Benutzer Diskussion:Bibhistor/Überlieferungsgeschichte der Wissenschaften
Anfang
wow!!!!!! gute arbeit!!!!
Die Rolle von Byzanz und des spanischen Islam
Hallo Bibhistor: Zwei Überlieferungsstränge gehörten sicher noch in diese Thematik: die Rolle des muslimischen Spanien sowie die Überlieferung via Byzanz. Erstere scheint unbestritten. Letztere wird immer wieder erwähnt, besonders im Zusammenhang mit dem Fall von Byzanz 1453. Aber ich frage mich, warum die Büchervernichtung in den öströmischen Provinzen geringer als im Westen gewesen sein soll.--Homo Bonae Voluntatis 01:43, 8. Mai 2009 (CEST)
Spanien habe ich nun in einem Nebensatz erwähnt. Der von dort kommende Aristoteles spielte aber nur eine geringe Rolle beim Auslösen der Renaissance. Die Machtverhältnisse nach 1350 waren entscheidend. Das Auftauchen der Griechen nach 1450 hatte weniger mit dem Fall von Byzanz zu tun. Wesentlich waren vor allem bessere Kenntnisse der griechischen Sprache im Westen und der Verbreitung von Übersetzungen durch den Buchdruck. Im Osten hat etwa von der Grössenordnung der gleiche Anteil überlebt wie im Westen. Auch wenn es vielleicht das dreifache war. -- Bibhistor 21:23, 9. Mai 2009 (CEST)
- Du hast ganz Recht: auch wenn die lateinischen Christen Einiges vom islamischen Hispanien übernahmen, so führte diese Übernahme noch zu keiner Wiederaufnahme wissenschaftlicher Forschung. In der Regel erkannte man - spät genug - den praktischen Nutzen vieler wissenschaftlich-technischer Errungenschaften.
- Anders Byzanz. Wiederum vernehme ich dankbar Deine konkreten Daten (prozentualer Anteil gleich, aber immer noch dreimal mehr als im Westen). Es bleibt die Frage: woher kamen die griechischen Handschriften? Und wer lehrte die Humanisten das Griechische? Die allgemeine Theorie behauptet, es seien byzantinische Gelehrte gewesen, die auch von Sizilien kommend diese Arbeit übernahmen und dabei allerdings auch viele Codizes mitbrachten. Was meinst Du dazu?
- Ein letzter Punkt. Du beziehst Dich gelegentlich auf Arbeiten, die Du zwecks Publikation außerhalb der Wikipedia anfertigst. Ich wäre sehr an Deinen Arbeiten interessiert, sehe aber momentan nicht, wie ich zu diesen Publikationen Zugang finden kann, ohne dass Du dabei Deine Anonymität kompromittierst. Vielleicht hast Du ja eine Idee. Ok, das war's für jetzt.--Homo Bonae Voluntatis 17:31, 10. Mai 2009 (CEST)
- woher kamen die griechischen Handschriften?
Ich vermute aus einer Bibliothek der "Früh-Inquisition" (die es nach der heute üblichen Geschichtsschreibung nicht gab) wo Funde nach 470 gelagert wurden. Allerdings bin ich hier weniger gut informiert als im Westen. Die Vermutung mit den Gelehrten und Büchern aus Byzanz könnte stimmen.
Was die andere Frage angeht, da sehe ich auch nach einem Tag nachdenken keine Lösung. Aber auch nicht wirklich viel Bedarf. Denn das meiste ist sehr spezifisch und für spezielle Empfänger geschrieben. Von Kindern bis zum Emeritus. Dieser Artikel hier ist ungewöhnlich breit. Ich schrieb ihn weil ich sah, dass die Quellen darin heute offenbar vergessen sind. Er bassiert etwas auf einem älteren Konzept für ein Curriculum. Dies wurde nie umgesetzt und hätte heute wohl noch weniger Chancen ein OK zu bekommen. -- Bibhistor 16:45, 11. Mai 2009 (CEST)
- Ein solches Archiv der verbotenen Bücher. Wäre das auch eine mögliche Erklärung im Westen? Hätten die karolingischen Kopierer darauf zurückgreifen können? Ich habe mittlerweile alle Deine Arbeiten (Bücherverlust; C.L.A.; Überlieferungsgeschichte Wissenschaften) schön säuberlich gespeichert und werde sie mir demnächst ausdrucken und binden lassen. (Du siehst, Deine Arbeit ist nicht umsonst). Allein, diese eine Antwort schuldest Du „der Welt“ noch: was hat es mit der Überlieferungsgrundlage der sogenannten karolingischen Renaissance Deiner Meinung nach für eine Bewandtnis?--Homo Bonae Voluntatis 17:54, 12. Mai 2009 (CEST)
Vor dem Ausdruck warte noch. Ich will noch ein wenig verbessern, hinzufügen.
Zum Fundort der Karolinger hofften manche schon auf eine ähnliche Erklärung. Aber es gibt andere Hinweise, die wohl unbewusst oder absichtlich selten erwähnt werden. Ich habe schon nachgedacht darüber zu schreiben. Aber die Reaktion auf meinen ersten Artikel war ungewöhnlich deutlich. Die Leute die da löschten waren offenbar sehr verstört von dem Text. Er verletzte ihre Gefühle. Auch wenn etwas noch so gut belegt und zitiert ist, es kann dann einfach in WP gelöscht werden. An Begründungen ist dann kein Mangel.
Würde ich deinen Wunsch erfüllen, so das man es inhaltlich nicht einfach abtun kann, wahrscheinlch würde man dann alles hier von mir löschen. Das mag es bei WP noch nie gegeben haben. Ich könnte mir das aber sogar als Ergebnis einer demokratischen Abstimmung vorstellen. Weder möchte ich das riskieren, noch die Leute so verletzen um sie dazu zu bringen. -- Bibhistor 21:43, 13. Mai 2009 (CEST)
- Ok, ich stelle den Ausdruck dann vorläufig auf standby. Was die Karolingerfrage angeht, verstehe ich voll. Vielleicht könntest Du mir ja über meine E-Mail-Adresse zwar nicht einen richtigen Artikel zumailen, aber doch den Grundgedanken, und mir einige Lektüretipps geben etc.
- Norman Cantors "Inventing the Middle Ages ..." z.B.: seit längerer Zeit dachte ich mir immer wieder, eine „Geschichte über die Geschichtswissenschaft“ bzw. eine Abhandlung über dieselbe und - vor allem - ihre Vertreter muss erst noch geschrieben werden. Dieses Buch wurde also schon geschrieben und ist bereits unterwegs :-)))
- Eine Frage: Wenn Du sagst, der Zeitraum von etwa 600 v.Chr. bis 1800 n.Chr. sei praktisch ausschließlich durch christliche Geschichtsschreiber behandelt worden, da fiel mir ein: wir haben aber doch auch Herodot, Livius u.a. Vielleicht ist Dein Urteil zu krass?
