Jugendbewegung
Jugendbewegung ist ein Sammelbegriff für eine ab etwa 1896 in Deutschland einsetzende pädagogisch-kulturelle Erneuerungsidee, die in der Bildung von Jugendbünden ihren Ausdruck fand. Als geistiger Mentor der Bewegung gilt der protestantische Theologe und Philologe Gustav Wyneken (1875–1964), der den Begriff der Jugendkultur prägte. In der Entstehung gab wechselseitige Einflüsse mit der Reformpädagogik, wobei die Jugendbewegung eben von der Jugend selbst ausgeht, während die Reformpädagogik, wie alle Pädagogik, von betreuenden Erwachsenen. Die Kernzelle der deutschen Jugendbewegung war der Wandervogel.
Geschichte
Die Jugendbewegung entwickelte sich zunächst aus einem antibürgerlichen Affekt, der jungen Menschen im bewussten Gegensatz zum Stadtleben durch Ausflüge - so genannten Fahrten, heute meist Wanderfahrten - die Natur nahezubringen versuchte. Das Motiv "Zurück zur Natur" korrespondierte mit einem bewussten, mit Anklängen an die Romantik verbrämten Rückgriff auf Traditionen, was in (einfacher) Kleidung, Heimat- und Liederabenden, Lagerfeuer-Feiern und Tanz seinen Ausdruck fand. Dieses sozialromantische Haltung war auch ein als unpolitisch bezeichnete Antwort auf die zunehmenden sozialen Probleme, die die fortschreitende Industrialisierung und damit einhergehenden Verstädterung mit sich brachte.
Beginnend um 1910 war die Jugendbewegung, als deren wichtigster Träger der Wandervogel gilt, so kraftvoll, dass Institutionen wie Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und völkischen Vereine sich genötigt sahen, eigene Jugendgruppen zu schaffen bzw. vorhandene Gruppen an äußeren Stil des Wandervogels auszurichten. Nur wenig später war es üblich, dass jede große Partei einen eigenen Jugendverband besaß, dessen Geschicke allerdings ausschließlich bei der jeweiligen Partei lagen. Dieser Abhängigkeit von Erwachsenenvereinigung entsprechend kann man diese Gruppen nicht als jugendbewegte Gruppen bezeichnen. In diesem Zusammenhang ist auch das Entstehen der Pfadfinder in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg zu betrachten, die allerdings sich immer einer relative Unabhängigkeit bewahren konnten, und weltweit aktiv wurden.
Am 11. Oktober 1913 fand auf dem Hohen Meißner bei Kassel der Erste Freideutsche Jugendtag statt. Dieser war als Protestveranstaltung gegen die patriotischen Veranstaltungen des Kaiserreiches zur Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig gedacht.
In diesem Sinne versteht man den Wandervogel als die erste Phase der deutschen Jugendbewegung (1896 bis zum Ersten Weltkrieg), während man die Bündische Jugend als ihre zweite Phase sieht (Zwischenkriegszeit), in der sich nach dem ersten Weltkrieg der Stil und die Traditionen des Wandervogels mit denen der internationalen Pfadfinderbewegung zu etwas Neuem verbanden.
Nach der Machtübernahme der Nazionalsozialisten am 30. Januar 1933 wurden alle Bünde aufgelöst, verboten bzw. in die Hitler-Jugend inkorporiert. Manche Gruppen lebten in der Illegalität fort, von denen wiederum einige sich zu Widerstandsgruppen entwickelten.
Nach 1945 kam es in Westdeutschland zu zahlreichen Neugründungen, die durch die Jugendbewegung beeinflußt waren, darunter den KAB (Katholische Arbeiterjugend), CVJM (Christlicher Verein Junger Männer), Gewerkschaftsjugend, Pfadfinder, Nerother Wandervogel und politischer Jugendorganisationen wie der SJD- Die Falken (der SPD nahestehend) oder der FDJ (Freie Deutsche Jugend) die in der DDR unter dem Einfluss der Staatspartei SED die einzige legitime Jugendorganisation wurde.
Gegenwart
Noch heute gibt es zahlreich zumeist kleine Wandervögel- und Jungenschaftsbünde. Auch die deutsche Pfadfinderbewegung (und teilweise die österreichische) wird durch die Einflüsse der bündischen Jugend geprägt, was sie von den Pfadfinderverbänden anderer Länder deutlich unterscheidet. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen verschiedenen heutigen Pfadfinderbünden und -gruppen.
Umstritten ist, ob und inwiefern die Jugendbewegung und die bündische Jugend heute noch fortleben. Während Historiker in der Regel einen Schlusspunkt der bündischen Phase in der Eingliederung der freien Bünde in die Hitler-Jugend in den Jahren 1933/1934 sehen - oder spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs -, betrachten sich die meisten Angehörigen der heutigen Gruppen als in direkter Tradition mit den historischen Vorgängern verbunden.
Literatur
- Florian Malzacher, Matthias Daenschel: Jugendbewegung für Anfänger. Zweite Auflage. Verlag der Jugendbewegung, Stuttgart 2004. ISBN 3-88258-131-X
- Werner Helwig: Die Blaue Blume des Wandervogels. Überarbeitete Neuausgabe. Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1998. ISBN 3-88778-208-9
- Joachim H. Knoll: Typisch deutsch: die Jugendbewegung: Beiträge zu einer Phänomengeschichte. Leske und Budrich, Opladen 1988. ISBN 3-8100-0674-2
- Walter Laqueur: Die deutsche Jugendbewegung. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1978. ISBN 380468548X
- Werner Kindt: Dokumentation der Jugendbewegung. 3 Bände:
- Band I: Grundschriften der deutschen Jugendbewegung. Dieserichs, Düsseldorf 1963
- Band II: Die Wandervogelzeit. Quellenschriften zur deutschen Jugendbewegung 1896 bis 1919. Diederichs, Düsseldorf 1968
- Band III: Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die Bündische Zeit. Diederichs, Düsseldorf 1974. ISBN 3-424-00527-4
- Gerhard Ziemer, Hans Wolf: Wandervogel und freideutsche Jugend. Voggenreiter Verlag, Bad Godesberg 1961
Siehe auch
Weblinks
- http://www.nwv.de - Nerother Wandervogel
- http://www.wandervogel.org - Heutige Wandervogelbünde
- http://www.streitwiesen.org - Jugendburg Streitwiesen
- http://www.burgludwigstein.de/archiv Archiv der deutschen Jugendbewegung
- http://www.jugendbewegung.de Ein überbündisches Portal heutiger Jugendbewegter
- http://www.jurtenaufnahmen.de/ Nichtkommerzieller Download von Bündischem Singen zur Förderung der Weitergabe