Judenchristen

historische jüdische Mehrheit der Urchristen
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Als Judenchristen werden Christen jüdischer Herkunft im Unterschied zu sogenannten Heidenchristen nichtjüdischer Herkunft im Urchristentum des 1. Jahrhunderts bezeichnet. Fast alle Autoren des Neuen Testaments (NT) waren Judenchristen.

In der Kirchengeschichte bezeichnet der Begriff ab dem 2. Jahrhundert Gruppen, die gegen die von Paulus geprägte gesetzesfreie Heidenmission die Einhaltung verschiedener jüdischer Tora-Vorschriften von nichtjüdischen Christen verlangten. Daher galten sie den kirchlichen Theologen damals als Häretiker und wurden ausgegrenzt.

Seit dem 3. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein wurde der Begriff "Judenchristen" fast nur noch für einzelne, mit der Taufe zum Christentum übergetretene Menschen jüdischer Herkunft verwendet. Gerade von ihnen wurde die innere und äußere Abkehr vom Judentum erwartet und erzwungen.

Seit der Aufklärung gab es in Westeuropa vereinzelt Zusammenschlüsse von getauften Juden, die die Judenmission und die Emanzipation der Juden im Rahmen christlich dominierter Gesellschaften als ihre besondere Aufgabe ansahen. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es eigene Gemeinden von Christen jüdischer Herkunft, die jüdische Traditionen im Kontakt mit dem Judentum weiterpflegen möchten.

Als kirchenhistorischer Begriff bezeichnet "Judenchristen" jedoch weiterhin fast nur das Urchristentum des 1. Jahrhunderts bzw. die als häretisch beurteilten Randgruppen des 2. Jahrhunderts. Eine kontinuierliche judenchristliche Tradition hat es weder im Juden- noch im Christentum gegeben.

Urchristentum im ersten Jahrhundert

Das Christentum ging aus dem Judentum hervor und verstand sich anfangs als innerjüdische Reformbewegung. Die ersten Christen glaubten, dass ihnen in Jesus von Nazareth der erwartete jüdische Messias erschienen sei. Sie deuteten seine ganze Sendung daher mithilfe des Tanach (Hebräische Bibel) und fassten sie wie der Evangelist Matthäus auf (Mt 5, 17):

Meint nicht, ich sei gekommen, das Gesetz (die Tora) oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.

Die Apostelgeschichte belegt demgemäß, dass die erste Christengemeinde in Jerusalem jüdische Vorschriften wie den Tempelbesuch (Apg 2, 46; 3, 1) weiterhin befolgte und wohl wie Petrus (Apg 10, 14) und Jakobus (Apg 15, 20f) auch jüdische Speisegesetze und den Sabbat einhielt. Demnach kann man annehmen, dass sie auch die üblichen Opfer im Tempel darbrachte.

Diese Urchristen bildeten jedoch von Anfang an eine besondere Gruppe im Rahmen des palästinischen Judentums, die sich mit der Taufe, der gemeinsamen Mahlfeier, eigenen Hausgottesdiensten und der - wahrscheinlich spontanen und freiwilligen - Gütergemeinschaft als endzeitliche Heilsgemeinde von ihrer Umgebung unterschieden. Sie verkündeten die Christusbotschaft anfangs nahezu ausschließlich für andere Juden (Mt 10, 5f); vereinzelte Taufen von Nichtjuden wurden als große Ausnahme besonders gewürdigt (Apg 10).

Die Apostelgeschichte zeigt aber wie die Paulusbriefe, der Jakobusbrief und andere NT-Dokumente auch, dass schon bald innerhalb und zwischen den christlichen Gemeinden Konflikte um die Heidenmission und die Weitergeltung der Tora für getaufte Heiden auftraten (Apg 6, 1; 10, 45; 11, 3). Dabei standen sich zunächst zwei Gruppen gegenüber:

Die Leiter der Jerusalemer Gemeinde betonten schon durch ihre Zwölfzahl den unauflösbaren Zusammenhang der Christen mit dem Gesamtjudentum. Jakobus, der älteste Bruder Jesu, Simon Petrus und Johannes hatten die Führungsrolle als Missionare und verwalteten Spenden aus anderen Gemeinden, gaben allerdings schon Teilbefugnisse für deren Versorgung ab (Apg 6, 1-6). In der Regel wurden Neugetaufte nicht von den jüdischen Gesetzen entbunden, sondern sollten sich beschneiden lassen (Apg 15, 1): nicht zuletzt um die Stellung der "Heiligen" im Zugriffsbereich der Sadduzäer in Jerusalem nicht zu gefährden.

