas und seiner Frau Sara, geb. Hess wurde sie am 3. August 1902 im Berliner Scheunenviertel geboren, in einem damals stark jüdisch geprägten Wohngebiet im heutigen Bezirk Mitte. Zusammen mit ihrem Bruder Abraham wuchs sie in materiell eher bescheidenen Verhältnissen auf, in einem Elternhaus, das als „streng religiös“ geschildert wird. Der Vater starb schon 1913. Regina Jonas absolvierte das öffentliche Oberlyzeum in Berlin-Weißensee und erhielt 1924 die Lehrbefähigung für höhere Mädchenschulen.

Anschließend begann sie ein Studium an der liberalen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Sie war nicht die einzige Frau an der Hochschule, aber die einzige mit dem erklärten Ziel, die Ordination zur Rabbinerin zu erreichen – ein seinerzeit noch beispielloses Vorhaben. Ihr Studium finanzierte sie dadurch, dass sie an verschiedenen Lyzeen Unterricht gab. Nach 12 Semestern bestand sie am 22. Juli 1930 ihre mündliche Schlussprüfung. Einer der Prüfer war Dr. Leo Baeck, damals ein maßgeblicher Repräsentant des deutschen Judentums, ein anderer ihr Professor für Talmudische Wissenschaft, Eduard Baneth, bei dem Regina Jonas zuvor ihre schriftliche Arbeit eingereicht hatte. Die Schrift trug den zugleich provozierenden wie programmatischen Titel: „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“. Baneth bewertete die Arbeit mit „Gut“, hatte also wohl auch die Absicht, seiner Schülerin das Diplom als Rabbinerin zu erteilen; nach seinem plötzlichen Tod im August 1930 unterblieb dieser Schritt jedoch, Jonas´ Abschlusszeugnis vom 12. Dezember 1930 weist sie lediglich als akademisch geprüfte Religionslehrerin aus.

Im Beruf

Sie hielt eine Reihe von Übungspredigten – woraufhin Leo Baeck ihr ausdrücklich bescheinigte, eine „denkende und gewandte Predigerin“ zu sein – und gab Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und an Schulen der jüdischen Gemeinde. Für verschiedene jüdische Institutionen hielt sie Vorträge zu religiösen und historischen Themen, auch über Fragen zur Bedeutung der Frauen im Judentum. Ihren eigentlichen Berufswunsch verlor sie nicht aus den Augen. Der Offenbacher Rabbiner Dr. Max Dienemann, Geschäftsführer des Liberalen Rabbiner Verbandes, erklärte sich schließlich 1935 bereit, Regina Jonas im Auftrag des Verbandes mündlich zu prüfen und nach bestandener Prüfung zu ordinieren, obwohl unter den deutschen Juden entschiedene Vorbehalte gegen einen solchen Schritt bestanden. Im Diplom vom 27. Dezember 1935 bestätigte er, dass sie „fähig ist, Fragen der Halacha [des jüdischen Religionsgesetzes] zu beantworten und dass sie dazu geeignet ist, das rabbinische Amt zu bekleiden“. Leo Baeck beglückwünschte sie wenige Tage später als „Liebes Fräulein Kollegin!“, unterzeichnete jedoch erst sechs Jahre später, am 6. Februar 1942, ein Dokument zur Bestätigung ihrer Semicha.[1]

