Innokenti Fjodorowitsch Annenski

russischer Dichter, Literaturkritiker, Dramatiker und Übersetzer
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Innokentij Fjodorowitsch Annenskij (russisch Иннокентий Федорович Анненский), wiss. Tansliteration: Innokentij Fedorovič Annenskij, (* 20.08.1855 in Omsk, Russland; † 30.11. 1909 in Sankt-Petersburg, Russland) war ein russischer Dichter, Literaturkritiker, Dramatiker und Übersetzer. Sein Werk wird dem Silbernen Zeitalter zugeordnet, weil seine wichtigste Schaffensphase in die Zeit zwischen dem Ende des russischen Symbolismus und dem Beginn neuer literarischer Strömungen wie dem Akmeismus fiel, dessen Anfänge durch ihn maßgeblich beeinflusst wurde.


1. Leben

1.1. Kindheit und Jugend

Der Vater, Fjodor Nikolajewitsch Annenskij, bekleidete ein hohes Amt im Staatsdienst in Westsibirien. Die Mutter, Natalja Petrowna, entstammte dem Geschlecht der Hannibals, aus dem auch der russische klassische Dichter Aleksandr Sergejewitsch Puschkin hervorgegangen war. Die Familie, der zwei Söhne und vier Töchter angehörten, lebte in Tomsk als Innokentij im Alter von fünf Jahren schwer erkrankte. Die gesundheitlichen Folgen, ein Herzleiden, prägten sein gesamtes Leben. Die Familie Annenskij zog 1860 aus Westsibirien nach Sankt-Petersburg, wo Annenskij nach dem Abschluss des Gymnasiums sein Studium an der historisch-philologischen Fakultät der Petersburger Universität abschloss, wobei sein Herzleiden ihn immer wieder dazu zwang, seine Ausbildung zu unterbrechen. Er widmete sich mit großer Leidenschaft der klassischen Philologie, weitete seine Studien auf die russische Literatur und Folklore, die antike und westeuropäische Literatur, Linguistik, Philosophie und Pädagogik aus. Seine ersten, vornehmlich im mystischen Ton gehaltenen Gedichte verfasste er Anfang der 70er Jahre, gab aber während des Studiums das Dichten vorübergehend auf und widmete sich dem Erlernen von vierzehn Fremdsprachen, darunter Französisch, Deutsch, Englisch, Polnisch, Italienisch, Griechisch, Altgriechisch, Sanskrit und Hebräisch. Annenskij galt als einer der gebildetsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Mit seiner Sprachbegabung legte er einen Grundstein für seine spätere Tätigkeit als anerkannter Übersetzer französischer und deutscher Poesie wie Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, Verlaine sowie der Werke des bedeutenden römischen Lyrikers Horaz und des klassisch-griechischen Tragödiendichters Euripides. 1879 schloss Annenskij sein Studium ab. Im gleichen Jahr heiratete er die um vierzehn Jahre ältere Witwe und Mutter zweier Söhne, Nadeschda Walentinowna Chmara-Barschtschewska.


