Wolfgang Biermann

deutscher Politiker (SED) und Manager, Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena
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Wolfgang Biermann (* 29. November 1927 in Leipzig; † Juli 2001 im Saarland) war von 1975 bis 1989 Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena und in den 1980er Jahren Leiter der Projektgruppe für territoriale Rationalisierung in Jena, welche sich erfolgreich mit der Stadtentwicklung und Sanierung der thüringischen Stadt Jena beschäftigte.

Wolfgang Biermann erläutert Erich Mielke Arbeitsunterlagen des VEB Kombinat „7.Oktober“ (1970)

Leben

1944 trat Biermann in die NSDAP ein. [1] 1956 wurde Biermann Mitglied der SED und 1976 Mitglied des Zentralkomitees der SED. In seiner Heimatstadt Leipzig machte er eine Maschinenschlosserlehre und absolvierte ein Fernstudium zum Ingenieur für Maschinenbau. Er war langjährig als Generaldirektor im VEB Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober“ in Berlin tätig und wurde 1966 mit dem Ehrentitel Held der Arbeit ausgezeichnet.

Um die Rentabilität des Kombinates VEB Carl Zeiss Jena zu erhöhen, wurde er im Oktober 1975 vom ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen Günter Mittag als Generaldirektor eingesetzt. Diese Aufgabe gelang ihm mit Erfolg: Mehrmals konnte der VEB Kombinat Carl Zeiss Jena technische Errungenschaften unter seiner Führung präsentieren, die dem internationalen Niveau standhalten konnten, u. a. die Entwicklung der Multi-Spektral-Kamera MKF6 – einer Kamera zur Aufnahme der Erdoberfläche in verschiedenen Spektralbereichen aus dem Erdorbit in den 1970er Jahren oder die Präsentation des ersten 1 MB-Speichers im Wirtschaftsraum des RGW im Jahre 1988 auf einer Platine mit nur ca. 2000 Quadratzentimetern.

1989 war gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums anhängig. Er hatte Exponate aus dem Optischen Museum Jena, welches zahlreiche Exponate aus der Produktionsgeschichte der Zeiss-Werke ausstellt, im Wert von 280.000 Mark an offizielle Besucher verschenkt. Ein Haftbefehl der DDR konnte nicht vollstreckt werden, weil Biermann von der Funktion des Generaldirektors zurücktrat und noch vor der Wiedervereinigung nach Saarbrücken in der BRD übersiedelte.

Nach der Wiedervereinigung war Biermann im Saarland und in Köln noch mehrere Jahre als Wirtschaftsberater tätig.

Bereits in den 1980er Jahren erlitt Biermann zweimal einen Herzinfarkt. 2001 verstarb er an den Folgen eines weiteren Infarktes.

Einschätzung

Biermann wird ein charismatischer Charakter und ein absolutistisch-autoritärer Führungsstil sowie ein beleidigender und schikanöser Umgang gegenüber den direkten Untergebenen – den Betriebsdirektoren des Kombinats - nachgesagt. Andererseits war er bekannt für den freundschaftlichen Umgang mit den Arbeitern und Angestellten der Betriebe und den Bürgern der Stadt Jena, deren Interessen er oft persönlich vertrat und deren Sympathien er gewinnen konnte.

Bekannt war er auch für seinen extrem hohen Arbeitseinsatz: Mehr als 16 Stunden täglicher Arbeitszeit (auch an Wochenenden) an mehreren Tagen hintereinander sind belegt. Auch sonst soll er täglich mindestens 12 Stunden tätig gewesen sein, oft auch von seinem Wohnsitz aus. Allerdings verlangte Biermann diese Einsatzwillen und die Hingabe unter Zurückstellung privater Interessen auch von seinen unmittelbaren Mitarbeitern und Untergebenen, deren Verständnis er nicht immer fand und die ihn deshalb oft als Sadist und Leuteschinder bezeichneten.

Seinen Führungsstil beschrieb der Zeiss-Boss, der jeden duzte, für sich aber Wert auf die Anrede General legte, vor Mitarbeitern so:

„Bei mir kriegt jeder Leiter een Strick um den Hals, den zieh’ ick langsam zu, und manchmal laß’ ick etwas nach.“ (vgl. Link).

Um Biermann rankten sich im jenaer Raum bereits zur Zeit seiner Tätigkeit als Generaldirektor viele Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt heute oft nicht mehr nachprüfbar ist. So soll er beispielsweise die Betriebsdirektoren an einem Sonntagmorgen kurzfristig in sein Büro im 14. Stockwerk bestellt haben, stellte aber den Betrieb der Fahrstühle ein und kanzelte die Betreffenden, als sie zum Teil erschöpft und zu spät eintrafen mit dem Argument ab, dass man immer mit technischen Störungen zu rechnen hätte.

Eine andere Geschichte berichtet, dass Biermann in den 1980er Jahren während eines starken Wintereinbruches die Betriebsdirektoren einbestellte und diese persönlich nach Ausgabe entsprechender Gerätschaften zur Schneebeseitigung heranzog und gleichzeitig eine Auswahl Werktätiger auf Kosten des Kombinates in den Betriebskantinen mit warmen Getränken versorgte.

Bekannt war Biermann in Jena auch durch seinen luxuriösen-absolutistischen privaten Lebensstil, mit dem er sich oft über bestehende Gesetze und Vorschriften hinwegsetzte:

So wurde in den 70er Jahren ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude – das Wohnhaus des Theologen Karl von Hase – abgerissen, weil dieses ihm von seinem Wohnsitz die Aussicht in die Umgebung von Jena beeinträchtigte.

1988 wurde unter großem Aufwand eine Ausflugsgaststätte auf einem der jenaer Berge rekonstruiert und zu Repräsentationszwecken (Empfang und Bewirtung offizieller Gäste) von Biermann bereitgehalten. Dieses Objekt wurde zu diesem Zweck allerdings nie genutzt und noch vor der Wiedervereinigung von Biermann in seiner Funktion als Leiter der Projektgruppe für territoriale Rationalisierung der Allgemeinheit als Ausflugsgaststätte unter dem ursprünglichen Namen Wilhelmshöhe zur Verfügung gestellt.

Einzelnachweise

  1. Dietmar Remy: Kaderauswahl und Karrieredeterminanten beim Kombinat VEB Carl Zeiss Jena. S. 59