Sebastian Kneipp

deutscher katholischer Geistlicher, Naturheilkundiger und Hydrotherapeut
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Sebastian Kneipp (* 17. Mai 1821 in Stephansried; † 17. Juni 1897 in Wörishofen) war ein bayerischer Priester und Hydrotherapeut. Er ist der Namensgeber der Wasserkur bzw. des Wassertretens und Begründer der Kneipp-Medizin.

Kneippkur im 19. Jahrhundert

Kneipp begründete einen ganzheitlichen Ansatz der Naturmedizin, der auf fünf Säulen ruht:

Die Hydrotherapie nutzt in vielfältiger Weise die Heilkraft des Wassers. Die bekanntesten Anwendungen sind Kneippgüsse und Wassertreten.

Die Ernährungstherapie stellt vielseitige Vollwertkost in den Vordergrund.

Die Bewegungstherapie aktiviert den Körper und die Organe. Dabei soll auf einengende Kleidung verzichtet werden. Als intensive Form der Bewegung und sanfte Abhärtungsmethode hat Kneipp das Barfußlaufen empfohlen.

Die Phytotherapie nutzt die Möglichkeiten der Heilpflanzen.

Mit Ordungstherapie hat Kneipp schließlich den Weg zu einer bewussten, die Gesundheit erhaltenden Lebensführung beschrieben.


Als Standardwerk von Sebastian Kneipp gilt sein Buch "Meine Wasserkur", dessen erste Auflage 1886 erschienen ist.

1889 eröffneten die Franziskanerinnen von Reute in Biberach an der Riß im Jordanbad die erste ärztlich geleitete Kneipp'sche Wasserheilanstalt Deutschlands. Nach diesem Vorbild haben sich viele weitere Kneippkurorte gebildet.

Das Leben und Wirken des Sebastian Kneipp

Eine umstrittene Persönlichkeit

„Wohltäter der Menschheit“ oder „größter Kurpfuscher und Betrüger“, so wurde Sebastian Kneipp von seinen Zeitgenossen genannt - je nachdem ob sie zu seinen Anhängern oder seinen Kritikern gehörten. Er war eine höchst umstrittene, polarisierende Persönlichkeit, an der sich die Geister schieden. Seiner Zeit war er voraus, war geradezu ein „Revolutionär“; denn das, was er tat, ließ sich mit den Sittenvorstellungen des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht vereinbaren. Das Leben des Sebastian Kneipp war hart, er musste ständig gegen Widerstände, Anfeindungen und Verleumdungen kämpfen. Allen Widerständen zum Trotz fand seine Lehre immer mehr Anhänger. Seine Bücher wurden Bestseller, und die Kranken pilgerten zu Tausenden in das kleine Örtchen Wörishofen. Als er schon ein alter Mann war, wurde er fast wie ein Heiliger verehrt.

Das „Schlüsselerlebnis“

Sebastian Kneipp wurde am 17.05.1821 im schwäbischen Stephansried geboren. Sein Vater war Weber, er hatte zwei Halbschwestern und zwei leibliche Schwestern. Die Kindheit war vor allem geprägt durch bittere Armut. Trockenes Brot, alte Kartoffeln und Mehlsuppe – man war schon froh, wenn man wenigstens das hatte. Schon als kleiner Bub musste er mitarbeiten. Entweder beim Vater im dunklen, feuchten Keller von früh bis spät am Webstuhl stehen oder als Hirte des kleinen Dorfes Stephansried den ganzen Tag das Vieh hüten. Zu dieser Zeit hatte er sein erstes „Schlüsselerlebnis“, wie man es heute nennen würde. Denn eine der zu hütenden Kühe war auf unwegsamem Gelände ausgerutscht und humpelte. Zu allem Überfluss auch noch die Kuh des Bürgermeisters. Der kleine „Baschtl“ schwieg aus Furcht vor Bestrafung, machte aber die Beobachtung, wie diese Kuh sich in den Bach stellte und das verletzte Bein vom kalten Wasser umspülen ließ. Am nächsten Tag war er es, der die Kuh ins Wasser führte und ihr Bein begoss. Ihm fiel auf, dass das Tier ihn mit dankbaren Augen ansah. Schon am dritten Tag war die Kuh wieder putzmunter, humpelte nicht mehr, und zu „Baschtels“ Erleichterung hatte keiner etwas bemerkt.

