Strukturniveau

Begriff aus der Psychoanalyse
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Strukturniveau ist ein von Heinz Kohut (1913–1981) geprägter Fachbegriff aus der Selbstpsychologie,[1] die in den 60er und 70er Jahren als Weiterentwicklung der klassischen Psychoanalyse entstand. Es beschäftigt sich mit dem Entwicklungsstand und Reifegrad der psychischen Struktur eines Menschen.

Dabei beschreibt es die Ausprägung der Fähigkeit, Konflikte zu bewältigen unter Berücksichtigung der vorhandenen Defizite und Ressourcen. Je besser die Bewältigungsfähigkeiten sind, umso höher ist das Strukturniveau. Struktur ist hier definiert als die Verfügbarkeit über psychische Funktionen, die für die Organisation des Selbst und seine Beziehungen zu inneren und äußeren Objekten erforderlich sind. Entsprechend bezeichnen Strukturelle Störungen die unzureichende Verfügbarkeit über diese Fähigkeiten und sind meistens die Folge frühkindlicher Beziehungsstörungen. Die Theorie des Strukturniveaus von Kohut wurde zu einer wichtigen Grundlage für die aktuelle psychodynamische Diagnostik.

Das Strukturniveau lässt somit eine erweiterte Beschreibung psychischer Störungen aus Sicht der Klinischen Psychoanalyse zu. Das Strukturniveau kann getrennt von der Konfliktpathologie, also der Unfähigkeit des Patienten, unbewusste Konflikte adäquat lösen zu können, betrachtet werden. Somit ist eine differenzierte Herangehensweise möglich. In der Behandlungshierarchie stehen Strukturpathologien über denen der Konfliktpathologie und sollten vorrangig behandelt werden. Die genauere Diagnose von Strukturpathologien, wie sie beispielsweise in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik vorgeschlagen wird, erfordert auch eine fokussiertere Herangehensweise.

Aspekte des Strukturniveaus

Für die Diagnose von strukturellen Störungen sind nach OPD-1 die folgenden sechs Strukturdimensionenen und Strukturfokuspunkte von herausragender Bedeutung:

Selbstwahrnehmung
als die Fähigkeit sich als ein eigenes Selbst wahrzunehmen und kritisch betrachten zu können, in sein Inneres schauen und unterschiedliche Gefühle erkennen zu können.
(Selbstreflexion, Selbstbild, Identität, Affektdifferenzierung)
Selbststeuerung
als Fähigkeit, auf die eigenen Bedürfnisse, Gefühle, Selbstwertgefühl selbst steuernd Einfluss nehmen zu können.
(Affekttoleranz, Selbstwertregulierung, Impulssteuerung, Antizipation)
Abwehr (Siehe auch Abwehrmechanismus)
als Fähigkeit, das seelische Gleichgewicht in Konflikten durch eigene Schutz- und Abwehrmechanismen aufrecht zu erhalten.
(Internale versus interpersonale Abwehr, Flexibilität der Abwehr)
Objektwahrnehmung
als Fähigkeit zwischen innerer und äußerer Realität sicher unterscheiden zu können, Einfühlungsvermögen, den anderen Menschen ganzheitlich und als mit eigenen Rechten ausgestattet wahrzunehmen.
(Selbst-Objekt-Differenzierung, Empathie, ganzheitliche Objektwahrnehmung, objektbezogene Affekte)
Kommunikation
als Fähigkeit auf den anderen zuzugehen, ihn zu verstehen, sich ihm mitzuteilen und gefühlsbezogene Signale zu verstehen.
(Kontaktaufnahme, Verstehen von Affekten, Mitteilung von Affekten, Reziprozität)
Bindung
als Fähigkeit, innere Repräsentanzen des anderen zu errichten und längerfristig mit Empfindungen zu besetzen, Bindungen zu lösen und die Fähigkeit sich auf Bindungen einzustellen, die nicht gleichmäßig verlaufen.
(Internalisierung, Loslösung, Variabilität der Bindung)

In der OPD-2 (Operationalisierte psychodynamische Diagnostik) werden folgende Merkmale der Struktur und des Strukturniveaus angegeben:

1. Kognitive Ebene
Das Selbst wahrnehmen
'Selbstreflektion beeinträchtigt: Patient hat Mühe, seine Person und deren Innenvorgänge wahrzunehmen und in Worte zu fassen.'
als die Fähigkeit sich als ein eigenes Selbst wahrzunehmen und kritisch betrachten zu können, in sein Inneres schauen und unterschiedliche Gefühle erkennen zu können.
(Selbstreflexion, Selbstbild, Identität, Affektdifferenzierung)
Selbststeuerung
als Fähigkeit, auf die eigenen Bedürfnisse, Gefühle, Selbstwertgefühl selbst steuernd Einfluss nehmen zu können.
(Affekttoleranz, Selbstwertregulierung, Impulssteuerung, Antizipation)
Abwehr (Siehe auch Abwehrmechanismus)
als Fähigkeit, das seelische Gleichgewicht in Konflikten durch eigene Schutz- und Abwehrmechanismen aufrecht zu erhalten.
(Internale versus interpersonale Abwehr, Flexibilität der Abwehr)
Objektwahrnehmung
als Fähigkeit zwischen innerer und äußerer Realität sicher unterscheiden zu können, Einfühlungsvermögen, den anderen Menschen ganzheitlich und als mit eigenen Rechten ausgestattet wahrzunehmen.
(Selbst-Objekt-Differenzierung, Empathie, ganzheitliche Objektwahrnehmung, objektbezogene Affekte)
Kommunikation
als Fähigkeit auf den anderen zuzugehen, ihn zu verstehen, sich ihm mitzuteilen und gefühlsbezogene Signale zu verstehen.
(Kontaktaufnahme, Verstehen von Affekten, Mitteilung von Affekten, Reziprozität)
Bindung
als Fähigkeit, innere Repräsentanzen des anderen zu errichten und längerfristig mit Empfindungen zu besetzen, Bindungen zu lösen und die Fähigkeit sich auf Bindungen einzustellen, die nicht gleichmäßig verlaufen.
(Internalisierung, Loslösung, Variabilität der Bindung)

Differenzierung des Strukturniveaus

Bei der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) werden vier Niveaus der strukturellen Integration unterschieden:

Desintegration
Die Desintegration wird der „Struktur-Pathologie“ zugeschrieben, die als schwere Störung gilt. Es ist das Ergebnis einer Störung der bedeutenden Interaktion in der frühen sensorischen und Individuationsentwicklung.
Ich-Funktionen mit differenzierenden und integrativen Fähigkeiten sind nur mangelhaft ausgebildet und die grundlegenden Fähigkeiten der Selbst- und Beziehungsregulation weisen Defizite auf.
Nicht integrierte Selbst- und Objektanteile sind vorhanden und führen zu wechselnden Selbst-Zuständen und der Bezug zur Realität ist labil. Die Belastbarkeit durch Affekte, Impulse, zwischenmenschliche Spannungen und Probleme ist gering.
Der bevorzugte Abwehrmechanismus ist die Spaltungsabwehr.
(klinisch häufig als Borderline-Persönlichkeitsstörung)
Geringes Strukturniveau (Auch niederes Strukturniveau)
Dieser Zwischenbereich bezieht sich auf Störungen, die in der Schwellenphase der Autonomieentwicklung auftreten und sich überwiegend als eine „Konflikt-Pathologie“ darstellen.
Die Ich-Funktionen sind einigermaßen intakt, jedoch Selbst-Objekt-Repräsentanzen sind mäßig integriert.
Bevorzugter Abwehrmechanismus ist Idealisierung/Entwertung, welche zwischen Spaltung und Verdrängung steht.
(Selbstwert- und depressive Pathologie oder Depressive Persönlichkeit)
Mäßiges Strukturniveau (Auch mittleres Strukturniveau)
Das mäßige Strukturniveau wird mit dem Abschluss der Individuationsentwicklung überwunden. Treten Entwicklungsstörungen in der folgenden Phase auf, sind es nicht mehr die schweren Struktur-, sondern die leichteren „Konflikt-Pathologien“.
Das Ich hat eine relative Reife und stabile Funktionsfähigkeit entwickelt mit gut integrierten Selbst-Objekt-Repräsentanzen.
Der bevorzugte Abwehrmechanismus ist die Verdrängungsabwehr.
(reifere, „klassische“ Neurosen)
Gutes Strukturniveau (Auch reifes/hohes Strukturniveau)
Ein gutes Strukturniveau können Menschen erreichen, wenn keine nachhaltigen Entwicklungsstörungen auftraten.
Bei späten Traumatisierungen oder Belastungen können solche Menschen ebenfalls Störungen entwickeln.
(reaktive oder posttraumatische Störungen)

Die vier Intergationsstufen werden ebenfalls als niederes, höheres, mittleres und reifes Strukturniveau bezeichnet.

Literatur

  • Michael Ermann: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie : ein Lehrbuch auf psychoanalytischer Grundlage. 5., überarb. Aufl., W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-17-019664-3 . (S. 87-115, Kapitel 4: Psychoanalytische Entwicklungs- und Strukturdiagnostik)
  • Ernest S. Wolf: Theorie und Praxis der psychoanalytischen Selbstpsychologie. 1. Aufl., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, Reihe: Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Nr. 1395, ISBN 3-518-28995-0. (dt. Übers.; engl. Originaltitel: Treating the self)
  • Arbeitskreis zur Operationalisierung Psychodynamischer Diagnostik - Arbeitskreis OPD (Hrsg.): Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2 : das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. 1. Aufl., Huber Verlag, Bern (Schweiz) 2006, ISBN 3-456-84285-6.

Quellen

  1. Heinz Kohut: Die Heilung des Selbst. 1. Aufl. (Nachdruck; dt. Ausg. wurde vom Autor überarb. und ergänzt), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002, Reihe: Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Nr. 373, ISBN 3-518-27973-4. (dt. Übers.; engl. Originaltitel: The restoration of the self)