Einfaches Leben

Lebensstil
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Einfaches Leben (englisch "Simple living") oder Freiwillige Einfachheit (englisch "Voluntary simplicity") bezeichnen einen Lebensstil, der sich als Alternative und Regulativ zum überbordenden, westlichen, konsumorientierten Leben sieht. Der amerikanische Ausdruck "Voluntary Simplicity" soll auf einen Text des US-Sozialwissenschaftlers Duane Elgins von 1981 zurückgehen, in welchem er das Augenmerk auf einen einfachen, genügsamen und ausgewogenen Lebensrythmus abseits des konsumorientierten "american way of life" richtete.

Im Gegensatz zu extremer Sparsamkeit und Geiz ("Geiz-ist-geil"-Mentalität) wird nicht vorherrschend oder krankhaft nach billigen Schnäppchen und Sparmöglichkeiten gesucht, sondern Besitz, Konsum und die eigene Anspruchshaltung werden besonders kritisch hinterfragt. Erfüllung und entspannte Lebensfreude werden in wenigen, einfachen, meist kostenlosen, Dingen und Betätigungen gesucht. Dabei überläßt man sich nicht mehr den in den Medien oder der Werbung vorgelebten, stereotypen Verhaltensmustern. Statt dessen entwickelt sich eine ausgeprägte Individualität, die dem Kern der eigenen Persönlichkeit bestmöglich entspricht. Die subjektiv erlebte Lebensqualität steht dabei im Vordergrund, weshalb sich dieser Lebensstil auch von der genussfeindlichen, weltabgewandten Askese unterscheidet.

Geschichte

Ansätze zum Einfachen Leben lassen sich bis in die Antike zu den Stoikern und Kynikern (Diogenes von Sinope) oder beispielsweise dem gr. Philosophen Platon zurückverfolgen. Spätestens seit Henry David Thoreau und Ralph Waldo Emerson um 1845 das einfache Leben favorisierten und idealisierten, gelten sie in den USA als fester Bestandteil der Subkultur.

Als ideelle Vorläufer werden in den USA häufig auch religiös orientierte Gruppen, wie die Quäker oder die Amish, als Wegbereiter und Verfechter des einfachen Lebens genannt. In Deutschland finden sich Vorläufer in der Wandervogel-Bewegung, die dem autoritären Druck der Gesellschaft entgehen wollte, der Flowerpower-Generation, die mit ihrem Leben Wohlstand und Konsum verweigerten sowie den Spät-Hippies der 1970er Jahre, die sich in Kommunen und alternativen Lebensgemeinschaften organisierten.

In Ländern mit einer ausgeprägten Kreditkultur, wie beispielsweise die USA, wird der Abbau von Konsumschulden oft als erster und einleitender Schritt zum Einfachen Leben genannt. Die Änderung der Lebensführung erfolgt hier aus den verfahrenen Lebensumständen heraus. Die notwendige Einschränkung des Konsums und der Ausstieg aus dem konsumorientierten Denken führen zu größerer, finanzieller Freiheit und werden oft nach dem eigentlichen, erfolgreichen Schuldenabbau begeistert beibehalten.

Gründe

Das "Einfache Leben" sieht sich als Antwort auf problematische, belastende gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, wie zum Beispiel:

Ziele

Im einfachen und genügsamen Leben wird darauf geachtet, Besitz, Beziehungen, Waren, Dienstleistungen, Konsum, Konsumschulden und das eigene Verhalten kritisch auf ihre wirkliche Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu prüfen. Die starke Fixierung des Menschen auf die Rolle als Konsument wird sehr aufmerksam hinterfragt. Status- und Prestigestreben werden als hinderlich und belastend betrachtet. Shopping als Unterhaltung oder Freizeibeschäftigung wird vermieden. Stattdessen wird planmäßig eingekauft. Die Frei- und Mußezeit geniesst wieder eine hohe Wertschätzung, wobei aber bewusst Stress in Freizeit und Urlaub vermieden werden. Im Mittelpunkt stehen Aussagen wie "Weniger ist mehr" und die Frage: "Will ich ein Produkt nur oder brauche ich es wirklich?" Der Unterschied zwischen reinem Begehren und echter Notwendigkeit wird stark beachtet. Ein Ziel ist dabei, weniger Dinge zu besitzen, um sich mit deren Anschaffung, Bezahlung und Pflege nicht aufzuhalten und unnötig zu belasten. Geld (Arbeitslohn) wird aus der Sichtweise des Einfachen Lebens üblicherweise gegen wertvolle Lebenszeit eingetauscht, um Dinge in seinen Besitz zu bringen, die man meist nicht wirklich braucht. Ein Übermaß an Besitz wird als Handicap wahrgenommen. Wegen der daraus resultierenden, relativen Bedürfnislosigkeit ist auch ein Leben nahe am oder unter dem offiziellen Existenzminimum möglich. Religiöse oder spirituelle Rückbesinnung sowie eine ganzheitliche Weltsicht spielen auch eine Rolle, sind jedoch meist nur ein begleitendes Element.

