Staatsverschuldung

zusammengefasste Schulden eines Staates
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Die Staatsverschuldung bezeichnet die vom Staat akzeptierten Gesamtforderungen der kreditgebenden Gläubiger an einen Staat, in Deutschland also die dafür haftenden Bund, Länder, Kommunen und Sondervermögen.

Begriffe und Zahlenangaben für Deutschland

Bei den Schulden eines Staates unterscheidet man in internen Schulden, d.h. Staatsschulden in eigener Währung, und den externen Schulden, dass ist die Verschuldung in ausländischer Währung.

Die Höhe und die Bedeutung öffentlicher Verschuldung kann anhand einer ganzen Reihe von Kennzahlen gemessen werden:

1.) Schuldenstand und Nettokreditaufnahme: Laut Angaben des Bundes der Steuerzahler beträgt der aktuelle Schuldenstandung 1418 Mrd. Euro (Januar 2005), das entspricht 65,9% des Bruttoinlandsproduktes (zum Vergleich: 1960 waren es noch 18,5%) und ca. 17.200 € pro Kopf. Dem steht eine kontinuierliche Nettokreditaufnahme bzw. Nettoneuverschuldung (also die Differenz zwischen den Staatsausgaben und den Staatseinnahmen) gegenüber: 2001 lag sie im Bund bei 154 Mrd. €. Seit 1962 kam es mit Ausnahme von xxxx in jedem Jahr zu einer Nettoneuverschuldung des Bundes; nur im Zeitraum von 1950 bis 1961 war in acht Jahren eine Nettotilgung der Bundesschuld möglich. Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik derzeit um ca. 1714 € pro Sekunde steigt (Januar 2005).

2.) explizite Verschuldung und implizite Verschuldung: Neben dieser heute schon explizit vorliegenden Verschuldung, die sich aus den in aller Regel verbrieften Staatsverbindlichkeiten (Bundesanleihen, -schatzbriefe, Kommunalanleihen etc.) ergibt, spricht man auch von der implizierten Verschuldung (engl.: implicit debt; in der Politik und den Medien auch "versteckte" Schulden) die sich aus der Höhe der zukünftigen staatlichen Verpflichtungen, wie z.B. Renten- und Pensionszahlungen, ergibt. Die Berechnung der implizierten Verschuldung wird kontrovers diskutiert, da sie unter anderem von Annahmen über die Höhe der zu veranschlagenden Zahlungsströme (Cash-Flow) sowie Annahmen über die (künftige) Zinsstruktur abhängt. Eine Änderung der Sozialversicherungssysteme oder der Bevölkerungsverteilung hätte beispielsweise direkte Auswirkungen auf die zukünftigen Zahlungsströme und damit auf den Kapitalwert (den heutigen Wert) der künftigen Zahlungsströme. Aus diesem Grund beziehen sich die veröffentlichten Zahlen auf die einheitlich ermittelbare explizite Verschuldung. Dies wird von vielen Seiten kritisiert, weil es eine Abweichung von den unternehmerischen Bilanzierungsvorschriften darstellt: Explizite Schulden entsprechen im externen Rechnungswesen eindeutigen Verbindlichkeiten (sie sind dem Grunde und der Höhe nach gewiss), die impliziten Schulden sind gleichzusetzen mit ungewissen Verbindlichkeiten (dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss) und müssen für Unternehmen durch Rückstellungen abgedeckt werden.

3.) Zinslastquote: Entsprechend des zunehmenden Schuldenstands sind die Zinslasten gewachsen. Die Zinslastquote (Zinsausgaben in % der Gesamtausgaben) lag für den Bund im Jahr 2001 bei 16,2 %; in einigen Bundesländern noch deutlich darüber.