- Zu Herodot: habe gerade mal in der Wikipedia den Namen aufgerufen und dort steht gleich zu Anfang: „Er wurde von Cicero (De leg. 1,5) zugleich als „Vater der Geschichtsschreibung“ (lat. pater historiae) und als Erzähler „zahlloser Geschichten“ (lat. innumerabiles fabulae) bezeichnet. Sein einziges erhaltenes Werk [sic!] sind die neun Bücher umfassenden Historien, die in Form einer Universalgeschichte die Kriege der Griechen mit den Persern im 5. Jahrhundert vor Christus schildern.“
- Und hier habe ich ein Anliegen und zugleich einen Vorschlag, wo Du noch vervollständigen kannst: konkrete Zahlen, was wir alles NICHT haben. Wie hier zu Herodot. Du erwähnst mehr en passant Demokrit, Lukrez, Epikur, die ionischen Wissenschaftler. Aber ich (und sicher nicht nur!) hätte gerne mehr, denn dies sind ungemein wichtige Daten! Vielleicht ist Dir der Wert mancher Deiner Kenntnisse gar nicht zureichend bewusst. Wo kann man denn solche elementaren Zahlen etwa konsultieren? Systematisch doch auf jeden Fall nirgendwo! Also, ran an die Arbeit. Es sind ja nur ein paar Zeilen. Du hast sicher nicht alle Daten, aber jeder Name zählt.
- Da Du die Artikel nun noch etwas ausfeilst: mir ist ein Satz aufgefallen: Du schreibst, die Vernichtung antiker Literatur sei um 470 A.D. praktisch abgeschlossen gewesen. Hast Du diese Zahl irgendwo näher begründet? Ich habe den Artikel vor längerer Zeit gelesen und vielleicht die betreffenden Ausführungen überlesen, vergessen. Andernfalls böte sich hier eine kleine Ergänzung an.--Homo Bonae Voluntatis 22:29, 13. Mai 2009 (CEST)
- Wenn Du sagst, der Zeitraum von etwa 600 v.Chr. bis 1800 n.Chr. sei praktisch ausschließlich durch christliche Geschichtsschreiber behandelt worden, da fiel mir ein: wir haben aber doch auch Herodot, Livius u.a.
Oh, ist wohl ein Missverständnis. Vor ca. 100 AD gab es keine christlichen Schreiber im eigentlichen heutigen Sinn. Du kannst dich auf Herodot und Livius sicher verlassen! Ich meinte die heutigen. Ich schrieb ja nur:
- Heute scheint mir, für die Zeit von 1800 AD bis 600 BC ist wesentlich die Kirche verantwortlich. Ich kenne etwa keinen Film über die Römer der nicht von christlichen Vorurteilen wesentlich geprägt ist.
Was die Zahlen der bekannten, nicht überlieferten angeht. Da kenne ich nur Gerstinger. In seinem Nachlass sollte sich noch mehr dazu finden. Es gibt kein umfassendes Werk darüber. Ich hätte gerne eines. Allerdings gibt es inzwischen wohl Datenbanken, die ein solches gut erstellen könnten. Was ich aber sagen kann, der gesammte fremdsprachige (Babylon, Indien, Arabien...) Teil der Bibliothek von Alexandria ging verloren. Unsere Bibel (AT Septuaginta) beruht auf einer Übersetzung dieser "Fremdsprachen" Abteilung dort. Ziel war die Sammlung der wichtigsten Geschichteswerke (und wohl auch anderen Wissens) fremder Völker und ihre Übersetzung. Dazu: Edward A. Parsons, The Alexandrian library. Glory of the Hellenic world. Its rise, antiquities, and destructions, 1952.
- Vernichtung antiker Literatur sei um 470 A.D. praktisch abgeschlossen
Wegen der Vernichtung der letzten grossen Bibliothek der Antike, Konstantinopel, durch Feuer um diese Zeit. Ich gehe von gewollter Vernichtung aus. Das hätte man wohl nicht getan wenn die Palatina in Rom noch existiert hätte. Man hätte sonst die Gefahr riskiert von Rom kulturell abhängig oder überrundet zu werden. Das Beispiel des Horapollon zeigte, dass der Wert um 470 auch für Alexandria galt. -- Bibhistor 21:33, 14. Mai 2009 (CEST)
Farringtons "Greek Science"
Hallo: Farringtons Interpretation Platons und sein ganzer Ansatz machen mich sehr neugierig und ich werde wohl morgen den obenstehenden Titel bestellen. Alexander Rüstow rechnet in seinem großartigen dreibändigen Lebenswerk "Ortsbestimmung der Gegenwart" auf ähnliche Weise und äußerst kritisch mit Platon und Sokrates ab. Sokrates' geradezu monomanische Wahrheitsliebe sei ihrem Wesen nach rein nihilistisch gewesen. Durch seine Sophistik habe er alle bestehenden Wertvorstellungen einschließlich des damals bereits stark angegriffenen politischen Systems - die Demokratie - der Lächerlichkeit preisgegeben. Dadurch habe er faktisch auf politisch völlig verantwortungslose Weise als eine Art trojanisches Pferd (die Metapher hier stammt von mir) innerhalb der Mauern Athens gewirkt und der aristokratischen Reaktion, deren Vertreter Platon, auf das Wirkungsvollste zugearbeitet. Ferner zeichnet Rüstow einen ganz ähnlichen Gegensatz zwischen ionischer Wissenschaft und Platons orientalisch, "indisch" geprägter Erlösungsphilosophie bzw. Theologie. In Deinem Artikel zitierst Du aus Farrington genaue Zahlenangaben der Autoren und Werke, die wir NICHT haben: Demokrit, ionische Wissenschaftler, Epikur, Lukrez. Das ist sehr lehrreich. Bringt Farrington in dem zitierten Werk noch mehr diesbezügliche Zahlen? Und ja: äußerst nachdenklich sollte stimmen, wie viel Platon im christlichen Mittelalter überliefert, wie viel zugelassen wurde!--Homo Bonae Voluntatis 02:32, 8. Mai 2009 (CEST)
Ich habe Sokrates absichtlich nicht erwähnt. Es war nicht unbedingt notwendig. Bedenke bitte, dass die deutlichen Worte zu Platon manchen Leser hier auch verletzen könnten. Das ist nicht Sinn der Sache hier, es soll nur jüngere vor Irrtümern bewahren. Gerade weil manche, wie etwas Watts, schon hereingefallen sind.
Die Überlieferungsstatistik ist wenig von Farrington, mehr verschiedene Quellen, wie angegeben. Sowas sammelt man nur mit der Zeit. Denn es wird in Fachbüchern meist nur ungern erwähnt. -- Bibhistor 21:23, 9. Mai 2009 (CEST)
- Und doch sind gerade solche konkreten Zahlenangaben außerordentlich aussagekräftig.