Die Einschränkung des persönlichen Konsums kann zusammen mit einer erhöhten Sparneigung und bedachter Kalkulation des familiären Haushaltsbudgets zu einer relativen, finanziellen Unabhängigkeit führen. Dies dient dazu, seinen persönlichen Neigungen nachzugehen und nur noch wenig Lebenszeit mit der u.U. ungeliebten Erwerbsarbeit zu verbrauchen. Wer Arbeit bis dahin als Belastung empfand, oder wer mit einem geringeren Einkommen auskommen muss, für den kann das Einfache Leben eine erstrebenswerte Lebensalternative darstellen. Ehrenamtliche Tätigkeiten treten im Einfachen Leben bisweilen stärker in den Vordergrund, da soziales Engagement und Solidarität geschätzte Ideale darstellen, mehr freie Zeit zur Verfügung steht und eine geringere finanzielle Abhähgigkeit von Erwerbsarbeit besteht.

Der Einfluss der Werbung wird sehr kritisch betrachtet. Werbung erzeugt danach in unserer Gesellschaft eine latente Unzufriedenheit auf hohem Niveau. Daraus entsteht im Menschen ein verzweifeltes Bemühen und Begehren, Glück und Erfüllung durch den Erwerb und Besitz von Dingen zu erlangen. Die Lust an immer neuem Konsum soll stimuliert werden, doch eine nachhaltige, innere Befriedigung bleibt aus. Man versucht sich im Einfachen Leben diesem, durch Werbung künstlich geschürten, frustrierenden Kreislauf bewusst zu entziehen, indem man z.B. Rundfunkgeräte oder Zeitungen in vermindertem Umfange nutzt oder ganz abschafft. Oft, aber nicht generell, kommt dabei dem Internet als unabhängigerem, interaktivem Kommunikationsmittel ein erhöhter Stellenwert zu.


Praxis

Viele Menschen, die ein einfaches Leben begonnen haben berichten von einem starken Bedürfnis, ihr bisheriges Leben neu zu ordnen um mehr innere Befriedigung und Erfüllung zu erlangen. Die Motivation dazu kann aus reiner Überzeugung oder äußeren Umständen (z.B. Jobverlust, Lebenskrise, Überschuldung, Neuorientierung) herrühren. In vielen Lebenswegen ist dabei die Entrümpelung des eigenen Lebensumfeldes (Wohnung, Haus, Arbeitsplatz) und dessen praktischere, einfachere Organisation von Wichtigkeit. Unbenutzte oder unsinnige Dinge werden als Ballast angesehen und entfernt, um keine Zeit mehr mit deren Pflege zu verwenden. Oft wird von einer Veminderung von persönlichen Gegenständen (Kleidung, Bücher, Auto, TV) und Haushaltsgegenständen (Putzmittel, Möbel, Geschirr, Geräte) berichtet. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die stärkere Konzentration auf eine unkomplizierte, naturnahe Ernährung, vorzugsweise aus frischen Basisrohprodukten. Statt der Verwendung industriell vorgefertigter Nahrungsmittel (z.B. Fertigmenüs), werden Speisen in wachsendem Umfang selber zubereitet. Dabei kommen Rohstoffe und Zutaten, wenn möglich, aus dem eigenen Garten. Viele Zubereitungsarten zeichen sich dabei durch eine große Einfachheit und Unkompliziertheit aus. Viele, aber bei weitem nicht alle, einfach Lebenden bevorzugen eine vegetarisch ausgerichtete Ernährung. Weiterhin werden die häuslichen Einsparpotenziale, z.B. bei Wasser, Strom, Müll und Energie bewusst genutzt.

Das Einfache Leben stellt kein einheitliches Lebensschema oder festgefügtes Dogma dar, sondern führt, ganz im Gegenteil, zu äußerst unterschiedlichen, sehr individuellen Ausprägungen. Beispiele zeigen, dass die Spanne vom sog. "Total-Aussteiger" bis zum lediglich konsumkritischen "Normalverbraucher" reicht. Kennzeichnend ist dabei stets eine erhöhte Achtsamkeit und die genauere Beobachtung des eigenen (Konsum)-Verhaltens.

Während die Bewegung in den USA schon weit verbreitet und ihrerseits oft schon kommerzialisiert ist, beginnt sich dieser Trend und Lebensstil in Europa und den deutschsprachigen Ländern erst langsam zu verbreiten.


Siehe auch: Überflussgesellschaft, Sparsamkeit, Genügsamkeit, Werner Küstenmacher, Existenzminimum, Messie, Vegetarier, Askese, Entschleunigung