Zwischen 1965 und 2002 überstieg die Summe der Zinsausgaben die Summe der Neuverschuldung. Die Neuverschuldung deckte also nicht einmal die Zinsausgaben. Dieses von der Bundesbank als "Teufelskreis einer Schuldendynamik" bezeichnete Problem hat bereits zu einem Schuldenberg geführt, der nur schwer wieder abgetragen werden kann. Selbst bei einer (unter heutigen Bedingungen unrealistischen) jährlichen Rückzahlung von 13 Milliarden € wäre dies in 100 Jahren nicht möglich. Ein Ausweg könnte die Einführung eines Insolvenzrechtes auch für öffentliche Schuldner sein.

Die Entwicklung in Deutschland seit 1991 zeigt folgenden Verlauf:
(in Billionen Euro nominal, Quelle: Destatis)

1991: 0,569
1992: 0,681
1993: 0,766
1994: 0,840
1995: 1,009
1996: 1,069
1997: 1,119

1998: 1,153
1999: 1,183
2000: 1,198
2001: 1,203
2002: 1,253
2003: 1,326

Diagramm Staatsverschuldung Deutschland 1991-2003

Die Wachstumsrate betrug in den Jahren 1991 bis 1998 ~10,6 % p.a.
Die Wachstumsrate betrug in den Jahren 1998 bis 2003 ~ 2,8 % p.a.
Die Abflachung im Jahr 2000 rührt von den UMTS-Erlösen.

Gründe für den in den 1990er Jahren erheblichen Anstieg der Staatsverschuldung waren die deutsche Wiedervereinigung und die wachsende Massenarbeitslosigkeit.

Grenzen der Staatsverschuldung

Staatsschulden in eigener Währung können theoretisch unbegrenzt in der Höhe sein. Zur praktischen Begrenzung sollten die Staaten unbedingt die jeweilige Inflationsrate beachten. Die aus der zusätzlichen Kreditaufnahme generierte Nachfrage darf nicht zu einer zu hohen Inflation führen und sollte wachstumsfördernd zwischen 2 und 5 % liegen.

Der deutsche Staat darf nicht unbegrenzt Schulden machen. Nach Art. 115 GG besteht ein Parlamentsvorbehalt und eine inhaltliche Begrenzung (die Kredite dürfen nicht die Summe der Investitionen übersteigen). Außerdem legt die EU in den Konvergenzkriterien zur gemeinsamen Währung Euro (im Maastricht-Vertrag von 1992) u. a. folgende Grenzen fest:

  • Das Haushaltsdefizit darf maximal 3,0 % des BIP betragen.
  • Die Gesamtverschuldung darf 60,0 % des BIP nicht überschreiten.

Diese als Maastricht-Kriterien bezeichneten Grenzen sind willkürlich gesetzt worden. Die 60-Prozent-Grenze stellte den zum Zeitpunkt der Maastricht-Verhandlungen (1991) durchschnittlichen Verschuldungsgrad der damaligen Beitrittskandidaten dar. Man unterstellte dabei ein durchschnittliches nominales Wachstum der Sozialprodukte von etwa 5 Prozent, das heißt 3 Prozent reales Wachstum und 2 Prozent Inflation. Danach durfte die Nettokreditaufnahme nur bei 60 Prozent der Sozialproduktzunahme (also 3%) liegen, wenn der Schuldenstand gleich bleiben soll.

Historischer und internationaler Vergleich

Staat Staatsschulden im Verhältnis
zum nominalen BIP 2003
(Schuldenstandsquote)
Japan 155,7 %
Italien 120,1 %
Belgien 102,4 %
Österreich 66,8 %
Deutschland 64,9 %
Spanien 64,4 %
USA 63,8 %
Schweden 59,2 %
Vereinigtes Königreich 51,1 %
Norwegen 20,8 %

Historisch waren Kriege, Wirtschaftskrisen und Verschwendungssucht die wesentlichen Antriebskräfte für steigende Verschuldung. Die Phase des Wirtschaftswachstums vom Ende des 2. Weltkriegs bis Anfang der 1970er Jahre ermöglichte in den meisten Industrieländern einen Schuldenabbau. Danach ist die Verschuldung in fast allen OECD-Ländern bis 1996 rasant angestiegen; seitdem sinken sie leicht. Der Durchschnitt lag 2001 bei 64,6% (bei starken Unterschieden: Australien 20,9%, Japan 132,6%, Deutschland 60,2% nach OECD-Kriterien).

