Ulrich Ammon (* 3. Juli 1943 in Backnang) ist Germanistischer Linguist mit dem Schwerpunkt Soziolinguistik, der lange Jahre an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg (später Universität Duisburg-Essen) gewirkt hat (1974 Wissenschaflicher Rat und Professor, seit 1980 Professor; mehrfach Dekan; seit 2008 emeritiert, aber weiter tätig). Zahlreiche Gastprofessuren, längere Aufenthalte in Australien (Univ. of Sydney; Australian Nat. Univ., Canberra), USA (Wesleyan Univ., Middletown/ Conn; Univ. of North Carolina, Chapel Hill), Japan (Dokkyo-Univ., Soka) und Österreich (Wien) sowie Kurzzeitgastprofessuren in Ägypten, China, Griechenland, Indien, Italien, Japan, Namibia, Russland, Türkei und Ungarn. Studium hauptsächlich in Tübingen, aber auch in Göttingen, Frankfurt a. M. und Middletown/ Conn., USA (Fulbright-Stip. Wesleyan Univ.); in Tübingen und an der Wesleyan Univ. auch Lehr- und Forschungstätigkeit. Hauptsächliche Forschungsgebiete: Soziolinguistik und Sprachsoziologie, Internationalsprachenforschung, Sprachenpolitik, Dialektologie, neuere Geschichte der deutschen Sprache, Sprachdidaktik. Publikationen: Verfasser oder Mitautor von 14 Monographien, ca. 250 Aufsätzen und über 100 Rezensionen, Herausgeber von ca. 30 Büchern und 3 Buchreihen, Mitherausgeber und Mitglied im Editorial Board mehrerer Zeitschriften. Mitglied in mehreren wissenschaftlichen Organisationen, 2003 – 2006 Präsident der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL).
Forschungsschwerpunkte
In den früheren Jahren, beginnend mit der Dissertation, befasste sich Ammon hauptsächlich mit der sozialen Herkunft von Dialektsprechern und ihren sprachbedingten Schwierigkeiten in Schule und Beruf (z.B. „Dialekt, soziale Ungleichheit und Schule“ 1972/73; „Schulschwierigkeiten von Dialektsprechern“ 1978), woraus auch unterstützende Lehrmaterialien für die Schule hervorgingen („Schwäbisch. Dialekt – Hochsprache kontrastiv“ 1977, zusammen mit Uwe Loewer). Im Kontext seiner umfangreichen empirischen Forschungen zu diesem Themenkomplex entwickelte Ammon verschiedene einschlägige Messtechniken, wie z.B. des „Dialektniveaus“ (quantitative Abbildung von Redeäußerungen auf Skalen, die sich zwischen Dialekt und Standardsprache erstrecken) oder der Einstellung zu Dialekt und Standardsprache und ihren Sprechern. Er trug bei zu einem europaweiten Interesse an Fragen von „Dialekt als Sprachbarriere“ und Dialektsoziologie.- Von den dialektsoziologischen Fragestellungen aus entwickelte Ammon ein allgemeines Interesse an Fragen der Stellung von Varietäten und Sprachen in Gesellschaften mit mehreren Varietäten oder Sprachen und den Konsequenzen für ihre Sprecher (vgl. z.B. den Band „Status and Function of Languages and Language Varieties“ 1989), wofür er verschiedene Beschreibungsmodelle konstruierte. - Von hier aus führte der Weg zur gründlichen Untersuchung der internationalen Stellung von Sprachen, vor allem des Deutschen (dazu z.B. „Die internationale Stellung der deutschen Sprache“ 1991). In diesen Zusammenhang gehören auch umfangreiche Untersuchungen zur Rolle von Deutsch in der internationalen Wissenschaftskommunikation, zu seiner Zurückdrängung durch Englisch und zu den heutigen Schwierigkeiten nicht-anglophoner Wissenschaftler in der internationalen Kommunikation (z. B. „Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? Englisch