„Flausen im Kopf“

Von 1827 bis 1833 besuchte Sebastian Kneipp die Dorfschule in Stephansried und von1833 bis 1839 die Sonn- und Feiertagsschule in Ottobeuren. Schon früh wusste der Junge, dass er mehr wollte: Er wollte „schtudiere“! Zu seiner Zeit war das allerdings unvorstellbar für einen Dorfjungen aus ärmsten Verhältnissen. Und nun begann sein erster Kampf. Natürlich fand er kein Gehör und schon mal gar kein Verständnis für seinen Wunsch, weder bei seiner Familie noch beim Dorflehrer. Der Bub hatte ja nur „Flausen im Kopf“. Aber Kneipp ließ sich dadurch nicht entmutigen. Da ihm keiner helfen wollte, musste er sich das Geld fürs Studium eben selbst verdienen! Er arbeitete hart, legte jeden verdienten Pfennig beiseite – zwei Jahre lang. Eine stattliche Summe hatte er so zusammengetragen, und er sah sich schon fast am Ziel. Doch dann brach ein Feuer aus, das sein Elternhaus bis auf die Grundmauern niederbrannte – und mit dem Haus verbrannten die gesamten Ersparnisse. Das war ein harter Rückschlag für den jungen Mann.

Ein Traum wird wahr

Genau zu dieser Zeit war es aber auch, dass Kneipp zum ersten Mal jemanden traf, der ihn wegen seines Wunsches zu studieren nicht für verrückt erklärte. Nachdem seine Ersparnisse verbrannt waren, war er nämlich so verzweifelt, dass er einfach von zuhause fortging. Er fand eine Anstellung als Knecht beim Bauern Stahl in Grönenbach. Der Pfarrer Dr. Merkle aus Grönenbach war es, der dem jungen Mann Mut machte, der ihn förderte und unterstützte. Er unterrichtete Kneipp in Latein und bereitete ihn für die Aufnahme ins Gymnasium vor. Als er 1844 in das Gymnasium zu Dillingen aufgenommen wurde, war er bereits acht Jahre älter als seine Mitschüler. Im Jahre 1848 begann er sein Studium der Theologie und war zu diesem Zeitpunkt schon 27 Jahre alt, aber er hatte den ersten großen Sieg seines Lebens errungen: Sebastian Kneipp hatte seinen Traum vom Studieren wahr gemacht.

Selbstversuche

Doch war sein Leben hart und von Widerständen geprägt. Und so ließ das nächste Hindernis nicht lange auf sich warten. Kneipp erkrankte an der „Schwindsucht“ und wurde von seinem behandelnden Arzt praktisch aufgegeben. Man könne nichts mehr für ihn tun, meinte dieser. Kneipp dachte schon daran, Dr. Merkle um den „letzten Beistand“ zu bitten, als ihm zufällig das Buch „Unterricht von der Heilkraft des frischen Wassers“ von Dr. Johann Siegmund Hahn in der Bearbeitung von Professor Oertel in die Hände fiel. Kneipp hatte den großen Wunsch, Priester zu werden, und dieser Wunsch gab ihm die Kraft, gegen die Krankheit zu kämpfen. Er begann mit der Selbstbehandlung in Form von drei kalten Waschungen täglich und trank 2-3 Liter frisches Wasser pro Tag. Er tat das, obwohl er selbst nicht mehr an eine Heilung glaubte. Eines Tages, im November des Jahres 1849, war seine Verzweiflung so groß, dass er sich mitten in die eiskalte Donau setzte. Natürlich heimlich, natürlich nachts – denn öffentlich hätte man so etwas zu seiner Zeit nicht tun können. Weil er beim ersten Mal sein Handtuch vergessen hatte, schlüpfte er anschließend durchnässt in seine Kleider, was er sich künftig zur Gewohnheit machen wird. Schon nach dem dritten nächtlichen Bad in der Donau trat Besserung ein. Seine vollständige Genesung mag ihm und seinen Zeitgenossen wie ein Wunder vorgekommen sein.

