Soziales Verhalten in Japan

Überblick über soziales Verhalten in Japan
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Das soziale Verhalten in Japan von Japanern untereinander einerseits und im Kontakt mit Gaijin (外人, dt. Ausländern) andererseits unterscheidet sich in vielen Punkten von anderen westlichen, aber auch asiatischen Nachbarländern. Das rührt teilweise davon her, dass Japan ein Inselstaat ist und entsprechend das Bewusstsein der Japaner ausgeprägt ist, isoliert und einzigartig zu sein. Jeder Ausländer ist prinzipiell ein Gaijin, ein Wort, das dem Betreffenden in abgelegenen Gegenden oft hinterher gerufen wird.

Zwischenmenschliches

Anrede

Männer und Frauen werden angesprochen, indem man さん -san an den Familiennamen anhängt. Diese Silbe wird auch verwendet, wenn man von jemandem in seiner Abwesenheit spricht. Man spricht jedoch nicht von sich selbst, indem man -san an den eigenen Namen oder dem eigener Familienangehöriger anhängt.

Japaner benutzen im Gespräch oft den Titel des Gesprächspartners, um Respekt vor dessen Status zu zeigen. So wird ein Geschäftspartner mit Shachō-san (社長さん, dt. Herr Präsident) angeredet, ein Lehrer mit Sensei (先生, wörtlich: früher geboren) und eine verheiratete Frau mit Okusan (奥さん).

Japaner mit Auslandserfahrung stellen sich einem Ausländer gegenüber möglicherweise mit ihrem Eigennamen vor.

Namen

Japanische Familiennamen stehen traditionell vor dem persönlichem Namen. Wird der Name in Kanji geschrieben, steht er immer in dieser Reihenfolge, in westlicher Schrift wird er aber in der Regel Vorname Nachname geschrieben.

Hinweis: Endet ein Name auf -moto (もと), -yama (山), -ta-/da (田) oder -bayashi (林), so ist es meist der Familienname. Weibliche Eigennamen enden oft auf -ko (子).
Für genauere Informationen siehe Japanische Namen

Trivia: Für Ausländer wirkt die Liste gebräuchlicher japanischer Namen sehr kurz, tatsächlich gibt es aber für gleich gesprochene und in Rōmaji gleich geschriebene Namen oft viele unterschiedliche Schreibweisen in Kanji, denen unterschiedliche Bedeutungen zu Grunde liegen. Für den Alltagsgebrauch ist dies jedoch unwichtig.

 
die drei berühmten Affen von Nikko: nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hören, nichts (Böses) reden

Verhältnis Eltern-Kinder

Benimmt sich ein japanisches Kind unartig, tun die Eltern oft so, als hätten sie dies nicht bemerkt. Will das Kind die Aufmerksamkeit seiner Eltern zurück gewinnen, muss es sich erst artig benehmen. Sinnbild für dieses Verhalten sind die drei berühmten Affen von Nikko:

  • mizaru (見ざる) = nichts (Böses) sehen
  • kikazaru (聴かざる) = nichts (Böses) hören
  • iwazaru (言わざる) = nichts (Böses) reden

Geschenke

Geschenke werden nicht in der Gegenwart des Schenkenden ausgepackt, um beiden Seiten einen Gesichtsverlust bei Überraschung und Enttäuschung zu ersparen. Ein Geschenk verlangt ein Gegengeschenk, das allerdings – aus logischen Gründen – von geringerem Wert sein sollte.

Geld unverhüllt zu schenken gilt als plump. Deshalb gibt es in Schreibwarenläden spezielle Umschläge für Geldgeschenke zu kaufen.