Die Jüdische Gemeinde in Berlin beschäftigte sie auch danach nur als Religionslehrerin, allerdings durfte sie zusätzlich die „rabbinisch-seelsorgerische Betreuung“ in jüdischen und städtischen sozialen Einrichtungen übernehmen. In den Akten der Gemeinde finden sich Gesuche von Gemeindemitgliedern, die Rabbinerin auch in der Neuen Synagoge predigen zu lassen – sie wurden nicht berücksichtigt. Im Trausaal vor dem eigentlichen Synagogenraum konnte Regina Jonas religiöse Feste für Jugendliche und Erwachsene leiten, trug dabei auch Talar und Barett; die Kanzeln der Berliner Synagogen blieben ihr aber weiterhin verwehrt. Sie wurde auch niemals mit religionsgesetzlichen Handlungen wie Trauungen oder Scheidungen beauftragt. Zunehmend entdeckten die jüdischen Frauenvereinigungen Regina Jonas für sich. Sie sprach vor der WIZO (Women’s International Zionist Organisation), dem "Jüdischen Frauenbund" oder den Schwesternschaften der Logen.[2] In einer Notiz des Jüdischen Gemeindeblattes zu einem "WIZO-Nachmittag" mit Regina Jonas hieß es: "Fräulein Rabbiner Regina Jonas betrachtete - vom Midrasch ausgehend - daß vor Israel schon 70 Völker auf Erden waren - und nun Israel als neues 71. Volk lediglich dazu von Gott bestimmt wurde und ist, die religiöse Kultur zu schaffen und zu pflegen - die Möglichkeit zur Religion zu gelangen. - Sie hob die Pflicht der Frau hervor - gleichsam wie die Prophetinnen, Hüterinnen und Wahrerinnen der Güte, des Rechts, der Liebe und Rücksichtnahme zu sein: 'Wo Frauen hinkommen, müssen Haß und Feindschaft verstummen'." [3] Nach 1938 stieg die Zahl der jüdischen Gemeinden, die ohne religiöse Betreuung waren, weil ihre Rabbiner durch das nationalsozialistische Regime zur Ausreise gezwungen oder deportiert worden waren. Im Auftrag der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland reiste Regina Jonas zu derartigen Gemeinden im preußischen Landesverband, um zu predigen und Seelsorge zu leisten. Die Rabbinerin selbst hatte offenbar nie an Auswanderung gedacht, vermutlich auch mit Rücksicht auf ihre Mutter.

1942 wurde sie zur Zwangsarbeit in einer Kartonagenfabrik in Berlin-Lichtenberg verpflichtet, am 6. November 1942 dann zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert. Der Wiener Arzt und Analytiker Viktor Frankl, ebenfalls jüdischer Abstammung, hatte hier ein „Referat für psychische Hygiene“ eingerichtet. Es sollte Neuankömmlingen, die meist völlig unvorbereitet im Ghetto eintrafen, über den Schock der ersten Eindrücke hinweghelfen und so ihre Überlebenschancen verbessern. Regina Jonas beteiligte sich an dieser Arbeit und hielt in Theresienstadt außerdem Vorträge und Predigten. 44 Vortragstitel von ihr wurden gefunden. [4] Am 12. Oktober 1944 wurde sie in das KZ Auschwitz-Birkenau verbracht und dort am 12. Dezember ermordet.

Ihre Überzeugungen

Regina Jonas sah sich als gleichberechtigt neben ihren männlichen Kollegen: „Ich kam zu meinem Beruf aus dem religiösen Gefühl, dass G'tt keinen Menschen unterdrückt, dass also der Mann nicht die Frau beherrscht …“ [Die Schreibweise des Begriffes „Gott“ entspricht dem ursprünglichen Text. Nach jüdischem Brauch wird das Wort nicht vokalisiert].

Regina Jonas war jedoch keine Feministin, auch keine Anhängerin des Reformjudentums. Vielmehr war sie dem traditionellen Judentum von früher Jugend an leidenschaftlich verbunden. Ihren Berufswunsch verfolgte sie so hartnäckig, weil sie sich von Gott dazu berufen fühlte und weil sie in den traditionellen jüdischen Gesetzen keinen Widerspruch dazu finden konnte. So unternahm sie in ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule als Erste den Versuch, das weibliche Rabbinat nicht mit liberalen Argumenten, sondern aus der Tradition des Judentums heraus zu begründen. Die Frage des Titels: „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ beantwortete sie mit der Schlussfolgerung, dass dem „außer Vorurteil und Ungewohntsein fast nichts“ entgegenstehe.