Andere Judenchristen mit griechischen Namen dagegen, die sogenannten Hellenisten, begannen die Mission unter den sogenannten "Gottesfürchtigen" in der jüdischen Diaspora. Einer von ihnen war Stefanus, der erste christliche Märtyrer. Seine tempel- und gesetzeskritische Missionspredigt (Apg 7) und der Zulauf, den er gewann, lösten offenbar erste Konflikte mit Synagogen aus, die zu einem Religionsprozess mit tödlichem Ausgang führten. Bei seiner Steinigung war der Pharisäer Paulus von Tarsus anwesend (Apg 8, 1): Er lernte die christliche Botschaft in ihrer hellenistischen, vom Tempelkult abgesetzten Form also wohl durch Stefanus kennen. Paulus war es dann vor allem, der nach seiner Bekehrung vorwiegend Nichtjuden missionierte und ihnen die Beschneidung - das Zeichen der Zugehörigkeit zum erwählten Gottesvolk Israel - erließ (Apg 13, 39; Gal 5, 6). Er gründete etwa 10 Jahre lang eigene Gemeinden. Doch auch er erkannte die Jerusalemer Apostel als Autoritäten an, rief zu Spenden für sie auf (Röm 15, 25f) und suchte schließlich ihre Legitimation für seine Völkermission (Gal. 2, 2).

Auf einem Apostelkonzil in Jerusalem (zwischen 42 und 48) versuchten beide Seiten sich zu einigen. Das Ergebnis stellt Lukas (Apg 15, 29) anders dar als Paulus (Gal. 2, 6): Er behauptet, man habe den Nichtjuden die Speisegesetze empfohlen, während Paulus die völlige Freigabe von der Tora betont, dem sein Streit mit Petrus vorausging. Dieser hatte zwar zeitweise auch schon Heiden getauft und die jüdischen Speisegesetze für sie aufgehoben (Apg 10, 15. 34), widersprach Jakobus aber nicht, der alle neugewonnenen Christen darauf verpflichten wollte (Gal 2, 12). Letztlich setzte sich wohl Paulus damit durch, dass den nichtjüdischen Christen nichts auferlegt werden dürfe.

Diese paulinische Position leitete die Trennung des Christentums vom Judentum ein. Dort gewann nach 70 die Richtung der Pharisäer (Rabbiner) eine Führungsrolle. Sie duldeten die Christen anfangs als innerjüdische Sekte und verteidigten sie gegen die Sadduzäer. Die Akzeptanz jüdischer Gruppen, die einem Messiasanwärter folgten, ist auch sonst aus der jüdischen Geschichte bekannt. Erst als sich das Judentum um 100 rekonsolidierte und um 135 den Kanon des Tanach festlegte, wurden die Christen zugleich mit anderen Gruppen ihrerseits als "Häresie" ausgegrenzt.

Der Abgrenzungsprozess

Von christlicher Seite

Nachdem die Einhaltung jüdischer Vorschriften nicht mehr Voraussetzung christlicher Lebensweise war, dominierten zunehmend Heidenchristen die christlichen Gemeinden. Das "Imitieren" jüdischen Verhaltens durch Heiden wurde als unchristlich abgelehnt. Paulus belegte konkurrierende Prediger, die genau dies von den Christen seiner Gemeinden forderten, mit dem ersten Anathema der Kirchengeschichte (Gal 1, 8). Aber er empfahl den vom Evangelium befreiten Christen auch die souveräne Einhaltung der jüdischen Speisegesetze um der Liebe willen, um ihre jüdischen Brüder nicht zu provozieren und die Gemeinde nicht zu spalten (Röm 14, 21).