Heimlich in der Nacht

Im darauffolgenden Jahr 1850 erhielt er einen Freiplatz am Georgianum in München und setzte dort sein Studium fort. Seine täglichen Wasseranwendungen waren inzwischen zum festen Bestandteil seines Lebens geworden. Aber wie sollte er sie ausführen? In München fand er keine Möglichkeit, heimlich und unbemerkt in die Isar zu steigen. Freibäder gab es noch nicht, denn ein öffentliches Baden war zu jener Zeit absolut unvorstellbar. Da sah er zufällig den Gärtner, der mit dem Gießen der Blumen beschäftigt war, und das brachte ihn auf eine Idee. Abends vor dem Schlafengehen stellte er sich die gefüllte Gießkanne im Innenhof bereit. Und dann, mitten in der Nacht, wenn alles schlief, kletterte Kneipp zum Fenster hinaus und machte seine Anwendungen. Auch sonst beschäftigte er sich weiter mit dem Thema, las Bücher, besuchte den „Verein der Wasserfreunde“ und hörte dort erstmals etwas über Umschläge und Wickel, von diätetischer Lebensweise bei bestimmten Erkrankungen und von den Herren Prießnitz und Gräfenberg, die schon seit 30 Jahren mit Wasser kurierten. Es kam das Jahr 1852, und vor der Weihe zum Priester stand eine medizinische Untersuchung an. Der untersuchende Arzt Dr. Horner bescheinigte: „Er ist kerngesund!“ Doch sein Mitstudent Langmeyer bekam kein ärztliches Attest und wurde somit nicht zur Priesterweihe zugelassen. Kneipp hatte Mitleid mit ihm, wollte ihm helfen und behandelte ihn heimlich nachts im Garten mit seiner Gießkanne. Und wieder geschah das „Wunder“: Langmeyer wurde wieder völlig gesund und konnte Priester werden.

Der „Kurpfuscher“

Doch inzwischen war das Geheimnis der nächtlichen Aktionen durchgesickert und man begann, über diesen seltsamen Kneipp zu tuscheln. Das führte aber auch dazu, dass auch andere Studenten sich nun hilfesuchend an ihn wandten. Er wollte sie nicht behandeln, aber seine Freunde drängten ihn, weiterzumachen. Und so kam es schon im Februar 1853 - Kneipp war inzwischen zum Priester geweiht und als Kaplan in einem Ort namens Boos angestellt – zur ersten Denunziation. Er wurde wegen „Kurpfuscherei“ angezeigt. Zwar erhielt er eine Strafe über zwei Gulden wegen „Vergehens gegen das Kurierverbot“, gleichzeitig stellte er aber auch dem Richter am Landgericht Babenhausen, der das Urteil über ihn verhängte, eine Kuranweisung gegen die Gicht aus – und hatte fortan einen neuen Anhänger. Das „Corpus delicti“ der Verhandlung, die Kuranweisung für Columba Haas aus Boos, ist bis heute das älteste noch erhaltene Dokument dieser Art. Nach der spektakulären Heilung der Magdalene Albrecht aus Boos ging erstmals das Gerücht vom „wundertätigen“ Kaplan um.

Die nächste Klage

Die Menschen suchten seine Hilfe, und Kneipp konnte gar nicht anders, als sie zu behandeln. Er brachte es nicht übers Herz, sie einfach wieder weg zu schicken. Das brachte ihm im Jahr 1854 die nächste Klage ein. Wegen „Gewerbebeeinträchtigung und Schädigung“ klagte Apotheker Semmelbauer aus Babenhausen, Dr. Mannheimer aus Fellheim schloss sich der Klage an. Kneipp erklärte dem Gericht, er habe stets nur Menschen behandelt, die nach jahrelanger Behandlung bei Ärzten und Apothekern keine Hilfe gefunden hätten, die abgewiesen bzw. aufgegeben worden sind oder die einfach gar kein Geld hätten, sich einen Arzt zu leisten. Er musste daraufhin eine Erklärung unterschreiben, „fürder auch solchen Unglücklichen nicht mehr zu helfen, die angeblich keine ärztliche Hilfe mehr fanden“.

Der „Cholera-Kaplan“

Vielleicht hatte Kneipp sogar tatsächlich die Absicht, sich an diese Erklärung zu halten, doch die Cholera machte ihm einen Strich durch die Rechnung. 1854 brach sie in München aus, von dort aus in ganz Oberbayern und Schwaben. Xaver Kneipp – Sebastians Vater – war eines der ersten Todesopfer der Cholera in Stephansried. Als die Krankheit auch in Boos ausbrach, war Pfarrer Kneipp seine Erklärung egal – schließlich ging es hier um Menschenleben. Kneipp handelte und heilte in Boos zweiundvierzig erkrankte Personen. Das blieb nicht ohne Aufsehen: Der Generalvikar beim Bischöflichen Ordinariat wurde aufmerksam und holte schon Erkundigungen über ihn ein. In der Bevölkerung nannte man ihn den „Cholera-Kaplan“. So war Kneipp eigentlich ganz froh, als er Ende 1854 nach Augsburg versetzt wurde und dort in der Anonymität der Großstadt „untertauchen“ konnte. Der Rummel um seine Person war ihm nicht geheuer.

