Gruppentheorie

Teilgebiet der Mathematik
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Gruppe (Axiome EANI)

berührt die Spezialgebiete

ist Spezialfall von

umfasst als Spezialfälle

Die Gruppentheorie, als mathematische Disziplin im 19. Jahrhundert entstanden, ist ein Wegbereiter der modernen Mathematik. Beispielsweise folgt die Gruppe, die aus den Drehungen eines regulären n-Ecks in der Ebene um Vielfache des Winkels 360°/n besteht, denselben Gesetzen wie die Addition der ganzen Zahlen modulo n. Neutrales Element – entsprechend der Null bei der Addition – ist die Nicht-Drehung oder äquivalent die Drehung um einen Winkel von 0°.

Große Beiträge zur Gruppentheorie stammen unter anderem von Évariste Galois, Niels Henrik Abel und Sophus Lie.

Knappe Begriffsdefinitionen finden sich im Gruppentheorie-Glossar.

Erklärung für Nicht-Mathematiker

Gruppen werden in der Mathematik verwendet, um vom Rechnen mit konkreten Zahlen zu abstrahieren (sprich: um mit Symbolen anstelle von Zahlen zu rechnen). Entsprechend besteht eine Gruppe aus einer Menge von abstrakten Dingen oder Symbolen und einer „Rechenvorschrift“ (Verknüpfung), die angibt, wie mit diesen Dingen umzugehen ist.

Genauer gesagt: Von einer Gruppe spricht man, falls für eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung je zweier Elemente dieser Menge, zum Beispiel „a × b“, die folgenden weiteren Anforderungen erfüllt sind:

  1. Die Verknüpfung zweier Elemente der Menge ist wiederum ein Element derselben Menge (Abgeschlossenheit).
  2. Die Klammerung beim Ausrechnen ist unerheblich (Assoziativität): a × (b × c) = (a × b) × c.
  3. Es gibt ein Element e in der Menge, das nichts bewirkt (neutrales Element): a × e = e × a = a.
  4. Es gibt zu jedem Element a ein „Spiegelbild“ (inverses Element) a* mit der Eigenschaft, beim Verknüpfen mit a das neutrale Element zu ergeben: a × a* = a* × a = e.

Spezialfall: Wenn man zudem noch die Operanden vertauschen darf, also stets a × b = b × a gilt (Kommutativität), dann liegt eine abelsche oder kommutative Gruppe vor.

Beispiele für abelsche Gruppen sind

  • die ganzen Zahlen   mit der Addition „+“ als Verknüpfung und der Null als neutralem Element
  • die rationalen Zahlen   ohne Null mit der Multiplikation „ד als Verknüpfung und der Eins als neutralem Element. Die Null muss hierbei ausgeschlossen werden, da sie kein inverses Element besitzt. („1/0“ ist nicht definiert.)

Die sehr allgemeine Definition von Gruppen ermöglicht es, nicht nur Mengen von Zahlen mit entsprechenden Operationen als Gruppen aufzufassen, sondern auch andere abstrakte Dinge und Symbole, die die geforderten Eigenschaften erfüllen wie zum Beispiel die Menge der Drehungen und Spiegelungen (Symmetrietransformationen), durch die ein N-Eck auf sich selbst abgebildet wird, mit der Hintereinanderausführung der Transformationen als Verknüpfung.

Siehe auch: Diedergruppe

Mathematische Definition des Gruppenbegriffs

Definition

Ein Paar   mit einer Menge   und einer inneren zweistelligen Verknüpfung   heißt Gruppe, wenn folgende Axiome erfüllt sind:

  • Assoziativität: Für alle Gruppenelemente  ,   und   gilt:  
  • Neutrales Element: Es gibt ein neutrales Element  , mit dem für alle Gruppenelemente   gilt:  .
  • Inverses Element: Zu jedem Gruppenelement   existiert ein Element   mit  .