Teile der Ignatiusbriefe an die Magnesier (8-10) und Philipper (3-4,6,8) weisen darauf hin, dass jüdische Traditionen innerhalb des Christentums um 110 fortbestanden. Ignatius von Antiochien lehnte diese streng ab und beurteilte sie als Abfall vom wahren Christentum.

Im Barnabasbrief (1. oder frühes 2. Jhdt) wird die gesamte jüdische Heilgeschichte als überholt heruntergespielt, so dass man eigentlich entweder nur Jude oder Christ sein kann. Hier begegnet einem die Ersatztheologie, dass die Christenheit das "wahre Israel" gegenüber dem endgültig "verworfenen" Volk Israel sei. Der christologische Glaubenssatz "...und ist in keinem anderen Heil" wird auf die Kirche bezogen; nur durch die Taufe kann ein Jude das ewige Heil erlangen. Dies war bereits der Kern des christlichen Antijudaismus.

Noch bei Justin (Dialog mit dem Juden Tryphon, 2.Jhdt) erkennt man die Haltung, dass sich Judenchristen zwar selber nach jüdischem Gesetz verhalten dürfen, aber niemanden dazu auffordern dürfen, es ihnen gleich zu tun. Er macht dabei aber auch deutlich, dass nicht alle seine christlichen Zeitgenossen so tolerant sind.

Von jüdischer Seite

Schon seit der Judenverfolgungen durch die Diadochen galten die jüdischen Gesetze um Sabbat, Beschneidung und Tempelkult als identity markers der jüdischen Gemeinschaft, also als untrügliches Zeichen der Zugehörigkeit. Dass gerade diese vom Christentum suspendiert wurden, wurde als Irrlehre aufgefasst und verfolgt. Dabei gerieten vor allem Judenchristen ins Fadenkreuz, da diese als Abtrünnige des Glaubens und Verräter des Volkes betrachtet wurden.

Nach der Zerstörung des jüdischen Tempels verlor die tempelorientierte Richtung der Sadduzäer zugunsten der rabbinischen Pharisäer ihre Führungsrolle. (Synode von Jamnia 72 n. Chr.) Die Rabbiner sahen eine strenge Befolgung der jüdischen Tora, wie sie im Talmud ausgelegt wird, als maßgeblich für das Judentum. Die Christen, die vor allem in der Partei der Hellenisten Tempelkritik geäußert haben, wurden indirekt für mitschuldig am Ende des Tempels gehalten, zumal sie dieses Ereignis als Gericht Gottes über Israel wegen der Hinrichtung Jesu interpretierten.

Eine neue Phase kam nach dem gescheiterten jüdischen Aufstand im Jahre 135. Da die Christen auch hier die Waffengemeinschaft mit den jüdischen Kämpfern ablehnten, wurden sie selbst Ziel militärischer Aktionen. Die Judenchristliche Gemeinde in Jerusalem musste fliehen, und verlor vollends ihre Vormachtstellung im Christentum an Rom.

Für die jüdische Seite war in der Zeit der Verbannung aus Jerusalem eine identitätsbewahrende strenge Tradition entscheidend, um das Aufgehen in der Mehrheit zu verhindern.

Daneben wurde im Judentum die christliche Verehrung Jesu als Gott als Widerspruch zum Monotheismus gesehen.

"Judenchristen" im 2. Jahrhundert

Nach dem Ende der Jerusalemer Gemeinde 135 und durch die gegenseitige Abgrenzung trat ein Judenchristentum als selbständige Größe kaum noch in Erscheinung. Aus der maßgebenden Mehrheit war eine unbedeutende und theologisch abgewertete Minderheit geworden. Verstreute Gruppen versuchten aber noch aus verschiedensten Gründen an den verschiedensten Elementen des Judentums gegen die heidenchristliche Mehrheit festzuhalten.