Verschuldung ist nicht nur ein Problem der Industrienationen, sondern noch extremer der Entwicklungsländer und ganzer Wirtschaftsräume (siehe: Verschuldungskrise).

Volkswirtschaftliche Bedeutung

Die Bewertung der Staatsverschuldung ist in den Wirtschaftwissenschaften kontrovers: Während David Ricardo sie als "eine der schrecklichsten Geißeln, die jemals zur Plage einer Nation erfunden wurden" bezeichnete, lässt sich aus keynesianischer Sicht eine verstärkter Verschuldung temporär zur "Ankurbelung" des Wirtschaftswachstums rechtfertigen.

Verteilung der Schulden auf die Generationen

Kritiker einer Verschuldungspolitik argumentieren, dass durch die Staatsverschuldung die jetzige Generation auf Kosten zukünftiger Generationen lebe (Generationenbilanz). Danach seien Staatsschulden auf die Zukunft verschobene Steuererhöhungen, die dann von den "nachfolgenden Generationen zu tragen sind". Dieser Zusammenhang ist in der makroökonomischen Theorie als Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition bekannt und beinhaltet als Kernaussage, dass sich das permanente Einkommen der Haushalte durch die Neuverschuldung (=Steuersenkung) nicht verändert und damit keine Auswirkung auf die Ausgaben (=Nachfrage) der Haushalte hat. In diesem Zusammenhang wird die Frage diskutiert ob die vom Staat ausgegebenen Wertpapiere Vermögen darstellen oder einer laufenden Besteuerung entsprechen, da die Wirtschaftssubjekte erkennen, dass die Wertpapiere mit den zukünftigen Steuererhöhungen zurückgezahlt werden müssen. Aus diesem Grund sollte ein nicht von Ausgabenkürzungen des Staates begleiteter Anstieg des Budgetdefizits zu einem Anstieg der Sparquote in gleicher Höhe folgen. Die Kritiker dieser neoklassischen Theorie argumentieren hingegen, dass eine Steuersenkung durchaus nachfragewirksam sein kann da sie die Liquiditätsbeschränkung (Unfähigkeit zur Aufnahme von Krediten) vieler Haushalte entschärft da ihnen mehr liquide Mittel zur Verfügung stehen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Barro-Ricardo-Äquivalenz nicht uneingeschränkt gültig sein kann da die Anfang der 1980er Jahre in den USA durchgeführte Steuersenkung nicht zu einem Anstieg der Sparquote führte (die Sparquote sank von ca. 9% in 1981 auf unter 5% in 1990).

Rationalitätenfalle

Die Beurteilung der Staatsverschuldung unterliegt oft einer sogenannten Rationalitätenfalle: ein einzelnes Wirtschaftsubjekt kann als Schuldner einen Kreditvertrag mit einem anderen Wirtschaftsubjekt, das heißt dem Gläubiger abschließen. Hierdurch kann der Schuldner sich in dieser Periode mehr Güter verschaffen, als ihm selbst aufgrund seines produktiven Beitrags in dieser Periode zusteht. Die Ansprüche auf die produzierten Güter der Folgeperioden müssen von dem Schuldner in Zukunft durch Zurückzahlen der Schuld an den Gläubiger zurückgegeben werden. Insgesamt allerdings können sich alle Wirtschaftssubjekte nicht die Güterversorgung dadurch erhöhen, dass sie sich von sich selbst Güter leihen und diese in einer späteren Periode zurückzahlen.