Eine Gruppe   heißt abelsch oder kommutativ, wenn die Verknüpfung   symmetrisch ist, d. h. wenn zusätzlich das folgende Axiom erfüllt ist:

  • Kommutativität: Für alle Gruppenelemente   und   gilt  .

Bemerkungen zur Notation

Häufig wird für die Verknüpfung   das Symbol   benutzt, man spricht dann von einer multiplikativ geschriebenen Gruppe. Das neutrale Element heißt dann Einselement und wird durch   symbolisiert. Wie auch bei der gewöhnlichen Multiplikation üblich, kann in vielen Situationen der Malpunkt weggelassen werden.

Die Gruppeneigenschaften lassen sich auch additiv notieren, indem für die Verknüpfung   das Symbol   benutzt wird. Das neutrale Element heißt dann Nullelement und wird durch   symbolisiert. Das zum Gruppenelement   inverse Element wird in einer additiv geschriebenen Gruppe nicht durch  , sondern durch   symbolisiert. Üblich ist die additive Schreibweise bei abelschen Gruppen, während nicht abelsche oder beliebige Gruppen zumeist multiplikativ geschrieben werden.

Ist die Verknüpfung klar, so schreibt man für die Gruppe häufig nur  .

Abschwächung der Definition

Die Gruppenaxiome können formal abgeschwächt werden, indem man die Axiome für das neutrale und das inverse Element folgendermaßen ersetzt:

  • Linksneutrales Element: Es gibt ein Element  , mit dem für alle Gruppenelemente   gilt:  .
  • Linksinverses Element: Zu jedem   existiert ein Gruppenelement   mit  .

Diese formal schwächere Definition ist äquivalent zu der ursprünglichen Definition, denn es gilt:

  • Das linksinverse Element ist auch rechtsinvers, denn für beliebiges   gilt:
 
  • Das linksneutrale Element ist auch rechtsneutral, denn für beliebiges   gilt:
 .

Grundlegende Eigenschaften einer Gruppe

  • Das neutrale Element einer Gruppe ist eindeutig bestimmt:
    wenn   und   neutrale Elemente sind, dann muss   sein, da   neutral ist, und  , da   neutral ist. Somit folgt  .
  • Es gilt die Kürzungsregel: aus   oder   mit Gruppenelementen   folgt jeweils  :
     .
  • Daraus ergibt sich, dass die Verknüpfungstabelle einer Gruppe ein Lateinisches Quadrat ist, bei dem in jeder Zeile und in jeder Spalte jedes Gruppenelement genau einmal vorkommt.
  • Daraus folgt, dass die Gleichung   stets eindeutig lösbar ist mit Lösung  . Ebenso hat   die eindeutige Lösung  .
  • Insbesondere ist das zu einem Gruppenelement   inverse Element   eindeutig bestimmt.
  • Es gilt   und  .
  • Für alle Elemente gilt  :
 . Somit ist   zu   invers.

Grundkonzepte der Gruppentheorie

Ordnung einer Gruppe

Die Mächtigkeit (Kardinalität)   der Trägermenge der Gruppe nennt man Ordnung der Gruppe oder kurz Gruppenordnung. Für endliche Mengen ist dies einfach die Anzahl der Elemente.

Ordnung von Elementen

Hauptartikel: Ordnung eines Gruppenelementes

Ergibt ein Element   der Gruppe endlich viele Male   mit sich selbst verknüpft das neutrale Element 1, d. h. gilt:  , so nennt man das kleinste derartige   die Ordnung des Elements  . Falls kein solches   existiert, sagt man, dass   unendliche Ordnung hat. In beiden Fällen entspricht die Ordnung des Elements der Ordnung der von ihm erzeugten Untergruppe.

Davon ausgehend kann man zeigen, dass die Ordnung jedes Elements einer endlichen Gruppe endlich ist und die Gruppenordnung teilt (Satz von Lagrange).

