Psychoanalyse
Die Psychoanalyse ist ein mehrschichtiges System von Theorien, bei dem es um Auswirkungen unbewusster psychischer Abläufe auf das Fühlen, Denken und Handeln von Menschen geht. Gegenstand psychoanalytischer Untersuchungen sind daneben Phänomene der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung.
Freud
Die Psychoanalyse wurde von Sigmund Freud zu Beginn des 20. Jahrhunderts als erste umfassende Theorie des Unbewussten (Begriff bei Mach u.a. verwendet, schon Johann Christian Reil, Carl Gustav Carus, Eduard von Hartmann, Friedrich Wilhelm Hagen; erste dt. Wortverwendung durch Goethes Gedicht An den Mond 1777) entwickelt und geht davon aus, dass die Persönlichkeit aus drei Teilen besteht: dem Es, dem Ich und dem Über-Ich. Freud untersuchte Fehlleistungen und auch Überlieferungen wie Mythen, Märchen, Witze, Bräuche und populäre Glaubensformen für deren Herausbildung er annahm, dass ubiquitäre psychische Funktionsweisen bei allen Menschen wirksam wären. Dazu Jung, Szondi u.a.m. über Theorien der Bildung und Aufteilung des Unbewussten. Die Funktionsweise psychischer Vorgänge leitete er hauptsächlich aus dem Traum ab, den er als imaginäre Wunscherfüllung verdrängter Kindheitsträume auffasste. Als Zugang zum Unterbewussten wird die Traumdeutung und das Studium von Fehlleistungen empfohlen.
Die Psychoanalyse hat - wie die meisten "weichen" Wissenschaften - mit dem Problem des Subjektiven zu kämpfen: mehrere Schulen vertreten verschiedene Auffassungen auch zu fundamentalen Größen. Und dort, wo allgemeine Erkenntnisse entstanden sind, lassen sie sich nicht ohne weiteres auf das Individuum übertragen; dort, wo das Individuum mehr oder weniger vollständig verstanden ist, lassen sich die Erkenntnisse nicht verallgemeinern.
Freuds Vorgehensweise aber auch die anderer Psychoanalytiker bei der Entwicklung der Psychoanalyse wurde von anderen Wissenschaftlern vielfach kritisiert, weil er wissenschaftliche Standards nicht einhielt, die im Zuge der Entwicklung der Wissenschaften allgemeine Anerkennung gefunden hatten. Stellvertretend für viele kritische Stimmen mag diese hier zitiert werden:
- Freud hatte - wie die meisten PsychoanalytikerInnen - in der Tat eine ganz seltsame und völlig abwegige Auffassung von Wissenschaft: sie verwechselten Ideen, Assoziationen und Phantasien, die ihr Geist zu einem Thema produzierte und mit dem die Wissenschaft anfängt mit dem Ende der Wissenschaft. Sie erkannten nicht, daß die Wissenschaft damit zwar anfängt, dann aber kommt die harte Arbeit des Daten Sammelns, Belege Suchens, Experimente, Untersuchungen und empirische Erhebungen Durchführens, des faktischen und schlüssigen Zeigens und Beweisens, der Evaluation. (Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie)
Siehe auch: Anale Phase
Zitat
- An der Psychoanalyse ist nichts wahr als ihre Übertreibungen.
- Theodor W. Adorno (Minima Moralia)
Weitere Vertreter der Psychoanalyse
- Michael Balint
- Bruno Bettelheim
- Helene Deutsch
- Erik Erikson
- Paul Federn
- Anna Freud
- Karen Horney
- Otto F. Kernberg
- Melanie Klein
- Erich Kohut
- Jacques Lacan
- Margaret S. Mahler
- Alexander Mitscherlich
- Otto Weininger
- Horst Eberhart Richter
- Christa Rohde-Dachser
- Joseph Sandler
- Vamik Volkan
- Donald W. Winnicott
- Slavoj Žižek und andere
Alfred Adler und Carl Gustav Jung, beide zunächst Mitglieder des Kreises um Sigmund Freud, vertraten bald Meinungen, die zur Bildung eigener Schulen führten. Ersterer begründete die Individualpsychologie, letzterer die analytische Psychologie. Wilhelm Reich, der später in Amerika teilweise großen Einfluss auf Psychotherapeuten wie Ronald D. Laing, Alexander Lowen und Fritz Perls ausübte, wurde 1934 aus der Internationalen Psychoanalytischen Gesellschaft ausgeschlossen.
Gegner
Die Psychoanalyse begegnete von Anfang an zahlreicher Kritik. Insbesondere die akademische Psychologie weigerte sich teilweise bis heute die Psychoanalyse in ihr System zu integrieren, wenngleich einige prominente Psychoanalytiker aus dem universitären Bereich stammen, wie Christa Rohde-Dachser. Daneben gab es im Nationalsozialismus wie auch im realexistierenden Sozialismus des Marxismus-Leninismus eine politisch motivierte Ablehnung des psychoanalytischen Lehrgebäudes, in NS-Deutschland bezog man sich hierbei auf Alfred Hoche.
