Rekonstruktion (Architektur)
Rekonstruktion ist in Architektur und Denkmalpflege die teilweise oder vollständige Wiederherstellung von Baudenkmalen, historischen Gebäuden oder Gebäudeteilen.



Einführung
Zu Rekonstruktionen im Bauwesen kommt es in der Regel aus dem Wunsch, durch Krieg oder Naturkatastrophen zerstörte wahrzeichenhafte Bauten und bauliche Ensembles in möglichst identischer Form wieder erstehen zu lassen.
Prominente Beispiele weltweiten Aufsehens:
- der 1902 eingestürzte Campanile am Markusplatz (Venedig)
- der 1950 durch Brandstiftung zerstörte „Goldtempel“ Kinkaku-ji in Kyoto
- das im Zweiten Weltkrieg verschollene Bernsteinzimmer 1976–2003 im Katharinenpalast
- das Teatro La Fenice nach Brand 1996–2003
- der „originalgetreue“ Nachbau der Brücke von Mostar 1995–2004
- die Rekonstruktion des durch Erdbeben 1997 schwer beschädigten Hauptschiffs der Basilika von Assisi mit Fresken von Cimabue und Giotto (das „Puzzle von Assisi“)
- die Pläne für die Rekonstruktion der Buddha-Statuen von Bamiyan nach der Zerstörung 2001 und
- des Namdaemun-Tores in Seoul nach der Brandstiftung im Februar 2008
Einige spektakuläre Rekonstruktionsvorhaben der letzten Jahre, etwa jenes der Frauenkirche in Dresden waren und sind sehr umstritten, andere, wie der Nachbau der Brücke von Mostar, wurden nie angezweifelt, von wieder anderen, wie der Wiederherstellung der Twin Towers des World Trade Center von Manhattan, wurde ausdrücklich Abstand genommen.
Arten der Rekonstruktion von Bauwerken
Es gibt verschiedene Vorgehensweisen bei der Rekonstruktion, die sich im Grad der Originaltreue und in der Sensibilität der Umsetzung unterscheiden. Georg Mörsch bezeichnet in der Architektur die Rekonstruktion als eine „wissenschaftliche Methode der Quellenausbeute zur Neuherstellung untergegangener Dinge, unabhängig von der Zeit, die seither verstrichen ist“.[1]
- Bei der originalgetreuen Rekonstruktion wird nach aufwendiger Quellenforschung das Bauwerk möglichst mit denselben Materialien, und denselben Methoden wiedererrichtet. Oft werden noch vorhandene Originalbauteile verwendet. Diese Art der Rekonstruktion findet sich vor Allem bei kulturhistorisch bedeutenden Bauwerken, die dann als Anschauungsobjekt dienen und museal genutzt werden. Ähnlich geht man bei der Anastilosis vor, allerdings wird dem Bauwerk dabei ein neues Tragwerk verpasst. Weiters ist diese Form in der Archäologie verbreitet, und ist mit eine Betätigungsfeld der experimentellen Archäologie. Im Sinne der Kunstgeschichte bezeichnet man das als Reproduktion.
- Nachempfundene Rekonstruktion nennt man eine Rekonstruktion, die aufgrund mangelnder Quellenlage den Anforderungen an Originaltreue nicht genügt. Typische Beispiele sind etwa, wenn von Gebäuden nurmehr Fassadenpläne, oder Bilddokumentation erhalten sind – der Rest der nötigen Information wird dann etwa durch Vergleich mit ähnlichen zeitgenössischen Objekten so gut wie möglich „neuerfunden“.
- Unter interpretierenden Rekonstruktion wird ein auf der Grundlage der historischen Quellen gemachter neuer Entwurf bezeichnet. Es entstehen Gebäude oder Gebäudeteile, die dem Charakter und Gesamteindruck des Originals entsprechen, ohne zu versuchen, sie eins zu eins zu kopieren. Ein Beispiel ist der Prinzipalmarkt in Münster. Die Ziergiebel der Häuser wurden neu entworfen, der Gesamteindruck des Marktes blieb jedoch erhalten. Diese Methode leitet sich aus der Neutralretusche der modernen Restaurierung ab: Die Fehlstellen des Originals sollen auf den ersten Blick so gut wie möglich übersehen werden, dem danach suchenden Auge aber sofort als ergänzt auffallen: Damit ist der Forderung der Wiederherstellung des Gesamteindrucks ohne den Verdacht des (im Ruch der unzulässigen Fälschung stehenden) Replikats aufkommen zu lassen.
