Hans-Werner Sinn

deutscher Ökonom
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Hans-Werner Sinn (* 7. März 1948 in Brake, Westfalen) ist ein deutscher Ökonom und Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.

Hans-Werner Sinn (2008)

Leben

Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster von 1967 bis 1972 wechselte Sinn an die Universität Mannheim, an der er 1978 promovierte und 1983 habilitierte.

Seit 1984 ist Sinn Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er hat Auslandsaufenthalte an der University of Western Ontario in Kanada, an der London School of Economics sowie an den Universitäten Bergen, Helsinki (Yrjö Jahnsson Lectures)[1], Amsterdam (Tinbergen Lectures), Stanford, Princeton und Jerusalem absolviert. Seit 1988 ist Sinn Honorarprofessor an der Universität Wien.

Von 1997 bis 2000 war Sinn Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik. Seit dem 1. Februar 1999 ist er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Seit 2006 ist er Präsident des International Institute of Public Finance, eines weltweiten Zusammenschlusses von Finanzwissenschaftlern. Sinn ist Fellow des National Bureau of Economic Research in Cambridge (USA) und sitzt für den Freistaat Bayern im Aufsichtsrat der HypoVereinsbank. [2]

Sinn lebt mit seiner Frau bei München und hat drei erwachsene Kinder.

Forschungsgebiete

Abgesehen von seiner auch in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Diplomarbeit zum Marx'schen Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate hat sich Sinn in seinen ersten Jahren vor allem mit der ökonomischen Risikotheorie beschäftigt. Seine Dissertation mit dem Titel „Ökonomische Entscheidungen bei Ungewissheit“ (1980) wurde auch international publiziert. Schwerpunkte weiterer Arbeiten lagen bei der axiomatischen Fundierung der Mittelwert-Varianz-Analyse, bei der Fundierung des Prinzips des unzureichenden Grundes und bei der psychologischen Fundierung von Risikopräferenzfunktionen.

Es folgte eine größere Zahl von Arbeiten zu konjunkturtheoretischen, umweltökonomischen und außenhandelsbezogenen Themen, darunter Arbeiten zum so genannten Asset Approach sowie zur Mikrofundierung des allgemeinen Modells des temporären Gleichgewichts.

Einen besonderen Schwerpunkt bildeten Probleme des längerfristigen wirtschaftlichen Wachstums. Sinn formulierte das ökonomische Zentralplanungsmodell des wirtschaftlichen Wachstums in der Tradition von Robert Solow als intertemporales allgemeines Gleichgewichtsmodell mit dezentral optimierenden Akteuren und Markträumungsbedingungen.[3]

1987 erschien Sinns Analyse der Anreizwirkungen beschleunigter Abschreibungen und der verschiedenen Komponenten der Kapitaleinkommensbesteuerung auf die intertemporale, internationale und intersektorale Ressourcenallokation.[4]

Sinn sieht in der deutschen Wirtschaft eine Tendenz zu einer Basarökonomie, da der Anteil der aus dem Ausland bezogenen Vorleistungen an der Industrieproduktion immer weiter zunehme.

Wirtschaftspolitische Positionen

Sinn sieht seine wirtschaftspolitische Position als Ordoliberaler im Sinne von Ludwig Erhard und Walter Eucken [5] [6].

Das Fundament einer nachhaltigen Politik seien solide Staatsfinanzen. Dazu ständen "zwischen 70 und 150 Milliarden Euro staatliche Subventionen zur Disposition". [7]

2005 zählte er zu den Erstunterzeichnern des Hamburger Appells, in dem nachfrageorientierte Konzepte der Wirtschaftspolitik (insbesondere Lohnerhöhungen) als ungeeignet abgelehnt werden. Sinn sieht durch zu hohe Lohnkosten den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr und fordert deshalb Strukturreformen in der Arbeitsmarktpolitik. Dazu gehören Öffnungsklauseln in Tarifverträgen, Vertragsfreiheit beim Kündigungsschutz nach dänischem Muster [8] sowie längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich.