- Du schreibst lapidar: "Denn es wird in Fachbüchern meist nur ungern erwähnt." Damit sprichst Du eine Frage an, die mich schon einige Zeit beschäftigt, von der ich sozusagen nicht loskomme. Denn ich vertraute bis vor kurzem dem wissenschaftlichen Konsens, den Karl Jaspers aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Wissenschaftler zuversichtlich meinte, voraussetzen zu können. Wenigstens bei sogenannten „harten“ Wissenschaften, zu denen man die Geschichtswissenschaft doch zählen darf. Der vielleicht in der Tat praktisch universalmenschliche Verstand, unter dessen kritischem Blick sich jeder wissenschaftliche Beitrag im Forum der wissenschaftlichen Gemeinschaft bewähren muss. Aber ich entnehme Deinen Äußerungen, das Du reichlich Gelegenheit hattest, zu sehen, wie im Bereich christlicher Religionsgeschichte die als maßgeblich geltenden „Koryphäen“ und in ihrem Gefolge der universitäre Mainstream beharrlich an den haarsträubensten Geschichtsmythen festhält. Man debattiert gerne und hitzig über Nichtigkeiten. Den Historikerstreit zähle ich als Sturm im Wasserglas dazu. Aber die wirklich heißen Eisen im vorliegenden Forschungsbereich packt niemand an. Anstatt dessen weicht man aus, schweigt oder versucht bestenfalls, Autoren wie Karlheinz Deschner zum Beispiel persönlich - ad hominem - anzugreifen und zu diskreditieren.
- Es scheint also, als funktioniere der Prozess einer selbstregulierenden Wahrheitsfilterung des wissenschaftlichen Betriebes nur dann, wenn die Mitglieder dieses Forums gewisse Regeln einhalten, namentlich den auf Wahrheitsfindung gerichteten Willen, den man gewöhnlich als intellektuelle Rechtschaffenheit bezeichnet. Wird dieser durch Einmischung forschungsfremder Motive behindert oder korrumpiert, da hört der Forschungsstand auf, verbindlich zu sein. Doch ohne verbindlichen Forschungsstand gibt es keine Orientierungspunkte mehr, auf denen man als Nichtfachmann aufbauen kann. Und ab einer bestimmten Grenze wird jeder von uns zum Nichtfachmann. Doch auch die eigenen Theorien verlieren an Zuverlässigkeit, insofern keine echte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kollegen mehr stattfinden kann, die eigenen Theorien der intersubjektiven Überprüfung und Kritik ausgesetzt werden. Man darf hier wohl ohne Übertreibung vom Ende der Wissenschaft als gesellschaftlichem Korrektiv sprechen. Wer diesen Sachverhalt durchschaut, ist dabei noch relativ gut dran. Das größte Verhängnis liegt aber im Vertrauen, das die breite Mehrheit jenen Autoritäten, jenem Forschungsstand und Mainstream weiterhin entgegenbringt. Fortan regiert Verschleierung und Lüge.
- Wodurch wird wahre Wissenschaftlichkeit im vorliegenden Forschungsbereich aber außer Kraft gesetzt? Ich zähle die folgenden Gründe auf. Sie mögen das Phänomen hinreichend erklären, aber die Sache ist für mich trotzdem noch nicht abgetan. Es ist einfach zu ungeheuerlich.
- Als ersten Grund mag man bewusstes Lügen heranziehen. Die Chronisten und Autoren vieler Quellen schrieben bewusst im Sinne der Kirche.
- Auch kennen wir die „heilige Lüge“, von der man mitunter mit den besten Absichten glaubt, Gebrauch machen zu dürfen.
- Viele maßgebliche Historiker und Experten waren gerade auch im 19. Jahrhundert zugleich Mitglieder des Klerus. Betrachtet man ihre Darstellungen, wie sie Deschner wunderbar zitierend vorführt, dann muss in vielen Fällen nicht von Irrtum, sondern von absichtlicher Verdrehung der Tatsachen ausgegangen werden.
- Dann gibt es die Gruppe gläubiger Christen, die wohl das Grauenvolle sehen, sich aber verpflichtet fühlen, durch ihr Schweigen Schaden von der Kirche abzuwenden.
- Einer wünschenswerten Deutlichkeit abträglich sind ferner gewisse methodologische Dogmen. Jede irgendwie ideologisch orientierte Forschung - auch ein humanistisches Interesse - widerspreche der geforderten Objektivität. Man dürfe überdies vergangene Epochen nicht ethisch werten. Durch solche Postulate übergeht man kühl das ganze menschliche Elend, das doch gerade den eigentlichen Skandal ausmacht. Ferner die noch bis in die 80-er Jahre absolut vorherrschende Tendenz, nicht die Schicksale der kleinen Leute zu untersuchen, sondern den großen Linien der Machtpolitik nachzugehen, den großen Feldherren, ihren Kriegen, im Grunde weiterhin eine Art von Hofberichterstattung der Sieger zu betreiben, die ja nach dem bis heute noch bewunderten Hegel in der Tat nichts weniger als den Marsch des höchsten Weltgeistes beschreiben.
- Dann die direkte Einflussnahme der Kirchen und ihrer Funktionäre auf Fakultäten, Bildungspolitik, Presse, Rundfunk und Medien allgemein, auf die ich erst kürzlich aufmerksam wurde und die ganz offensichtlich auch heute ungeheuer mächtig ist.
- Viele Christen empfinden es aber auch ohne Anweisung von oben als ihre Pflicht, missgünstigen Darstellungen entgegen zu treten.
- Und schließlich ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist: Forscher sind oft zugleich Christen, und wenn die ggf. im Rahmen ihrer Forschung vorgefundene Realitäten ihren Glauben aufs Spiel setzen und dieser ihnen lieb ist, dann gilt: man kann nicht zwei Herren dienen, der Religion und der Vernunft. Ein sehr treffender Aphorismus eines gewissen Richard Robinson lautet: „Der Hauptwiderspruch zwischen Religion und Vernunft besteht darin, dass die Religion den Trost der Wahrheit vorzieht.“ Es ist in diesem Fall der einzelne Forscher selbst, der die Wahrheit dem Selbstbetrug opfert, und da man Vieles, - vielleicht das Meiste - letztlich so und auch wieder anders sehen kann, sich für alles Gründe finden lassen, so man bw. die „Dinge aus ihrer Zeit heraus verstehen muss“ etc., vollzieht sich die Korrumpierung des wissenschaftlichen Betriebes im Wesen des einzelnen Forschers.