auch für die Hochschullehre in den deutschsprachigen Ländern“ 1998; „English as an Academic Language in Europe“ 2002, zusammen mit Grant McConnell; „Linguistic Inequality in Scientific Communication Today“ 2008, zusammen mit Augusto Carli) sowie die Weiterentwicklung von Theorieansätzen für das „globale Sprachensystem“. - Aus der Dialektsoziologie heraus entwickelte Ammon auch eine soziolinguistische Theorie der Standardisierung von Sprachen, spezieller zu den sozialen Kräften, die den Standard von Sprachen festlegen, also entscheiden, welche Formen als korrekt gelten (dazu mehrere Aufsätze). Dies sind vor allem die Sprachkodifizierer, die Modellsprecher und -schreiber, die Sprachexperten und die Sprachnormautoritäten. Der erste Entwurf dieser Theorie der Standardisierung findet sich im Kap. A.4 des Buches „Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten“ 1995). Vor allem aber wird Deutsch in diesem Buch erstmalig umfassend als „plurizentrische Sprache“ konzipiert und beschrieben. Plurizentrisch ist eine Sprache, die für verschiedene Nationen oder Regionen standardsprachliche Besonderheiten – verschiedene, neben einander geltende, vor Ort jeweils korrekte Formen – ausgebildet hat. Bei Deutsch trifft dies zu für verschiedene Nationen (z.B. Deutschland und Österreich) und für verschiedene Regionen (z.B. Nord- und Süddeutschland). Aus seinen hierzu einschlägigen Forschungen heraus hat Ammon das theoretische Fundament bereit gestellt für das „Variantenwörterbuch des Deutschen“ (2004), das er initiiert und zusammen mit Forschern aus Österreich (Jakob Ebner, Hans Moser u. a.) und der Schweiz (Hans Bickel, Heinrich Löffler u. a.) verfasst hat. Es ist das erste Wörterbuch weltweit, das für eine ganze Sprache sämtliche nationalen und regionalen standardsprachlichen Besonderheiten und nur sie enthält und für jede Variante den genauen nationalen und regionalen Geltungsbereich angibt. Hierfür musste eine spezielle Artikelstruktur erarbeitet werden, die in Zukunft auch als Modell entsprechender Wörterbücher für andere plurizentrische Sprachen dienen kann (Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch, Arabisch, Niederländisch und andere).
Buchveröffentlichungen (Stand Frühjahr 2009)
Selbst verfasste Monographien
- 1972. Dialekt, soziale Ungleichheit und Schule. Weinheim/Basel: Beltz. (Beltz-Studienbuch, Pragmalinguistik 2) [Erw. Aufl. 1973]. (193 S.)
- 1973. Dialekt und Einheitssprache in ihrer sozialen Verflechtung. Eine empirische Untersuchung zu einem vernachlässigten Aspekt von Sprache und sozialer Ungleichheit. Weinheim/Basel: Beltz. (Beltz-Monographie, Pragmalinguistik 3). (296 S.).
- 1973. Probleme der Soziolinguistik. Tübingen: Niemeyer. (Germanistische Arbeitshefte 15). [2. Aufl. 1977, dänische Übersetzung 1977]. (145 S.).
- 1975. [Zusammen mit Gerd Simon] Neue Aspekte der Soziolinguistik. Weinheim: Beltz. (Beltz-Monographie, Pragmalinguistik 5). (155 S.).
- 1977. [Zusammen mit Uwe Loewer] Schwäbisch. Düsseldorf: Schwann. (Dialekt/Hochsprache - kontrastiv. Sprachhefte für den Deutschunterricht 4). (100 S.).
- 1978. Schulschwierigkeiten von Dialektsprechern. Empirische Untersuchungen sprachabhängiger Schulleistungen und des Schüler- und Lehrerbewußtseins - mit sprachdidaktischen Hinweisen. Weinheim/Basel: Beltz. (Beltz-Forschungsberichte, Pragmalinguistik 17). (337 S.)