Außerdem kritisiert er den seiner Ansicht nach beschäftigungshemmenden Effekt des deutschen Lohnersatzsystems. Als Alternative hat er dazu das Modell der aktivierenden Sozialhilfe entwickelt. [9]

Sinn befürwortet Mitarbeiterbeteiligungen an Unternehmen. "In der Zeit der Globalisierung, wo nun die Arbeitslöhne wegen der Konkurrenz der Niedriglöhne .. permanent unter Druck kommen .. ist es sinnvoll, den Arbeitnehmern in Deutschland ein zweites Einkommensstandbein zu verschaffen." [10].

In seinem 2008 erschienenen Buch Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik setzt Sinn sich kritisch mit der europäischen Klimapolitik auseinander. Nach seiner Überzeugung seien die umweltpolitischen Maßnahmen, die bislang in der Europäische Union gegen den Treibhauseffekt ergriffen wurden, im Wesentlichen wirkungslos, weil sie die Angebotsseite auf dem Weltmarkt für fossile Brennstoffe völlig außer Acht lassen würden. Er fordert stattdessen die rasche Einführung eines weltweiten Emissionsrechtehandel.

In seinem 2009 erschienen Werk Der Kasino-Kapitalismus beschäftigt sich Sinn mit der Finanzkrise ab 2007, für die er unzureichende staatliche Regulierung verantwortlich macht. Kritisch setzt er sich vor allem mit der Haftungsbeschränkung für die Verantwortlichen im Finanzsystem auseinander. Sinn plädiert für einen vernünftigen Ordnungsrahmen, zu dem auch eine höhere Mindesteigenkapitalquote der Banken gehört [11].

Öffentliche Wahrnehmung

Bei einer Umfrage der Financial Times Deutschland zusammen mit dem Verein für Socialpolitik unter 550 deutschen Wirtschaftsexperten im Jahr 2006 wurde Sinn als einem von zwei deutschen Ökonomen ein nennenswerter Einfluss auf die Politik zugeschrieben[12].

Nach einer Untersuchung im Jahre 2007 rangierte Sinn gemessen an der Anzahl der Zitierungen in wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften auf dem zweiten Platz unter den deutschen Ökonomen[13].

Am 26. Oktober 2008 bezeichnete Sinn im Zuge der öffentlichen Diskussion über die Finanzkrise deutsche Manager als Sündenböcke, nach denen in jeder Krise gesucht werde. In der Weltwirtschaftskrise von 1929 habe es in Deutschland die Juden getroffen, heute seien es die Manager [14]. Diese Äußerung stieß auf Kritik nicht nur beim Zentralrat der Juden in Deutschland, sondern auch bei Politikern verschiedener Parteien und Repräsentanten des öffentlichen Lebens, da diese Aussage eine Gleichsetzung der Kritik an den Managern mit der Judenverfolgung darstelle [15]. Noch am selben Tag nahm Sinn den Vergleich zurück [16]. Sinn wurde von jüdischen Freunden und Kollegen gegenüber Interpretationen der deutschen Presse in Schutz genommen [17].

Trivia

Der Nachname von Hans-Werner Sinn lädt zu Wortspielen ein. Er wird von Kabarettisten und Kritikern manchmal scherzhaft als "Herr Unsinn", "Prof. Unsinn" oder auch "Prof. Sinnfrei" bezeichnet. So witzelte Altbundeskanzler Gerhard Schröder in einer Rede im Jahre 2005 über "diesen Herrn Sinn – oder heißt er Unsinn?".[18]

