Psychopathie

psychische Erkrankung
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Unter Psychopathie wird in der Forensischen Psychologie und Psychiatrie eine schwere Form der Dissozialen/ Antisozialen Persönlichkeitsstörung verstanden. Der Begriff der Psychopathie geht dabei über die Definition der genannten Persönlichkeitsstörungen hinaus. In den Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD 10 findet er keine eigene Erwähnung.

Definition

Psychopathie bezeichnet eine schwere Persönlichkeitsstörung, die bei den Betroffenen mit dem weitgehendem oder völligem Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und Gewissen einhergeht. Psychopathen sind auf den ersten Blick mitunter charmant, sie verstehen es, oberflächliche Beziehungen herzustellen. Dabei sind sie mitunter sehr manipulativ, um ihre Ziele zu erreichen. Oft mangelt es Psychopathen an langfristigen Zielen, sie sind impulsiv und verantwortungslos.[1] Psychopathie geht häufig mit antisozialen Verhaltensweisen einher, so dass begleitend oft die Diagnose der dissozialen/ antisozialen Persönlichkeitsstörung gestellt werden kann[2]. Dennoch ist die Zahl der Psychopathen selbst unter Gefängnisinsassen als gering anzusehen. [3].

Historisches

Die Erstbeschreibung dieses Störungsbildes wird gemeinhin Hervey M. Cleckley zugeschrieben, der in seinem Buch "The Mask of Sanity" (1941) eine moderne Erstbeschreibung der Symptomatik vornahm. Die Weiterentwicklung wurde vor allem von Robert Hare vorangetrieben, der auch das heute am meisten verwandte Diagnoseverfahren der Psychopathie-Checkliste (PCL-R[4]) entwickelte.

Abgrenzung zur Antisozialen Persönlichkeitsstörung

Das Konzept der Psychopathie umfasst spezifische Personlichkeitszüge und antisoziale Verhaltensweisen, wohingegen die antisoziale Persönlichkeitsstörung nur letztere beinhaltet[5]. Ein Anteil von 50-80 % unter Häftlingen weist eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung auf, wohingegen weniger als 15 % als psychopathisch klassifiziert werden können.[6]

Neurobiologie[7]

Für die Psychopathie konnte nachgewiesen werden, daß verschiedene Hirnregionen ein Struktur- und/oder Funktionsdefizit aufweisen. Die Gehirnmasse im präfrontalen und orbitofrontalen Kortex ist reduziert. Dies ist u.a. assoziiert mit mangelhaftem sozialem Normverständnis und dem Fehlen von Schuldbewusstsein. Des weiteren wurde eine Dysregulation der Amygdalafunktion beschrieben. Man vermutet, daß dadurch wichtige soziale Lernfunktionen beeinträchtigt sind. Außerdem konnte auch eine Hippocampus-Dysfunktion belegt werden. Diese wird in Verbindung mit mangelhafter Angstkonditionierung und Affektregulierung gebracht. Weitere Hirnregionen sind - vermutlich als Folge der beschriebenen Defekte - ebenfalls betroffen. Über Fehlregulationen der Verbindungsstrukturen der betroffenen Regionen wird spekuliert. Bei Psychopathen wurden erhöhte Dopamin- und Serotonin-Spiegel beobachtet. Dies führt möglicherweise zur Enthemmung aggressiver Impulse. Erniedrigte Cortisolspiegel wurden ebenfalls beobachtet. Über eine Störung des Testosteronhaushaltes liegen dagegen keine eindeutigen Daten vor. Es wird vermutet, daß die Dysfunktionen und Fehlregulationen bereits in früher Kindheit angelegt sind.

