Leben
Dieser Artikel beschäftigt sich mit Leben im Sinne von... Für weitere Bedeutungen siehe Leben (Begriffsklärung).
Philosophisch-Historische Grundlagen
In der Philosophie ist Leben das Wesen des Organischen. In der Antike ist der Begriff gleichbedeutend mit der Fähigkeit, sich selbst zu bewegen. Antreibende Kraft hierfür ist die Seele.
Aristoteles unterscheidet drei verschiedene Arten von Leben, die er hierarchisch anordnet und den Lebewesen zuordnet:
- auf der untersten Stufe steht das vegetative Leben der Pflanzen,
- darauf folgt das sensitive Leben der Tiere,
- auf der obersten Stufe befindet sich das geistig-seelische Leben des Menschen.
Eine andere historische Vorstellung besagte, dass Leben sich aus Unbelebtem immer wieder neu bildet, zum Beispiel in einem Heu-Wasseraufguss. Diese Theorie wurde als Urzeugung bezeichnet. Louis Pasteur konnte dieses experimentell widerlegen.
In der Neuzeit entwickeln sich zwei gegensätzliche Grundauffassungen:
- Mechanismus: Leben lässt sich allein aus den Gesetzmäßigkeiten der Bewegung der Materie vollständig erklären. (siehe auch: Materialismus und Physikalismus)
- Vitalismus: Leben kommt nur den organischen Erscheinungsformen zu und unterschiedet sich qualitativ von anorganischen Erscheinungsformen: Alles Lebendige zeichnet sich durch eine zielgerichtet formende Lebenskraft (vis vitalis) aus. (siehe auch: Idealismus). Lange Zeit wurde die Auffassung in der Biologie vertreten, dass im Zellsaft, im Protoplasma, diese besondere Lebenskraft stecken würde. In Anlehnung an religiöse Vorstellungen wurde angenommen, dass es 'belebte' und 'unbelebte' Materie gebe. Diese Vorstellung spiegelt sich noch in der Wortwahl "organische Chemie" und "anorganische Chemie" wieder. Heute ist jedoch bekannt, dass jede organische Substanz aus anorganischen Bestandteilen hergestellt werden kann (erstmals: Harnstoffsynthese durch Friedrich Wöhler).
Der Organizismus kann als Synthese dieser beiden Ansätze angesehen werden: Lebensvorgänge lassen sich zwar durch die Prinzipien der Physik und Chemie erklären. Lebewesen besitzen aber auch Eigenschaften, die unbelebte Materie nicht aufweist. Dies sind emergente Eigenschaften, die sich einerseits aus der Komplexität von Lebewesen, andererseits durch die besondere Rolle ihres genetischen Programms ergeben.
Nach Ernst Mayr ist der Begriff „Leben“ nur der zum Ding gemachte Vorgang „Leben“ und existiert nicht als selbständige Entität.
Naturwissenschaftliche Annäherung
Lebewesen
Die naturwissenschaftliche Definition von Leben ist genau genommen eine Beschreibung von charakteristischen Merkmalen, die in ihrer Gesamtheit ein Lebewesen definieren. Einige dieser Merkmale findet man auch bei technischen, physikalischen und chemischen Systemen, andere Merkmale sind nur den Lebewesen zu eigen
Die Biologie untersucht alle Erscheinungen auf allen Systemebenen der Lebewesen.
Die Biophysik untersucht bestimmte Teilaspekte auf der Grundlage physikalisch-chemischer Prozesse.
Eine ausführliche Beschreibung der chemischen Prozesse zur Entstehung von Leben findet sich im Artikel chemische Evolution.
Beginn des Lebens
Eine naturwissenschaftliche Definition für Leben im Sinne von „lebendig sein“ korrespondiert mit der naturwissenschaftlichen Definition für Lebewesen. Wird für Lebewesen das genetische Programm, seine Funktionalität und seine Entwicklung als essentiell angenommen, dann ergibt sich für den Beginn des Lebens der Zeitpunkt, zu dem Moleküle als Träger des Programms und weitere Hilfsmoleküle zur Realisierung, Vervielfältigung und Anpassung dieses Programms dergestalt in Wechselwirkung treten und von einander abhängig sind, dass eine Einheit höherer Ordnung entsteht, die neue, emergente Eigenschaften aufweist.
Die phylogenetische Frage nach der Entstehung des Lebens beinhaltet die Fragen, ob es eine Zeit gab, in der noch keine Leben auf der Erde existierte, und wann und wie ein unbelebtes System zu einem belebten wurde.
Die ontogenetische Frage nach der Entstehung des Lebens beinhaltet die Frage, ab und bis zu welchem Zeitpunkt seiner Entwicklung ein Organismus als lebendig betrachtet wird.
Daraus ergibt sich eine Möglichkeit zur Definition von Entstehung (und Ende) von Leben:
Leben beginnt dann, wenn die emergenten Eigenschaften der Lebewesen entstehen, Leben endet dann, wenn diese Eigenschaften wieder verschwinden.
Dazu ist es aber notwendig, alle emergenten Eigenschaften der Lebewesen zu kennen. Auf Grund der Komplexität auch der einfachsten Lebewesen ist dies prinzipiell nicht möglich. Deswegen tritt an die Stelle einer allgemeingültigen Definition eine Vielfalt von Entscheidungen, die durch Weltanschauung, Ethos, Religion, Moral oder Pragmatismus geprägt sind.