1. 2. Lehrtätigkeit und Dichtung

Ab diesem Zeitpunkt nahm Annenskij seine lebenslange Lehrtätigkeit auf. Finanzielle Nöte veranlassten ihn für viele Jahre im staatlichen Schuldienst zu bleiben. Er unterrichtete an den renommiertesten Gymnasien und höheren Bildungseinrichtungen, darunter auch am Nikolajewskij-Gymnasium von Zarskoje Selo bei Sankt-Petersburg, wo die spätere russische Dichterin und Begründerin des Akmeismus, Anna Achmatowa, ihre Kindheit und Jugend verbrachte. 1880 kam sein Sohn Walentin auf die Welt, der später unter dem Pseudonym W. Kriwitsch als Lyriker, Herausgeber und Autor der Biografie seines Vaters hervortrat. Ab Herbst 1879 lebte und unterrichtete Annenskij an einem der bekanntesten Privatgymnasien, F. F. Bytschkow, in Sankt-Petersburg. Er galt als Persönlichkeit mit ungewöhnlichen Ideen, diese schlugen sich auch in seiner pädagogischen Tätigkeit nieder. Er war geschätzt für seine gutherzige, verständnisvolle Art und gefürchtet für seine reformatorischen Ansätze einer humanistischen Bildung, die er auch in den jeweiligen Bildungseinrichtungen umzusetzen suchte. Er verfasste ab 1879 eine Reihe von didaktisch-theoretischen Aufsätzen, in denen er dem "künstlerischen Gefühl: dem Gefühl für Schönheit, der Rede und der Wahrhaftigkeit" und der Bedeutung des Erlernens von Fremdsprachen besonderes Gewicht beimaß. Der Dichter des Silbernen Zeitalters und Mitbegründer des Akmeismus, Nikolaj Gumiljow, der Annenskij 1903 im Schulalter von 17 Jahren als Direktor des Gymnasiums in Zarskoje Selo kennen lernte, erinnerte sich an das besondere Gespür Annenskijs für seinen Schüler, dem er die Begeisterung für die französische Poesie, Sprache und die russischen Symbolisten der ersten Generation wie K. D. Balmont, W. J. Brjussow und A. A. Blok verdankte. In den 80er Jahren veröffentlichte er eine Reihe von Abhandlungen über die Poesie J. P. Polonskijs und A. K. Tolstois (1887). Es erschienen weitere wie "Gontscharow und sein 'Oblomow oder "Über die ästhetischen Auffassungen Lermontows zur Natur". Ab 1891 begann er seine Arbeit an der vollständigen Übertragung aller Tragödien von Euripides, die er mit wissenschaftlichen Kommentaren und Anmerkungen versah. Die Arbeit an den Übertragungen setzte er bis an sein Lebensende fort. In der Zeit von 1891-1893 ist Kiew sein Lebenszentrum, wo er zum Direktor des Kollegiums Pawel Galagan ernannt wurde. Von 1893-1896 wird er auf Grund seiner liberalen Ansichten zum Direktor des 8. Gymnasiums in Sankt-Petersburg bestimmt, für das es ihm gelang, weltoffene und renommierte Pädagogen zu gewinnen. 1896 wird er nach Zarskoje Selo (heute: Puschkin) versetzt, wo er bis zu seinem Tod mit seiner Familie lebte. Im Sommer 1900 unternahm er eine Wolga-Schiffsreise nach Astrachan, verbrachte dann zwei Wochen in Finnland, den Sommer darauf, 1901, reiste er für einen längeren Aufenthalt mit seiner Frau nach Frankreich. 1901 erschien das Drama "Melanhippe, die Philosophin", nach einem verschollenen Drama von Euripides. 1902 veröffentlicht er die Tragödie "Kaiser Ixion". Es kamen Aufsätze über den "Künstlerischen Idealismus Gogols" und "Dostojewskij" (1905) heraus.


1.2. Erster und zweiter Gedichtband

1904 erschien unter dem Pseudonym "NIK. T-O" [Niemand] der erste Gedichtband Annenskijs "Stille Lieder" [Tichie pesni], der auch Übertragungen der französischen Symbolisten und Poètes maudits (Baudelaire, Leconte de Lisle, Mallarmé, Rimbaud, Verlaine) enthielt. Auch wenn es damals nicht unüblich war, mit einem Pseudonym an die literarische Öffentlichkeit heranzutreten, klang darin ein Grundthema Annenskijs an. Einmal handelte es sich um ein Anagramm, zum zweiten spielte Annenskij an die Gestalt des Odysseus an.

Der Lyrikband "Stille Lieder" traf bei Literaturkritikern auf ein geteiltes Echo. Walerij Brjussow, russischer Symbolist und Literaturkritiker mit großem Einfluss, äußerte sich zurückhaltend, lobte indessen die Musikalität der Verse, die von "großer Bildhaftigkeit sind, das Banale scheuten, einen kraftvollen und neuen Eindruck hinterlassen" . Aleksandr Blok, einer der führenden Symbolisten, gestand, trotz einiger kritischer Randbemerkungen, in seiner Rezension von 1906 ein, dass, "gleich einer Begegnung mit einem Unbekannten, sein Interesse gänzlich unerwartet geweckt " worden sei. Er sei auf "wahrhaftig neue Eindrücke" und "eine neuartige Symbolhaltigkeit" getroffen. 1905 wird Annenskij seines Direktorenpostens am Gymnasium in Zarskoje Selo enthoben. Hintergrund sind die Ereignisse der Revolution von 1905, die auch seine Verwandtschaft betrafen: sein Bruder wird verhaftet, ihm selbst wird vorgeworfen in die Unruhen, an der sich auch die höheren Klassen seines Gymnasiums beteiligten, verwickelt zu sein. Im Januar 1906 wird er zum Inspektor des Petersburger Schulbezirkes berufen. Seine neue Tätigkeit ist mit vielen beschwerlichen Dienstreisen (wie nach Wologda, Pskow, Welikie Luki) verbunden, was Annenskijs schwacher Gesundheit nicht besonders zuträglich war. Dennoch schrieb er zahlreiche Publikationen, wie die Tragödie "Laodomia" oder "Heinrich Heine und wir". Seine übersetzerische Tätigkeit schlug sich in einem Euripides-Band "Euripides Theater" nieder, der unter Kennern seines Faches Lob und Anerkennung fand. Zeitgleich gab er 1906 seine literaturkritischen Betrachtungen über N. W. Gogol, F. M. Dostojewskij, I. S. Turgenjew, L. N. Tolstoj, A. P. Tschechow und K. D. Balmont unter dem Titel "Das Buch der Spiegelungen" [Kniga otraženij] heraus. 1909 folgte "Das zweite Buch der Spiegelungen" [Vtoraja kniga otraženij], eine Sammlung von Artikeln über M. J. Lermontow, F. M. Dostojewskij, L. N. Andrejew, H. Heine, H. Ibsen und W. Shakespeare. Von 1906-1909 erschienen vereinzelt Gedichte Annenskijs in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften. In dieser Zeit erweiterte sich Annenskijs Bekanntenkreis in der literarischen Welt. Diesem gehörten u. a. W. I. Iwanow, A. A. Blok, F. K. Sologub, M. A. Kuzmin und M. A. Woloschin an. Die 1909 neu gegründete Literatur-Zeitschrift "Apollon", die zu einer Institution der Symbolisten wird, gewinnt Annenskij als Berater und Mitarbeiter.