Die "Kirchenväter", die die großkirchliche Lehre maßgeblich formulierten, gaben ihnen Namen wie Nazoräer, Ebioniten (Ebionäer), Elkesaiten, Nazarener und Hebräer und schrieben ihnen eigene Schriften zu, die weithin verschollen sind. Die großen Ketzerstreiter Irenäus, Hegesipp oder Eusebius von Cäsarea erwähnen:

  • ein Nazoräer-Evangelium:

Dieses wird heute meist als aramäische Übersetzung des Matthäusevangeliums, also nicht als häretisch angesehen.

  • ein Ebionäer-Evangelium:

Auch dieses war wohl eine griechische Variante des Matthäusevangeliums, die aber die Geburtsgeschichten (Mt 1-2) wegließ. Grund dafür könnte ein Bestreiten der schon zum Dogma gewordenen "Jungfrauengeburt" sein. Die Ebionäer waren es, die laut Eusebius der Urgemeinde 62 Exil in Pella boten und sie vor dem Untergang im jüdischen Aufstand retteten. Sie weisen auf die Existenz judenchristlicher Gemeinden im Ostjordanland und in Syrien hin.

  • ein Hebräer-Evangelium:

Dieses war ebenfalls griechisch verfasst, nannte den Heiligen Geist "Mutter Jesu" und beschrieb seine Taufe als Entrückung (vgl. Mk 9, 2). Es könnte auf ägyptische Judenchristen verweisen, die aramäisierendes Griechisch sprachen: Gottes Geist (hebr. "ruach Elohim") ist auf Aramäisch und Hebräisch weiblich.

Von diesen Originalquellen existieren nur Fragmente und indirekte Zitate, vor allem in dem

  • Dialog mit Trypho von Justin und den
  • Kerygmata Petrou der Pseudoklementinen:

Dies sind nicht authentische, dem Bischof Clemens von Rom zugeschriebene Schriften. Demnach sahen diese Gruppen Paulus als "Ketzer" und führten sich selbst auf Petrus oder Jakobus zurück. Sie beschrieben das Ergebnis des Apostelkonzils also gegenläufig zu den Briefen der Paulusschule. Deshalb wurden sie von den Kirchenvätern als Häresie abgelehnt.

Bedingte Rückschlüse auf diese Gruppen erlauben jene neutestamentlichen Schriften, deren Autoren eine betont judenchristliche Theologie gegenüber Paulus vertraten: allen voran

Eine Sonderrolle nimmt das Thomasevangelium ein, dessen koptische Version ebenfalls in Ägypten beheimatet war und dessen Ursprünge auf das palästinische Judentum des 1. Jahrhunderts verweisen. Es bezeugt eine eigenständige Weiterentwicklung der Logien-Tradition mit gnostischen Einflüssen, die Jesu Eigenverkündigung, nicht Kreuz und Auferstehung ins Zentrum rückte.

Seit Ferdinand Christian Baur verwenden christliche Kirchen- und Dogmengeschichtler den Begriff "Judenchristentum" oft unterschiedlos für alle diese Gruppen, um sie im Anschluss an Irenäus vom Heidenchristentum abzusetzen. Ihre Herkunft, Größe und ihr Einfluss auf die gesamtkirchliche Entwicklung sind in der historischen Forschung stark umstritten.

Mit Beginn des 3. Jahrhunderts waren all jene Gruppen aus der Kirche ausgeschlossen und existierten allenfalls als Sekten in Randbezirken des Römischen Reichs. Die Erhebung des Christentums zu dessen Staatsreligion (380) vollendete die Trennung nicht nur vom Judentum, sondern auch von judenchristlicher Theologie im Christentum. Von nun an waren Juden, die sich taufen ließen - anfangs die maßgebende Mehrheit - eine seltene Ausnahme. Der Begriff "Judenchristen" bezeichnete nun nur noch einzelne Juden, die mit der Taufe ihr Judentum vollständig aufgaben.

