Gesundheitsfonds

System, bei dem die Finanzflüsse so organisiert sind, dass die Beitragszahler die Beiträge an eine zentrale Stelle zahlen, von der die Mittel an die einzelnen Versicherungsträger verteilt wer
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. Juni 2009 um 09:56 Uhr durch 84.160.129.253 (Diskussion) (Der Beitragssatz beträgt 15,5% und nicht 15,8%.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Gesundheitsfonds ist ein System zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland, das zum 1. Januar 2009 umgesetzt wurde. Am 2. Februar 2007 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG), dem der Bundesrat am 16. Februar 2007 zustimmte.

Inhalte

Nach diesem Gesetz wird des Weiteren die Honorierung der Ärzte neu geregelt und die Arzneimittelversorgung geändert. Beitrags- und Steuergelder werden zentral eingenommen und an die Krankenkassen weitergeleitet. Die Krankenkassen ziehen die Sozialversicherungsbeiträge zunächst ein und übertragen sie an den Gesundheitsfonds, der vom Bundesversicherungsamt verwaltet wird. Die bisher unterschiedlichen Beitragssätze der Krankenkassen wurden durch einen einheitlichen Beitragssatz ersetzt, der von der Bundesregierung festgelegt wird.

Für das Jahr 2009 hat die Bundesregierung den einheitlichen Beitragssatz für Arbeitnehmer auf 15,5 Prozent (7,3 v.H. Arbeitgeberanteil + 7,3 v.H. Versichertenanteil + 0,9 v.H. Versichertenbeitrag = 15,5 v.H.) festgesetzt. Bei den Rentnern, die versicherungspflichtig sind, übernimmt die Rentenversicherung wie die Arbeitgeber seit 2009 genau 7,3 Prozent. Die restlichen 8,2 Prozent werden von der Rente einbehalten. Der Beitragssatz soll nach der Gesetzeskonstruktion zunächst konstant bleiben, auch wenn die Krankenversicherungsausgaben schneller als die beitragspflichtigen Einnahmen der GKV-Mitglieder steigen. Erst wenn der Fonds die Ausgaben der Krankenkassen zwei Jahre hintereinander zu weniger als 95 Prozent abdeckt, kommt es zur Erhöhung des Beitragssatzes.

Krankenkassen, die mit den aus dem Gesundheitsfonds zugeteilten Mitteln nicht auskommen, können einen zusätzlichen Beitrag von ihren Mitgliedern verlangen (bis zu 8 € pro Monat pauschal ohne Einkommensprüfung, bei höheren Pauschalen oder prozentualen Hebesätzen gilt eine Beschränkung auf 1 % der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder). Diese Zusatzprämie muss von den Mitgliedern alleine getragen werden; d. h., dass etwa Arbeitgeber, Rentenversicherungsträger oder andere Sozialleistungsträger sich hieran nicht beteiligen. In diesem Fall haben die Mitglieder jedoch ein Sonderkündigungsrecht und können schnell die Kasse wechseln, ohne dass der Zusatzbeitrag fällig wird. Sozialhilfeempfänger, Bezieher von Grundsicherung und Heimbewohner, die ergänzende Sozialhilfe bekommen, müssen auch einen möglichen Zusatzbeitrag nicht selbst bezahlen. Krankenkassen, die weniger ausgeben, als sie aus dem Gesundheitsfonds bekommen, können ihren Versicherten eine Prämie ausschütten.

Der Gesundheitsfonds geht ursprünglich auf einen Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen zurück, der hierin einen möglichen Kompromiss zwischen den Konzepten der Bürgerversicherung und der Gesundheitsprämie sah. Er wurde von der Koalition im Eckpunktepapier mit Zustimmung der SPD/CDU vorgeschlagen. Die Koalition aus Unionsparteien und SPD einigte sich am 3. Juli 2006 auf die Einführung des Gesundheitsfonds, wobei die ursprünglich vorgesehene Einbeziehung der privaten Krankenversicherung gestrichen und die Steuerfinanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben (wie z. B. Beiträge für Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung mit einem Bedarf von rund 16 Mrd. €) erst 2008 mit 1,5 Mrd. € und 2009 mit 3 Mrd. € einsetzen soll.