- Noch ein letztes Wort zu Deinem „Scheitern“ im Kreuzfeuer der wikipedianischen Angriffe. Popper schreibt in seinem Aufsatz „The Myth of the Framework“: „Many participants in a rational, that is, a critical, discussion find it particularly difficult that thery have to unlearn what their instincts seem to teach them [...]: that is, to win. For what they have to learn is that victory in a debate is nothing, while even the slightest clarification of one's problem - even the smallest contribution made towards a clearer understanding of one's own position or that of one's opponent- is a great success.“
- Es bedarf eines ganz spezifischen Typus, der in der Lage ist, diese Maxime Poppers zu leben und sich trotzdem in der Arena öffentlicher Auseinandersetzung durchzusetzen, wo gewöhnlich nur angegriffen, nie hingehört wird. Es ist, als werde ein Fußballspiel ständig nur auf unserer Hälfte, auf unser Tor gespielt. Rominator scheint diese Fähigkeit zu besitzen. Auch ist meiner Erfahrung nach „Zorn und Eifer“ der Erkenntnis fast immer abträglich. Die einzige Ausnahme, die ich kenne, sind Figuren wie Deschner, Voltaire oder Nietzsche. Schließlich gehöre ich ganz klar und immer mehr zu der Art von Dialogpartner, den Popper oben preist: ich stelle vor allem Fragen, fühle mich wenig berufen, Antworten zu liefern. Dies aber ist in einem öffentlichen Streitgespräch absolut fehl am Platze. Deshalb nehmen die wirklich seriösen Geister und durchaus großen Denker (auch Jaspers) von öffentlichen Auftritten recht bald Abstand. Ach wie selten jene Gesprächtspartner, die nicht voreilig unterbrechen, sondern uns selber sogar ggf. noch helfen, unsere Posiion und Argumentation erst einmal ordentlich auf die Beine zu stellen. Zu begreifen, was der andere meint, sagen will, anstatt sofort über „Worte zu streiten.“
- Nun gut, ich hoffe, ich habe Dich nicht mit diesem recht langen Exkurs gelangweilt. Er tut Deinem schönen Artikel nichts zur Sache, aber ich dachte, diese Thematik schwelt gewissermaßen omnipräsent in der vorliegenden Thematik.--Homo Bonae Voluntatis 02:23, 10. Mai 2009 (CEST)
- bei sogenannten „harten“ Wissenschaften, zu denen man die Geschichtswissenschaft doch zählen darf
Also die Zeitgeschichte (letzte 100 Jahre) war es sicher nicht und kann es auch nur schwer ein. Denn sie hat direkt staatstragende Funktionen zu erfüllen. Sie soll den Politikern helfen, nicht ihnen Probleme machen. Von ähnlichen Interessen bei Antike und MA erfährt man natürlich seltener. Aber Norman Cantor beschreibt es sehr gut in seinem "Inventing the Middle Ages". Eine Insider Geschichte der Mediävistik des 20. Jh.. Heute scheint mir, für die Zeit von 1800 AD bis 600 BC ist wesentlich die Kirche verantwortlich. Ich kenne etwa keinen Film über die Römer der nicht von christlichen Vorurteilen wesentlich geprägt ist.
- Doch ohne verbindlichen Forschungsstand gibt es keine Orientierungspunkte mehr, auf denen man als Nichtfachmann aufbauen kann.
Das ist aber auch so gewollt.
- Und ab einer bestimmten Grenze wird jeder von uns zum Nichtfachmann.
Es ist schlimmer. Leider sind auch die meisten Fachleute inzwischen nur noch in der Lage sehr eng gefasste Fragen zu behandeln. Ein Senior meinte vor mehreren Jahrzehnten dazu, `sie werfen Ziegelsteine auf ein Feld und erwarten das Entstehen einer Cathedrale.´ Als der Neue Pauly fertig war, haben sich die Herausgeber bitter über die Zunft beklagt. Man finde keine Fachleute mehr für übergreifende Artikel.
Ich sehe einige Gründe dafür. Der Druck der Institutionen (Kirche, Politik) führt zu verwaschenen und mehrdeutigen Formulierungen. Auch will der Nachwuchs es sich nicht mit Senioren verderben, es könnte der Karriere schaden. Die Flut solcher Publikationen kann dann auch keiner mehr lesen wenn er selbst noch arbeiten muss. Und der Arbeitsdruck für viele steigt stetig.
- Ende der Wissenschaft als gesellschaftlichem Korrektiv
Dies war die Wissenschaft noch nie. Sie war immer nur ein Instrument der Propaganda, um bestimmte Denkweisen in der Gesellschaft zu fixieren. Mitunter waren dies sehr vernüftige "richtige" Denkweisen die Fortschritt ermöglichten. Aber auch das Gegenteil.
Die Rassenlehre der Nazis war "wissenschaftlich begründet". Bis 1945 wurde dies noch in mancher Fakultät verkündet. Obwohl bereits bald nach 1900 ein führender deutscher Forscher ein Studie erstellte, die diesem Unsinn die Grundlage nahm. Ich habe erst kürzlich davon erfahren. Ich glaube diese Studie über die Deutschen als Rasse wurde nie verbreitet. Man wollte sie nicht als "gesellschaftliches Korrektiv". Hätte man das getan, Europa wäre vielleicht manches erspart geblieben.
Das ist wesentlich eine Frage der Massenmedien. Heute ist der Zustand nicht besser sondern noch schlimmer geworden. Es gibt bedeutende Studien mit extremer politischer Relevanz. Da man sie wissentschaftlich nicht anfechten kann werden sie totgeschwiegen. Und wehe dem der sie erwähnt. Er würde dann von den Medien der empörten Öffentlichkeit zum Frass vorgeworfen. Die, denen er helfen will, würden ihn in Stücke reissen.
- Einflussnahme der Kirchen ... auch heute ungeheuer mächtig
mit zunehmender Tendenz in den Medien, von dort in Politik und Forschung
- in der Arena öffentlicher Auseinandersetzung durchzusetzen
Als Wissenschaftler habe ich eine "öffentliche Auseinandersetzung" nie angestrebt. Ich wollte immer erst die Fakten sammeln, bewerten und dann einer begrenzten Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. WP hier ist fast eine neue Form dies zu tun. Allerdings nicht für mich. Es soll eher einer sichereren Aufbewahrung des Nachlasses dienen, sicherer und zugänglicher als das Kölner Stadtarchiv. Ob es aber wirklich sicherer ist? Oder nicht wer vom Opus Dei die Löschtaste drücken kann? Ich weiss es nicht. -- Bibhistor 21:48, 10. Mai 2009 (CEST)
- Ja, und ich bin wirklich sehr dankbar, dass Du Deine Kenntnisse auf diese Weise weitergibst. Man weiß nie, was morgen ist. Wikipedia kann beschließen, sich restriktivere Regeln zu geben. Oder man besinnt sich auf Artikel 166 unseres Grundgesetzes, der momentan noch eine Art von Nickerchen hält und dessen Logik sich voll mit der islamistischen Position deckt. Man braucht nur genug Wirbel zu machen und schon gibt es im Land der Dichter und Denker keine dänischen Cartoons mehr. Würde Deine Benutzerseite auf große Ressonanz stoßen, so würde dies umgehend Widerstand seitens Interessen auf den Plan rufen, denen derlei Publicity unerwünscht wäre.