Beim Schenken beachten Japaner viele Tabus. Nicht angebracht sind:

  • Vier Gegenstände: vier (shi) klingt gleich wie tot
  • Weiße Taschentücher weisen auf Trauer hin
  • Weiße Blumen gibt es nur für Beerdigungen
  • Scheren und Messer weisen auf Trennung der Bande hin
  • Gegenstände, die das kaiserliche Wappen enthalten
  • Abbildungen mit Füchsen, die für Hinterhältigkeit stehen

Bei Geschenken ist die Verpackung oft fast genau so wichtig wie der Inhalt. Aus diesem Grund haben die Japaner auch die Kunst der Verpackung auf ein hohes Niveau entwickelt.

Begrüßung

Händeschütteln ist in Japan unüblich. Statt dessen verlangt die Etikette eine – je nach Rang des Gegenüber gestaffelte – Verbeugung. Beim Verbeugen muss der Rücken gestreckt sein. Der Rangniedere muss der Waagerechten (dem rechten Winkel) näher kommen und länger in der Verbeugung verharren. Es gibt einige Regeln, wer sich tiefer zu verbeugen hat:

Gefühle

Starke Gefühle zeigen Japaner nach Möglichkeit nicht offen, da dies mit einem Gesichtsverlust gleichzusetzen wäre. Vor allem Zorn und Trauer sollten nicht nach außen hin gezeigt werden. Wer traurig ist, lächelt. Abgesehen davon, dass Japaner oft lächeln, bemühen sie sich gerne um eine ausdruckslose Mimik. Das Lächeln verbirgt oft Schmerz und Verlegenheit und will dem Gegenüber das Mitleid ersparen.

Hara (腹) – davon leitet sich Harakiri ab – ist der Männersprache zugeordnet und kann so viel wie Bauch, Geist oder Seele bedeuten. Frauen verwenden den Begriff Kokoro (心, dt. Herz).

Tatemae (建前, Fassade) ist das Gegenstück zu Honne und bezeichnet die öffentliche Haltung, die gezeigt wird, um die Harmonie zu wahren. Dies bedeutet oft einen Widerspruch zur Wahrheit oder den tatsächlichen Verhältnissen und eine Diskrepanz zwischen Denken und Sprechen. Honne ist das Gegenstück zu Tatemae und bezieht sich auf die wahre Absicht, die man verschweigt, um die Harmonie zu wahren.

Kritik

Auf Kritik wird in Japan noch empfindlicher reagiert als in westlichen Ländern. Bei aller Kritik ist zu beachten, das der Kritisierte sein Gesicht wahren möchte. Kritik wird deshalb eher indirekt vorgebracht:

  • Vorsichtig durch Dritte
  • Ohne Worte (durch Schweigen)
  • Lob mit einer angedeuteten Einschränkung
  • Beim gemeinsamen Trinken
  • Ansprechen der ganzen Gruppe, die dann dem Schwächeren hilft
  • Allgemeine Kritik, ohne konkret zu werden
  • Betonung des erwünschten Resultats

Ja und Nein

Ein Ja (はい Hai) kann auch bedeuten, dass man aufmerksam zuhört. Die japanische Etikette verlangt, dass man den Sprecher durch wiederholtes Ja seiner Aufmerksamkeit versichert.

Ein direktes Nein ist verpönt. Zieht das Gegenüber die Luft durch die Zähne ein, deutet das auf Schwierigkeiten hin. Das Gleiche gilt für eine in den Nacken gelegte Hand.

Ausbildung und Berufliches

Japanische Kinder werden schon früh auf Disziplin getrimmt, damit sie eine erfolgreiche Schullaufbahn hinter sich bringen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Berufskarriere ist der Abschluss einer guten Universität, welche wiederum eine gute Schulausbildung voraussetzt usw. bis hinunter in den Kindergarten. Hinter dieser Erziehung stehen meist die Mütter. Der Begriff ist Kyōiku Mama (教育ママ, dt. Erziehungsmutter). Es gibt aber auch das Wort Mamagon (ママゴン), das sich zusammen setzt aus mama und dragon (englisch: Drachen).

