Alan Turing

britischer Logiker, Mathematiker, Kryptoanalytiker und maßgeblicher Theoretiker der Informatik und Computertheorie (1912-1954)
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Alan Mathison Turing (* 23. Juni 1912 in London; † 7. Juni 1954 in Wilmslow) war ein britischer Mathematiker und Kryptoanalytiker und einer der Urväter des Computers.

Alan Turing

Turing gilt heute als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik. Die von ihm entwickelte Turingmaschine ist die Grundlage der theoretischen Informatik. Während des Zweiten Weltkrieges war er maßgeblich an der Entschlüsselung der mit der Enigma verschlüsselten deutschen Funksprüche beteiligt. Der Großteil seiner Arbeiten blieb nach Kriegsende jedoch unter Verschluss.

Turing entwickelte 1953 eines der ersten Schachprogramme, dessen Berechnungen er mangels Hardware selbst durchführte. Nach ihm benannt ist der Turing-Preis, die bedeutendste Auszeichnung in der Informatik, sowie der Turing-Test zum Nachweis künstlicher Intelligenz.

Kindheit und Jugend

Turing wurde 1911 in Chatrapur, Indien gezeugt. Sein Vater Julius Mathison Turing, ein britischer Staatsdiener in der damaligen Kolonie, und seine Frau Ethel (geborene Stoney) wollten, dass Turing in Großbritannien geboren wird. Deshalb kehrten sie nach London-Paddington zurück, wo Alan Turing schließlich geboren wurde. Da der Staatsdienst seines Vaters noch nicht beendet war, pendelte dieser während Turings Kindheit zwischen England und Indien. Seine Familie ließ er, aus Furcht vor Gefahren in der britischen Kolonie, bei Freunden in England zurück. Schon in frühester Kindheit machten sich bei Turing Anzeichen von Genialität bemerkbar. Es wird berichtet, dass er sich innerhalb von drei Wochen selbst das Lesen beibrachte und sich schon früh zu Zahlen und Puzzles hingezogen fühlte.

Im Alter von sechs Jahren wurde Turing nach St. Michaels in eine Ganztagsschule geschickt. Seine Klassenlehrerin erkannte frühzeitig seine Begabung - genauso wie viele seiner späteren Lehrer im öffentlichen Marlborough College. In Marlborough berichtete Turing erstmals von Problemen mit Mobbing. 1926, im Alter von 14 Jahren, ging er ins Sherborne-Internat in Dorset. Sein erster Schultag in Dorset fiel auf einen Generalstreik in England. Turing war jedoch so motiviert, dass er die 60 Meilen von Southampton zur Schule allein auf dem Fahrrad zurücklegte, nur einmal in der Nacht an einer Gaststätte stoppend. So ein Bericht der lokalen Presse.

Turings Drang zur Wissenschaft traf bei seinen Lehrern und Aufsehern in Sherborne auf wenig Gegenliebe. Sie setzten eher auf Geisteswissenschaften denn auf Naturwissenschaften. Trotzdem zeigte Turing auch weiterhin bemerkenswerte Fähigkeiten in den von ihm geliebten Bereichen. So löste er für sein Alter fortgeschrittene Aufgabenstellungen, ohne jegliche Kenntnisse der elementaren Infinitesimalrechnung.

Im Jahr 1928 stieß Turing auf die Arbeiten Albert Einsteins. Er verstand sie nicht nur, sondern entnahm einem Text Einsteins Bewegungsgesetz, obwohl dieses nicht explizit erwähnt wurde.

College und Arbeit zur Berechenbarkeit

Turings Widerstreben, für Geisteswissenschaften genauso hart wie für Naturwissenschaften zu arbeiten, hatte zur Folge, dass er einige Male durch die Prüfungen fiel. Weil dies seinen Notendurchschnitt verschlechterte, musste er auf ein College zweiter Wahl, das King's College, Cambridge, gehen, entgegen seinem Wunsch, am Trinity College zu studieren. Turing studierte von 1931 bis 1934 unter G. H. Hardy, einem respektierten Mathematiker, der den Sadleirian Chair in Cambridge innehatte, das zu der Zeit ein Zentrum der mathematischen Forschung war.