- Dies gilt übrigens auch für die Medien schlechthin. Auch gegenwärtig werden zahlreiche Arbeiten, oft in Buchform, veröffentlicht - sind im Handel frei erhältlich - deren Thesen bzw. Ergebnisse hochexplosiv sind. Aber die „Mächtigen“ lassen's zu, was ich so interpretiere, dass man offensichtlich davon ausgeht, dass der Anteil der betreffenden Leser eine Art von Subkultur und Underground darstellt, ohne politische Wirksamkeit. Erschienen die gleichen Thesen aber im Leitartikel einer bekannten Zeitung oder im Fernsehen, dann wäre die Hölle los.
- Die zunehmende Popularität der Kirchen beobachte ich auch. Und dabei geht es uns allen noch saugut. Wir leben nach wie vor buchstäblich im Land, in dem Milch und Honig fließt. Sobald die fetten Jahren aber einmal zum Ende kommen, dann werden sich die Kirchen wieder füllen. Denn der christliche Priester weiß, dass „Not beten lehrt“. Es wäre an dieser Stelle reizvoll, einmal ein Bild vatikanischen Selbstverständnisses bezüglich des eigenen „Auftrags“ laut zu ventilieren, doch in Abwandlung eines Spruchs von Nietzsche gilt: „Ich hüte mich zu sagen, was ich von den [Vatikanern] denke.“
- Schließlich bin ich sehr dankbar für den Buchtipp. Für solche Tipps bin ich immer dankbar! Habe mich kundig gemacht. Man wirft Cantor Norman bezüglich seines Werks „Sacred Chains - History of the Jews ... “ teilweise einen Hang zum „Sensationalismus" und etwas schlampiges Quellenangeben vor. Aber den von Dir empfohlenen Titel werde ich gleich im Anschluss bestellen. Für 6 Euro eine Hardcover-Ausgabe, einschließlich Versandkosten. Ist es nicht herrlich: im Mittelalter wurden seltene Handschriften teilweise für ganze Ländereien gehandelt und wir heute schwimmen in einem Meer der grandiosesten Kulturschätze: Bücher, Musik, und alles recht billig zugänglich! Was ist ein Porsche gegen ein gut geschriebenes Meisterwerk? Was gegen Brandenburgische Konzerte und Sinfonien, die man sich heute für den Preis einer mittelteuren Reise zuhaus auf einer High-End-Anlage anhören kann? Ging es uns Menschen irgendwann einmal besser? Menschen der 1. Welt, wohlgemerkt.--Homo Bonae Voluntatis 00:57, 11. Mai 2009 (CEST)
- Ich stimme dir in jedem Satz zu! -- Bibhistor 16:46, 11. Mai 2009 (CEST)
- Als Ergänzung noch: nicht nur §166 StGB, sondern auch der Tatbestand der „Beleidigung“ (§185 StGB) ist meines Erachtens mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung inkompatibel und eines anderen Geistes Kind. Üble Nachrede und Verleumdung sind eine etwas anderes. Aber Beleidigung? „Angriff auf die Ehre eines anderen durch eine vorsätzliche Kundgebung der Missachtung.“ Was soll „Ehre“ sein? (geschützt gerade auch in diesem Kontext durch Artikel 5, Abs. 1 und 2, GG)? Antwort: alles und nichts.
- Zwar ist die Kritik wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke hinsichtlich Ehre und Beleidigung unter besonderen Schutz gestellt, aber das Problem beginnt da, wo man das Werk nicht vom Autor trennen kann. Nehmen wir an, ich kritisiere das Werk und sage dann: „Wenn gilt, dass die ,religiöse Intelligenz' fast aller Menschen deutlich unter der Demenzgrenze liegt, so zeigt der Autor durch seine Ausführungen, dass er hiervon keine Ausnahme bildet.“ Und schon haben wir den Salat.
- Problem auch: der Gesetzgeber gibt kein klares Kriterium vor, was als „recht und billig“ zu gelten hat. Wie weit man gehen darf, hängt daher einzig vom Ermessensspielraum des Gerichts ab, und dieses spiegelt wiederum die jeweils vorherrschende gesellschaftliche Konvention. Weht ein freiheitlicher Geist, gut. Aber in Zeiten, in denen man sich immer weniger der ungeheuren Kostbarkeit freier Meinungsäußerung bewusst ist, da geht die ganze Chose den Bach runter. Man „versteht“ plötzlich, warum der andere sich gekränkt fühlt. „Sowas muss doch nicht sein!“ Etc. Als jener Holländer (wie war doch sein Name? Wilmers?) seinen kleinen Beitrag zum Islam ins Internet stellte, da waren fast alle im Westen gegen ihn. Und in der Tat: er störte ja den öffentlichen Frieden durch „Beschimpfung“ einer Religion. Man hätte ihm eigentlich §166 StGB vorhalten sollen! Denn wir wollen doch wenigstens konsequent sein! Der UNO-Generalsekretär ließ sich vernehmen, „freie Meinungsäußerung aber, aber im Bewusstsein sozialer Verantwortung.“ Ja, so ist das. So ist der Geist der Zeit. Ich muss los. So long.--Homo Bonae Voluntatis 17:54, 12. Mai 2009 (CEST)
Christentum und Epikureismus
Vielleicht möchstest du, lieber Bibhistor, die folgende von mir gemachte Fundstelle noch in den Artikel einpflegen, da sie mir ganz gut in den Kontext zu passen scheint. Soweit ich weiß, wurde darüber noch nicht publiziert. Es handelt sich um John Chrysostom, Homilies on the Acts of the Apostles 38.1-2 (= Schaff, S. 232-235 [Schaff__EN.pdf.html]
Zu Paulus in Athen (Acts 17):
“His spirit,” it says, “was roused within him when he saw the city all full of idols.” Nowhere else were so many objects867 of worship to be seen. But again “he disputed with the Jews in the synagogue, and in the market daily with them that met with him. Then certain of the philosophers of the Stoics and Epicureans encountered him.” (v. 18.) [...]
“God,” he says, “that made the world.” (v. 24.) He uttered one word, by which he has subverted all the (doctrines) of the philosophers. For the Epicureans affirm all to be fortuitously formed and (by concourse) of atoms, the Stoics held it to be body and fire (ἐκπύρωσιν). “The world and all that is therein.” Do you mark the conciseness, and in conciseness, clearness? Mark what were the things that were strange to them: that God made the world! Things which now any of the most ordinary persons know, these the Athenians and the wise men of the Athenians knew not. “Seeing He is Lord of heaven and earth:” for if He made them, it is clear that He is Lord. Observe what he affirms to be the note of Deity—creation. Which attribute the Son also hath. [...]
