Jakob der Lügner

Roman von Jurek Becker (1969)
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Der Roman Jakob der Lügner ist das bekannteste Werk des Schriftstellers Jurek Becker.

Inhalt

Die Einleitung

Der Text wird durch den Ich-Erzähler, einen der wenigen Überlebenden aus dem Ghetto einer polnischen Kleinstadt, der mit dem Vorwurf nicht leben kann, die jüdischen Ghettobewohner hätten gegen ihre Folterer keinen Widerstand geleistet, erzählt. Er erzählt die Geschichte vom ganz eigenen Widerstand Jakob Heyms.

Die "Lüge"

In dem Roman „Jakob der Lügner“ schildert Jurek Becker das Leben des Juden Jakob Heym in den letzten zwei Wochen vor der Räumung des Ghettos, in dem er lebt. Durch Zufall erfährt dieser im Polizeirevier der Deutschen durch ein Radio, dass die Russen bereits vor Bezanika sind, einer Stadt, die nicht allzu weit von dem Ghetto der Stadt, in dem Jakob lebt entfernt liegt. Am nächsten Tag will sein Arbeitskumpane Mischa bei den Deutschen Kartoffeln klauen, weil er so hungrig ist. Da die Chancen, dass er dabei nicht erwischt wird, praktisch zu null stehen, und er in diesem Fall erschossen würde, versucht Jakob ihn davon abzuhalten, indem ihm vom Nahen der Russen erzählt. Mischa schenkt ihm aber keinen Glauben und ist entschlossen sich die Kartoffeln zu holen. Im letzten Moment raunt Jakob ihm zu, er habe ein Radio (was natürlich nicht stimmt). Nun schenkt Mischa ihm glauben. Obwohl Jakob mit dieser Notlüge wahrscheinlich das Leben seines Freundes gerettet hat, geht er dadurch auch ein großes Risiko ein. Denn im Ghetto war es den Juden streng verboten ein Radio zu besitzen. Zuwiderhandlung wurde mit dem Tode bestraft. Nun hat der „Lügner“ natürlich Angst, dass die Deutschen Wind von der Geschichte erfahren, wenn Mischa die „frohe Botschaft“ weiter verbreitet.

Weiterer Verlauf der Handlung

Und Mischa kann die Neuigkeit tatsächlich nicht für sich behalten. Denn er besucht in seiner Euphorie gleich noch seine Freundin Rosa, und macht ihr einen Antrag. Um ihre skeptischen Eltern zu überzeugen, die durch die aussichtslose Lage im Ghetto in eine gewisse Lethargie gefallen sind, erzählt er ihnen, dass Jakob ein Radio besitzt und die Russen nicht allzu weit entfernt sind. Eigentlich hat Jakob vor, seinen Freund Mischa bereits am nächsten Tag über seine Lüge aufzuklären. Er entscheidet sich jedoch dagegen, als er erkennt, dass seine kleine Lüge, die sich schnell weiterverbreitet hat, den Menschen im Ghetto wenigsten ein kleine Funken Hoffnung bringt, für den es sich zu Leben lohnt. Und die Lüge um das Radio bringt ihm nicht nur Nachteile. Plötzlich ist er sehr beliebt im Ghetto und hat so ab jetzt immer einen kräftigen Kumpanen bei der Arbeit zur Seite stehen. Doch es wird immer schwerer für Jakob, die Lüge am Leben zu erhalten, denn er muss immer neue Informationen über den Vorstoß der Russen erfinden, um den anderen nicht die lebensnotwendige Hoffnung zu nehmen. Denn durch die von Jakob gelieferten Neuigkeiten sind die Ghettobewohner wie ausgewechselt und die Zahl der Selbstmorde sink praktisch auf Null. Außerdem fangen sie an, beflügelt durch die Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse, an die Zukunft zu denken; „Alte Schulden beginnen eine Rolle zur spielen“ und „Töchter verwandeln sich in Bräute“ (S. 83). Allerdings gibt es längst zwei Parteien im Ghetto. Die einen begeistern sich um jede noch so kleine Meldung die Jakob weitergibt, die anderen sehen in Jakobs vermeintlichen Radiobesitz nur eine Gefahrenquelle. Um an weitere, „echte“ Information zu gelangen klaut Jakob eine Zeitung aus der Toilette, die nur den deutschen Wachsoldaten vorbehalten ist. Erwischt werden bedeutete den sicheren Tod und Jakob entkommt nur durch eine Heldenhaftes Ablenkungsmanöver seines Freundes Kowalskis. Doch der Informationsgehalt jener Zeitung ist sehr mager, weswegen er beschließt sein Radio „sterben“ zu lassen; er behauptet seine Radio sei plötzlich kaputt gegangen. Während der Arbeit am Verladebahnhof am nächsten Tag hört Herschel Schtamm Stimmen aus einem Waggon, in dem offenbar Menschen in ein Vernichtungslager transportiert werden. Der sonst so ängstliche Schtamm geht zum Waggon und spricht den Todeskandidaten Hoffnung auf eine vermeintlich bevorstehende Befreiung zu. Dabei wird er von einem Posten erschossen. „Er wollte Hoffnung weitertragen und ist daran gestorben“ (S. 140). Jakob fühlt sich für Schtamms Tod verantwortlich, da er ihn mit seiner „Radiolüge“ zum Heldentum verleitet hat. Als Jakob nach Hause kommt, erwischt er Lina, seine kleine Pflegetochter, die er verbotenerweise versteckt, weil sie ihre Eltern verloren hat, wie sie sein Zimmer nach dem Radio durchsucht. Jakob wird klar, dass er weitere Lügen erfinden muss, wenn selbst Kinder von der Hoffnung auf seine Nachrichten leben und verzagte Leute wie Herschel Schtamm ihr Leben riskieren. Außerdem gerät er zusätzlich unter Druck, als Kowalski mit einem Rundfunkmechaniker ankommt, der das Radio reparieren will. Da ein nicht vorhandenes Radio bekanntlich auch nicht repariert werden kann, gibt Jakob kurzerhand bekannt, das Radio sei wieder in Ordnung. Doch die Lüge um das Radio beginnt immer mehr auf Jakob zu lasten (vgl. S.246). Als Kowalski sich aufhängt, nachdem Jakob ihm in einer schwachen Minute die Radiolüge gebeichtet hat, da erkennt Jakob zum wiederholten Mal, wie viel von seinem Bestehen oder Versagen abhängt. Und der Glaube Schuld an Kowalskis Tod zu tragen, hält ihn dazu an weiter Lügen zu erfinden und so Hoffnung zu spenden. Als die Bewohner einiger Straßen im Ghetto bereits in Vernichtungslager deportiert werden, spitzt sich die Lage zu und das tragische Ende deutet sich an. Doch bei dem hat es der Autor nicht belassen ....