Die Kassenbeiträge der Arbeitgeber werden dabei insoweit eingefroren, wie der Beitragssatz an den Gesundheitsfonds erst erhöht werden soll, wenn der Fonds die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr zu 95 % deckt (mindestens 5 % also durch alleine von den Versicherten aufzubringende Zusatzbeiträge zu finanzieren sind). Die Mittelzuteilung an die Krankenkassen berücksichtigt die Krankheits-Wahrscheinlichkeit eines Individuums bezogen auf eine bestimmte Population (Morbidität), wodurch der Risikostrukturausgleich neu gegliedert wird. Dadurch soll jede Kasse annähernd die Finanzmittel erhalten, die sie zur Versorgung ihrer Versicherten benötigt. Beim Bundesversicherungsamt wurde ein Wissenschaftlicher Beirat zur Vorbereitung der morbiditätsorientierten Mittelzuweisung eingerichtet; dieser hat am 9. Januar 2008 ein Gutachten zur Auswahl von 80 Krankheiten vorgelegt, die bei dieser Mittelzuteilung berücksichtigt wurden. Das Bundesversicherungsamt hat Ende März 2008 die endgültige Liste vorgelegt, bei der es aufgrund einer stärkeren Berücksichtigung der Prävalenz zu erheblichen Abweichungen gegenüber der Liste des Wissenschaftlichen Beirates kommt.

Kritik

Der Wirtschaftsweise Bert Rürup kritisierte, „dass der Faktor Arbeit im nächsten Jahr mit fünf Milliarden Euro belastet werden soll, um dann sukzessive im Jahre 2008 und 2009 4,5 Milliarden Euro zurückzugeben. Unter ökonomischen Aspekten ist das nicht sonderlich überzeugend“. (Lohnnebenkosten)

Umstritten sind die Auswirkungen des mit der Einführung des Fonds verbundenen Überganges zur Morbiditätsorientierung beim Risikostrukturausgleich. Nach dem Gesetz sollen 50 bis 80 schwerwiegende, chronische Erkrankungen zu besonderen Zahlungen führen. Voraussetzung ist weiterhin, dass die Versicherten, die an diesen Erkrankungen leiden, mindestens 50 Prozent überdurchschnittliche Ausgaben haben. Es wird die These vertreten, durch die Fixierung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches würde der Wettbewerb zwischen den Krankenversicherern erlöschen. Damit träten monopolistisch agierende, vom Sozialgesetzbuch geschützte Nachfrager (Sachleistungsprinzip) qua Gesetz atomistisch orientierten Leistungserbringern gegenüber. Dies führe über Preis- und Qualitätsdumping automatisch zu Versorgungsverschlechterungen.[1]

Allerdings wird auch die gegenteilige These vertreten, wonach erst eine hinreichend genaue Abbildung der Morbidität im Risikostrukturausgleich die Voraussetzungen dafür schaffe, dass die Krankenkassen sich im Wettbewerb um die Versorgung der Patienten bemühten und nicht in erster Linie darauf aus seien, gesunde Versicherten an sich zu ziehen, weil sie mit ihnen günstigere Beiträge bieten könnten.[2]

Andreas Köhler, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bestätigte am 22. Januar 2009, dass einige Krankenversicherungen offenbar versuchten, Ärzte in ihrer Diagnosestellung zu beeinflussen, um über mehr chronisch Kranke höhere Ausgleichszahlungen aus dem Risikostrukturausgleich zu erhalten.[3][4] Um die Manipulation bei der ärztlichen Dokumentation zu begrenzen, werden derzeit von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen Kodierrichtlinien ausgearbeitet.