 
1-Band-Turingmaschine: abstraktes Modell eines Rechners, der mit nur drei Operationen (lesen, schreiben und Kopf bewegen) sämtliche berechenbaren Probleme lösen kann

In seiner für diesen Zweig der Mathematik grundlegenden Arbeit "On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem" (28. Mai 1936) formulierte Turing die Ergebnisse Kurt Gödels von 1931 neu. Er ersetzte dabei Gödels universelle, arithmetisch-basierte, formale Sprache durch einfache, formale Geräte, die heute unter dem Namen Turingmaschine bekannt sind. Turing bewies, dass solch ein Gerät in der Lage ist, jedes vorstellbare mathematische Problem zu lösen, sofern dieses auch durch einen Algorithmus gelöst werden kann. Auch wenn aufgrund der schlechten Performance keine Turingmaschine praktische Anwendung finden wird, so sind Turingmaschinen doch bis zum heutigen Tag Schwerpunkt der theoretischen Informatik. Mit Hilfe der Turingmaschine gelang es Turing zu beweisen, dass es keine Lösung für das Entscheidungsproblem gibt. Dazu zeigte er, dass das Halteproblem für Turingmaschinen nicht lösbar ist, d.h., dass es nicht möglich ist, algorithmisch zu entscheiden, ob eine Turingmaschine jemals zum Stillstand kommen wird. Während Turings Beweis erst nach dem von Alonzo Church mit Hilfe des Lambda-Kalküls geführten Beweises veröffentlicht wurde, so ist Turings Arbeit doch beträchtlich einfacher zugänglich und intuitiver. Auch war der Begriff der "Universellen (Turing) Maschine" neu, einer Maschine die die Aufgaben jeder anderen Maschine ausführen konnte.

1938 und 1939 verbrachte Turing zumeist an der Princeton University und studierte dort unter Alonzo Church. 1938 erwarb Turing den Doktortitel in Princeton. Seine Doktorarbeit führte den Begriff der "Hypercomputation" ein, bei der Turingmaschinen zu so genannten Orakel-Maschinen erweitert werden. So wurde das Studium von nicht-algorithmisch lösbaren Problemen ermöglicht.

Nach seiner Rückkehr nach Cambridge im Jahr 1939 besuchte Turing Vorlesungen von Ludwig Wittgenstein über die Grundlagen der Mathematik. Die beiden diskutierten und stritten vehement: Turing verteidigte den mathematischen Formalismus, während Wittgenstein der Meinung war, dass Mathematik überbewertet ist und keine absolute Wahrheit zutage bringen kann.

Kryptoanalyse

 
Nachbau einer Bombe

Während des Zweiten Weltkriegs war Turing einer der Hauptbeteiligten bei den Versuchen in Bletchley Park, verschlüsselte deutsche Funksprüche und ihre Chiffrierung zu knacken. Er steuerte einige mathematische Modelle bei, um sowohl die Enigma- als auch Fish-Verschlüsselungen zu dechiffrieren. Die Einblicke, die Turing bei den Fish-Verschlüsselungen gewann, halfen später bei der Entwicklung des ersten digitalen, programmierbaren elektronischen Computer Colossus. Konstruiert von Max Newman und seinem Team, und gebaut in der Post Office Research Station in Dollis Hill von einem von Thomas Flowers angeführten Team im Jahr 1943, entschlüsselte Colossus die Fish-Chiffren. Weiterhin half Turing die so genannten Bomben zu konstruieren - sie wurden wegen ihres Tickens so genannt: Fortgeschrittenere Versionen der vom Polen Marian Rejewski konstruierten Bomba-Maschinen zur Suche nach den Schlüsseln für Enigma-Nachrichten. Dabei handelte es sich um elektromagnetische Geräte, die mehrere nachgebaute Enigma-Maschinen verbanden und so in der Lage waren, viele mögliche Schlüsseleinstellungen der Enigma-Nachrichten zu eliminieren.

Turings Arbeit an der Entschlüsselung der Enigma war bis in die 1970er Jahre geheim, nicht einmal seine engsten Freunde wussten davon.

Mit dem heutigen Wissensstand kann man sagen, dass die aus Turings Arbeit resultierenden Entschlüsselungen geheimer deutscher Funksprüche, die den U-Boot-Krieg betrafen, mit dem die Deutschen die oft unbewaffneten aliierten Nachschub- und Versorgungsflotten viele Monate lang attackierten und dabei Dutzende von Schiffen versenkten und Tausenden den Tod brachten, in den betroffenen Regionen mit kriegsentscheidend gewesen sein könnten.