Untergruppen

Hauptartikel: Untergruppe

Ist   eine Teilmenge der Trägermenge   einer Gruppe   und ist   selbst eine Gruppe, so nennt man   eine Untergruppe von  .

Hierzu ein wichtiger Satz: (Satz von Lagrange) Die Ordnung (Anzahl der Elemente) jeder Untergruppe   einer endlichen Gruppe   ist ein Teiler der Ordnung der Gruppe  . Ist speziell   eine Primzahl, dann hat   nur die (trivialen) Untergruppen   (bestehend aus dem neutralen Element) und   selbst.

Nebenklassen

Definiert man auf der Menge   die Relation   durch:

 ,

erhält man eine Äquivalenzrelation auf  . Die sog. Äquivalenzklasse zu einem Element   (d. h. die Klasse aller Elemente  , die zu   in der Relation   stehen), ist die Menge

 .

Für diese Menge schreibt man   oder  . Da diese Menge alle Elemente von   enthält, die dadurch entstehen, dass das Element   mit allen Elementen aus   verknüpft wird, heißt sie die Linksnebenklasse von   nach dem Element  .

Die Menge aller Linksnebenklassen von   bezeichnet man mit  .

Wenn man umgekehrt eine Relation   durch

 ,

definiert, dann ist

 

die Menge der zu   äquivalenten Elemente in  .

Diese Menge entsteht also durch Rechtsverknüpfung der Elemente aus   mit dem Element  . Sie wird mit   oder   bezeichnet und Rechtsnebenklasse von   nach dem Element   genannt.

Beispiel: Wir betrachten die ganzen Zahlen mit der Addition als Gruppe  . Dann ist die Menge   aller ganzzahligen Vielfachen von 3 eine Untergruppe. Es ergeben sich 3 Rechtsnebenklassen:

H     H+1   H+2  H+3=H  H+4=H+1 ...
...   ...   ...
-6    -5    -4
-3    -2    -1
 0     1     2
 3     4     5
 6     7     8
...   ...   ...

Da   die Menge der durch 3 teilbaren Zahlen ist, sind die Nebenklassen   gerade die Restklassen modulo 3. Die Tabelle enthält alle ganzen Zahlen, wobei keine Zahl zweimal vorkommt, in einer gemeinsamen Spalte stehen jeweils die Zahlen, die beim Teilen durch drei den gleichen Rest   lassen.

Jetzt mag man versucht sein, hier nur mit den Nebenklassen zu rechnen, also modulo 3, und sich fragen, ob es so ein Konzept zu jeder Untergruppe für beliebige Gruppen gibt. Dies führt zur folgenden Definition:

Normalteiler

Hauptartikel: Normalteiler

Ist für jedes Element   die linke Nebenklasse von   gleich der rechten, d. h.  , so nennt man   einen Normalteiler von  .

Ein Sonderfall ist: In einer abelschen Gruppe ist jede Untergruppe ein Normalteiler.

Faktorgruppe

Hauptartikel: Faktorgruppe

Damit lässt sich das Konzept des Rechnens auf den Nebenklassen umsetzen: Ist   ein Normalteiler, dann kann man nur mit den Nebenklassen rechnen und erhält eine Gruppe.

Die Verknüpfung ist wie folgt gegeben:  

Diese Definition ist konsistent, da das Ergebnis von der Wahl der Elemente g und h aus den Nebenklassen unabhängig ist.

Die mit dieser Verknüpfung und den Spalten (Nebenklassen) als Elementen definierte Gruppe nennt man die Faktorgruppe von   bezüglich  .

Zyklische Gruppen

Hauptartikel: Zyklische Gruppe

Gibt es in   ein Element  , so dass man jedes andere Element als Potenz   (mit einer ganzen Zahl  , die auch negativ sein darf) schreiben kann, so nennt man   eine zyklische Gruppe und   erzeugendes Element.