Schwerkrank und überarbeitet, legte Annenskij die Herausgabe und das Lektorat seines zweiten Gedichtbandes "Das Zypressenkästchen" [Kiparisovyj larec] in die Hand seines Sohnes, Walentin Kriwitz. Annenskij starb am 30. 11. 1909 auf den Stufen der Eingangshalle des Zarskoselskij–Bahnhofs (heute: Witebskij-Bahnhof) in Stankt-Petersburg an einem Herzschlag. Annenskijs zweiter Gedichtband "Das Zypressenkästchen" [Kiparisovyj larec] erschien posthum 1909/1910.


2. Bedeutung für die Nachwelt

Erst nach Annenskijs Tod wurde sich die literarische Öffentlichkeit seiner Bedeutung für die russische Dichtung bewusst. Bei Nikolaj Gumiljow heißt es in der posthumen Rezension zu Annenskijs letztem Gedichtband "Das Zypressenkästchen": "Es ist an der Zeit auszusprechen, dass nicht nur Russland, sondern ganz Europa einen der größten Dichter verloren hat …" Maximiljan Woloschin, der Annenskij Anfang März 1909 persönlich kennen gelernt hatte ( in ihren Treffen ging es um die Vorbereitung der ersten Ausgaben der Literatur-Zeitschrift "Apollon") hebt hervor, dass kein anderer Dichter es bisher vermocht hätte, die "seelischen Zustände wie die der Schwermut, der Langsamkeit des Lebens, der Schlaflosigkeit, der körperlichen Schmerzen, der Herzanfälle, der Müdigkeit und des Dahinschwindens der Kräfte" intensiver zu beschreiben als Annenskij. Seine Dichtung übte einen entscheidenden Einfluss auf den nach dem russischen Symbolismus aufkommenden Akmeismus und russischen Futurismus aus. Anna Achmatowa berief sich auf Annenskij, den sie in mehreren Gedichten auch als ihren Lehrmeister bezeichnete, wie u.a. in: "Im Geiste Annenskijs" (Podražanie Annenskomu), 1910; "Der Lehrmeister" (Učitel'"), 1945, oder auch in "Ode von Zarskoje Selo", (Carskosel'skaja oda), 1961.


Werke

Innokentij Annenskij, Antičnaja tragedija, 1902. Innokentij Annenskij, Car Iksion: tragedija v pjati dejstvijach s muzykal'nymi antraktami, St.-Petersburg 1902. Innokentij Annenskij, Tichie pesni, unter dem Pseudonym "NIK. T-O", St. Petersburg 1904. Innokentij Annenskij, Kniga otraženij, St.-Petersburg 1906. Innokentij Annenskij, Vtoraja kniga otraženij, St.-Petersburg 1909. Innokentij Annenskij, Kiparisovyj larec, erschien posthum, St.-Petersburg 1909/1910. Innokentij Annenskij, Posmertnye stichi Innokentija Annenskogo: S potretom i 2 faks., herausgegeben von V. Krivič, Petersburg 1923. 1923, Kiparisovy larec: vtoraja kniga stichov. Herausgeben von V. Krivič, Petersburg 1923


Sekundärliteratur

Barbara Conrad: Annenskijs poetische Reflexionen. München, Fink 1976. Isabelle Guntermann: Mysterium Melancholie. Studien zum Werk Innokentij Annenskijs. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien, 2001.


Übersetzungen

Innokentij Annenskij: Schwarze Silhouette. Gedichte Russisch-Deutsch. Übersetzt von Adrian Wanner, mit einem Nachwort von Ulrich Schmid. Pano Verlag, Zürich 1998. Innokentij Annenskij: Ausgewählte Werke. Übersetzt und mit einem Nachwort von Martina Jakobson. Edition Rugerup, erscheint Ende 2009.


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