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Zwei Endversionen

Das "ordentliche" Ende

Hier verstärkt sich das Misstrauen gegen Jakobs Berichterstattung weiter. Auch Jakobs Angst und Hoffnungslosigkeit steigt weiter; er glaubt kaum noch an eine Rettung durch die Russen. Bald darauf unternimmt er einen Fluchtversuch aus dem Ghetto. Der Erzähler legt sich nicht darauf fest, ob er das aus Angst vor der Wissbegierde seiner eigenen Leute tut oder weil er seine Hoffnung aufgegeben hat oder jedoch um neue Informationen zu besorgen. In jedem Fall scheitert die Flucht, und Jakob wird erschossen. Seine Leiche wird von den Ghetto-Bewohnern am Tag ihrer Rettung gefunden. Sie sind ganz ratlos, warum er floh, wo doch die Rettung so nah war.

Das reale tragische Ende

Hier wird die Deportation aller Bewohner des Ghettos beschrieben. Jakob lernt in der Enge des Zuges, in dem die Juden in die KZs transportiert werden, den anfangs erwähnten Ich-Erzähler kennen, und erzählt ihm auch wenige Tage später seine Geschichte.

Die Rolle des Ich-Erzählers in dem Roman

Der Ich-Erzähler taucht nicht nur am Anfang im Buch auf. Personen, manche Situationen, oder Orte werden immer wieder aus der Ich-Perspektive dargestellt. D.h. der Ich-Erzähler schildert die Gegebenheiten aus eigener Erinnerung. So schildert er z.B. das was er selbst gedacht hat, als Herschel Schtamm sein Leben aufs Spiel setzt, indem er den im Zug sitzenden Deportierten die Nachricht vom Raschen vorrücken der Russen überbringt: ... ich weiß nicht warum, aber denke in diesem Augenblick an Chana [seine Frau] ... (S. 139) Auch erzählt er von seinen Recherchen, die er zu diesem Roman angestellt hat (S. 163; 207-213).

Verfilmungen

Der Roman wurde 1975 von der DEFA verfilmt und - als einziger DEFA-Film der DDR - für den Oscar nominiert. Die Rolle des Jakob spielte hier der bekannte tschechische Schauspieler Vlastimil Brodský, daneben wirkten Erwin Geschonneck und Henry Hübchen mit.

Eine zweite, diesmal us-amerikanische Verfilmung, erfolgte 1998 mit Robin Williams und Armin Mueller-Stahl. Letzterer war bereits bei der ersten Verfilmung dabei.