Hans Egon Holthusen (* 15. April 1913 in Rendsburg; † 21. Januar 1997 in München) war ein deutscher Lyriker, Literaturwissenschaftler, Essayist und Kritiker.
Leben
Hans Egon Holthusen besuchte 1924–31 das Gymnasium Andreanum in Hildesheim, wo sein Vater Johannes Holthusen evangelischer Pfarrer in St. Andreas Nord war.[1] Nach dem Abitur studierte er an den Universitäten Tübingen, Berlin und München Germanistik, Geschichtswissenschaften und Philosophie. In München promovierte er 1937 über Die Sonette an Orpheus von Rainer Maria Rilke, an dem er sich auch in seinen eigenen lyrischen Arbeiten orientierte.
1933 trat Holthusen in die SS ein; er gehörte der SS-Standarte Julius Schreck an.[2] Nach eigener Auskunft führte dies zu Konflikten mit seinem national-konservativen Vater.[3] Ab 1937 war Holthusen auch Mitglied der NSDAP.[2] In München arbeitete er als Universitätslektor für ausländische Studenten und als Hauslehrer. 1939 wurde er als Soldat zur Wehrmacht eingezogen und als Nachrichtenhelfer an der Ostfront eingesetzt. Im April 1940 versuchte er in der Monatszeitschrift Eckart den Überfall auf Polen als historische Tradition zu rechtfertigen: „Der Sinn unseres Marsches war ein Jahrtausend alt. ›Nach Ostland wollen wir reiten‹, hatten die niederdeutschen Ordensritter und Siedler des ottonischen und stauffischen Mittelalters gesungen, und heute war es dasselbe Lied, das uns geleitete…“[4]
Nach 1945 übte er als Autor und Kritiker starken Einfluss auf den westdeutschen Literaturbetrieb aus. Der Titel seiner Essay-Sammlung Der unbehauste Mensch (1951), wurde zum Schlagwort für das Lebensgefühl der Kriegsgeneration im Deutschland der 1950er Jahre. Holthusen analysierte die Situation des Menschen in der Moderne u.a. im Rückgriff auf Texte von Rilke und Kafka; gelegentlich wurde er als Vertreter eines „christlichen Existentialismus“ bezeichnet.
In den USA lehrte er ab 1959 als Gastprofessor an der University of Pittsburgh, der University of Chicago, der Indiana University und zuletzt 1968–1981 an der Northwestern University). 1961–64 leitete er das Goethe-Institut (damals noch Goethe House) in New York City. In Deutschland nahm er 1963 einen Lahrauftrag an der Universität München wahr. Bis 1963 leitete er die Literaturabteilung der Akademie der Künste (Berlin). Dort kam es 1960 zu einer öffentlichen Diskussion um seine politische Vergangenheit: Holthusen saß in der Jury für die Vergabe des Theodor-Fontane-Preises, und die designierte Preisträgerin Mascha Kaléko lehnte es ab, eine Auszeichnung aus der Hand eines ehemaligen SS-Mannes entgegenzunehmen. In der Zeitschrift Merkur publizierte Holthusen 1966 einen Erinnerungsbericht mit dem Titel Freiwillig zur SS[5], worauf Jean Améry mit einem offenen Brief reagierte.[6]
1968–1974 war Holthusen Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 1981 wurde er Fellow des neu gegründeten Wissenschaftskollegs in Berlin. Aus der Berliner Akademie der Künste trat er 1983 aus, nachdem die Akademiemitglieder Günter Grass und Heinrich Böll sich seiner Meinung nach zu stark politisch engagiert hatten (etwa durch ihre Kritik am NATO-Doppelbeschluss).
Der Nachlass von Hans Egon Holthusen befindet sich in der Universitätsbibliothek Hildesheim. Seine Schwester Mechthild Raabe erstellte eine Bibliographie seiner Texte.
Ehrungen, Mitgliedschaften
- 1953 Literaturpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft
- 1956 Mitglied der Akademie der Künste (Berlin); Literaturpreis der Stadt Kiel
- 1973 Bayerischer Verdienstorden
- 1983 Jean-Paul-Preis
- 1984 Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein
- 1987 Großes Bundesverdienstkreuz
Werke
Lyrik
- Klage um den Bruder. Gedichtzyklus. Hamburg 1947 (Erinnerung an den im Krieg gefallenen Bruder)
- Hier in der Zeit. Gedichte. München 1949
- Labyrinthische Jahre. Neue Gedichte. München 1952
Prosa, Essays
- Der späte Rilke. Zürich 1949
- Der unbehauste Mensch. Motive und Probleme der modernen Literatur. Essays. München (Piper) 1951. 3. Auflage 1955, Neuauflage 1964
- Ja und Nein. Neue kritische Versuche. München 1954
- Das Schiff. Aufzeichnungen eines Passagiers. 1956 (Schilderung einer Reise in die USA)
- Rilke in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg (rororo) 1958
- Das Schöne und das Wahre. Zur Theorie der Dichtkunst bei Eliot und Benn. Berlin-Friedenau 1960
- Kritisches Verstehen. Neue Aufzeichnungen zur Literatur. 1961
- Plädoyer für den Einzelnen. Kritische Beiträge zur literarischen Diskussion. 1967
- Indiana Campus. Ein amerikanisches Tagebuch. München 1969
- Kreiselkompaß. Kritische Versuche zur Literatur der Gegenwart. 1976
- Chicago - Metropolis am Michigansee. München, Zürich 1981
- Opus 19. Reden und Widerreden aus 25 Jahren. München, Zürich 1983
- Gottfried Benn: Leben, Werk, Widerspruch. 1886–1922. Stuttgart (Klett-Cotta) 1986 (Ein geplanter 2. Band ist nicht erschienen)
Literatur
- Bernd Wildermuth: Hans Egon Holthusen. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 1009–1010.
- Mechthild Raabe: Hans Egon Holthusen. Bibliographie 1931–1992. Hildesheim 2000
- Dirk Kemper, Nora Burda, Andrea Schindelmeier (Herausgeber) Hildesheimer Literatur Lexikon von 1800 bis heute. Olms 1996
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Holthusen berichtet über seinen Vater in Martin Greiffenhagen Pfarrerskinder, Stuttgart 1982. Über seine Jugend in Hildesheim berichtet er in Unwiederbringliche Stadt, in Ja und Nein 1954.
- ↑ a b Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 265.
- ↑ Hans Egon Holthusen: Freiwillig zur SS. Merkur Bd. 20, 1966, S. 921, 1037
- ↑ Zitat bei Ernst Klee: Kulturlexikon, S. 265.
- ↑ Holthusen: Freiwillig zur SS. Merkur Bd. 20, 1966
- ↑ „Sie gingen zur SS, freiwillig“, schreibt Améry an Holthusen. „Ich kam anderswohin, ganz unfreiwillig.“ Zitiert nach: [1]
Personendaten | |
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NAME | Holthusen, Hans Egon |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Autor |
GEBURTSDATUM | 15. April 1913 |
GEBURTSORT | Rendsburg |
STERBEDATUM | 21. Januar 1997 |
STERBEORT | München |