Doch selbst wenn ein Gebäude weitgehend originalgetreu wiederentsteht: Baurechtlich kommt eine Rekonstruktion einem Neubau gleich und ist daher im Allgemeinen kein Baudenkmal im Sinne des Denkmalschutzes.
Generelle Probleme bei der Rekonstruktion von Bauwerken
Unabhängig davon, welche Art der Rekonstruktion vorgenommen wird, gibt es einige Probleme und Fragestellungen, die immer wieder auftauchen.
- Die Originalbauwerke wurden oft nur unvollständig dokumentiert, also müssen die fehlenden Teile neu erdacht werden.
- Die Baustoffe oder Bautechniken, die bei der Errichtung des Originals zur Verwendung kamen, sind heute nicht mehr verfügbar oder finanziell nicht mehr erschwinglich.
- Das Original entspräche nicht den Raumanforderungen, die die neue Nutzung des Gebäudes stellt. Daher wird das Gebäude im Inneren neu strukturiert und gegliedert.
- Das Replikat entspräche nicht den heutigen statischen Sicherheitsanforderungen, also muss man das Tragwerk verändern.
- Das Original oder Replikat entspräche nicht den gesetzlichen Sicherheitsbestimmungen (Brandschutz, Fluchtwege, …)
- Das Original entspräche nicht mehr heutigen Komfortansprüchen (Klima, Elektrotechnik, Sanitärinstallationen), also wird der Originalentwurf dementsprechend angepasst.
Gründe und Argumente für und gegen Rekonstruktionen
In der Architektur und Denkmalpflege ist die Rekonstruktion von Gebäuden sehr umstritten. Es stehen sich sehr unterschiedliche Motive, Vorlieben und Wertvorstellungen gegenüber. Insgesamt erweist sich Frage der Rekonstruktion am prominenten städtischen Standorten im Kontext Stadtbild als wesentlich konfliktträchtiger, als bei abgelegenen Bauten, oder im Freiland.
Historische oder historisierende Architektur wird in der Regel (auf der Basis einschlägiger sozialpsychologischer Umfragen) als ansprechender empfunden als zeitgenössische Architektur. Verlust des „schönen Alten“ wird als ästhetische Minderung gesehen, historisch entstandene und schlecht geschlossene Baulücken als andauernder Makel im Stadtbild erlebt. Als Wohnlage gelten Altbauviertel – bei hinreichendem Sanierungstand – als „bessere Gegend“, und Objekte erreichen höhere Verkaufs- und Mietpreise. In diesen Kontext fügen sich Rekonstruktionen im Allgemeinen ausgezeichnet ein. Gerade von Ortsunkundigen werden Replikate als solche im Allgemeinen nicht wahrgenommen, sondern in ein positives Gesamtbild einer touristischen Destination integriert. Auch im Bewusstsein der Anwohner verschwindet die Tatsache der Rekonstruktion eines Gebäudes relativ schnell, wenn man von spektakulären Beispielen absieht. In der allgemeinen Rezeption der Baugeschichte sind Zerstörung und anschließende Rekonstruktion dann nicht mehr als eine Episode in der Geschichte des Bauwerks, die sich auf gewisse Art wenig von einer Generalsanierung unterscheidet. Dasselbe gilt im Allgemeinen aber auch für gelungene Neubauten.
Aus Sicht der Stadtgeschichte ist Zerstörung als unvermeidlicher Teil der Stadtgeschichte und des Lebens zu akzeptieren. Auch der als historisch empfundene Zustand ist nur das Ergebnis eines vorhergehenden Zerstörungs- und Neubauprozesses. Aus einer Forderung nach historischer Treue ist die stattgefundene Zerstörung eine zwar bedauerliche, aber bereits an sich bedeutsame Tatsache und Aussage, die durch die Rekonstruktion unlesbar würde. Insofern ist sie Teil der Werkgeschichte, und das Ende durch Zerstörung ein für ein Bauwerk natürliches. manche zerstörte Objekte waren kunsthistorisch aber von so herausragender Bedeutung, dass auch nach Jahrzehnten der Wunsch fortdauert, sie zu rekonstruieren. Die Wiederherstellung im Sinne einer historischen Dokumentation kann als museal-pädagogische Maßnahme auch durchaus erfolgreich verlaufen.