Klassifikation der endlichen einfachen Gruppen

Eine nicht-triviale Gruppe heißt einfach, wenn sie keine Normalteiler außer der trivialen Gruppe und sich selbst hat. Beispielsweise sind alle Gruppen von Primzahlordnung einfach. Die einfachen Gruppen spielen eine wichtige Rolle als „Grundbausteine“ von Gruppen. Seit 1982 sind die endlichen einfachen Gruppen vollständig klassifiziert. Jede gehört entweder zu einer der 18 Familien endlicher einfacher Gruppen oder ist eine der 26 Ausnahmegruppen, die auch als sporadische Gruppen bezeichnet werden.

Ausblick

 
Rubiks Zauberwürfel als Beispiel einer Gruppe

Die Eigenschaften endlicher Gruppen lassen sich mit dem Zauberwürfel veranschaulichen, der seit seiner Erfindung vielfach im akademischen Unterricht eingesetzt wurde, weil die Permutationen der Ecken- und Kantenelemente des Würfels ein sichtbares und handgreifliches Beispiel einer Gruppe darstellen.

Es gibt auch Verallgemeinerungen der Gruppentheorie. Eine Herangehensweise ist die Definition der Halbgruppen und Monoide: Für Halbgruppen wird nur die Assoziativität verlangt. Existiert in einer Halbgruppe ein neutrales Element, so spricht man von einem Monoid.

Eine andere Verallgemeinerung stellen die Quasigruppen dar.

Anwendung in der Chemie

Die Koordinaten der Atome der Moleküle in ihrer Gleichgewichtskonformation lassen sich mit Hilfe von Symmetrieoperationen (Spiegelung, Drehung, Inversion, Drehspiegelung) auf sich selbst abbilden. Die Symmetrieoperationen haben die Eigenschaften von Gruppen, die so genannten Punktgruppen. Außerdem kann gezeigt werden, dass die Gruppentheorie auch für die Symmetrie von Funktionen gilt, also auch für Wellenfunktionen in der Quantenmechanik.

Beispielanwendungen aus der Chemie

  • Physikalische Eigenschaften
    • Ein permanentes Dipolmoment können nur Moleküle der Punktgruppen   und   haben
    • Chiralität/optische Aktivität
      • Moleküle, die keine Drehspiegelachse   aufweisen, sind chiral und daher optisch aktiv, z. B. Brom-chlor-iod-methan
      • Moleküle, die eine Spiegelachse haben, sind nicht optisch aktiv, auch wenn sie chirale Zentren enthalten, z. B. Meso-Verbindungen. Chirale Katalysatoren in der enantioselektiven Synthese enthalten oft Liganden mit  -Symmetrie, damit sich definierte Komplexe bilden.

Anwendung in der Physik

In der Quantenmechanik sind Symmetriegruppen als Gruppen von unitären oder antiunitären Operatoren realisiert. Die Eigenvektoren einer maximalen, abelschen Untergruppe dieser Operatoren zeichnet eine physikalisch wichtige Basis aus, die zu Zuständen mit wohldefinierter Energie oder Impuls oder Drehimpuls oder Ladung gehört. Beispielsweise bilden in der Festkörperphysik die Zustände in einem Kristall mit einer fest gewählten Energie einen Darstellungsraum der Symmetriegruppe des Kristalls.

Siehe auch

Literatur

  • Gerd Fischer: Lineare Algebra. Eine Einführung für Studienanfänger. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8348-0428-0.
  • Pavel S. Alexandroff: Einführung in die Gruppentheorie. Deutsch, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-8171-1801-4.
  • Hans Kurzweil, Bernd Stellmacher: Theorie der endlichen Gruppen - eine Einführung. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-60331-X.
  • Thorsten Camps, et al.: Einführung in die kombinatorische und die geometrische Gruppentheorie. Heldermann, Lemgo 2008, ISBN 978-3-88538-119-8.
  • Oleg Bogopolski: Introduction to group theory. European Math. Soc., Zürich 2008, ISBN 978-3-03719-041-8.