Mitgliedschaften

Ehrungen

Werke

  • Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit. Hrsg. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1980. ISBN 978-3-16-942702-4.
  • A Rehabilitation of the Principle of Insufficient Reason, Quarterly Journal of Economics 95, 1980, S. 493-506.
  • Stock-dependent Extraction Costs and the Technological Efficiency of Resource Depletion, Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 101, 1981, S. 507-517.
  • Economic Decisions under Uncertainty. North Holland: Amsterdam, New York und Oxford 1983, (Überarbeitete Übersetzung von Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit; zweite englische Auflage, Physica: Heidelberg 1989.
  • Common Property Resources, Storage Facilities and Ownership Structures: A Cournot Model of the Oil Market, Economica 51, 1984, S. 235-252.
  • Kapitaleinkommensbesteuerung. Eine Analyse der intertemporalen, internationalen und intersektoralen Allokationswirkungen. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1985.
  • Capital Income Taxation and Resource Allocation. North Holland: Amsterdam, New York, Oxford und Tokio 1987, (grundlegend überarbeitete englische Fassung von Kapitaleinkommensbesteuerung)
  • Gradual Reforms of Capital Income Taxation. (zusammen mit P. Howitt), American Economic Review 79, 1989, S. 106-124.
  • Kaltstart – Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung. Beck/dtv, München, 3. Auflage 1993
  • A Theory of the Welfare State. Scandinavian Journal of Economics 97, 1995, S. 495-526.
  • The Selection Principle and Market Failure in Systems Competition. Journal of Public Economics 66, 1997, S. 247-274.
  • The New Systems Competition. Yrjö Jahnsson Lectures, Basil Blackwell: Oxford 2003
  • Ist Deutschland noch zu retten? 8. aktualisierte Aufl. Berlin 2004. ISBN 978-3-430-18533-2.
  • The Pay-as-you-go Pension System as a Fertility Insurance and Enforcement Device. Journal of Public Economics 88, 2004, S. 1335-1357.
  • Mut zu Reformen. Fünfzig Denkanstöße für die Wirtschaftspolitik, München 2004.
  • Die Basar-Ökonomie. Econ Verlag, 2005, ISBN 978-3548369440.
  • Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Econ Verlag, 2008, ISBN 978-3-430-20062-2.
  • Der Kasino-Kapitalismus. Econ-Verlag, 2009, ISBN 978-3-430-20084-4

Einzelnachweise

  1. Yrjö Jahnsson Lectures
  2. Hypovereinsbank: Gremien und Governance
  3. Andrew B. Abel, Olivier J. Blanchard, “An Intertemporal Model of Saving and Investment”, Econometrica 51, No. 3, 1983, S. 675-692; Christophe Chamley, “The Welfare Cost of Capital Income Taxation in a Growing Economy”, The Journal of Political Economy 89, No. 3, 1981, S. 468-496; Hans-Werner Sinn, “Besteuerung, Wachstum und Ressourcenabbau. Ein allgemeiner Gleichgewichtsansatz“, in: H. Siebert, Hrsg., Erschöpfbare Ressourcen, Papers & Proceedings of German Economic Association, Duncker und Humblot: Berlin 1980, S. 499-528; Hans-Werner Sinn, "Taxation, Growth, and Resource Extraction: A General Equilibrium Approach", European Economic Review 19, 1982, S. 357-386.
  4. Capital Income Taxation and Resource Allocation, North Holland: Amsterdam, New York, Oxford und Tokio 1987.
  5. http://www.suedwestpark.de/upload/File/2008_10_18_NN_SWP_Sinn.pdf
  6. http://www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ifoContent/N/pr/Stellungnahmen/Stellungnahme20081027/20081027_Sinn_authorisiertes_Interview.pdf S.1
  7. http://www.wiwo.de/redline/letzte-chance-hans-werner-sinn-ueber-die-fuenf-wichtigsten-reformen-fuer-deutschland-105021/
  8. http://www.wiwo.de/redline/letzte-chance-hans-werner-sinn-ueber-die-fuenf-wichtigsten-reformen-fuer-deutschland-105021/
  9. Hans Werner Sinn: Wie Deutschland zu retten wäre
  10. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/641405/
  11. http://www.faz.net/s/Rub2E8C985607B44756884B7A1383CD205C/Doc~E594B9560B665456DB16279BD746EEF12~ATpl~Ecommon~Scontent.html
  12. „Was Ökonomen wirklich wollen“ Financial Times Deutschland, Nr. 90, 10. Mai 2006
  13. „Who is the 'Platz-Hirsch' of the German Economics Profession? A Citation Analysis“ von Heinrich W. Ursprung und Markus Zimmer, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2007, Bd. 227/2
  14. Interview mit dem Tagesspiegel 27. Oktober 2008
  15. Herr Sinn ist nicht bei Sinnen. In: Sueddeutsche Zeitung online, 27. Oktober 2008
  16. Stellungnahme von Hans-Werner Sinn in einem offenen Brief anlässlich der aktuellen Berichterstattung vom 27. Oktober 2008
  17. Dokumentation des Ifo Instituts zum Vergleich zwischen der Managerschelte von heute und der Judenkritik 1929 durch Prof. Hans-Werner Sinn vom 27. Oktober 2008 (PDF)
  18. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/1/342842/text