Bedeutung
Die Psychoanalyse hat Kunst wie Wissenschaft massiv beeinflusst, wohl weniger die Psychologie unmittelbar selbst als vielmehr andere Geistes- und Sozialwissenschaften wie Soziologie, Pädagogik, Literaturwissenschaft oder die Theater- und Filmwissenschaft.
Film und Psychoanalyse
Freud als Begründer der Psychoanalyse lehnte es selbst ab, an der Produktion eines Filmes über dieses Thema teilzunehmen. Für ihn war das Medium Film minderwertig in dem Sinne, dass es nur eine Simulation darstellt. Dennoch ist gerade die Verbindung zwischen Traum und Film offensichtlich. Psychanalytiker wie auch Filmtheoretiker weisen darauf hin, dass es große Ähnlichkeiten zwischen dem Traumzustand und dem Zustand des Film-Schauens gibt. Diese manifestieren sich vor allem durch
- die Flüchtigkeit der Bilder
- den Dämmerzustand sowohl des Schlafens als auch im Kinosaal
- die assoziativen Verknüpfungen der Bilder bzw. Szenen
- die Rolle des Träumenden/Schauenden als Beobachter, der nicht eingreifen kann
Wenn man die Methoden der Psychoanalyse auf den Film anwenden will, so wird der Film gewissermaßen zum Klienten bzw. Patienten; es gilt also, die verschiedenen Ebenen der Bilder, die der Film zeigt, zu durchdringen. Dabei ist es wichtig, nicht den Drehbuchschreiber oder den Regisseur als zu analysierendes Objekt zu sehen, da man nicht davon ausgehen kann, dass die Filmbilder auch dessen Traumbildern entsprechen - egal, wie autobiographisch der Film ist. Vielmehr soll es darum gehen, die Wirkungsweise des Films auf den Zuschauer zu analysieren, die verwendeten Mittel wie Licht, Musik, Bewegung, Großaufnahmen etc. daraufhin zu untersuchen, was sie beim Publikum auslösen und inwiefern sie die Freudschen Urfantasien erfüllen. Dabei spielen Vorgänge wie Identifikation und das unbewusste Verarbeiten ödipaler oder narzisstischer Strukturen eine große Rolle. Vor allem Linda Williams geht davon aus, dass Filme nur dann erfolgreich sind, wenn sie die Urfantasien ansprechen, da der Zuschauer dadurch den Film tatsächlich miterlebt und unbewusst auf sich selbst beziehen kann. Maßgeblich ist bei der psychoanalytischen Filmtheorie, dass scheinbar unwichtige oder nebensächliche Details eine weitaus größere Wirkung auf die Psyche des Zuschauers haben, als dieser bewusst erfassen kann. Wichtige Vertreter dieser Filmtheorie sind Mechthild Zeul, Christian Metz, Teresa de Lauretis und Mary Ann Douane. Gemeinhin stützt sich die psychoanalytische Filmtheorie auf die Theorien von Jacques Lacan, da auch in diesem Gebiet Freud mittlerweile z.T. als überholt gilt.
Literatur
- Ellenberger, H. F. (dt. 1973). Die Entdeckung des Unbewußten. 2 Bde. Bern: Huber.
- De Lauretis, Teresa: Alice doesn't. Feminism, Semiotics, Cinema. Bloomington, Indiana University Press 1984
- Metz, Christian: Der fiktionale Film und sein Zuschauer. Eine mtapsychologische Untersuchung. In: Psyche 11, 48. Jahrgang, November 1994, Stuttgart (Klett-Cota). S. 1004-1046
- Mitscherlich, Alexander: Versuch, die Welt besser zu bestehen. Fünf Pladoyers in Sachen Psychoanalyse. Frankfurt a. M. , suhrkamp 1970. (Bibliothek Suhrkamp, Band 246)
- Williams, Linda: Filmkörper. Geschlecht und Genre. In: Feminismus und Medien, Bern 1991. S. 249-278
- Zeul, Mechthild: Bilder des Unbewussten. Zur Geschichte der psychoanalytischen Filmtheorie. In: Psyche 11, 48. Jahrgang, November 1994, Stuttgart (Klett-Cota). S. 975-1003
- Zimmer, Dieter: Tiefenschwindel. Die endlose und die beendbare Psychoanalyse. Reinbek bei Hamburg 1995 (1986).
Ein kritisches Buch zum Thema Psychoanalyse
Weblinks
- Seiten des Sigmund Freud Museums in Wien
- Skeptische Sicht auf die Psychoanalyse
- Persönlichkeitsveränderung durch Langzeittherapie
- http://www.sgipt.org/th_schul/pa/pak_ueb0.htm - Überblick zur PA-Kritk
- http://www.sgipt.org/gipt/ubw/carus.htm - Textauszug aus C.G. Carus zum Unbewußten
- http://www.sgipt.org/galerie/goethe_1.htm - Goethes Gedicht An den Mond
(erste dt. Verwendung des Wortes 'unbewußt' 1777)