Gläubiger

Ca. 60 Prozent der Staatsschulden sind Schulden des Staates bei seinen Bürgern. Werden in der Zukunft diese Schulden zurückgezahlt, erfolgt lediglich eine Umverteilung von Steuerzahlern zu den Gläubigern (Besitzer von Bundesschatzbriefen u. Ä.). Es kann also nur bedingt davon die Rede sein, dass die Generation der "Rückzahler" für die Generation der "Schuldenmacher" einsteht, da ja aus der Rückzahlung der Schulden durch die Steuerzahler den bisherigen Gläubigern eine gleich hohe Einnahme entsteht. Diese Argumentation widerlegt jedoch nicht die oft gehörte Aussage "Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen". Ungefähr 40 Prozent der deutschen Verschuldung sind Auslandsschulden. Ihre Rückzahlung wird der Volkswirtschaft in der Zukunft liquide Mittel zwar entziehen, jedoch lässt sich hier argumentieren, dass Deutschland (der deutsche Staat und die deutschen Haushalte zusammen) in globaler Sicht natürlich eindeutig Netto-Gläubiger sind, weswegen ein genereller Schuldenabbau zu einem Zufluss an liquiden Mitteln beitragen dürfte.

Verdrängung privater Investitionen

Ein weiterer volkswirtschaftlich bedeutender Effekt hoher Staatsverschuldung ist der Verdrängungseffekt auf dem Kapitalmarkt: Durch die hohe Nachfrage des Staates nach Geld steigen die Finanzierungskosten der Unternehmen. Für sie werden Kredite teuerer, Investitionen unterbleiben. Dadurch sinkt ihre Wettbewerbsfähigkeit, das Wirtschaftswachstum leidet.

Keynesianische Begründung

Ökonomen wie Heiner Flassbeck weisen darauf hin, dass die Gesamtgeldmenge in einer Volkswirtschaft stets Null ist. Mithin wenn sich die Privatleute nicht verschulden, dies der Staat tun müsse um deflationären Tendenzen vorzubeugen. Keynesianisch inspirierte Konzepte zur Staatsverschuldung sehen nach einer "Anschubfinanzierung" eines Konjunkturaufschwungs eine Refinanzierung durch die höhere Besteuerung der Vermögensbesitzer vor. Somit ließe sich nach Keynes zwar eine temporäre Verschuldung des Staates durchaus rechtfertigen, allerdings nicht die seit Jahrzehnten andauernde kontinuierliche Defizitpolitik.

Ob eine hohe Staatsverschuldung zu mehr Wachstum führt, scheint mit Blick auf den starken Anstieg der Staatsverschuldung des letzten Jahrzehnts und die gleichzeitig sehr niedrigen Wachstumsraten fraglich, zumal die Zinsforderungen der Gläubiger bereits höher sind als die jährliche Neuverschuldung. Durch die von den Gläubigerforderungen verursachte Liqiditätskrise des Staates muss der Staat wiederum mehr Schulden bei ihnen aufnehmen. Mit immer schneller aufeinander folgenden Privatisierungen, Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen an Sozialem werden die wachsenden Zinsforderungen der Gläubiger dann bedient. Somit werden die ursprünglichen Ziele der Schuldenpolitik (entweder a) keynesianische Ankurbelung oder b) Finanzierung aktueller Staatstätigkeit, ohne dafür Steuern erheben zu müssen) ad absurdum geführt, da nach einer kontinuierlichen Verschuldung beides nicht mehr möglich ist.

Beispiel:

  • 2001 betrugen die Steuereinnahmen des Staates 448,1 Mrd. Euro.
  • Die Schulden betrugen 1.232 Mrd. Euro.
  • Die Zinsforderungen der Gläubiger daraus betrugen 66,6 Mrd. Euro.
  • Diese wurden beglichen durch eine Neuverschuldung von 58,9 Mrd. Euro.

Die 7,7 Mrd. Euro Restforderungen bekamen dann die Bürger in Form von Einsparungen direkt zu spüren, der Kaufkraftverlust daraus, der zumeist in Insolvenzen des Mittelstandes endet, war jedoch kaum noch zu kompensieren und hatte sinkende Steuereinnahmen in fast genau der selben Höhe 2002 zur Folge. Was netto übrig blieb, war somit nur der alljährliche Anstieg der gesamten Staatsverschuldung.

