Der zerbrochne Krug ist ein Lustspiel aus dem Jahre 1806 von Heinrich von Kleist. Die Uraufführung 1808 in Weimar durch Goethe war nicht von Erfolg gekrönt.

Inhalt
Personen
- Walter, Gerichtsrat
- Adam, Dorfrichter
- Licht, Schreiber
- Frau Marthe Rull, Eigentümerin des Kruges
- Eve Rull, ihre Tochter
- Veit Tümpel, ein Bauer
- Ruprecht Tümpel, sein Sohn, Eves Verlobter
- Frau Brigitte, eine Zeugin, Nachbarin von Frau Marthe und Tante von Ruprecht
Handlung
Es geht um das Zerbrechen eines wertvollen Kruges aus dem Besitz der Marthe Rull. Marthe Rull hat den Bauernsohn Ruprecht Tümpel am Vorabend im Zimmer ihrer Tochter Eve ertappt. Die Scherben des Kruges liegen in Eves Zimmer. Ruprecht hat aber einen Fremden beobachtet, der Eves Zimmer durch das Fenster verlassen und dabei den Krug vom Kaminsims geworfen hat. Weder Marthe noch Ruprecht ahnen, dass es sich bei diesem Fremden um Dorfrichter Adam handelt. Es geht Marthe Rull nicht um den Krug. Der hat zwar einen hohen persönlichen Wert für sie, indes ihr eigentliches Ziel ist es, Eves Ruf zu retten. Sollte sich herausstellen, dass nicht Ruprecht der Täter gewesen ist, sondern ein anderer Mann sie in ihrem Zimmer besucht hat, würde Eve schließlich als Dirne („Metze“) gelten.
Im Lauf des Stückes versucht Adam, die Aufklärung des Falles möglichst unauffällig zu verhindern, zumal an diesem Tag der Gerichtsrat Walter aus Utrecht anwesend ist. Jedoch ist Dorfrichter Adam gezwungen, die Zeugin Brigitte vorladen zu lassen. Brigitte schildert, wie sie eine Spur von Marthes Haus bis zur Hintertür des Gerichtshauses verfolgt hat. Angesichts dieser eindeutigen Indizien bleibt Adam nur noch die Flucht. Eve, die als einzige Anwesende neben Adam die Wahrheit kennt, erklärt zum Abschluss ihr Verhalten: Adam hat, falls Eve ihm gefügig sei, dafür sorgen wollen, dass Ruprechts angeblich drohender Militäreinsatz in der Kolonie Niederländisch-Indien verhindert wird.
Einstufung
In der Literaturwissenschaft stellt sich das Problem der Gattungszuordnung, da Der zerbrochne Krug eigentlich wenig Kennzeichen eines Lustspiels aufweist. Kleist bezeichnet es jedoch wörtlich so, und verschiedene theoretische Ansätze haben dieses Problem zu lösen versucht [1]. Es wird in die Epoche der Hochromantik eingestuft.
In der zunächst ungedruckt gebliebenen Vorrede von Kleist weist dieser darauf hin, dass er durch den Kupferstich La cruche cassée von Jean-Baptiste Greuze, den er in Bern gesehen hatte, zu diesem Werk angeregt wurde. Daraufhin hatte Kleist folgenden Einfall: Und der Gerichtsschreiber sah (er hatte vielleicht kurz vorher das Mädchen angesehen) jetzt den Richter misstrauisch zur Seite an, wie Kreon bei einer ähnlichen Gelegenheit den Ödip, als die Frage war, wer den Lajus erschlagen [2]. Im Schulunterricht wird das Stück wegen starker Analogien im Ablauf des Aufdeckungsprozesses - typisches Kennzeichen für ein Analytisches Drama - und wegen ähnlich tragischer Konsequenzen gerne mit König Ödipus und König Lear besprochen, wobei die Unterschiede herausgearbeitet werden.
Ein Dichterwettstreit zwischen Heinrich von Kleist, Ludwig Wieland, Heinrich Zschokke und Heinrich Geßner zu eigentlich drei Bildnissen eines zerbrochnen Kruges, führte zu unterschiedlichen Ergebnissen, und Zschokke meinte, Kleist habe den Preis gewonnen.
Analyse
Konflikte
Im Verlauf der Komödie treten diverse zwischenmenschliche Konflikte und Beziehungskrisen zutage. Für sich alleine wirken die Konflikte nicht erheiternd, eine ständige Nähe zur Tragik ist spürbar.