Versetzt nach Wörishofen

Er blieb nicht lange in Augsburg. Bereits im Mai 1855 wurde er Beichtvater eines Dominikanerinnenklosters in einem (damals) völlig bedeutungslosen, winzigkleinem Dörfchen namens Wörishofen. Er wurde dorthin versetzt in der Hoffnung, dass er in dieser Einsamkeit kein Aufsehen mehr erregen würde. Die Bewohner des Dörfchens hätten sich wohl nie träumen lassen, was die Ankunft dieses Mannes für ihren Ort, für sie selbst, ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Nachfahren noch bedeuten würde. Kneipp machte sich auch sogleich ans Werk und brachte frischen Wind in das beschauliche Nest, genaugenommen brachte er einfach alles durcheinander. Die Nonnen mussten auf dem Feld arbeiten, die Waisenkinder lernten das Weben und am hellichten Tag (!) liefen drei geistliche Herren (Kneipp, sein Vetter Funk und der gichtkranke Pfarrer von Kirchdorf) barfuß durch die feuchten Wiesen. Letzteres war zu damaliger Zeit eine Ungeheuerlichkeit – das ganz Dorf war außer sich! Doch sein Ruf als „Cholerakaplan“ und „wundertätigem Heiler“ hatte sich längst verselbständigt, und so standen die Leute an der Klosterpforte und baten um Hilfe. Kneipp konnte gar nicht anders, als sie zu behandeln. Obwohl die Dorfbewohner diesem Treiben skeptisch gegenüberstanden, beeindruckte Kneipp sie dennoch mit seinen landwirtschaftlichen Kenntnissen. Er machte aus der klösterlichen Landwirtschaft einen Musterbetrieb, der immer größere Dimensionen annahm. Er legte Sümpfe trocken, drainierte feuchte Wiesen, kaufte Vieh, schaffte eine Egge (für damalige Zeiten ein hochtechnisches Gerät) an, machte Versuche mit Düngern und verschiedenem Saatgut, schaffte Bienenvölker und Kaninchen an und pflanzte Obstbäume. Im Waisenhaus stiegt die Zahl der Kinder von drei auf fünfzig, und sämtliche Nonnen und Kinder erfreuten sich bester Gesundheit.

Weitere Klagen und Massenandrang

Unterdessen wurden es immer mehr Kranke, die täglich an der Klosterpforte standen. Auch den Bauern fiel auf, dass viele fremde Leute ins Dorf kamen. Nun begannen die Ärzte Dr. Kling aus Wörishofen und Dr. Schmitt aus Türkheim, die Leute gegen Kneipp aufzuhetzen und eine negative Stimmung zu schüren. 1861 reichten sie Klage gegen Kneipp ein, scheiterten aber, weil der zuständige Regierungspräsident Hörmann in Augsburg den Kneipp schon persönlich kennen und seine Fähigkeiten schätzen gelernt hatte. Im Jahr 1863 übertraf der Zulauf in Wörishofen alles bisher Dagewesene. Die Bevölkerung ärgerte sich wohl über die vielen „armen Schlucker“, doch gleichzeitig kamen auch immer mehr geistliche Herren in hoher Zahl und von großem Ansehen zum Kuren. Immer mehr vornehme und wohlhabende Leute kamen und nahmen Quartier im örtlichen Gasthof. Zu dieser Zeit sorgten drei Fälle für Aufsehen: Es hieß, ein gelähmter „Jüngling aus Sontheim“ könne wieder gehen. Des Weiteren sollte eine Frau aus Hartental die letzte Ölung bekommen. Der sie behandelnde Dr. Schmitt soll beim Rausgehen gesagt haben: „Noch ½ Stunde.“. Doch Pfarrer Kneipp nahm keine Ölung vor, sondern soll die Patientin behandelt und geheilt haben. Und dann noch der Pfarrer aus Wald, dessen linke Seite nach einem Schlaganfall gelähmt war. Die Ärzte machten ihm keine Hoffnung mehr auf Besserung. Bis auf eine verbliebene Sprachstörung soll Kneipp ihn von der Lähmung befreit haben. 1866 legte Dr. Schmitt erneut Beschwerde beim Landgericht ein. Diese landete beim Amtmann Wilhelm Spengler im Bezirksamt Mindelheim, der sie an den Bezirksarzt Dr. Sauter weiterleitete. Dieses beiden, Spengler und Sauter, blieben auch die nächsten Jahre noch arge Widersacher, die immer wieder versuchten, Kneipp Steine in den Weg zu legen. Kneipp beschäftigte sich unterdessen damit, Erfahrungen zu sammeln mit ’’kurzen’’ Güssen, Wickeln und Wechselreizen und seine Wasserkur immer weiter zu verfeinern – von der Rosskur der Vorgänger Hahn, Oertel und Prießnitz hin zur individuellen Anwendung; Vom Groben zum Milden, und vom Milden zum noch Milderen. Im Juni 1866 fuhr Kneipp nach Homburg/Taunus zur Wasserheilanstalt nach Prießnitz unter der Leitung von Dr. Pingler. Dieser riet ihm bereits zu diesem Zeitpunkt, sich einen Arzt dazu zu nehmen, um das „Kurierverbot“ zu umgehen und künftige Klagen zu vermeiden.