Unter der Voraussetzung, dass die Banken die sinkenden Zinsen der Zentralbank (EZB) als prozentuale Vergünstigung auf gewährte Kredite übertragen und nicht etwa als Bonus auf umlaufschädigende Kapitalguthaben, gilt auch die Senkung von Leitzinsen die Last der Staatsverschuldung dämpfend. Dies ist in der Regel jedoch nicht der Fall, es werden dann zumeist nur höhere Kredite gewährt, aber bei weiter gleichbleibenden, quantitativ mitwachsenden Zinsforderungen.

Vermögensumverteilung

Da es sich bei den inländischen Gläubigern des Staates in der Regel um die vermögenderen Bevölkerungsschichten handelt, dem gegenüber aber die Verzinsung der Staatsschulden von allen Bürgern getragen wird (in Form von Steuern), kann man die Staatsverschuldung auch als Instrument der Umverteilung von unten nach oben betrachten. In Deutschland verfügen die oberen zehn Prozent der privaten Haushalte über mehr als 50% des Geldvermögens von 3.730,5 Milliarden Euro.

Staatsverschuldung und Stabilitätspolitik

Die öffentliche (Neu-) Verschuldung kann als wirtschaftspolitisches Instrument "richtig" oder "falsch" eingesetzt werden. Von grundlegender Bedeutung für eine zutreffende Analyse der ökonomischen Wirkungen der Staatsverschuldung ist die Differenzierung nach konjunkturellen und strukturellen Ursachen. Innerhalb der konjunkturellen Verschuldung muß darüber hinaus zwischen konjunkturbedingten und antizyklischen Defiziten unterschieden werden.

Drei Arten der Staatsverschuldung

a) Das konjunkturbedingte Defizit ist in der Rezession erforderlich, um die staatliche Nachfrage aufrechtzuerhalten sowie den Rückgang der privaten Nachfrage zu begrenzen. Es umfaßt die aus einer unterdurchschnittlichen Auslastung des Produktionspotentials automatisch resultierenden Mindereinnahmen und Mehrausgaben des Staates (unter Einschluß der Sozialversicherungen).

b) Das antizyklische Defizit beinhaltet weitere Haushaltsfehlbeträge, die sich aus der Kreditfinanzierung aktiver stabilitätspolitischer Maßnahmen ergeben. Die antizyklische Verschuldung, die zunächst über das konjunkturbedingte Defizit hinausgeht, dient der Erhöhung der staatlichen und privaten Nachfrage mit dem Ziel einer Rückkehr zur Normalauslastung des Produktionspotentials.

c) Das strukturelle Defizit entspricht der Neuverschuldung, die bei unveränderter Ausgabenplanung und Steuerstruktur auch in einer normal ausgelasteten Wirtschaft vorliegen würde. Es handelt sich um den Teil des Budgetdefizits, der bei Vollbeschäftigung (aber nicht in der Rezession) abgebaut werden kann, ohne das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu gefährden.

In der Ablehnung der strukturellen Defizite sind sich Finanzwissenschaftler und Politiker heute weitgehend einig. Eine Ausnahme bildet allenfalls die Kreditfinanzierung staatlicher Investitionen, die oftmals unabhängig von der konjunkturellen Lage als gerechtfertigt angesehen wird. Diese Auffassung, die auch dem Artikel 115 GG zugrunde liegt, basiert auf der Vorstellung, daß die Kosten öffentlicher Investitionen mittels der Verschuldung den zukünftigen Nutznießern angelastet werden können. Die Zins- und Tilgungsverplichtungen entsprechen im Zeitablauf jedoch keineswegs dem Nutzen der Investitionen und noch weniger den realen Konsumlasten der jeweiligen Generation. Als Instrument einer intertemporalen Verteilungspolitik ist die Staatsverschuldung daher kaum geeignet.