Eine im Denkmalschutz entscheidende Frage ist die nach der Originalsubstanz: Im Prinzip sind zwar bei keinem alten Gebäude alle Bestandteile original, da zwangsläufig immer wieder Reparaturen oder Ergänzungen vorgenommen werden, an vielen alten Gebäuden ist sogar über die Jahrhunderte hinweg betrachtet kaum ein Stein mehr aus der Erbauungszeit. Andererseits verfügt eine Rekonstruktion nie über die Vielschichtigkeit, und auch nicht die Geschichte des Originals, also seine Authentizität, und sie entspricht ihm auch bei bester Originalgetreue genauso wenig materiell. Der historische Wert liegt einzig darin, ein echter Zeitzeuge zu sein, als historisches Dokument ist das Zerstörte in jedem Falle verloren und sein Ersatz konstituiert ein neues Dokument. Auch besteht eine Relativität der Beurteilung eines Zustandes als „original“: In der Bau- wie auch Kunstgeschichte wird heute als Errungenschaft betrachtet, nicht eine bestimmte Fassung eines Objekts als „das Original“ zu erachten, weder die Erstfassung, oder die prächtigste oder seinerzeit populärste, noch die letzte, die sich in der Erinnerung festgesetzt hat: Wenn ein Objekt auf einen früheren Zustand zurückgeführt würde, ließe sich nicht gerechtfertigt entscheiden, auf welchen.
Verlust an baulichem Erbe wird im Allgemeinen auch als Verlust an Lebensqualität gesehen, und manchen Gebäuden eine über die reine Substanz hinausgehende ideelle Bedeutung zugesprochen. Bestimmte, verloren gegangene Gebäude werden für die Identität eines Ortes als prägend empfunden, die Bewohner identifizieren diese Gebäude aus Nostalgie als unentbehrlichen Teil ihrer Stadt. Ein rekonstruiertes Gebäude hat aber immer den Aspekt einer Kulissenarchitektur, und erreicht unter Umständen nie mehr den kulturellen und ideellen Wert des Originals, führt aber leicht zur Verklärung der Vergangenheit. Herausragende Bauwerke tragen meist hohen Symbolcharakter, und deren Zerstörung überhöht diese Symbolinhalte. Wie sich das auch eine Rekonstruktion überträgt, lässt sich schlecht vorhersagen, und Beispiele für einen erfolgreichen Ersatzbau lassen sich genauso finden, wie „Bauleichen“, die den früheren emotionellen Wert nie erreichen.
Moderne Stadtgestaltung geht von der Vorstellung aus, dass zeitgenössische Architektur ein Ausdruck gesellschaftlicher Identität ist, die sich kontinuierlich weiter entwickelt. Danach benötigt eine Gesellschaft eine Architektur, die ihren Lebensumständen und Bedürfnissen gerecht wird, und deren Ausdruck sie ist. Aus kulturhistorischer Sicht ist Rekonstruktion als ein Phänomen des 20. Jahrhunderts zu sehen, die in der Geschichte ohne Vorbild ist: Rekonstruktion lässt sich daher nicht historisch legitimieren. Zum anderen ist auch der Begriff Stadtbild – als über das Einzelgebäude hinausgehende architektonische Einheit – auch erst im Laufe der Moderne in das Blickfeld der Architektur geraten. Gerade der freie Zugriff auf die Formensprache aller früheren Epochen wird aber als einer der Wesenszüge der Postmoderne gesehen, und in anderem Sinne erfüllt die Rekonstruktion gerade darum die Forderung nach der Antwort auf die Bedürfnisse der Zeit, und ist in diesem Sinne Ausdrucke der zeitgenössischen Bautätigkeit. Wie spätere Geschichtsepochen über diese Phase der Architektur und ihre Eigenheiten urteilen werden, lässt sich nicht sagen.
Gerade für Architekten ist es nicht sonderlich erstrebenswert, Nachbildungen auszuführen, statt Neues zu schaffen. Das Berufsbild des Architekten im heutigen Verständnis erfordert immer, eine eigenständige Antwort auf die Baulage und die umgebenden Ensembles zu finden. In diesem Sinne ist jeder Neubau als „historisch getreuer“ zu sehen, weil auch die zerstörten Objekte seinerzeit Ausdruck ihrer eigenen Zeit waren, und neu an die Stelle eines zerstörten Objekts getreten waren. Einerseits ist die „Idee eines Gebäudes“ das eigentliche Werk eines Architekten, und eine Rekonstruktion würde in diesem Sinne eine Würdigung darstellen, zum anderen arbeitet jeder Architekt in irgendeiner Weise auch mit der Geschichte des Bauplatzes, und dieser Bezug auf die Vorgängerbauten ist ebenso als Würdigung zu sehen, auch wenn sie in ausdrücklichem Kontrast steht. Lösungen von historischen Architekten stehen heute insofern ebenso in Konkurrenz zu einem Neuprojekt, wie die anderer Zeitgenossen. Es bleibt die prinzipielle Frage stehen, warum man etwas wiederentstehen lassen soll, statt ein neues Gebäude zu errichten.
