Paschtunen (Hindi: Pathanen, Persisch: Afghanen) sind das staatstragende Volk in Afghanistan und gleichzeitig die Namensgeber des Landes. Weltweit gibt es ca. 33 Millionen Paschtunen, von denen ca. 13 Millionen in Afghanistan leben (ca. 40% der Landesbevölkerung).
Allgemeines
Siedlungsgebiet
Die meisten Paschtunen leben mit rund 20 Mio. Angehörigen in Pakistan in den Provinzen NWFP, FATA und in Belutschistan (ca. 13% der Landesbevölkerung). Das sprachlich und kulturell zusammenhängende Gebiet der Paschtunen bzw. "Pakhtunkhwa" (eingebürgert hat sich allerdings der synonyme Begriff "Afghanistan") wurde 1893 durch die Durand-Linie, als Produkt der britischen Kolonialpolitik, geteilt.
Es existieren noch kleinere Gemeinden von Paschtunen in Australien und Südamerika, die einst dort von den Engländern als Arbeitskräfte angesiedelt wurden.
Namensgebung
Das Wort Afghan wird heute nur noch sehr selten bzw. kaum noch als Eigenname der Paschtunen benutzt. Die Paschtunen selbst bevorzugen ihre Eigenbezeichnung Paschtune (auch Pakhtune) gegenüber den Fremdbezeichnungen Pathane oder Afghane. Auf politischer Ebene hat sich jedoch Afghane bei den in Afghanistan lebenden Paschtunen eingebürgert. Seit 1964 heißen offiziell alle Staatsbürger Afghanistans Afghanen.
Herkunft
Die Ursprünge der Paschtunen sind unbekannt.
Sie sind vielleicht Nachkommen der indoeuropäischen Saken, die sich im Laufe der Zeit mit vielen anderen Völkern der Region vermischt haben.
Der Name Pakhtun hat möglicherweise die selben Wurzeln wie die beiden afghanischen Provinzen Paktika and Paktiya. Diese leiten sich vom Wort Pactyan ab, dem Namen eines von Herodot erwähnten iranischen Stammes in der altpersischen Provinz Arachosien - entspricht in etwa dem heutigen Gebiet um Kandahar.
Eine weitere Theorie besagt, dass der Begriff Paschtune, der im nördlichen und östlichen Dialekt des Paschto als Pakhtun ausgesprochen wird, vom Begriff Bakhtar (Baktrien) abstammt. Diese Theorie ist vor allem bei paschtunischen Wissenschaftlern sehr beliebt, ist aber aus linguistischer und kulturhistorischer Sicht nicht haltbar (siehe: Sprache).
Einige paschtunischen Stämme behaupten, sie seien die Nachkommen der 10 verlorenen Stämme Israels. So wollen sie die Stammesnamen Barakzai, Yossufzai, Ismailkhel, etc. in den ursprünglich hebräisch-jüdischen Namen (Barak, Ismail, Josef (Yossuf), etc) wiedererkennen. Die Theorie der israelischen Abstammung der Afghanen rührt aus der Zeit der Moghulherrschaft in Indien und wird in dem persischsprachigen Buch Makhzan-e Afghani (Schatz der Afghanen) von Nehmatullah Herawi genauer erklärt. Nach heutigen sprachwissenschaftlichen Analysen ist auch diese Theorie weder glaubhaft und noch beweisbar.
Kultur
Die Paschtunen sind überwiegend sunnitische Muslime. Ihre Gesellschaft wird hauptsächlich durch das Stammeswesen mit seinem strengen, stark vom orthodoxen Islam geprägten, Ehrenkodex Paschtunwali bestimmt.
Die Paschtunen sind in agnatische Stammesgruppen, Sippen und Clans organisiert, die sich auf gemeinsame Ahnen berufen, als gemeinsamer Urahn aller Paschtunen gilt Qais (Kas), der später den Titel "Abdul Rashid" angenommen haben soll. Als grösste nomadisch lebende Stammesgruppe gelten die Kuchis mit rund 5 Millionen Mitgliedern. Sie geniessen nach der Afghanischen Verfassung eine Sonderstellung im Staat.
Die bekanntesten Stämme sind:
- Afridi
- Ahmadzai
- Swati
- Bangasch
- Baraksai
- Khattak
- Ghilzai
- Lodhi
- Mahsud
- Mohmand
- Marwat
- Niasi
- Oraksai
- Wasir
- Shinwari
- Kakar
- Mohamedsai
- Yousafsai
- Safi
- Bangasch
Die radikalislamischen Taliban wurden im von Paschtunen bewohnten Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan gegründet, und rekrutierten ihre Kämpfer hauptsächlich aus ihren Reihen. Auch der heutige Übergangspräsident Afghanistans, Hamid Karzai, ist ein Paschtune.
Das Paschtunwali ist ein Verhaltenskodex und Gewohnheitsrecht, wird jedoch von europäischen Forschern als Ehrenkodex oder "way of the Pathans" (Spain) bezeichnet. Es ist vorislamischen Ursprungs und zeigt Enevoldsen zufolge einen alten indoeuropäischen Ursprung, jedoch erinnern einige Praktiken, wie das Badal (Rache), an die Merkmale der abrahamitischen Religion.