Konjunkturbedingte Defizite und automatische Stabilisatoren

Der Einsatzbereich einer ökonomisch gerechtfertigten Staatsverschuldung liegt im wesentlichen auf dem Gebiet der Stabilitätspolitik. Wenn die Auswirkungen der konjunkturellen Entwicklung auf den Staatshaushalt passiv hingenommen werden, kommt es in der Rezession automatisch zu konjunkturbedingten Defiziten. Sie wirken noch nicht expansiv, verhindern aber immerhin eine Verschärfung der konjunkturellen Situation durch eine Parallelpolitik, die auf konjunkturelle Haushaltsbelastungen mit Ausgabenkürzungen und Abgabenerhöhungen reagiert. Konjunkturbedingte Defizite gelten nicht zuletzt deshalb als unbedenklich, weil man davon ausgehen kann, daß die konjunkturellen Mindereinnahmen und Mehrausgaben im Aufschwung von selbst wieder entfallen und in der Hochkonjunktur durch Budgetüberschüsse abgelöst werden.

Die automatischen Stabilisatoren verbessern ganz entscheidend die Voraussetzungen für einen Aufschwung. Sparen zum konjunkturell falschen Zeitpunkt destabilisiert dagegen die Wirtschaft, verursacht zusätzliche Produktions- und Beschäftigungsverluste und reißt damit neue Löcher in den öffentlichen Haushalt. Infolge des tendenziell rückläufigen Sozialprodukts besteht sogar die Gefahr einer wachsenden Neuverschuldungsquote. Eine wegen der Maastricht-Kriterien scheinbar unausweichliche rigorose Sparpolitik führt sich dann selbst ad absurdum.

Antizyklische Defizite als Grundlage expansiver Finanzpolitik

Automatische Stabilisatoren garantieren nicht, daß eine konjunkturelle Krise schnell überwunden werden kann. Eine im eigentlichen Wortsinne expansive Finanzpolitik, welche aktiv zur konjunkturellen Belebung beitragen will, muß allerdings in der Rezession bereit sein, über die konjunkturbedingte Verschuldung hinaus ein antizyklisches Defizit einzugehen. Dieses Defizit konsolidiert sich weitgehend von selbst, sofern der angestrebte Anstieg von Produktion und Beschäftigung zustande kommt und dem Staat daraus Mehreinnahmen und Ausgabenersparnisse entstehen. Eine antizyklische Finanzpolitik ist dann nicht nur aus stabilitätspolitischen Gründen angezeigt; sie kostet aufgrund ihrer Selbstfinanzierungseffekte auch weitaus weniger, als es zunächst den Anschein hat. Unter günstigen Bedingungen kann sogar eine Voll- und Überkonsolidierung antizyklischer Defizite und damit eine Entlastung der öffentlichen Haushalte eintreten.

Voraussetzung für die beschäftigungspolitische und fiskalische Effizienz der Globalsteuerung ist die Vermeidung von Verdrängungseffekten im privaten Sektor. Die Staatsverschuldung kann über Zinssteigerungen die privaten Investitionen beim Vorliegen von Kapitalmangel hemmen. Die Bedeutung derartiger Crowding-Out-Effekte ist jedoch bei Unterbeschäftigung und offensichtlichem Kapitalüberschuss relativ gering einzustufen. Sofern die Stückkosten in der Produktion stabil bleiben, wirkt der Nachfragezuwachs nicht inflationär, sondern setzt einen expansiven Multiplikator- und Akzeleratorprozeß in Gang, der mit Produktions- und Beschäftigungssteigerungen einhergeht. Es gibt für die Zentralbank keinen Grund, einen Aufschwung bei weitgehend stabilen Preisen durch höhere Zinsen zu behindern.