An prominenten Einzelbeispielen von Rekonstruktionsvorhaben und -ausführungen zeigt sich, dass Architektur in der Öffentlichkeit ein durchaus gewichtiger Faktor ist, der heute noch genauso polarisieren kann, wie das aus der Architekturgeschichte aus allen Zeiten bekannt ist. Das Stadtbild als ganzes erweist sich hier als ein über Einzelinteressen hinausgehendes Konzept.
Beispiele
- der 1781 durch Brand zerstörte Gouverneurspalast (Williamsburg) wurde 1927-34 aus dem Gesichtspunkt einer Komplettierung des touristisch-musealen Colonial Williamsburg (Virginia) nach alten Vorlagen wieder errichtet.
- In Polen begann man bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit Rekonstruktionen kriegszerstörter Gebäude. Die Altstädte von Breslau, Danzig und Warschau wurden weitgehend wiederaufgebaut. Die vorwiegend in den Jahren 1946 bis 1953 erfolgte Rekonstruktion der Warschauer Altstadt wurde als eine Meisterleistung gewürdigt. Die Altstadt ist heute als Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt. Auch das Warschauer Schloss wurde nach dem Krieg wiederaufgebaut.
- in jüngerer Zeit mehrere hundert Kirchen und andere Gotteshäuser, die in der Periode des Stalinismus auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zerstört worden waren (darunter Christ-Erlöser-Kathedrale, Kasaner Kathedrale und Auferstehungstor in Moskau, Verklärungskathedrale in Odessa ).
- Deutschland: in der Diskussion: Berliner Bauakademie, Berliner Stadtschloss, Potsdamer Stadtschloss, Potsdamer Garnisonskirche; im Bau: Palais Thurn und Taxis, Neumarkt Dresden (Weigelsches Haus, Hotel Stadt Berlin, Haus „Zum Schwan“, Haus „Zur Glocke“ und andere); fertig gestellt: Frauenkirche, Hotel de Saxe und Salomonisapotheke (Dresden), Knochenhaueramtshaus (Hildesheim), Römerberg-Ostzeile (Frankfurt am Main), Münster (Westfalen) nach 1945
- eine weitere Ensemble-Rekonstruktion ist die von Newgrange
- in archäologischem Kontext steht die Teilrekonstruktionen an der Ausgrabungsstätte Knossos
Siehe weitere Beispiele: Kategorie:Rekonstruiertes Bauwerk
Rekonstruktionen an anderer Stelle
Als weiterer Aspekt sind die Rekonstruktionen an anderer Stelle, meist aus rein denkmalpflegerischen Gründen, zu sehen: Hierbei ist der Verlust des Original nicht Voraussetzung. Die Bandbreite erreicht hierbei – anhand von prominenten Beispielen – etwa:
- Die Übersiedlung und Rekonstruktion (Translozierung) der Tempel von Abu Simbel: 1964–1968 wurden die vom Versinken im Assuanstausee bedrohten Objekte (zwei Höhlentempel, mit Monumentalstatuen am Portal) zersägt, und an höhergelegenem Ort wiederaufgebaut. Die Originalsubstanz ist hierbei – bis auf die Zersägefugen – weitgehend vollständig erhalten, die Baukonstruktion aber nicht, die Rückseite wird durch eine Stahlbetonkuppel gebildet. Trotz der offenkundigen Fassadierung wird diese Rekonstruktion heute als seinerzeit bestmögliche Methode angesehen, und wird auch von der UNESCO mit der Anerkennung als Weltkulturerbe gewürdigt
- die Museumsverwahrung des Ischtar-Tor von Babylon, das heute im Pergamonmuseum in Berlin steht: In diesem Beispiel spielen viele Kontroversen der Archäologie eine Rolle, denn das Tor besteht aus den 1899–1917 von Koldewey geborgenen Originalen an glasierten Deckziegen sowie seinerzeit angefertigten Ergänzungen, die auf einen neuen Kern aufgezogen sind. Am ungefähren Originalplatz befindet sich seit 1977 eine weitere Rekonstruktion, die vollständig repliziert ist. Solche Beispiele, in denen das Original heute im Museum, und die Kopie vor Ort ist, sind häufig, etwa auch Michelangelos David (Michelangelo) (am Platz unter freiem Himmel steht die Kopie) oder die minoischen Fresken im Archäologischen Museum von Heraklion (die fragmentarischen Relikte werden innerhalb von Ergänzungen des frühen 20. Jh. gezeigt, von denen man nicht mehr weiß, ob sie das damals aufgefundene und vielleicht noch besser erhaltene Original darstellen, oder freie Interpretation sind), und repräsentieren die konfliktträchtigen und schwer lösbaren Fragen rund um Original und Replikat, Erhaltung und Schutz bei Kunstschätzen der Architektur, wie auch anderer architekturgebundener Künste.