Two proofs of Godhead: Himself to have need of naught, and to supply all things to all men. Produce here Plato (and) all that he has philosophized about God, all that Epicurus has: and all is but trifling to this! “Giveth,” he says, “life and breath.” Lo, he makes Him the Creator of the soul also, not its begetter. See again how he overthrows the doctrine about matter. “And made,” he says, “of one blood every nation of men to dwell upon all the face of the earth.” (v. 26.) These things are better than the former: and what an impeachment both of the atoms and of matter, that (creation) is not partial (work), nor the soul of man either.881 But this, which those say, is not to be Creator.882—But by the mind and understanding He is worshipped.—“It is He that giveth,” etc. He not the partial (μερικοὶ δαίμονες) deities. “And all things.” It is “He,” he saith.—How man also came into being.883—First he showed that “He dwelleth not,” etc., and then declared884 that He “is not worshipped as though He had need of aught.” If God,885 He made all: but if He made not, He is not God. Gods that made not heaven and earth, let them perish. He introduces much greater doctrines, though as yet he does not mention the great doctrines; but he discoursed to them as unto children. [...]
Wochenendsgrüße Rominator 16:18, 22. Mai 2009 (CEST)
Ich staune, dass JC es wagte die Epikureer überhaupt zu erwähnen. In seinen Augen müssen sie ja die Verwerflichsten von allen sein. Scheinbar waren sie im 4. Jh. noch relevanter als man bisher dachte. Bisher kannte ich dazu nur Augustinus. Der hatte offenbar noch in der Kindheit den Lukrez gelesen und gab später in seinen Schriften Andeutungen.
Deine Passage überfordert mich aber etwas. Ich traue mir nicht zu sie zu verdichten. Auch nicht zu übersetzen. Wenn ich historische Texte übersetze, so mache ich das recht frei in Kenntnis der Intention des Schreibers und der Zeitumstände. Bei diesem Text könnte manches Zusammenhänge haben die mir nicht bewusst sind. Ich denke du hast einige Erfahrung in den PG und vermutlich auch JC speziell. Daraus einen Absatz zu machen traue ich nur dir zu.
Apropos deine Arbeit. Ich las gestern deine Bücherverluste... und will die wichtigsten von dir gefundenen Punkte übernehmen oder verlinken. Nun scheint mir aber einiges wichtiges zu fehlen. Welche Version hat denn noch deine Subskription?
Zur Intro sage ich besser nichts. Aber ein paar andere Stellen:
"Vergilius Vaticanus (um 400), einer Prachthandschrift der Dichtungen Vergils." Also eine "Prachthandschrift" sah damals deutlich besser aus. Bilder waren üblich in antiken Büchern. Da es ein Kinderbuch war machte das auch Sinn. Ist ja heute ebenso.
"Vivarium wirkte über die Zwischenstationen Rom und Bobbio weit über die Alpen." Dass dem nicht so war hat Lowe schon vor 60 Jahren dargelegt. Wo kommt das dann her? Ach: Der Neue Pauly (2003). Amen.
"Hypatia wurde in der Kirche von Caesarion" "Hypatia wurde in der Kirche von Alexandria" (mit Namen Caesarion, war wohl die grösste damals)
"verwendeten Hieroglyphen bei rituellen Handlungen." "verwendeten Hieroglyphen bei geheimen rituellen Handlungen." (er wurde ja dann deshalb sogar gefoltert)
"zumal auf die Kultausübung in öffentlichen Tempeln seit Theodosius I. grundsätzlich die Todesstrafe stand. Im privaten Bereich konnten nichtchristliche Kulttätigkeiten zunächst noch weitgehend gefahrlos ausgeübt werden." Ich kann mich an ein Edikt erinnern das auch im privaten die Todesstrafe verlangte.
"Die antike Literatur war auch in kleinen und kleinsten privaten Bibliotheken verbreitet (wie etwa der Villa dei Papiri)." Räuspern. Ich schätze sie in die Klasse der um 50`000 Rollen. Was man heute von dort kennt ist nur was die Träger bei ihrer Flucht auf den Gängen liegen liesen. Die eigentliche Bibliothek ist noch nicht ausgegraben. Man hat nur vor ein paar Jahren die wasserdichte Bims Deckschicht über dem Haus entfernt. Wohl in der nicht unbegründeten Hoffnung, dass der Inhalt der Bibliothek den gleichen Weg geht wie in Pompeji - ins Nichts. Schönes Wochenende. -- Bibhistor 09:25, 23. Mai 2009 (CEST)
Im Kern geht es bei John darum, dass er die Lehren des Epicur für sehr gefährlich hält. Die Zitate sind aus der Apg, der Rest die Kommentare von John. Er sagt, dass die Schöpfungsgeschichte und die Vorstellung von Atomen und Materie nach Naturgesetzen sich gegenseitig ausschliessen, da nach seiner Vorstellung Gott alles nach seinem Willen bewegt, während die heidnische Vorstellung aussagt, dass sich die Dinge in der Natur aus sich selbst heraus, nach bestimmten Gesetzen, bewegen, nämlich durch 'Dämonen', also heidnischen Göttern. Mehr noch: Im Gottesbeweis sagt er, dass wenn diese Vorstellungen zutreffen oder sich beweisen lassen, Gott nicht existiert ("If God, He made all: but if He made not, He is not God. Gods that made not heaven and earth, let them perish.")
Zwar sind von ca. 1930-1946 ein paar wenige Beiträge von Theologen zur Philosophenpolemik bei John erschienen, Epicur wird darin aber nicht erwähnt.
Das mit der Relevanz der Epicureer ist aber so eine Sache. John polemisiert in seinen Werken gegen die meisten Philosophenschulen, am meisten Raum wird Plato eingeräumt. Er sagt insgesamt und auch hier, dass diese Philosophien aktuell keine Bedeutung mehr haben ("that God made the world! Things which now any of the most ordinary persons know"), wenngleich er über die Oberschicht nichts sagt. Offenkundig sind ihm die Lehren Epikurs bekannt, aus seiner Jugend vor der Konversion, als er zum Staatsdienst eine weltliche Ausbildung erhierlt. Allerdings sagt Julian im Brief # 89 (Bidez), dass zu seiner Zeit bereits ein großer Teil der Bücher der epikureischen Philosophen untergegangen ist. Sarefield hat in seiner Dissertation ein längeres Kapitel zu Vernichtungen epikureischer Literatur in der Hohen Kaiserzeit.