Da die Kirche sich durchgehend als das siegreiche "wahre Israel" gegenüber der unterlegenen "Satanssynagoge" verstand, nahm ihre Judenmission bald den Charakter einer systematischen Judenverfolgung an: In Spanien kam es unter den Goten im 7. Jahrhundert massenhaft zu Zwangstaufen, dann auch zu Pogromen, besonders im Rahmen der Reconquista vom 12. bis 14. Jahrhundert.

Getaufte Juden - von den anderen Christen marranos (Schweine) genannt - hielten häufig trotzdem heimlich an ihren Traditionen fest oder wurden zu den eifrigsten Verfechter der Judenmission. Sie blieben so oder so meist Außenseiter in der Kirche und waren besonderem Misstrauen unter ihren Mitchristen ausgesetzt. Sehr selten gab es dennoch Juden, die sich aus wohl aus echter Überzeugung bekehren ließen: z.B. die Erzbischöfe Julian von Toledo († 690) oder Paul von Burgos (1351-1435).

Martin Luthers später Judenhass trug im Gefolge der Reformation eher zu einer Rückwendung des Judentums in den protestantischen Territorien zum Talmud oder zur mystischen Kabbala bei. Doch gab es nun Judenchristen, die sich die Bekehrung der Juden zur besonderen Aufgabe machten und dazu vor allem die Sprachbarrieren zu überwinden suchten. Dazu übersetzte z.B. Immanuel Tremellius (1510-1580) an der Universität Heidelberg Johannes Calvins Genfer Katechismus von 1536 ins Hebräische.

Mit dem Pietismus gewannen diese Bemühungen neuen Auftrieb: Philipp Jacob Spener (1635-1705) hatte schon als Jugendlicher Hebräisch, Arabisch und Talmudwissenschaften studiert. Er kämpfte nicht nur für eine Erweckung der Kirchen, sondern auch für ein neues Verhältnis zum Judentum. Seit 1666 missionierte er im Frankfurter Judenghetto und hielt die von ihm ausgebildeten Pastoren zu tätiger Liebe für die Juden an; sein Ziel blieb deren Bekehrung.

1650 wurde der sephardische Jude Esdras Edzard (1629-1708) aus dem Elsass unter Speners Einfluss Christ. Nach dem ersten Institutum Judaicum Europas in Straßburg (1650) gründete er nach Speners Vorbild judenchristliche Hausgemeinden in Hamburg und eine „Proselytenanstalt" für Judenchristen, die eine Unterkunft brauchten. Sein Schüler war August Hermann Francke (1663-1727), der spätere Gründer der pietistischen Universität und des Waisenhauses in Halle/Saale.

Im Gefolge der Aufklärung übten dann gerade manche Judenchristen großen Einfluss auf das orthodoxe Luthertum ihrer Länder aus: z.B. Isaac da Costa (1798-1850) und Isaac Capadose (1795-1874) in den Niederlanden, August Neander (1789-1850) und Friedrich Philippi (1809-1882) in Deutschland sowie Carl Caspari (1814-1892) in Norwegen.

In der entstehenden deutschen Diakonie spielte Regine Jolberg (1800-1870), bei den Anglikanern der erste evangelische Bischof in Jerusalem, Michael Salomon Alexander (1799-1845), im Katholizismus z.B. Johann Emmanuel Veith (1787-1876) und Edith Stein (1891-1942) eine hervorragende Rolle.

Diese Einzelfälle änderten aber nichts an der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Juden und Judenchristen in den kirchlich geprägten Gesellschaften Europas. Darauf reagierten einige Zusammenschlüsse mit unterschiedlichen Hintergründen und Zielsetzungen:

  • 1770 entstand analog zu den Freimaurern eine Art Loge von Judenchristen in Amsterdam.
  • Die Herrnhuter Brüdergemeine plante einen judenchristlichen Ableger, zu dem es aber nicht kam.
  • In der Russisch-Orthodoxen Kirche bildete sich eine Gruppe von "Judaisierenden" als Sekte.
  • In Polen trat seit 1755 der Judenchrist Jakob Lejbowicz Frank (1726-1791) als Messias auf und scharte die "Frankisten" um sich, um das am Talmud orientierte Ostjudentum zu bekämpfen.
  • Jechiel Lichtenstein (1831-1912) gründete in Rumänien als Anhänger des Chassidismus einen Kreis von Juden, die das Neue Testament studierten und sich als Mitglieder der Urgemeinde Jesu ansahen, ohne einer Kirche beizutreten.
  • Josef Rabinowitsch (1837-1899) gründete in Kischinew unter dem Eindruck der dortigen Pogrome 1884 eine "Gemeinschaft von Israeliten des Neuen Bundes". Sie war als unabhängiges Sammelbecken zum Schutz in Osteuropa verfolgter Juden gedacht, hielt Sabbat und Beschneidung ein und feierte das Abendmahl als Passahmahl. Er erreichte jedoch keine behördliche Anerkennung, so dass die Bewegung nach seinem Tod zerfiel und nur in Resten bis 1939 fortbestand.
  • Theophil Lucky (1854-1916) versuchte Ähnliches in Galizien: Seine Gruppe hielt sich an die talmudischen Speisegebote, um Juden für Jesus zu gewinnen, und pflegte zugleich Kontakte zu Christen. Er gewann Freunde unter ihnen, aber nicht die gewünschte staatliche Anerkennung als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft.

Neben solchen Einzelinitiativen gab es auch Anläufe zu einer konfessionsübergreifenden Organisierung von Judenchristen:

  • In London gründete sich 1813 der Verein der "Söhne Abrahams" aus getauften Juden, die Mitglieder ihrer Freikirchen blieben, aber sowohl das noch unbekehrte Israel missionieren als auch die Kirchen reformieren wollten.
  • Daraus ging 1925 die Gründung der "International Hebrew Christian Alliance" (IHCA) hervor. Auf ihrer 5. Tagung 1937 in Budapest lehnte die Mehrheit eine eigenständige judenchristliche Kirche ab. In der Folge bildeten sich nationale Ableger in den meisten europäischen Staaten, den USA, Israel, Südafrika und Australien. Sie versuchten Judenchristen in Deutschland 1939-1945 zur Ausreise zu verhelfen. Heute bilden sie Missionare aus und bemühen sich um Verständnis für besondere Belange der Judenchristen, besonders in Israel und der Ökumene.

Eine eigenständige judenchristliche Tradition war schon im Mittelalter nicht mehr gegeben; neue Anläufe seit der Neuzeit unterbrach der Zivilisationsbruch des Holocaust nachhaltig.

Vorbereitet wurde er durch die Gleichschaltungspolitik des Nazi-Regimes, die nicht vor den Kirchen haltmachte. Der vom Staat 1924 verlangte "Arier-Nachweis" betraf alle, auch getaufte Juden und stellte besonders die Evangelische Kirche in Deutschland vor eine Zerreißprobe. Die "Deutschen Christen wollten den "jüdischen Einfluss" auf das Christentum insgesamt beseitigen und dazu eine "judenchristliche Kirche" einrichten. Die Landeskirchen in Thüringen, Sachsen, Mecklenburg, Anhalt und Lübeck schlossen Christen jüdischer Abstammung aus und verboten Judentaufen. Dagegen entstand 1934 die Bekennende Kirche, die illegal Pfarrer ausbildete und versuchte, den ausgeschlossenen Judenchristen seit 1938 mit ihrem "Büro Gruber" entweder zu Nebenstellen oder zur Ausreise zu verhelfen. Auf katholischer Seite tat dies der deutsche Caritas-Verband unter Gertrud Luckner.

Nur einzelne prominente Bischöfe beider Großkirchen traten für die Judenchristen, nicht aber für die übrigen verfolgten Juden ein: z.B. Landesbischof Theophil Wurm auf evangelischer oder Bischof von Galen auf katholischer Seite. Eine entschlossene Opposition gegen die Nürnberger Rassegesetze, die Konzentrationslager und andere Gewaltmaßnahmen des Staates blieb auch von den "Bekennenden Christen" weitgehend aus.

