Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen wurde durch eine Verwaltungsvereinbarung der Justizminister und -senatoren der Länder vom 6. November 1958 in Ludwigsburg gegründet. Am 1. Dezember 1958 nahm in Ludwigsburg bei Stuttgart die Ludwigsburger Zentrale Stelle ihre Arbeit auf. Sie hatte die Aufgabe, Informationen für staatsanwaltschaftliche Vorermittlungen gegen NS-Verbrecher zusammenzutragen und die staatsanwaltlichen Ermittlungen der Bundesländer vorangetrieben und gebündelt werden. Sie war eine bedeutende Institution der frühen Bundesrepublik bei der juristischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus, denn erst mit ihrer Gründung begann eine systematische Verfolgung der Untaten. Sie erhielt allerdings keine Weisungsbefugnis.
Gründe für die Einrichtung
Die Einrichtung der Ludwigsburger Zentralen Stelle erfolgte auf dem Hintergrund des Ulmer Einsatzgruppen-Prozesses von 1957/1958, der großes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte. Es wurde offensichtlich, dass ein Großteil derjenigen NS-Verbrechen noch nicht geahndet worden war, denen ausländische Staatsangehörige zum Opfer gefallen waren. Diese Taten hatten sich ursprünglich die westlichen Besatzungsmächte zur Aburteilung vorbehalten. Als sie sich zurückzogen, tat sich eine Lücke in der Zuständigkeit auf. Oft fühlten sich die Staatsanwälte auch nicht zuständig, weil Tatorte im Ausland lagen und die gemeinschaftlich handelnden Täter unterschiedliche Wohnsitze angenommen hatten. Nun sollte diese Lücke geschlossen und die bislang kaum ermittelten Verbrechen in den östlichen Gebieten geahndet werden.
Zur Geschichte
Mit der Leitung der Ludwigsburger Zentralen Stelle, bei der zeitweilig bis zu 200 Beschäftigte arbeiteten, wurde Erwin Schüle betraut. Trotz erfolgreicher Arbeit erwies sich seine Ernennung jedoch als Missgriff, ihm wurde vorgehalten, er sei Mitglied der NSDAP und SA gewesen. Nach seinem Rücktritt im Jahre 1961 amtierte mehr als 20 Jahre lang Adalbert Rückerl als Leiter und verschaffte der Einrichtung einen untadeligen Ruf.
1964 und abermals 1966 wurden die Zuständigkeiten der Zentralen Stelle ausgeweitet. Während zuvor der Tatort im Ausland die Zuständigkeit begründete, wurden jetzt auch Vorermittlungen gegen Angehörige der Reichsbehörden , der Polizei und Lagermannschaften der Konzentrationslager auf dem Gebiet der BRD eingeleitet. Später wurden auch Verbrechen gegenüber Kriegsgefangenen verfolgt.
Die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung wurde keineswegs von allen Seiten begrüßt und gefördert. Der Ludwigsburger Bürgermeister Sauer befand die Einrichtung als rufschädigend für das Ansehen der Stadt. Regierungsvertreter untersagten Mitarbeitern bis zum Jahre 1964, Archive in Osteuropa zu besuchen, vorgeblich, weil dort gefälschtes Material untergeschoben würde. Der frühere Generalbundesanwalt Max Güde bezeichnete noch 1968 Staatsanwälte, die aus Moskau Material abholten, als „unsere Idioten“.
Durch die Vorermittlungen der Zentralen Stelle kam es in den 60ger und 70ger Jahren zu einer vorher und auch späterhin nicht mehr erreichten hohen Anzahl von Strafprozessen. Insgesamt wurden fast 7200 Vorermittlungsverfahren an die Justizorgane der Bundesländer weitergeleitet. Im April 2001 waren noch 12 Vorermittlungen nicht abgeschlossen.
Seit 2000 gehört die Ludwigsburger Zentrale als Außenstelle zum Bundesarchiv. Die Akten sind im angestammten Gebäude in Ludwigsburg verwahrt und werden vom Historischen Seminar der Universität Stuttgart genutzt.
Bis Ende 1998 wurden von den Ludwigsburger Staatsanwälten über 7000 Vorermittlungsverfahren an die Justiz weitergeleitet. Die Zentrale Stelle war auch maßgeblich am Auschwitz-Prozess 1963-1965 beteiligt. In der alten Bundesrepublik wurden gegen 106.496 Personen Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren geführt, davon wurden lediglich 6.495 Angeklagte rechtskräftig wegen NS-Verbrecher verurteilt.
1999 wurde beschlossen, sie solange weiterzuführen, wie Strafverfolgungsaufgaben anfallen.
Seit dem Jahr 2000 werden die nicht mehr aktuell benötigten Unterlagen der Zentralen Stelle von einer Außenstelle des Bundesarchivs betreut und nutzbar gemacht. Eine Dauerausstellung zu den Ermittlern von Ludwigsburg unterrichtet über die Tätigkeit der Behörde.
Bewertung
Die Arbeit der Ludwigsburger Zentralen Stelle hat trotz vieler Hemmnisse eine beträchtliche Anzahl von Verfahren ausgelöst. Wenn es dann in vielen Fällen nicht zur Anklageerhebung kam, Freisprüche und unverständlich milde Urteile ausgesprochen wurden, so ist dies nicht dieser Einrichtung anzulasten.
Literatur
Adalbert Rückerl: Strafverfolgung von NS-Verbrechen 1945-1978. Eine Dokumentation, Karlsruhe 1979 (nicht eingesehen)