Kennzeichnend für die japanische Arbeitswelt war fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts das Prinzip der lebenslangen Beschäftigung, wenn man das Glück hatte, einen Arbeitsplatz in einem renommierten Betrieb zu erhalten. Aber auch nach der Asienkrise hat sich die hohe Arbeitsmoral der Japaner erhalten. So verzichten nach wie vor viele Angestellte auf den ihnen zustehenden Jahresurlaub aus Loyalität mit der Firma und den Kollegen, die dann ja die anfallende Arbeit für einen mit erledigen müssten. Auch der Krankenstand ist mit 1 Prozent erstaunlich niedrig (Deutschland: ~ 7 Prozent), dafür ist Karōshi (Tod durch Überarbeitung) seit Ende der 1980er Jahre ein Medienthema.

Kollegen nehmen an familiären Ereignissen regen Anteil und schaffen dadurch ein Klima der Geborgenheit. Der Preis für diese Geborgenheit ist allerdings auch ein enorm hoher Gruppenzwang.

Zur Corporate Identity gehört auch die Firmenhymne, die oft vor Arbeitsbeginn von der Belegschaft gemeinsam im Freien gesungen wird.

Visitenkarten (名詞 Meishi) sind in der Geschäftswelt absolut unerlässlich, denn sie sind die Grundlage für das Kennenlernen und zeigen den jeweiligen Status des Gegenüber an. Man nimmt die Visitenkarte mit beiden Händen entgegen und liest sie, oder betrachtet sie zumindest symbolisch. Viele Visitenkarten haben je eine Seite mit japanischer und „westlicher“ Schrift. Findet ein Gespräch am Tisch statt, wird die Karte links oben vom Empfänger, mit der Schriftseite für ihn lesbar, abgelegt. Keinesfalls steckt man die Visitenkarten in die Hosen- oder Jackentasche, das gilt als respektlos. Zur Aufbewahrung gibt es Etuis, oder man benutzt das Portemonnaie. Auf fremde Visitenkarten soll man, zumindest im Beisein des Gebers, nichts notieren.

Der Begriff Sarariman leitet sich von dem englischen Wort salaryman (salary = Gehalt, man = Mann) her. Er bezeichnet den Büroangestellten einer guten Firma. Früher war es das Ziel von Oberschülern und Studenten Sarariman in renommierten Unternehmen zu werden. Dies änderte sich mit der schrittweisen Auflösung der lebenslangen Beschäftigung. Das weibliche Gegenstück zum Sarariman ist die OL (Office Lady = Bürodame), eine weibliche Angestellte, die meist weniger Befugnis als ihre männlichen Kollegen hat.

Der japanische Begriff für Firma lautet Kaisha (会社). Diese Kaisha beansprucht mehr vom Privatleben ihrer Mitarbeiter als zum Beispiel eine deutsche Firma. Dazu gehört auch das Nomikai, das gemeinsame Trinken mit Kollegen nach Feierabend. Die Kaisha verlangt mehr von ihren Mitarbeitern, bindet sie aber auch mehr in die Entscheidungsprozesse ein. Nemawashi (根回し) bedeutet so viel wie „die Wurzeln bündeln“ und bezeichnet den Vorgang, dass bei der Entscheidungsfindung alle Betroffenen mit einbezogen werden.

Religion und Geisteshaltung

Der japanische Buddhismus unterscheidet sich enorm von seinen Ursprüngen in Nordindien. Er ist neben dem einheimischen Shintoismus die zweite wichtige Religion Japans. Zu beachten ist, dass sich diese beiden Religionen nicht gegenseitig ausschließen. Beide werden wie Dienstleister in Anspruch genommen. Zum Serviceangebot der Buddhisten gehören vor allem Bestattungszeremonien.

Die meisten traditionellen japanischen Feste (祭り Matsuri) finden zu Ehren shintoistischer Götter statt. Feste, die einzelne Personen ehren – wie Geburtstage – waren in diesem System nicht vorgesehen. Dies ändert sich jedoch allmählich durch ausländische Einflüsse.