Die ersten Gasthäuser

In der Sommerzeit war in Wörishofen inzwischen jede Menge los. Die örtliche „Gastronomie“, die sicher damals noch nicht als solche zu bezeichnen war, entwickelte sich nur langsam und stellte sich nur allmählich auf den Zulauf ein. Der „Rößlewirt“ erkannte die Zeichen der Zeit und erbaute nach einem Brand in seiner Brauerei nun ein „Gasthaus für bessere Leut“, und der Bauer Brunner errichtete den „Gasthof zur Sonne“. Zumindest die Wirte in Wörishofen waren nun klipp und klar auf Kneipps Seite. Im Bezirksamt Mindelheim legte man die zahlreichen Beschwerden des Dr. Schmitt inzwischen „zu den Akten“. Als 1871 Wilhelm von Preußen (Wilhelm I.) deutscher Kaiser wurde, wurde Kneipps Freund und Förderer, Prof. Dr. Merkle, Abgeordneter im Reichstag. Das schönste Geschenk zu Kneipps 50. Geburtstag war dann ein Schreiben Dr. Merkles, der ihm mitteilte, dass es mit der „Kurierfreiheit“ voran gehe. Mittlerweile hatte aber auch eine Landflucht enormen Ausmaßes eingesetzt. Das städtische Leben schien moderner, leichter und verlockender als das Landleben (1850 = 8 dt.Großstädte, 1860 = 9 dt.Großstädte, 1870 = 14 dt.Großstädte). Überall entstand neue Industrie, es war ein gewaltiger Strukturwandel im Gange. Das veranlasste Kneipp, sein erstes Buch zu schreiben, in dem er eine Lanze für die Landwirtschaft brach. Es folgten noch zwei weitere Bücher über Ackerbau und Viehzucht.

Kurierfreiheit

1873 traf ein Schreiben Merkles ein, in dem dieser mitteilte, dass rückwirkend zum 01.01.1873 auch in Bayern die Kurierfreiheit gelte. Endlich Heilen ohne Gewissensbisse, Verleumdungen, Anfeindungen, Angst und Ärger – mag Kneipp sich wohl gedacht haben. Doch nun liefen Ärztevereinigungen und medizinische Kreise der Hochschulen erst recht Sturm gegen das neue Gesetz, und Mittelpunkt der Diskussion war wieder der Pfarrer aus Wörishofen. Die Mediziner Süddeutschlands zeigten plötzlich mit dem Finger auf ihn. Aber je mehr geredet wurde, desto mehr Menschen zog es nach Wörishofen. Mittlerweile kamen nicht nur Kranke, sondern auch Neugierige, die einfach mal sehen wollten, ob denn all diese Geschichten von den Barfüßigen in Wörishofen stimmten. In den Zeitungen las man Schlagzeilen wie: „Feine Damen laufen barfuß in Wörishofen und zeigen vor aller Öffentlichkeit ihre nackten Beine.“ – Für die damalig Zeit ein Skandal! Professor Merkle, inzwischen erkrankt und nicht mehr der Jüngste, sprach immer wieder davon, dass Kneipp einen Arzt brauche, um die Wasserkur „fachwissenschaftlich“ abzusichern. Doch Kneipp war nach all seinen Erfahrungen auf Ärzte nicht gut zu sprechen. Am 10.11.1881 starb Dr. Merkle, der Mann, der eine der wichtigsten Rollen im Leben des Sebastian Kneipp gespielt hatte. Ohne ihn wäre der Traum vom „Schtudiere“ wohl nicht wahr geworden.