Auch Heinz Grossekettler, der als Miterfinder des Gesundheitsfonds gilt, kritisierte 2006 die Umsetzung der Großen Koalition. Die ursprüngliche Intention sei deutlich eingeschränkt worden und vor allem die Begrenzung des Zusatzbeitrages sei problematisch.[5]

Nach Berechnung der Krankenkassenverbände würden angeblich mindestens 8 Kassen sofort wegen Insolvenz schließen müssen, da diese bei einem angenommenen Beitragssatz von 15,5 % nicht finanziell überleben können und auch nicht die Einnahmen durch die Zusatzbeiträge von ihren Versicherten (wegen der Beschränkung auf 1 Prozent des Einkommens) ausreichen würden.[6]

Der Zusatzbeitrag ist nur von den Versicherten und nicht von den Arbeitgebern zu zahlen. Neben dem Sonderbeitrag (0,9 Prozent des Einkommens) wird der Zusatzbeitrag (bis 1 Prozent des Einkommens) additiv zu einer weiteren Aufweichung des Paritätsprinzips beitragen und könnte auch als 1,9-prozentige gesetzlich verordnete Einkommenskürzung für die Versicherten zu Gunsten der Arbeitgeber interpretiert werden.

Der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs ist kritisiert worden, weil er aufgrund der gewählten statistischen Methode stärker auf je Patient sehr ausgabenintensive und seltenere als auf häufigere, aber nicht je Patient so ausgabenintensive Krankheiten fokussiert.

Da die Ärzte durch Ihre Diagnosen direkten Einfluss auf die Mittel nehmen können, die die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds erhalten, hat der Fonds die Verhandlungsposition der Ärzte gegenüber den Kassen gestärkt. So hat der bayerische Hausärzteverband mit der AOK eine deutliche Honorarsteigerung vereinbart.[7]

Konvergenzklausel

Im Frühjahr 2008 stand im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion um die Einführung des Gesundheitsfonds die sogenannte „Konvergenzklausel“, auch „Bayern-Regelung“ genannt. Der Bayerische Ministerpräsident Stoiber hatte in den Verhandlungen im Oktober 2006 diese Regelung (§ 272 SGB V) durchgesetzt. Danach sollen die Beitragseinnahmen im Jahre 2008 in einem Bundesland, bereinigt um die Ansprüche und Zahlungsverpflichtungen aus dem Risikostrukturausgleich und erhöht um die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen verglichen werden mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Ist die Differenz zwischen beiden Größen größer als 100 Mio. Euro, sollen die Zuweisungen an die Krankenkassen für die Versicherten im Land entsprechend erhöht oder gekürzt werden. Mitte April 2008 ist ein von der Bundesregierung hierzu beauftragtes Gutachten vorgelegt worden.[8] Im Gegensatz zu der ursprünglich im Gesetz vorgesehenen Regelung, dass die Finanzierung der Zuweisungen für Länder mit einem „Verlust“ größer als 100 Mio. Euro durch Krankenkassen in Ländern mit einem „Gewinn“ größer als 100 Mio. Euro erfolgen sollte, hat der Gesetzgeber des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) im November 2008 beschlossen, dass die Finanzierung aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds erfolgen solle; da die Liquiditätsreserve zu Beginn noch nicht aufgebaut ist, bedeutet dies faktisch, dass der Bund die Zahlungen über eine Liquiditätshilfe an den Gesundheitsfonds leistet.

Weitere Entwicklung

Die Bundesregierung einigte sich am 12. Januar 2009 im Rahmen des Konjunkturpaketes II darauf, den Beitragssatz von 15,5 Prozent ab 1. Juli 2009 paritätisch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer um jeweils 0,3 Prozentpunkte zu senken. Die dadurch entstehenden Einnahmenausfälle des Gesundheitsfonds sollen durch eine Erhöhung der Steuerzuschüsse um 3,2 Milliarden Euro 2009 und um 6,3 Milliarden Euro im Jahre 2010 kompensiert werden. [9] (Vgl. auch Artikel 13 des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland; Bundesgesetzblatt I vom 05.03.2009, S. 416.)

Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass der Bund dem Gesundheitsfonds ein zinsloses Liquiditätsdarlehen gibt, wenn die eigenen Einnahmen des Gesundheitsfonds nicht ausreichen (§ 271 Abs. 3 SGB V). Dies wird bei Beitragsausfällen durch verstärkte Kurzarbeit und steigende Arbeitslosigkeit in der aktuellen Wirtschaftskrise virulent. Ministerin Schmidt hat in diesem Zusammenhang von einem Schutzschirm für den Gesundheitsfonds gesprochen, um den Eindruck zu erwecken, dass die Rezession keinen Einfluss auf Finanzierung des Gesundheitsfonds hat. Das Darlehen muss allerdings in den Folgejahren wieder zurückgezahlt werden. Wie diese Rückzahlung finanziert wird, ist gegenwärtig unklar. Bliebe das Gesetz und die das Gesetz umsetzende Risikostrukturausgleichsverordnung unverändert, würden die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen entsprechend gekürzt werden, so dass die Krankenkassen in hohem Umfang Zusatzbeiträge erheben müssten. Vorstellbar ist allerdings auch, dass die Regierung den Beitragssatz für die Beiträge der Versicherten an den Fonds heraufsetzt und das Darlehen an den Finanzminister dadurch zurückgezahlt wird. Schließlich ist denkbar, dass die Politik im Rahmen eines Kostendämpfungsgesetzes die Ausgaben der Krankenkassen reduziert, so dass bei gleichem Beitragssatz an den Fonds nur geringere Zuweisungen an die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds vorgenommen werden brauchen und der Gesundheitsfonds darüber Finanzspielraum zur Rückzahlung des Darlehens erhält. Nach den routinegemäß von dem gesetzlich vorgesehenen Schätzerkreis am 30. April vorgenommenen Schätzungen wird sich das rezessionsbedingte Einnahmendefizit bereits 2009 voraussichtlich auf knapp 3 Milliarden Euro belaufen, so dass in dieser Höhe eine Liquiditätshilfe/ein Darlehen des Bundes erforderlich wird. [10]

Gesundheitsfonds im internationalen Kontext

Der mit der Gesundheitsreform von 2007 in das deutsche System eingeführte Gesundheitsfonds ist international kein Einzelfall. In den Niederlanden, Belgien und Israel zum Beispiel, wo ebenfalls mehrere Krankenkassen miteinander konkurrieren, zahlen die Versicherten ihren einkommensabhängigen Beitrag nicht an die individuelle Krankenkasse, sondern an einen Gesundheitsfonds, der die Mittel nach dem Risiko der Versicherten an die Kassen verteilt. Demgegenüber zahlen die Versicherten in der Schweiz – wie bis Ende 2008 in Deutschland – ihre Beiträge an die jeweilige Krankenkasse. Aber auch dort besteht ein Risikostrukturausgleich, der die Mittel zwischen den Krankenkassen nach den Risikostrukturen der Versicherten umverteilt.

Literatur

  • Drabinski T: Gesundheitsfonds ante portas. Band 12. Schriftenreihe Institut für Mikrodaten-Analyse, Kiel. Januar 2008.[11]
  • Göpffarth D, Greß S, Jacobs K, Wasem J: Jahrbuch Risikostrukturausgleich 2007: Gesundheitsfonds. Asgard-Verlag, St. Augustin 2007, ISBN 978-3-537-74307-7

Fußnoten

  1. heute.de: Durchbruch bei Gesundheitsreform. Beiträge steigen – Einstieg in Steuerfinanzierung, 3. Juli 2006.
  2. (vgl. etwa Gutachten von Cassel, Jacobs, Reschke u. Wasem aus 2001 für das Bundesministerium für Gesundheit: [1] → Lehrstuhl → Downloads → Forschungsberichte)
  3. http://www.deutscher-apotheker-verlag.de/daz_neu/public/tagesnews/Januar/tagesnews20090126b.html
  4. http://www.cecu.de/1011+M560f7ca724a.html.
  5. http://de.news.yahoo.com/10082006/336/erfinder-gesundheitsfonds-kritisiert-umsetzung-koalition.html
  6. http://www.focus.de/finanzen/versicherung/krankenversicherung/gesundheitsfonds_nid_39012.html
  7. Panorama: Gesundheitsfonds - wie Ärzte und Kassen nach der Reform abkassieren
  8. http://www.mm.wiwi.uni-due.de → Aktuelles auf Forschung und Politikberatung → Eintrag vom 12. April 2008
  9. www.spiegel.de - Krankenkassen bekommen Milliarden-Finanzspritze (Zugriff am 23. Januar 2009)
  10. Der Spiegel - Krankenkassen brauchen fast drei Milliarden vom Bund vom 30. April 2009
  11. http://www.ifmda.de/download/IfMDA_Band_12.pdf