Arbeit an frühen Computern - Der Turing-Test

Von 1945 bis 1948 war Turing im National Physical Laboratory tätig, wo er am Design der ACE (Automatic Computing Engine) arbeitete. Im Jahr 1949 wurde er stellvertretender Direktor der Computerabteilung der University of Manchester. Hier arbeitete er an der Software für einen der ersten echten Computer: Den Mark I. Während dieser Zeit widmete er sich auch weiterhin theoretischen Arbeiten. In "Computing machinery and intelligence" (Mind, Oktober 1950) griff Turing die Problematik der künstlichen Intelligenz auf und schlug den Turing-Test als Kriterium dafür vor.

1952 schrieb er ein Schachprogramm. Ohne einen Computer mit genügend Leistung es auszuführen, übernahm Turing dessen Funktion und berechnete jeden Zug selbst, was ihn um die 90 Minuten pro Zug kostete. Das einzige mitgeschriebene Spiel verlor er gegen einen Kollegen.

Arbeit an mathematischen Problemen der Biologie

Von 1952 bis zu seinem Tod 1954 arbeitete Turing an mathematischen Problemen der Biologie. Er veröffentlichte 1952 eine Arbeit zum Thema "The Chemical Basis of Morphogenesis". In diesem Artikel wurde erstmals ein Mechanismus beschrieben, wie Reaktions-Diffusions-Systeme spontan Strukturen bilden können. Dieser heute als Turing-Mechanismus bekannte Prozess steht noch heute im Mittelpunkt vieler chemisch-biologischen Strukturbildungstheorien. Turings weiteres Interesse galt dem Vorkommen der Fibonacci-Zahlen in der Struktur von Pflanzen. Spätere Arbeiten blieben bis zur Veröffentlichung seiner gesammelten Werke 1992 unveröffentlicht.

Strafverfolgung wegen Homosexualität und Tod

Die Verfolgung aufgrund Turings Homosexualität vernichtete seine Karriere. 1952 half sein Freund einem Komplizen, in Turings Haus einzubrechen. Turing meldete den Diebstahl bei der Polizei, die ihm infolge der Ermittlungen eine sexuelle Beziehung zu einem 19-Jährigen vorwarf. Er wurde wegen "grober Unzucht und sexueller Perversion" angeklagt. Uneinsichtig und halsstarrig wie er manchmal war, verteidigte er sich nicht und wurde konsequenterweise verurteilt. Nach der veröffentlichten Verurteilung wurde er vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder den Geschlechtstrieb hemmende Hormone gespritzt zu bekommen. Er entschied sich für letzteres. Die Östrogen-Behandlung dauerte ein Jahr an und führte zu Nebenwirkungen wie der Entwicklung von Brüsten. 1954 starb Turing an einer Cyanid-Vergiftung, offensichtlich von einem vergifteten Apfel, den man halbaufgegessen neben ihm auffand. Es wird angenommen, dass es sich um einen Suizid handelte. Seine Mutter behauptete jedoch unermüdlich, dass die Vergiftung versehentlich war, begünstigt durch Turings sorglosen Umgang mit Chemikalien.

Posthume Ehrung

 
Gedenktafel an Turings Haus

Eine Turing-Statue wurde am 23. Juni 2001 in Manchester enthüllt. Sie steht im Sackville Park, zwischen den wissenschaftlichen Gebäuden der University of Manchester und dem Homosexuellenviertel der Canal Street.

An seinem 50. Todestag, dem 7. Juni 2004 wurde zum Gedenken an Turings frühzeitigen Tod eine Tafel an seinem früheren Haus 'Hollymeade' in Wilmslow enthüllt.

Der Turing-Preis wird jährlich von der Association for Computing Machinery an Personen verliehen, die große Arbeit im Informatikbereich geleistet haben. Er wird weithin als Nobelpreis für die Welt der Computer angesehen.

Werke

 
Alan Turing Gedenkstatue im Sackville Park in Manchester
  • 1937: On computable numbers, with an application to the Entscheidungsproblem
  • 1950: Computing machinery and intelligence – schlägt den "Turing-Test" vor, um die Frage der Intelligenz eines Computerprogramms zu klären
  • 1956: Can a machine think?

Literatur

  • Andrew Hodges: Alan Turing, Enigma, Zweite Auflage, Berlin etc. : Springer Verlag 1994 - Hervorragende Biographie
  • Rolf Hochhuth: Alan Turing, 1987, Rowohlt Verlag, ISBN 3499224631

Siehe auch