- 1991. Studienmotive und Deutschenbild australischer Deutschstudenten und -studentinnen. Wiesbaden/Stuttgart: Steiner (Deutsche Sprache in Europa und Übersee 14). (196 S.)
- 1991. Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin/New York: de Gruyter. (633 S.)
- 1992. Gengo to sono chii. Doitsu go no uchi to soto [Die Sprache und ihre Stellung. Interne und externe Aspekte des Deutschen]. Übs. von Yoichiro Hieda und Hitoshi Yamashita. Tokio: Sangensha Publishing Ltd. (225 S.)
- 1995. Die deutsche Sprache in Deutschland,Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin/New York: de Gruyter. (575 S.)
- 1997. Nationale Varietäten des Deutschen. Heidelberg: Julius Groos (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 19). (55 S.)
- 1998. Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? Englisch auch für die Hochschullehre in den deutschsprachigen Ländern. Berlin/New York: de Gruyter. (339 S.)
- 1999. Deutsche Sprache international. Heidelberg: Julius Groos (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 30). (56 S.)
- 2002. [Zusammen mit Grant McConnell] English as an Academic Language in Europe. A Survey of its Use in Teaching (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 48). Frankfurt a. M. usw.: Lang. (204 S.)
- 2004. [Zusammen mit Hans Bickel, Jakob Ebner u.a.] Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin/ New York; de Gruyter (954 + LXXV S.).
Herausgegebene Werke
- 1972 - 1979. [Zusammen mit H. Bühler/G. Simon] Pragmalinguistik. Weinheim/Basel: Beltz (27 Bde.).
- 1987 ff. [Zusammen mit K. J. Mattheier/P. H. Nelde] Sociolinguistica. Internationales Jahrbuch für Europäische Soziolinguistik/International Yearbook of European Sociolinguistics /Annuaire International de la Sociolinguistique Européenne. Tübingen: Niemeyer.
- 1995 ff. [Zusammen mit R. Dirven/ M. Pütz] Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft/ Duisburg Papers on Research in Language and Culture. Frankfurt a. M.: Lang.
Einzelbände
- 1978. [Zusammen mit U. Knoop/I. Radtke] Grundlagen einer dialektorientierten Sprachdidaktik. Theoretische und empirische Beiträge zu einem vernachlässigten Schulproblem. Weinheim/Basel: Beltz. (Beltz-Studienbuch, Pragmalinguistik 12). (402 S.)
- 1979. Dialect and Standard in Highly Industrialized Societies. Den Haag: Mouton. (International Journal of the Sociology of Language 21). (155 S.)
- 1981. [Zusammen mit J. Eckhardt/H. Helmers] Perspektiven des Deutschunterrichts. Didaktische Alternativen zur herrschenden Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz. (Pragmalinguistik 25). (254 S.)
- 1987/1988. [Zusammen mit N. Dittmar/K. J. Mattheier] Sociolinguistics: An International Handbook of the Science of Language and Society. Soziolinguistik: ein internationales Handbuch der Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft, 2 Bde. Berlin/New York: de Gruyter. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 3). (1912 S.)
- 1989. Status and Function of Languages and Language Varieties. Berlin/New York: de Gruyter. (665 S.)
- 1989. [Zusammen mit J. Cheshire] Dialekt und Schule in den europäischen Ländern/Dialect and School in the European Countries/Dialecte et ƒcole dans les pays europŽennes. Tübingen: Niemeyer. (Sociolinguistica 3). (221 S.)
- 1991. [Zusammen mit M. Hellinger] Status Change of Languages. Berlin/New York: de Gruyter. (547 S.)
- 1991. [Zusammen mit H. Haarmann] Status und Funktion der Sprachen in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaft/Focus: Status and Function of the Languages in the Political Bodies of the European Community/Thème principal: Statut et fonction des langues dans les organes de la Communauté Européenne. Tübingen: Niemeyer. (Sociolinguistica 5). (221 S.)