- Die heute technisch lösbare Gebäudeversetzung: Hierbei wird ein Objekt am Boden abgesägt, und andernorts auf eine neue Gründung gesetzt. Wie auch im vorigen Beispiel handelt es sich dabei um eine vorsätzlich in Kauf genommene teilweise Zerstörung des Originals: Weder seine Fundamente, noch die Spuren der Vorgängerbauten (die meist im Anschluss dokumentarisch erfasst werden), noch der Kontext im Ensemble bleibt erhalten – diese denkmalpflegerische Maßnahme entspricht der Notgrabung, die bei voraussehbarem Totalverlust suboptimale Bergung des Funds rechtfertigt
- Die Nachbildung der steinzeitlich bemalten Höhle von Lascaux: Dieses vom Besucherstrom schwer belastete Denkmal wurde bis 1983 als „Lascaux II.“ 200 m vom Original entfernt teilweise nachgebildet. Da das Original hier in situ erhalten ist, wird diese Maßnahme nicht unter dem Aspekt der Fragwürdigkeit einer Rekonstruktion gesehen, obwohl durch den weiter fortgeschrittenen Verfall der Originalhöhle die Kopie nurmehr den – besseren – Erhaltungszustand der 1970er dokumentiert (Sie ist „originaler als das Original“)
Alternativen
Repräsentative Ersatzbauten
Es gibt Beispiele, die Alternativen zur Rekonstruktion von zerstörten Gebäuden aufzeigen:
- Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, ein Mahnmal gegen den Krieg.
- Die Kuppel des Reichstagsgebäudes, die zum Wahrzeichen des wiedervereinigten Deutschland geworden ist
Digitale Rekonstruktion
Die digitale oder auch virtuelle Rekonstruktion dient zur Darstellung zerstörter Gebäude, Städte oder historischer Vorgänge. Die digitale Auferstehung zerstörter beziehungsweise beschädigter Kulturgüter wird mit CAAD und Rendering-Software erstellt und dient der Veranschaulichung.
Die digitale Rekonstruktion nicht länger existenter (Architektur-) Objekte im stadträumlichen Kontext, kommt einer „virtuellen Wiedergewinnung“ (Virtuelles Museum) gleich. Irreversible Zerstörungen, welche über die Zeiten hinweg identitätsstiftende Bauwerke aus dem Stadtraum entfernten, bilden nicht selten den Anlass für eine digitale Rekonstruktion. Im Zuge der Rekonstruktion tritt in vielen Fällen die Problematik der Zuverlässigkeit des vorhandenen Grundlagenmaterials in den Vordergrund. Fotografien und die meist nur – im städtisch überbauten Raum primär – im Grundriss erhaltenen archäologischen Grabungsbefunde liefern aufgrund der zweidimensionalen Daten nur eingeschränkten Informationsgehalt über den Gegenstand der Betrachtung. Fehlende Informationen müssen ergänzt bzw. durch zusätzliche Quellen ersetzt werden.
Das dreidimensional rekonstruierte Objekt offeriert jedoch erweiterte Möglichkeiten im Umgang als ein materielles Replikat. Die Implementierung computergenerierter Baustrukturen in eine zusammengefügte Realbildumgebung vermag es, ergänzt durch „Navigation in Echtzeit“ eine Wirklichkeitsnähe zu erlangen, welche sich den komplexen Vorgängen menschlicher Wahrnehmung annähert. Wesentlich ist jedoch, dass es erst die vollständige digitale Modellstruktur gestattet, die plastische Erscheinungsform einer Architektur in konkreter Form zu veranschaulichen. Darüber hinaus kann ein virtuelles Modell in Teilmodelle zerlegt werden, sowie die gesamte Baugeschichte in ihren Bauphasen erfassen.