Monetäre Grenzen kommen allenfalls durch eine Lohnpolitik ins Spiel, die auch in der Rezession Lohnerhöhungen über den Produktivitätsfortschritt hinaus durchsetzt und damit eine kosteninduzierte Inflation verursacht. Wenn die Zentralbank darauf mit einem restriktiven Kurs reagiert, kommt es zu konjunkturell unerwünschten Zinssteigerungen. Eine erfolgversprechende Globalsteuerung muß deshalb lohn- und geldpolitisch abgesichert werden. Wenn dies gelingt, lassen sich Verdrängungseffekte jedoch weitgehend vermeiden.

Globalsteuerung

Aktives Handeln der Finanzpolitik erscheint u. U. Erfolg verspricht. Auch in der derzeitigen konjunkturellen Lage besteht nach Ansicht mancher Ökonomen Spielraum für konjunkturstützende Maßnahmen. Zu denken ist insbesondere an das kreditfinanzierte Vorziehen ohnehin notwendiger öffentlicher Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Der Staat würde mit solchen Aktionen zur Stabilisierung der Erwartungen im privaten Sektor beitragen und das Investitionsklima verbessern. Wenn von einem Selbstfinanzierungseffekte antizyklischer Defizite ausgegangen wird (was jedoch nicht Konsens ist), müssen infolgedessen keine zukünftigen Steuererhöhungen befürchtet werden. Allerdings muss die Finanzpolitik diese Erwartungshaltung stützen, indem sie konjunkturelle Haushaltsentlastungen in Zukunft konsequent zum Abbau der Verschuldung einsetzt, was sie in den letzten 40 Jahren jedoch in den meisten Industrieländern unterlassen und damit die heutigen Möglichkeiten aktiver Finanzpolitik stark eingeschränkt hat.

Die relativ hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland geht auch darauf zurück, dass die Makropolitik in den beiden Rezessionen 1981 und 1993 prozyklisch wirkte. Das Beispiel USA zeigt gerade im Vergleich dazu, wie erfolgreich eine gemäßigt keynesianische Strategie sein kann. Zu Beginn der neunziger Jahre war die Finanzpolitik dort bereit, die automatischen Stabilisatoren bei schwacher Konjunktur uneingeschränkt wirken zu lassen. Im nachfolgenden Aufschwung wurde die finanzpolitische Konsolidierung vorangetrieben, und derzeit versucht die US-Regierung, die konjunkturelle Erholung mit Steuersenkungen und Ausgabenprogrammen zu beschleunigen. Ein direkter Vergleich mit der Situation in Deutschland erscheint jedoch schwierig, da die Möglichkeiten zur Globalsteuerung durch die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Kriterien eingeschränkt sind. Weiterhin muss die Europäische Zentralbank die Bedingungen in allen Ländern der Eurozone berücksichtigen, was eine aktive gemeinsame Konjunkturförderung durch expansive Fiskal- und Geldpolitik erschwert.

Verbindlichkeiten der deutschen Wirtschaft

Während die Verbindlichkeiten des Staates generell als schädlich angesehen werden, blendet man die Schulden der privaten Haushalte und der Unternehmen aus. Laut Bundesbank betrugen die Schulden privater Haushalte im Jahre 2002 1535 Mrd. Euro, die Schulden der Unternehmen 3142 Mrd. Euro. Das Nettogeldvermögen aller Unternehmen lag im negativen Bereich bei -1241 Mrd. Euro, das des Staates bei -1061,4 Mrd. Euro. Spiegelbildlich dazu lag das Nettogeldvermögen privater Haushalte und der Versicherungen und Banken bei 2380 Mrd. Euro.

Siehe auch: Geldkreislauf, Wirtschaftskreislauf

Literatur

Es fehlen

  • die Rechtsgrundlage der Staatsverschuldung (Warum kann ein Staat Schulden haben?),
  • die Vorteile bzw. Gründe für die Beibehaltung dieser Rechtsgrundlage, sowie
  • mögliche Nachteile oder Hinderungsgründe, die Schulden zu anullieren.