Der Bücherverluste Artikel ist von Anfang an ja auch von anderen Benutzern, auch IPs bearbeitet worden. Ich vermeide es natürlich, Forschungsergebnisse in die WP zu stellen. Daher auch meine Kürzungen sowie hier die Beschränkung auf den Diskussionsraum. Die größeren Änderungen kamen nach Anfang Februar.
Die sachlichen Fehler sind klar. Das allgemeine Opferverbot galt schon seit Constantius (CTh 16.10.3+6), dennoch scheint der zweite Satz richtig zu sein, da es vierlerlei Hinweise dazu gibt, dass private Kulthandlungen im Geheimen, aber wohl auch regional unterschiedlich noch längere Zeit recht gefahrlos ausgeübt werden konnten.
Bei Vivarium, Bobbio, Rom würde es mich interessieren, ob es eine Publikation dazu gibt die du empfehlen würdest. Soweit ich weiß, wurden in Bobbio Ovidhschr. überliefert, was ja gerade kein Autor ist, den Cassiodor nennt.
Beim Vergilius Vaticanus frage ich mich welche Indikationen du siehst, dass es sich um ein 'Kinderbuch' handelte.
Soweit ich weiß, handelt es sich bei den Funden in Herculaneum überwiegend um die Produktion eines lokalen epikureischen Philosophen. Es könnte sein, dass diese zunächst gerettet werden sollten, da der Rest (man nimmt eine allgemeine lateinische und griech. Bibliothek an) ersetzbar schien. Schätzungen zur ursprünglichen Grösse kenne ich nicht. Rominator 13:28, 23. Mai 2009 (CEST)
P.S. Die Datierung der Schrift de Babyla et contra Gentes um 405 ist sicher zu spät, allein schon da sie ja noch in Antiochien entstanden sein muss, und John seit 398 in Konstantinopel war. Rominator 13:34, 23. Mai 2009 (CEST)
Also John sah in "Naturgesetzen" oder "natürlicher Entwicklung" immer Dämonen am Werk? Das war mir nicht bewusst. Ich dachte er hielte eine "gottlose" auch für eine dämonenlose Welt. Offenbar war dann der Dämonenglaube die zentrale unvermeidbare Basis seiner Weltvorstellung, weniger der Glaube an Gott. Das macht die Sache klarer. Erinnert mich an psychologische Studien die ähnliches behaupteten. Demnach kann das Fehlen einer naturwissenschaftlichen Weltsicht nur durch personelle Einheiten, Götter oder Dämonen, ersetzt werden. Hatte ich bisher etwas bezweifelt, nun wohl nicht mehr.
Warum Kinderbuch? Vergil war der Hauptautor (oder gar der einzige) für Schulkinder zum erlernen der Schrift. Praktisch Grundschule, 1./2. Klasse. Die Illustrationen sind auch typisch dafür. Solide Qualität, aber um 400 gab es noch besseres. Vom eher kleinen Format her kann es auch nur für einen Schüler sein, kein Lehrer Buch für eine Klasse.
Zur Vivarium / Bobbio Connection kenne ich nur Lowe CLA Vol. IV (1947) als relevant. Der grösste Teil des Vorworts ist der Hypothese gewidmet. Sie stammt von Beer (1911) und wurde schon damals von führenden Personen abgelehnt. Es entwickelte sich darum aber fast so etwas wie ein Kult, weil es so schön klang. Lowe beschreibt dies, die Gegenargumente und meint: "the theory rests on palaeographical misconseptions, and on literary and historical assumptions that border on the absurd." Er glaubte damit das Gespenst von Vivarium in 1947 endgültig begraben zu haben.
Ich schätze von denen die den Neuen Pauly schrieben hat keiner mehr die Zeit gehabt je Lowe zu lesen. Sie vertrauten den jüngeren Darstellungen. In den heutigen Büchern wird es wohl noch immer ähnlich wie 1911 beschrieben, weil es sich so gut liest. Hast du Cantor (Inventing MA) gelesen? Er beschreibt andere Beispiele die heute exact genau so laufen. Aber bei noch viel gravierenderen Themen als dieses. Das erscheint nicht als Sammlung von Ausnahmen, sondern inzwischen als Regel. Was viele nicht wahrhaben wollen: Wissenschaft ist kein immer fortschreitender Prozess.
Herculaneum, die Funde sind wahrscheinlich Autographen des Philodemus. Der ungeborgene "Rest" im Haus ist das was ich lieber sehen würde. Ziemlich sicher sind die verlorenen Titel Caesars dort. Eine Schätzung der Grösse ist einfach. Wohlhabende Familien hatten damals um 50000 Rollen. Piso gehörte zu den 10 einflussreichsten Familien Roms (wollte er nicht zZt Neros sogar Kaiser werden?) und seine Familie hatte dort, nach den Funden, zumindest früher sogar eine philosophische Akademie. Der Lukrez könnte gut dort entstanden sein. Das dort gefundene Exemplar schätze ich aber jünger ein. -- Bibhistor 09:28, 24. Mai 2009 (CEST)
John glaubte sicherlich, wie wohl jeder Christ, der sich mit diesen Fragen beschäftigte, an die Existenz von Dämonen (so auch H. Leppin, Theodosius der Große, WBG 2003 im Zhg. mit der Zerstörung des Serapeums in Alexandria, müsste S. 170 sein). Jedoch nur als "teufliche Gegenwelt" (Prinz). Für einen christlichen Dichter waren diese Dämonen "statues in the temples or phantoms flitting about in unsubstantial monstrous shapes". Zur Vertreibung dieser Dämonen wandte man gerne Feuer an, z.B. bei Büchern, da so nur Asche übrig blieb. Diese Teufel/Dämonen waren ja von Gott abgefallene Engel (Demandt, Geschichte der Spätantike, 386). Allerdings sah man weder in Engeln noch in Dämonen eigenständige Götter, da es ja der Bibel widersprochen hätte, wonach es nur einen Gott geben kann.
Sinnfällig wird der Zusammenhang mit den Naturgesetzen auch in der Vision eines heiligen Mannes der Spätantike. (Speyer hat diese Stelle nicht, auch nicht in seinem RAC-Artikel). Hierbei handelte es sich wohl um das, was du Frühinquisition nennst, da anscheinend unter Anwendung der Folter zur Befragung, Bücher "in sehr großer Zahl" durch Hausdurchsuchungen gefunden und öffentlich verbrannt wurden. In der Vision stellte zusätzlich das Gerichtstribunal das Himmelsfirmament dar, das alleine vom Geist durch seinen Willen bewegt wird. Es wird also klar, dass die Prozesse genau dieses Bild bei der Bevölkerung etablieren wollten und der heilige Mann es entsprechend verkündete.