Daneben gestattet das virtuelle Modell die Generierung von unterschiedlichen Rekonstruktionsvarianten hinsichtlich Farbe und Material. Insofern dient sie sowohl als planerische, wie auch gestalterische Entscheidungsbasis tatsächlich ausgeführter Rekonstruktionen, und in diesem Sinne unterscheidet sich digitale Rekonstruktion nicht von anderen Vorgängen modernen CAAD-gestützten Bauens.
Beispiele:
- Kombination historische Berichte mit Ausgrabungsbefunden: Kaiserpfalz Magdeburg[2], Aula regia der Kaiserpfalz Ingelheim[3]
- Stadtbaukundliche Gesamtaufnahmen als „vierdimensiones“ Modell, auch mt der Möglichkeit, Zusammenhänge im Raum wie auch entlang einer Zeitleiste zu visualisieren: Virtuelles Altstadtmodell Frankfurt am Main
- Geschichtliche und soziologische Dokumentation: In der Zeit des Nationalsozialismus zerstörte Synagogen in Deutschland und Österreich[4], Zwangsarbeitslager Berlin-Niederschöneweide[5]
- Einen Sonderfall stellt die digitale Simulation historischer Entwürfe dar, die ungebaut blieben: Sternkirche von Otto Bartning[6]
Literatur
Zur Begriffsklärung und Abgrenzung der Rekonstruktion im Bauwesen gegenüber anderen Begriffen wie Wiederaufbau:
- Mörsch, Georg, Aufgeklärter Widerstand. Das Denkmal als Frage und Aufgabe. Basel, Boston, Berlin 1989, S. 97ff.
Zur aktuellen Diskussion um die Legitimität der Rekonstruktion in der Architektur:
- Michael Braum, Ursula Baus: Rekonstruktion in Deutschland: Positionen zu einem umstrittenen Thema, Birkhäuser, April 2009, ISBN 9783034600675
- Heinrich Magirius/Böhme, Ulrich: Meinungsstreit: Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche oder Erhaltung der Ruine als Denkmal? In: DKD 49/1991, S. 79–90.
- Hartwig Schmidt: Wiederaufbau. Konrad Theis Verlag, Stuttgart 1993, ISBN 3-8062-0588-4 (Denkmalpflege an archäologischen Stätten 2, Architekturreferat des Deutschen Archäologischen Instituts.)
- Hanno Rauterberg: Echt unecht. Über die Bedeutung der Denkmalpflege in Zeiten der Künstlichkeit. In: Kunsttexte.de 1/2001 Webdokumjent, pdf.
- Winfried Nerdinger, Hilde Strobl: Rekonstruktion. Ein Reizthema in historischer Perspektive. In: aviso 1/2008 (Webdokument, PDF-Datei; 0,8 MB).
- Das Prinzip Rekonstruktion. Tagungsbesprechung, ETH Zürich 24. und 25. Januar 2008. In: Kunsttexte.de 1/2008 (Webdokument, pdf).
Weblinks
- Stadtbild Deutschland – Vereinsseite mit eindeutiger Rekonstruktionsbefürwortung
- Position eines Denkmalpflegers gegen Rekonstruktion
- Tagungsbesprechung einer Tagung in Zürich Januar 2008 mit einem Versuch zur Zusammenfassung der Argumente (PDF-Datei; 0,3 MB)
- digitale-rekonstruktion.de - Umfassende Internetseite zu den Möglichkeiten der Rekonstruktion
- Troja im Cyberspace – Ausführliche Besprechung des Thema historischer Rekonstruktionen
Einzelnachweise
- ↑ Lit.: Mörsch, 1989
- ↑ Maic Masuch, Bert Freudenberg: Pfalz. Institut für Simulation und Graphik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, abgerufen am 18. Februar 2008.
- ↑ Virtuelle Rekonstruktion Aula regia. Forschungsstelle Kaiserpfalz Ingelheim, abgerufen am 18. Februar 2008.
- ↑ Synagogen-Internet-Archiv. Abgerufen am 18. Februar 2008.
- ↑ Interaktives 3D-Modell des Zwanfsarbeiterlagers. In: Projekt "NS-Zwangsarbeit in Berlin". Berliner Geschichtswerkstatt e.V., abgerufen am 6. Juni 2008.
- ↑ www.sternkirche.de, Aufrufdatum unbekannt