Seit 1945

In der Nachkriegszeit leistete vor allem die First Hebrew Christian Synagogue des Rabbiners Arthur Michelson (Los Angeles, USA) den notleidenden Judenchristen Europas vielfältige Hilfe.

Die ersten deutschen kirchlichen Schuldbekennntnisse schwiegen über den Judenmord und setzten die alte Enterbungslehre fort. Erst ganz allmählich setzte ein theologisches Umdenken auf breiter Front ein; maßgeblich dazu beigetragen hat der jüdisch-christliche Dialog, besonders seit etwa 1965.

Daraus hat sich eine neue Hinwendung zu jüdischen Traditionen ergeben, die auf das Selbstverständnis des Christentums in vielfältiger Weise eingewirkt hat. Die "Verwerfung" Israels als des Volkes Gottes gilt heute in vielen Teilkirchen als Häresie. Damit geht auch das bessere Verständnis der judenchristlichen Traditionen im Neuen Testament einher. So sieht ein wachsender Teil der Neutestamentler und systematischen Theologen in Deutschland heute diese Traditionen nicht nur als historischen Ursprung, sondern auch als bleibende normative Orientierung für die ganze Kirche an. Da im Zentrum des christlichen Glaubens ein Jude steht, der sein Volk zuerst gerettet und so auch den Völkern Heil eröffnet hat, müssten alle Christen sich als "Judenchristen" verstehen. Von der Einsicht dieses "ungekündigten Bundes" (Martin Buber) her wird heute auch die Judenmission teils kompromisslos abgelehnt, teils modifiziert.

Von "Judenchristen" im traditionellen Sinn - Christen jüdischer Herkunft in der frühen Kirche bzw. zum Christentum übergetretenen einzelnen Juden - sind die sogenannten "Messianischen Juden" zu unterscheiden: Hier handelt es sich um heterogene Gemeinschaften von Juden, die Jesus Christus als den Messias Israels anerkennen und zugleich ihre jüdische Tradition beibehalten. Ihre Vorläufer sind jene Gruppen, die im 19. Jahrhundert vor allem unter russischen oder polnischen Juden entstanden sind und Talmud-Vorschriften bewahrten. Sie bilden seit etwa 25 Jahren vermehrt auch in Europa Gemeinden: häufig unterstützt von christlichen Gruppen des evangelikalen und charismatischen Spektrums, die eine umstrittene Judenmission unter Emigranten betreiben.

Schon 1935 gründete Abram Poljak (1900-1963) die "Judenchristliche Union" in Jerusalem, die sich 1950 erfolglos als "Union der Messianischen Juden" zu etablieren versuchte. Der Zusammenschluss weckte Befürchtungen einer "Unterwanderung" des Judentums wie auch einer Ausgrenzung der in Israel lebenden arabischen Christen bei den Kirchen. In Europa vertrat Poljak danach eine Art eschatologischen Zionismus, der den Staat Israel als Zeichen der nahen Endzeit und Heimstatt für alle Juden zu verkünden suchte, aber auch unter europäischen Judenchristen überwiegend auf Ablehnung stieß.

In den 60er Jahren entstanden unter der akademischen Jugend in den USA zahlreiche liberale judenchristliche Gruppen ohne festgelegte Formen und Normen ("Jews for Jesus"). Eine wirkliche Heimat haben diese Gruppen vielfach weder in den Kirchen noch im Judentum gefunden. Die Frage eines eigenständigen Judenchristentums ist damit weiter offen. Ein Versuch einer gültigen Ortsbestimmung könnten die 1956 in Bossey ausgearbeiteten Thesen der IHCA sein:

"Der aus dem Judentum kommende Christ dient der Kirche als ein ständiger Hinweis auf die Treue Gottes zu den Verheißungen seines Bundes, und er dient dem jüdischen Volk als lebendiger Hinweis auf die Rettung, die Gottes allmächtige Kraft durch Jesus Christus bewirkt."

Siehe auch

Literatur

  • Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums. Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3525513542
  • F. Maier-Leonhard, Artikel Judenchristentum. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Mohr-Siebeck, Tübingen 1959, S. 967-976