Die von der Vernichtung betroffenen Themenbereiche betrafen "Heidentum (hellenismos), Manichäismus, Astrologie, Automatismus und die anderen grausamen Ketzereien". Nun frage ich mich aber, was in diesem Zusammenhang "Automatismus" (automatismos) genau bedeutet. Da ich keine Kommentierung dazu fand. Ohne jetzt selbst eine Wortfeldanalyse durchzuführen, wo könnte ich denn vielleicht etwas dazu finden? Es müsste doch vom Wort her (Lehre über das sich selbst bewegende) dem Feld naturwissenschaftlicher Berechnungen recht nahe kommen. Auch wenn die dogmatischen Darstellungen darin eher Vorhersagen über die Zukunft bzw. die Trennung des Schicksals vom Willen Gottes sehen. Aber bereits Berechnungen z.B. über eine Sonnenfinsternis lassen doch entsprechende Prognosen zu.
Das Buch von Cantor muss ich mir dann wohl noch bestellen. Leider komme ich natürlich derzeit kaum dazu, Bücher von Anfang bis Ende zu lesen. Kennst du übrigens das Buch von German Hafner, Cassiodor. Ein Leben für kommende Zeiten (Stuttgart 2002)? Religionskritische Arbeiten scheinen meist erst am Ende von Wissenschaftslaubahnen zu entstehen (wobei es dann auch leichter sein wird, eine entsprechende Arbeit ohne Belege als Buch für ein breiteres, humanistische orientiertes Publikum in den Druck zu geben. Rominator 13:40, 24. Mai 2009 (CEST)
Das Buch von Hafner kenne ich. Hat mich etwas bewegt. Zu Automatismus, wie Mathematiker zu Astrologen könnte damals noch mehr in Wahrsagerei umgedeutet worden sein. Man müsste dann das Wort in MA Schriften wiederfinden. Aber mir ist da noch eine ganz andere Beziehung eingefallen.
Mit Lukrez und dem Atomismus begann im 17. Jh. eine wissenschaftliche Renaissance die alles auf Naturgesetze zurückführte. Auch Entstehung und Verhalten der Menschen. Descartes war einer der ersten die auch den menschlichen Körper als Maschine betrachteten. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war Newtons Principia Mathematica. Von da an dachte man bis weit ins 20. Jh., dass das Universum wie ein Uhrwerk sei. Gott hatte da höchstens noch Platz als "Erstbeweger".
Diese Entwicklung wurde begleitet durch den Bau von mechanischen Automaten, besonders im 18. Jh.. Höhepunkt waren die Automaten von Jaquet-Droz, habe sie mal in Aktion gesehen. Diese werden heute meist als kurioses Spielzeug betrachtet. Die "verdauende Ente" von Jacques de Vaucanson (1738) zeigt aber, dass die Idee dahinter war etwas wie Lebewesen zu "erbauen". Sie zeigten, dass etwas das wie ein Lebewesen aussah und agierte auf mechanische Prinzipien zurückgeführt werden kann.
Diese "Automatenbewegung" wurde duch die Übersetzung der Schriften des Heron von Alexandria gefördert oder sogar initiert. Leibniz, ein Anhänger Descartes, übersetzte vor 1700 technische Schriften von Heron, auch um bei der Entwicklung der Dampfmaschine zu helfen. Herons Tempeltür-Öffner war da bedeutsam.
Herons Lebzeiten sind unklar (die Fixierung von Neugebauer aufs 1. Jh. ist sehr zweifelhaft), aber er könnte im 1. Jh. gelebt haben. Seine Automaten waren wahrscheinlich für technische Museen. Manche Autoren behaupten seine Automaten hätten die Tempelbesucher als wirkliche Wunder beeindrucken sollen und zu den heidnischen Kulten bekehren. Ich halte das für absurd. Die Menschen der Antike waren doch schlau genug um quitschende, klirrende und klappernde Automaten auch als solche zu erkennen. Du kannst das ja mal mit dem Fake Cult bei Sarefield vergleichen.
Auf der anderen Seite werden Leute aus technischen Berufen von Herons Automaten angetan gewesen sein. Und die Epikureer hätten sie in ihre Tempel gestellt, wenn sie welche gehabt hätten. Heron war Atomist, ob er auch Epikureer war ist unbekannt. Mein Verdacht ist, es könnte in der Antike eine ähnliche "Automatenbewegung" (meine Worterfindung) gegeben haben wie in der Moderne. In Verbindung mit den Atomisten erscheint mir dies wahrscheinlich. Als Instrumente zum rationalen beeindrucken von Kindern sind sie unschlagbar. Auch mir wurden die Jaquet-Droz Automaten als Kind gezeigt.
Leute wie John haben sie sicher nur als mechanisches Spielzeug gesehen. Aber als Spielzeug das eine unbewusste Botschaft vermittelt. Das zum Denken anregt in von ihm sicher unerwünschte Richtungen. Daher wäre ein Verbot solcher Automaten und der Schriften ihrer Erbauer nur logisch. Würde mich nicht wundern, wenn wir Heron auch nur durch die Frühinquisition überliefert bekommen haben. Schau doch mal bei Heron nach der Wortwahl. Dieser Artikel hier ist auch ganz nett: Automaton -- Bibhistor 09:33, 26. Mai 2009 (CEST)
Vielen Dank fuer die ausfuehrliche Antwort! Ich werde den Hinweisen, gerade zu Heron, sicher noch nachgehen. Bei weiterer Beschaeftigung mit dem Passus fiel mir noch auf, dass "the Epicureans affirm all to be fortuitously formed and (by concourse) of atoms" nicht gut uebersetzt ist. Vielmehr muesste es etwa heissen "die Epikureer sagen, dass das Universum auf mechanischen Bewegungen beruht (ta panta automata einai: dass sich alles aus sich selbst bewegt) und aus Atomen zusammengesetzt ist". Die Lehre von den automata wird damit tatsaechlich Epikur zugeschrieben.
John wird einerseits an seine philosophischen Grundaxiome (ausgehend von einem unteilbaren Goettlichen) fest geglaubt haben, da er sie als offenbart ansah. Andererseits verteufelt er die Produktionen der Philosophen haeufig sinngemaess als Taschenspielertricks, Betruegereien und dgl. Aufgrund seiner weltlichen Bildung wird er die (mechanischen) Grundprinzipien durchschaut haben. Er fuerchtete aber wohl zurecht, dass sowohl Ungebildetete als auch Kinder hierdurch fuer das Heidentum eingenommen werden. Am ehesten duerfte man technische Spielereien der Antike in Theatern erwarten, die von John ja ebenso verteufelt werden, zumal sie im heidnischen Kultus wurzelten und mythologische Stoffe zeigten. Er empfiehlt, dass ein christlich erzogenes Kind in Konstantinopel von einem Begleiter von allem, was`mit dem Theater zusammenhaengt, weggelenkt wird, da er befuerchtet, eine solche Ansicht koennte das Kind von den Bibellesungen ablenken. Rominator 22:58, 26. Mai 2009 (CEST)