Sie war also überzeugt „… vom Gedanken der letzten und restlosen geistigen, seelischen, sittlichen Gleichberechtigung beider Geschlechter …“, vertrat dabei aber die Ansicht, dass Männer und Frauen zwar Gleichwertiges, aber dennoch Unterschiedliches leisten könnten und sollten, entsprechend ihren geschlechtsspezifischen Stärken. Über ihren eigenen Beruf schrieb sie: „Gar manche Dinge, die der Mann auf der Kanzel und sonst bei der Jugend nicht sagen kann, kann sie [die Rabbinerin] sagen. Die Welt besteht nun einmal durch G´tt aus zwei Geschlechtern und kann nicht auf die Dauer nur von einem Geschlecht gefördert werden“. Jedoch sollten nach ihrer Meinung nur unverheiratete Frauen als Rabbinerin tätig sein – dieser Beruf und die besonderen Anforderungen von Ehe und Mutterschaft seien nicht miteinander vereinbar. Sie befürwortete das jüdische Prinzip der Keuschheit als erzieherisches Ideal und sprach sich dafür aus, die Trennung der Geschlechter in den Synagogen beizubehalten.

In den 1930er Jahren hatte sich unter deutschen Juden die schmerzhafte Erkenntnis durchgesetzt, dass ihre Bemühungen um Emanzipation und Integration gescheitert waren. Zugleich waren ihnen ihre religiösen Wurzeln und die traditionellen kulturellen Werte oft fremd geworden. In dieser schwierigen, im nationalsozialistischen Staat bald auch lebensbedrohenden Situation war Regina Jonas bemüht, einen Prozess der Neu- und Rückbesinnung zu unterstützen.

Im Theresienstädter Archiv befindet sich eine Liste überschrieben mit „Vorträge des einzigen weiblichen Rabbiners: Regina Jonas“, die Jonas vor ihrem Abtransport nach Auschwitz im sogenannten „Referat für Geistes- und Freizeitgestaltung“ in Theresienstadt hinterlassen hatte, außerdem die folgenden Stichpunkte einer Predigt:

„Unser jüd. Volk ist von Gott in die Geschichte gepflanzt worden als ein gesegnetes. Von Gott 'gesegnet' sein, heisst, wohin man tritt, in jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden. - Demut vor Gott, selbstlose hingebungsvolle Liebe zu seinen Geschöpfen erhalten die Welt. Diese Grundpfeiler der Welt zu errichten, war und ist Israels Aufgabe - Mann und Frau, Frau und Mann, haben diese Pflicht in gleicher jüdischer Treue übernommen. Diesem Ideal dient auch unsere ernste, prüfungsreiche Theresienstädter Arbeit, Diener Gottes zu sein, u. als solcher rücken wir aus irdischen in ewige Sphären - Möge all unsere Arbeit zum Segen für Israels Zukunft sein, (u. die der Menschheit). ...Aufrechte 'jüd. Männer' und 'tapfere edle Frauen' waren stets die Erhalter unseres Volkes. Mögen wir vor Gott würdig befunden werden. in den Kreis dieser Frauen und Männer eingereiht zu werden...der Lohn, der Dank einer Mizwa, einer Großtat, ist die sittliche Großtat vor Gott. Rabbinerin Regina Jonas - früher Berlin.“[5]

Würdigungen

 
Gedenktafel für Regina Jonas, Berlin, Krausnickstraße 6

In den Jahren nach dem Krieg geriet Regina Jonas fast völlig in Vergessenheit. Soweit bekannt, wird sie von keinem der prominenten Überlebenden Theresienstadts (z. B. Leo Baeck oder Viktor Frankl, mit dem sie zusammengearbeitet hatte), in deren Schriften auch nur erwähnt. Als 1972 in Sally Priesand als erster weiblicher Rabbi der USA ordiniert wurde, sprach die Presse vom „weltweit ersten weiblichen Rabbi“. Auch in der jüdischen Gemeinde in Berlin scheint es noch Anfang der 1990er Jahre keine lebendige Erinnerung an Regina Jonas gegeben zu haben. Erst Forschungen der amerikanischen Wissenschaftlerin Katerina von Kellenbach in Ostberliner Archiven nach dem Mauerfall brachten die Geschichte der ersten weiblichen Rabbinerin in das Gedächtnis zurück.[6]

Über die Gründe dieser seltsamen Amnesie kann nur spekuliert werden. Sicher ist, dass die Ablehnung weiblicher Rabbis durch weite (auch liberale) Teile des Judentums, nicht nur die Shoa, sondern auch die Erfolge der feministischen Bewegung der 1960/70er Jahre überdauert hat.