Konflikt Eve – Ruprecht: Die beiden sind verlobt. Sie scheren sich nicht allzu sehr um den Krug, für sie geht es in diesem Prozess stattdessen um ihr Verlöbnis und die geplante Eheschließung (Z. 440 ff). Ruprecht verhält sich ziemlich undiplomatisch und engstirnig, was kennzeichnend ist für sein einfaches Gemüt. Er - wie auch Marthe Rull - repräsentieren die strengen Sittlichkeitsvorstellungen des Dorfes. Die Tatsache, dass Eve einen fremden Mann in ihr Schlafzimmer gelassen hat, legt den Verdacht der vorehelichen Sexualität nahe, was für Ruprecht eine untragbare Vorstellung ist. Dass Eve ihn nun noch vor allen Leuten anklagt, den Krug zerschlagen zu haben, ist zu viel für ihn. Auffallend ist, wie wenig Ruprecht Eve vertraut. In seinem einfachen Denken ist Eve bereits abgestempelt als Hure, ihrer Tugend und Keuschheit verlustig geworden. Er verweigert ein klärendes Gespräch mit Eve und stürzt die Beziehung so in eine schwere Krise. Ebenfalls auffallend ist seine begrenzte Vorstellung von Ehe. Der Entschluss, Eve heiraten zu wollen, fiel aufgrund ihrer offensichtlichen Tüchtigkeit (Z. 875 ff). Doch Ruprecht hat Eve mit einem fremden Mann in ihrem Zimmer gesehen und dies genügt ihm als Beweis für ihren Treuebruch. Er kann nur glauben, was er gesehen hat, und weigert sich, weiter zu denken. Eve hat eine völlig andere Auffassung von einer Beziehung. Für sie ist Beziehung Opferbereitschaft: sie geht das Risiko ein, ihren guten Ruf zu verlieren, um damit Ruprecht vor dem Armeedienst, der angeblich im Ausland stattfindet, zu retten. Dass sie das Spiel von Adam mitspielt, zeugt jedoch auch von einiger Naivität.
Konflikt Marthe – Eve: Auch Marthe verweigert Eve ein klärendes Gespräch; stattdessen zerrt sie den Fall in riskanter Weise an die Öffentlichkeit. Dies zeugt von einer starken Bevormundung und einer mangelnden Zubilligung des Selbstbestimmungsrechts. In dieser hierarchischen Situation untersteht Eve auch den strengen Moral- und Sittenvorstellungen der Mutter, welche Eve eher vor die Türe stellen würde, als ihr einen Fehltritt zu verzeihen. Außerdem scheinen beide – Ruprecht und Marthe – eine Art Besitzanspruch an Eve geltend zu machen.
Konflikt Veit – Ruprecht: Auch hier liegt – wie bei Marthe-Eve – ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Vater und Sohn vor. Zwar scheint sich Veit anfänglich voll und ganz hinter Ruprecht zu stellen, doch als Marthe den Verdacht äußert, Eve und Ruprecht hätten gemeinsame Sache gemacht, um dem Armeedienst zu entkommen (Z. 1360 ff), belastet ausgerechnet er seinen Sohn mit schwerem Misstrauen. Der Glaube an die Rechtschaffenheit seines Sohnes ist nur Fassade. In Wirklichkeit ist auch er dazu bereit, ihm schon im Verdachtsfall das Vertrauen zu entziehen.
Konflikt Adam – Eve: Hier besteht zwar keine Beziehungskrise im eigentlichen Sinn, da Adam und Eve lediglich eine oberflächliche Bekanntschaft pflegten - bis zur vorhergehenden Nacht. Dadurch jedoch, dass Eve Adam von ihren Heiratsplänen erzählt und ihn – wenn auch mit harmloser Absicht – in ihr Zimmer lässt, eröffnet sie ihm zweimal einen Einblick in ihre Intimsphäre. Adam wiederum hat Eve sexuell genötigt (Z. 1938 ff) und unter Druck gesetzt. Verheerend für Eve ist an der Sache neben ihrer Jugend vor allem der Standesunterschied, welcher sie Adam gegenüber wehrlos macht.
Konflikt Adam – Licht: Neben den familiären und partnerschaftlichen Krisen ist dies die dritte Form, nämlich die berufliche. Die Basis ist allerdings dieselbe wie bei den meisten anderen: der Mangel an Vertrauen und Aufrichtigkeit. Trotz wiederholtem Beteuern sind sich Adam und Licht alles andere als kollegial gesinnt. Licht würde gerne endlich zum Richter befördert werden, was nach seinem langjährigen Dienst überfällig scheint. Bald durchschaut er das falsche Spiel von Adam, kann jedoch nicht offen gegen ihn auftreten, da er sich seinerseits ebenfalls vergangen hat durch illegales Abzweigen von Geldern zu seinen Gunsten. Adam besitzt darüber Informationen, deren Offenlegung er Licht androht, sollte dieser ihm in den Rücken fallen. So tritt Licht erst dann ganz offensichtlich gegen Adam auf, als mit dem Auftauchen seiner Perücke die Beweislast gegen Adam erdrückend wird (Z. 1859 ff). Aufgrund seiner Hinterhältigkeit und Falschheit kann Licht jedoch nicht als positive Gegenfigur zu Adam gesehen werden, und so gehört es auch zum versöhnlichen Schluss, dass Licht nicht definitiv sein Ziel erreicht, sondern nur bis auf weiteres (Z. 1963) als Richter in Huisum walten darf.