Religion
Unterschiedliche Religionen sehen im Leben eine von unbelebter Materie zu unterscheidende Daseinsform, die nur aufgrund übernatürlicher Intervention entstanden sein kann. Das Leben (oder zumindest das menschliche Leben) wird dann oft als etwas besonderes (Heiliges) angesehen. Die Theorie, daß das Leben durch einen Gott erschaffen wurde, wird Kreationismus genannt. Die Anhänger dieser Theorie haben einen wissenschaftlichen Anspruch. Sie ist in den USA wie auch in verschiedenen islamischen und jüdischen Glaubengemeinschaften stark verbreitet.
Die Naturwissenschaften hingegen versuchen, die Lebensentstehung ohne den Einfluss übernatürlicher Faktoren zu erklären und bieten dazu mehrere Theorien der präbiotischen chemischen Evolution an.
Die Vorstellung vieler Religionen vom Ewigen Leben kann aufgrund des unausweichlichen biologischen Todes nicht wissenschaftlich behandelt werden. Aus Sicht der Wissenschaft stellt sie allenfalls eine Hypothese dar. Auch das gesamte Leben auf der Erde findet durch die ständig ansteigende Temperatur der Sonne in den nächsten drei Milliarden Jahren sein unausweichliches Ende.
Die Ansicht vieler Religionen, Leben oder menschliches Leben sei heilig und daher prinzipiell erhaltenswürdig, ist nicht in der Biologie begründbar. Denn es sind auch Lebewesen bekannt, die nur so lange überleben, bis sie sich fortgepflanzt haben. Hier scheint die Erhaltung des genetischen Codes einer Art das Hauptziel der Fortpflanzung zu sein. Das einzelne Individuum ist ein Teil dieser Fortpflanzungsstrategie, aber es wird nach Erfüllung seiner biologischen Funktion weniger wichtig. Es altert und stirbt.
Außerirdisches Leben (Extraterrestrisches Leben)
Seit Jahrhunderten haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, ob es Leben auf anderen Planeten gibt und wie dieses wohl aussieht. Vorstellungen von "kleinen grünen Männchen" oder menschenfressenden Monstern von anderen Planeten bieten Stoff für viele Geschichten und Filme.
In Gesteinen vom Planeten Mars wurden Spuren gefunden, die als versteinerte Bakterien gedeutet werden können. Zwar ist es ziemlich strittig, ob diese Bakterien wirklich welche sind, aber man kann davon ausgehen, dass dies von jedem sofort bestätigt werden würde, der nicht weiß, dass der Stein vom Mars stammt. (Siehe auch UFO und Exobiologie).
Das „lebendige“ Feuer
Von je her ist Feuer auch ein Symbol für Leben: Eine naturwissenschaftliche Erklärung wäre:
- Es hat einen Stoffwechsel, welcher grundsätzlich derselbe ist wie bei vielen Lebewesen, nämlich die Oxidation von Kohlenwasserstoff- Verbindungen zu Kohlendioxid wobei Energie in Form von Wärme entsteht.
- Es "wächst" und "pflanzt" sich fort, solange es "genährt" wird.
- Es reagiert auf äußere Einflüsse.
Künstliches Leben
Die Frage nach künstlichem Leben ist zweiteilig:
- die Herstellung eines bekannten Lebewesens im Labor, und
- die Herstellung neuer Lebensformen.
1. Obwohl man nicht erwartet, mehrzellige Organismen in naher Zukunft zu erzeugen, ist es schon gelungen, das Polio-Virus im Labor herzustellen. Damit ist es zwar gelungen, ein biologisches System zu erzeugen. Es konnte aber dabei nicht einmal auf die Mithilfe von Zellen verzichtet werden. Viren zeigen nicht alle Kennzeichen der Lebewesen, sind damit also per definitionem keine Lebewesen.
2. Es gibt Vorstellungen, dass komplexe Computersysteme künstliche Intelligenz und künstliches Leben zeigen können (siehe KI und KL).
Simulationen von Lebensäußerungen
John Horton Conways Game of Life ist ein Beispiel für die Simulation von Populationsentwicklung.
Zitate
- „Rücken wir bis an die letzten Grenzen vor, an denen es noch Elemente mit dem Charakter der Totalität oder wenn man will, der Einheit gibt, so bleiben wir bei den Zellen stehen. ... Ich kann nicht anders sagen, als dass sie die vitalen Elemente sind, aus denen sich die Gewebe, die Organe, die Systeme, das ganze Individuum zusammensetzen“, Rudolf Virchow
- „Leben ist, wenn eine Entität von sich eine Kopie aufgrund von Teilen herstellen kann, die alle sehr viel einfacher sind als sie selbst.“, Carl Woese
- "Ein Netzwerk aus unteren negativen Feedbacks, die einem höheren positiven Feedback untergeordnet sind." Bernard Korzeniewski (Damit ist ein System beschrieben, das keineswegs einzelne verkörperte Lebewesen als Leben kennzeichnet, sondern ganz allgemein sich so verhält, dass es seine Identität aufrechterhält oder reproduziert.)
- „Omne vivum e vivo“, „Alles Leben stammt von Leben ab“, Louis Pasteur (Lebewesen können unter den derzeit herrschenden Bedingungen auf der Erde nicht spontan aus unbelebter Materie entstehen. Die spontane Lebensentstehung auf der Erde unter den Bedingungen der Uratmosphäre wird damit allerdings nicht ausgeschlossen.)
- „Wir fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen
- wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind,
- unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“, Ludwig Wittgenstein
- „Während es biologisch mit uns bergab geht,
- geht es biographisch mit uns bergauf.“, Charlotte Bühler
- „Leben ist das, was geschieht, während wir andere Pläne machen.“, John Lennon
Siehe auch
- Leben (Begriffsklärung)
- Naturwissenschaften:
Erwin Schrödinger: What is Life?, Cambridge University Press, ISBN 0-521-42708-8