- 1992. [Zusammen mit H. Kleineidam] Language Spread Policy. Volume 1: Languages of Former Colonial Powers. (International Journal of the Sociology of Language 95). (148 S.)
- 1994. Language Spread Policy. Volume 2: Languages of Former Colonies and of Former Colonial Powers. (International Journal of the Sociology of Language 107). (166 S.)
- 1994. English only? in Europa/ in Europe/ en Europe. Tübingen: Niemeyer. (Sociolinguistica 8). (212 S.)
- 1994. Die deutsche Sprache in Japan: Verwendung und Studium. München: Iudicium. (337 S.)
- 1996. [Zusammen mit Marlis Hellinger] Contrastive Sociolinguistics. Berlin/New York: Mouton de Gruyter. (Contributions to the Sociology of Language 71). (504 S.)
- 1998. Variationslinguistik/ Linguistics of Variation/ La linguistique variationelle. Tübingen: Niemeyer (Sociolinguistica 12). (366 S.)
- 2000. Sprachförderung. Schlüssel auswärtiger Kulturpolitik. Frankfurt a.M. usw.: Lang (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 38). (150 S.)
- 2000. [Zusammen mit Klaus J. Mattheier/ Peter Nelde] Die Zukunft der europäischen Sociolinguistik/ The Future of European Sociolinguistics/ Lefuture de sociolinguistique européenne. Tübingen : Niemeyer (Sociolinguistica 14). (333 S.)
- 2001. The Dominance of English as a Language of Science. Effects on the Non-English Languages and Language Communities. Berlin/ New York: Mouton de Gruyter (Contributions to the Sociology of Language 84). (478 S.)
- 2001. Verkehrssprachen in Europa – außer Englisch/ Lingua francas in Europe – except English/ Langues véhiculaires en Europe – sans l’anglais. Tübingen: Niemeyer (Sociolinguistica 15). (226 S.)
- 2003. [Zusammen mit Chong Si-Ho] Die deutsche Sprache in Korea. Geschichte und Gegenwart. München: Iudicium. (408 S.)
- 2003. [Zusammen mit Klaus J. Mattheier] Sprachstandards/ Language Standards/ Standards linguistique. Tübingen: Niemeyer (Sociolinguistica 17). (283 S.)
- 2004 - 2006 [Zusammen mit Nobert Dittmar/ Klaus J. Mattheier/ Peter Trudgill] Sociolinguistics: An International Handbook of the Science of Language and Society. Soziolinguistik: ein internationales Handbuch der Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft, 3 Bde. 2., vollst. neu bearb. Aufl. Berlin/New York: de Gruyter. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 3). (2622 S.)
- 2006. [Zusammen mit Klaus J. Mattheier/ Peter Nelde] Perspektiven der Sociolinguistic/ Perspectives of Sociolinguistics/ Perspectives de la sociolinguistique. Tübingen : Niemeyer (Sociolinguistica 20). (300 S.)
- 2007. [Zusammen mit Roswitha Reinbothe/ Jianhua Zhu] Die deutsche Sprache in China. Geschichte, Gegenwart, Zukunftsperspektiven. München: Iudicium. (353 S.)
- 2007. Sprachliche Folgen der EU-Erweiterung/ Linguistic Consequences of the EU-Enlargement/ Conséquence Lingustique de l’Elargisment de l’UE. Tübingen : Niemeyer (Sociolinguistica 21). (296 S.)
- 2007. [Zusammen mit Augusto Carli] Linguistic inequality in scientific communication today. Amsterdem/ Philadelphia: John Benjamins (AILA Review 20). (133 S.)
- 2008. [Zusammen mit Harald Haarmann] Wieser Enzyklopädie der Sprachen des Europäischen Westens/ Wieser Encyclopaedia Western European Languages, 2 Bde. Klagenfurt: Wieser Verlag (604+582 S.)