Das „Unternehmen“

Mittlerweile fuhr die Postkutsche vom Bahnhof Türkheim nach Wörishofen fünf mal täglich, bis aufs Dach vollgestopft mit Reisenden, zusätzlich sechs Lohnkutschen, und natürlich die vielen Mittellosen, die zu Fuß kamen. Ob reich oder arm, ob Fürst oder Stallknecht – Kneipp duzte sie alle, nahm kein Blatt vor den Mund und sagte jedem schonungslos die Wahrheit (bei Damen wetterte er gegen das zu enge Korsett, bei den Herren gegen das Saufen und die Völlerei). Oft in ruppigem Ton, immer in schwäbischer Mundart. Immer wieder erhoben sich Stimmen aus der Ärzteschaft gegen den „Kurpfuscher von Wörishofen“, auch Dr. Sauter ließ keine Gelegenheit aus, die Stimmung gegen Kneipp zu schüren. Dr. Bernhuber als Gefolgsmann wurde beschimpft und angefeindet, aber gleichzeitig bauten der Bäcker und der Metzger aus Türkheim nun in Wörishofen die ersten Verkaufsbuden für die Wartenden auf. Apotheker Boneberger aus Mindelheim schloss seinen Laden, warf alle Medikamente in die Abfallgrube und erklärte: Er sei zwar nicht verrückt, aber Pfarrer Kneipp habe recht. Immer mehr Zeitgenossen wurden nun zu Anhängern und Unterstützern der Wasserkur, gehörten zum Kreis der „Getreuen“: Bader Kustermann („moin erschter Badwart“), Kaplan Greck „der Seelenbeistand“, die gesamte Familie Kreuzer (die Betreiber der ersten Kurhäuser), Ludwig Geromiller „der Techniker“ (Erfinder und Erbauer zahlreicher Kneippanlagen), Familie Waibel, die Bauern Scharpf, Rauch, Breier, Sproll, Singer und Zapf, und vor allem die „guten Geister“ aus dem Dominikanerinnen-Kloster Schwester Benedikta und Schwester Sebastiana sowie Pfarrer Aloys Stückle als „Sekretär“, der Kneipps Post beantwortete. Ein richtiges „Unternehmen“ war das inzwischen geworden. Weil es nicht anders ging, gab die bayerische Postverwaltung dann dem Nest Wörishofen eine eigene Postagentur.

Der erste Arzt

Im Jahr 1883 kam Dr. Bernhuber, ein junger Arzt aus Türkheim, zu Besuch. Er sprach mit Kneipp, fand alles ganz vernünftig, hatte dann aber doch wieder seine Zweifel und schließlich Zweifel an den Zweifeln. 1884 kam er wieder, dieses Mal mit der Bitte, hospitieren zu dürfen. Kneipp bot ihm spontan die Zusammenarbeit an und Bernhuber nahm an. Sie bestritten von nun an die tägliche Sprechstunde gemeinsam, und Bernhuber wurde zum begeisterten Anhänger und Verfechter der Wasserkur. Der Erzabt Maurus Wolter von der Benediktiner-Abtei Beuron seinerseits sorgte damals dafür, dass Kneipp seine Erfahrungen schriftlich festhielt. Weil dieser aber selbst nicht schreiben wollte, schickte Wolter einen Sekretär zum Diktat. Sechs Wochen lang, täglich in der Zeit von 6.30 bis 8.00 Uhr, diktierte Kneipp „Meine Wasserkur“, ohne ahnen zu können, dass dieses Buch noch zum Weltbestseller seines Jahrhunderts werden und er Millionen daran verdienen würde. Die erste Auflage erschien 1886 im Verlag Josef Kösel Kempten mit 600 Exemplaren.


Siehe auch: Humoralpathologie, KneippÄRZTEbund, Kneippkur