Unterdimensionen

Die Hare Psychopathie Checkliste unterscheidet zwei Dimensionen der Psychopathie mit den folgenden Items:

Dimension 1: Ausnützerisch

  • Trickreich sprachgewandter Blender mit oberflächlichem Charme
  • Erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl
  • Pathologisches Lügen (Pseudologie)
  • Betrügerisch-manipulatives Verhalten
  • Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein
  • Oberflächliche Gefühle
  • Gefühlskälte, Mangel an Empathie
  • Mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen

Dimension 2: Impulsiv

  • Stimulationsbedürfnis (Erlebnishunger), Ständiges Gefühl der Langeweile
  • Parasitärer Lebensstil
  • Unzureichende Verhaltenskontrolle
  • Frühere Verhaltensauffälligkeiten
  • Fehlen von realistischen, langfristigen Zielen
  • Impulsivität
  • Verantwortungslosigkeit
  • Jugendkriminalität
  • Widerruf einer bedingten Entlassung

Weitere Items (nicht einer der Subdimensionen zuzuordnen)

  • Promiskuität
  • Viele kurzzeitige ehe(ähn)liche Beziehungen
  • Polytrope Kriminalität

Therapie

Es wird diskutiert, ob eine Behandlung von Psychopathen sinnvoll ist. In der Regel findet sie im Strafvollzug statt, in Deutschland in entsprechenden sozialtherapeutischen Einrichtungen. Die meisten Therapieprogramme sind heutzutage verhaltenstherapeutisch und kognitiv-behavioural ausgerichtet. Es wird darüber berichtet, daß Psychopathen unterschiedlich auf Therapie ansprechen. Teilweise wird auch eine erhöhte Rezidivrate nach Therapie berichtet. Generell gilt, daß Psychopathen schlechter zu therapieren sind als nichtpsychopathische Straftäter.[8] Aus neurobiologischer Sicht werden die Transkranielle Magnetstimulation und pharmakologische Methoden vorgeschlagen, wenngleich beide Methoden noch nicht näher erforscht worden sind.[9]

Erweiterung des Psychopathie-Begriffes

In neueren, eher populärwissenschaftlichen Büchern[10][11] wird der Begriff der Psychopathie weiter ausgedehnt. Es werden beispielhaft Typen von Persönlichkeiten beschrieben, die nicht straffällig werden aber die dennoch manipulative und wenig empathische Verhaltensweisen zeigen.

Einzelnachweise

  1. Hare und Neumann. Psychopathy as a clinical and empirical construct. Annual review of clinical psychology (2008) vol. 4 pp. 217-46
  2. Kraus, C. (1999). Bezüge der „Psychopathie Checklist-Revised“ (PCL-R) zu den DSM-III-R- und ICD-10-Klassifikationen bei Sexualstraftätern. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 82 (1), 36-46.
  3. Coid et al. Psychopathy among prisoners in England and Wales. International journal of law and psychiatry (2009) vol. 32 (3), 134-41.
  4. Berner, W. (1994). Die Hare-Psychopathie-Checkliste-Revised (PCL-R). Unveröffentlichtes Manuskript. (Originalausgabe: Hare, R. D. [1991]. The Hare Psychopathy Checklist-Revised [PCL-R]. Toronto, Ontario: Multi-Health Systems).
  5. Hare und Neumann. Psychopathy as a clinical and empirical construct. Annual review of clinical psychology (2008) vol. 4 pp. 217-46
  6. Ogloff. Psychopathy/antisocial personality disorder conundrum. The Australian and New Zealand journal of psychiatry (2006) vol. 40 (6-7) pp. 519-28
  7. Glenn und Raine. The neurobiology of psychopathy. Psychiatr Clin North Am (2008) vol. 31 (3) pp. 463-75, vii
  8. Doren und Yates. Effectiveness of sex offender treatment for psychopathic sexual offenders. International journal of offender therapy and comparative criminology (2008) vol. 52 (2) pp. 234-45
  9. Glenn und Raine. The neurobiology of psychopathy. Psychiatr Clin North Am (2008) vol. 31 (3) pp. 463-75, vii
  10. Robert D. Hare: Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns.
  11. Paul Babiak, Robert D. Hare: Menschenschinder oder Manager: Psychopathen bei der Arbeit

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