Mittlerweile wird an zwei Orten öffentlich an Regina Jonas erinnert:

  • Seit Juni 2001 erinnert eine Gedenktafel an dem Haus Krausnickstraße 6 in Berlin-Mitte an Regina Jonas. In dem Haus, das zuvor an dieser Stelle stand, wohnte sie bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt.[7]
  • In Offenbach (Hessen) wurde am 13. August 2002 ein Weg im Büsingpark nach Regina Jonas benannt. Der Regina-Jonas-Weg verläuft parallel zur Kaiserstraße und kreuzt den Max-Dienemann-Weg. [8]

Werke

  • Fräulein Rabbiner Jonas: Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden? Eine Streitschrift. Herausgegeben von Elisa Klapheck. Stiftung „Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“. 2., korr. Auflage. Hentrich und Hentrich, Teetz 2000. ISBN 3-933471-17-6

Literatur

  • Elisa Klapheck: Regina Jonas. Die weltweit erste Rabbinerin. Hentrich und Hentrich, Teetz 2003. ISBN 3933471486
  • Elena Makarova / Sergei Makarov / Victor Kuperman: University Over The Abyss. The story behind 520 lecturers and 2,430 lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944. Saur, München 2000. ISBN 3-598-07690-8
  • University Over The Abyss. The story behind 520 lecturers and 2,430 lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944. Korrigierte und erweiterte zweite Auflage, April 2004, by Elena Makarova, Sergei Makarov & Victor Kuperman, Verba Publishers Ltd. Jerusalem, Israel, ISBN 965-424-049-1, (Preface: Prof. Yehuda Bauer)
  • Elizabeth Sarah: Rabbi Regina Jonas, 1902-1944: Missing Link in a Broken Chain. In: Sybil Sheridan (Hrsg.): Hear Our Voice. University of South Carolina Press 1998. S. 2-8. ISBN 157003088X
  • Elizabeth Sarah: The Discovery of Fraulein Rabbiner Regina Jonas: Making Sense of Our Inheritance. In: European Judaism 95:2 (Dezember 1995).
  • Katharina von Kellenbach. „God Does Not Oppress Any Human Being“: The Life and Thought of Rabbi Regina Jonas. In: Leo Baeck Institute Year Book 39 (1994), S. 213–25

Einzelnachweise

  1. Predigt von Elizabeth Sarah über Regina Jonas [1]
  2. Elisa Klapheck: Regina Jonas. a.a.O. (Teetz 2000), S. 51 (mit entsprechenden Einzelnachweisen in den Anmerkungen)
  3. "Ein Wizo-Nachmittag", Jüdisches Gemeindeblatt für Berlin, 26.6. 1938 zitiert nach Klapheck, Anm. 90, S. 94
  4. Rezension des Buches von Elena Makarova, Sergei Makarov, Victor Kuperman University over the Abyss. The story behind 489 lecturers and 2 309 lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944, München, Saur, 2000. Deborah Vietor-Engländer, 4. März 2002
  5. Elisa Klapheck: Regina Jonas. a.a.O. (Teetz 2000) S. 81f
  6. Klapheck: Regina Jonas. S. 5f der engl. Ausg. [2]
  7. http://www.berlin-judentum.de/denkmal/regina-jonas.htm
  8. http://www.dienemann-formstecher.de/conPresse17.html

Vorlage:PND

Siehe auch

Psychohygiene, liberales Judentum, orthodoxes Judentum