Die Kirschblütenschau (花見 hanami) ist das wichtigste Ereignis des Frühlings in Japan. Die japanischen Kirschbäume tragen keine Früchte, sie werden allein wegen ihrer Blüten angepflanzt. Unter diesen blühenden Bäumen versammeln sich Firmenangehörige und Familien, um gemeinsam bis in die späte Nacht hinein zu Picknicken und zu feiern.

Ein Shintō-Heiligtum heißt – im Gegensatz zu einem buddhistischen Tempel – Schrein, ist aber auf dem ersten Blick nicht sofort von diesem zu unterscheiden.

Schamkultur steht im Gegensatz zur Schuldkultur, die dem westlichen Abendland zugeschrieben wird und besagt, dass Unrecht, das niemand bemerkt nicht belastet, wohl aber ein erkennbares Vergehen, das der eigenen Gruppe Schande bringt.

Sprache

Die Formulierung einer Bitte auf Japanisch ist relativ umständlich. Eigentlich kann man eine Bitte nur in einem ganzen Satz formulieren. In diesem Satz wird dann das Verb kudasai (ください) verwendet, das wörtlich „herunter geben” bedeutet und die eigene untergeordnete Stellung andeutet.

Beim Bedanken bieten sich mehrere Abstufungen an:

  1. どうもありがとうございます Dōmo arigatō gozaimasu! 
  2. Dōmo arigatō!
  3. Dōmo! oder ありがとう Arigatō! 

Etwa die Hälfte des japanischen Wortschatzes besteht aus Fremdwörtern. In historischen Zeiten kamen diese meist aus China. Seit der Meiji-Restauration ist die englische Sprache die größte Lieferantin von Fremdwörtern. Diese Fremd- und Lehnwörter werden der japanischen Phonetik angepasst und in der Silbenschrift Katakana geschrieben.

Lachen gehört in den privaten Bereich und wird deshalb in der Öffentlichkeit nicht so gerne gesehen. Japanische Witze sind oft Wortspiele, die sich auf Grund der homophonen Struktur der japanischen Sprache sehr oft ergeben.

Alltagsleben

Japanische Essstäbchen unterscheiden sich von den chinesischen vor allem darin, dass sie spitz zulaufen und oft kürzer sind. Ein schlimmer Fauxpas ist es, die Stäbchen senkrecht in den Reis zu stecken, da dies an die Räucherstäbchen für die Verstorbenen erinnert.

Genkan ist der Eingangsbereich zu einer japanischen Wohnung. Hier werden die Schuhe abgestellt, da der Innenbereich des Hauses nur mit Strümpfen oder speziellen Pantoffeln betreten werden soll.

Literatur

  • Thomas, Gothild; Thomas, Kristina: Reisegast in Japan, ISBN 3923975821
  • Kobayashi, Kazuhiko: Business mit Japan. Was europäische Manager wissen müssen.
  • Lutterjohann, Martin: Kulturschock Japan, ISBN 3831711879
  • Neumann, Christoph: Darum nerven Japaner, ISBN 382183594X
  • Ogawa, Tadashi: Grund und Grenze des Bewusstseins. Interkulturelle Phänomenologie aus japanischer Sicht, ISBN 3826019725
  • Tominaga, Minoru: Erfolgsstrategien fuer deutsche Unternehmer. So bestehen Sie im globalen Wettbewerb, ISBN 3612266349
  • Vardaman, James M.; Vardaman, Michiko: Japan from A to Z. Mysteries of everyday life explained.
  • Williams, Stephen N.: American and Japanese Gestures.
  • Moosmüller, Alois: Kulturen in Interaktion. Deutsche und US-amerikanische Firmenentsandte in Japan, ISBN 3893255834
  • Coulmas, Florian: Die Deutschen schreien, ISBN 3498009214
  • Coulmas, Florian: Die Kultur Japans, ISBN 3406528112
  • Coulmas, Florian: Japanische Zeiten, ISBN 3463403927
  • Mutranowski, Bill: You Know You've been in Japan too Long…

Siehe auch