Konflikt Adam – Walter: Der Gerichtsrat Walter visitiert das Gericht des Richters Adam, und der Konflikt besteht darin, dass ziemlich viel im Argen liegt. Adam ist körperlich übel verletzt und erfindet vor Walters Augen und Ohren dazu Ausreden. Auch die Ablage der Akten und die Kassen sind verwahrlost. Verstörung auch, dass Adam, obwohl Amtstag, nicht verhandeln will, da ihm seine Perücke fehlt. Wenn er aber schon verhandeln soll, dann will er nach seinem Hausbrauch verhandeln und nicht nach dem Gesetz. Wenn er aber nach dem Gesetz verhandeln soll, dann nicht gegen sich selbst. Adam zeigt keine richterliche Distanz zu Eve oder den anderen Parteien und wird deshalb von Walter des Öfteren gerügt. Letztlich will er den Ruprecht ohne Befragung verurteilen. Die ohnmächtige Drängelei von Walter, um Adam zum richtigen richterlichen Handeln zu führen, dieses sich notwendig aufs neue berichtigend einmischen müssen, bringt Walter letztlich in eine resignative emotionale Kapitulation, so dass er auch ein Fehlurteil des Richters in Kauf nimmt. Hauptsache, das Gerichtsverfahren kommt zu einer Entscheidung, zu einem Urteil, und der ganze Wahnsinn findet ein Ende. Die entsetzt Betroffenen informiert er insofern, dass in Berufung, in Revision gegangen werden kann.
Symbolik
- Der Krug steht für Eves Jungfräulichkeit: Für Eve (und ihren Vater) ein wertvoller Besitz, den sie jedoch guten Glaubens für ihren Verlobten Ruprecht opfert.
- Der Krug steht aber auch für die (scheinbar) heile Welt, die auf einmal auseinanderbricht: Er stellt die menschlichen Beziehungen dar, die während der Verhandlung auseinanderbrechen.
- Die Namen Adam und Eve weisen auf den Sündenfall in der Bibel hin.
- Der Schreiber Licht ("ein Licht aufgehen") ist intelligent. Er weiß früh, dass an der Geschichte Adams etwas faul ist, rettet ihn aber immer wieder aus misslichen Situationen, weil er als Untergebener nicht wagt, einen direkten Hinweis zu geben.
- Der Gerichtsrat Walter erweist sich als unbeirrbarer Walter seines Amtes. Er bringt das Gerichtsverfahren formal ins Laufen und auch zu einem Ende. Inhaltlich ist ihm das Fehlurteil klar, und er rät zur Berufung.
Literatur
- Erstdruck: Der zerbrochne Krug, ein Lustspiel, von Heinrich von Kleist. Berlin: Realschulbuchhandlung 1811, 174 S. (Reprint: Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2008. ISBN 978-3-940494-18-4)
Verfilmungen
- Der zerbrochne Krug, 1934, Regie: Ernst Angel
- Der zerbrochene Krug, 1937,[3] Regie: Gustav Ucicky
- Der zerbrochene Krug, 1965,[4] Regie: Detlof Krüger, mit Paul Dahlke, Ernst Fritz Fürbringer, Heinz Schubert, Hans Pössenbacher
- Jungfer, Sie gefällt mir, 1969,[5] Regie: Günter Reisch – frei bearbeitet von Jurek Becker
- Der zerbrochne Krug, 2003 (in bayrische Sprache gesetzt),[6] Regie: Hans Klaus Petsch, Inszenierung Michael Lerchenberg
Oper
- Der zerbrochene Krug, Oper op. 36, 1941/42, Komponist: Viktor Ullmann
- Der zerbrochne Krug, Komische Oper in sieben Szenen, 1968/69, Komponist: Fritz Geißler
- Der zerbrochne Krug, Oper in einem Akt, Bologna 1997, deutsche Erstaufführung Theater Erfurt 2007, Komponist: Flavio Testi
Sekundärliteratur
- Wolfgang Schadewaldt: Sophokles König Ödipus, Übertragen und Herausgegeben, mit Nachwort; und drei Aufsätzen: Der König Ödipus des Sophokles in neuerer Deutung mit Wirkungsgeschichte und Literaturhinweisen; Shakespeares König Lear und Sophokles König Ödipus; Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist und Sophokles König Ödipus; Insel Taschenbuch 15, ISBN 3-458-31715-5.
- Ingeborg Scholz: Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug, Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 30), Hollfeld: C. Bange Verlag 2003, ISBN 978-3-8044-1775-5.
- Elmar Schürmann u. Herbert Hähnel: Sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung, Rechtsbeugung. Der Prozeß gegen Adam u. a. vor dem Landgericht Osnabrück. Edition der Gerichtsakten. In: Heilbronner Kleist-Blätter 17. S. 88-130. ISBN 3-931-060-83-7. ("Prozeß" gegen die literarische Figur)
Einzelnachweise und Bemerkungen
- ↑ Vergleiche dazu Thomas Bernhards Roman Alte Meister, wo das Stück als „Komödie“ bezeichnet wird
- ↑ siehe Sekundärliteratur: Wolfgang Schadewaldt, Kapitel Der zerbrochene Krug, Seite 109
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