Zu den wichtigsten Begriffen des Paschtunwali zählen:
- die Gastfreundschaft (Melmastya),
- das Asylrecht (Nanawati und Pana),
- sowie Rache (Badal), wörtlich "Austausch". (siehe auch Blutrache)
Sprache
Die Sprache der Paschtunen ist Paschtu, die zur iranischen Sprachfamilie, genauer: zu den südostiranischen Sprachen, gehört.
Die ostiranischen Sprachen, deren prominentester Vertreter heute das Paschto ist, varieren von anderen iranischen Sprachen durch bestimmte Lautgesetze, die ihre unterschiedliche Entwicklung erklären. Indisch-dravidische Einflüsse auf die Sprache der Paschtunen, wie z.B. retroflexe Konsonanten oder Ergativ-Bildung, deuten auf eine eindeutig südöstliche Abstammung der Sprache. Damit unterscheidet sich Paschto als südöstliche iranische Sprache von den nordöstlichen iranischen Sprachen, wie z.B. Yaghnobi (heutige Form des antiken Sogdisch) oder dem antiken Baktrisch. Da Paschto nur von Paschtunen gesprochen wird und keinen bedeutenden Einfluß auf benachbarte Sprachen hatte, kann man somit direkte Rückschlüsse auf die Abstammung und das Abstammungsgebiet des Volkes der Paschtunen ziehen. Demnach müsste das Ursprungsgebiet der Paschtunen im südöstlichen Teil des iranischen Hochlands, d.h. südlich des Hindukusch, gelegen haben (dies entspricht dem einstigen Gebiet der obengenannten Pactyan). Das erklärt auch den starken Einfluß indischer Sprachen auf Paschto. Viele Wörter des Paschto lassen sich insgesamt nicht auf die ursprünglichen iranischen Sprachen der Region zurückführen, was auch auf eine (teilweise) nicht-iranische Herkunft hindeutet.
Die ersten literarischen Werke des Paschtu stammen wohmöglich aus der Zeit der Islamisierung des Hindukusch. Als bekanntester Dichter dieser Sprache gilt der paschtunische Nationalheld Khuschal Khan Khattak (1613-1689), der in der "Encyclopedia of Islam" als Nationaldichter Afghanistan bezeichnet wird und als "Mann des Schwerts und der Feder" gilt. Weitere bekannte Dichter des Paschtu sind der Mystiker Rahman Baba, ein islamischer Gelehrter, sowie Hamid, ein feinfühliger Liebesdichter.
Geschichte
Die Vorfahren der Paschtunen standen in der Antike unter der Oberherrschaft der Perser und wurden mit dem Perserreich von Alexander dem Großen besiegt und erobert. Mit dem Siegeszug der Muslime wurden auch sie zum Islam bekehrt. Es muss auch in dieser Zeit gewesen sein, in der sich das Volk der Paschtunen herausgebildet hat - hauptsächlich vereint durch ihre gemeinsame Sprache Paschtu.
Danach gab es in der Geschichte der Paschtunen viele Fremdherrscher und Invasoren, wie die einfallenden Turkstämme Zentralasiens, die Mongolen, die indischen Moghulen oder die persischen Safawiden.
Das erste paschtunische Königreich begründeten die Lodhi in Indien (1451-1526), mit der Hauptstadt Delhi. Doch mit dem Sieg des usbekischen Herrschers Babur (Begründer der Moghul-Dynastie) über Ibrahim, dem letzten Lodhi Sultan, endete auch die paschtunische Herrschaft in Indien. Nur noch ein einziges Mal widersetzen sich die Paschtunen unter der Führung von Scher Schah Suri der Moghulherrschaft, bevor sie von den Moghulen endgültig besiegt wurden.
Danach lebten die Paschtunen geteilt unter der Herrschaft der Moghulen und Safawiden, bis sich im 18. Jahrhundert der Stamm der Ghilzai, unter der Führung von Mir Wais Hotaki, gegen die Fremdherrschaft der Safawiden erhob. Der Aufstand der Ghilzai beendete mit dem Sieg Mir Mahmud Hotakis die Herrschaft der Safawiden in Persien. Jedoch konnten sich die Ghilzai nicht lange an der Macht halten, zum einen weil die Paschtunen in Persien keine annerkannten Herrscher waren, zum anderen weil die vielen paschtunischen Stämme unter einander zerstritten waren. Nur 4 Jahre später wurden die Ghilzai von Nadir Schah besiegt und wieder nach Kandahar verdrängt.
Mit dem Tod Nadir Schahs zerfiel Persien wieder einmal in kleine Staaten, die sich selbst bekämpften. Es war in dieser Zeit, in der der einstige Leibwächter Nadir Schahs, Ahmad Schah, aus dem Stamm der Abdali, die vielen paschtunischen Stämme vereinen konnte, um für die Unabhängigkeit zu kämpfen. So begründete Ahmad Schah Abdali im Jahre 1747 das Königreich Afghanistan und das Herrschergeschlecht der Durrani, und erkämpfte für die Paschtunen ihre endgültige Unabhängigkeit.
Für weitere Informationen siehe: Afghanistan