Brühl (Leipzig)

Straße in Leipzig
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Der Brühl ist eine der ältesten Straßen in Leipzig. Er hatte bis zum Zweiten Weltkrieg den Ruf als „Weltstraße der Pelze“, war die bedeutendste Straße der Stadt und trug wesentlich zu Leipzigs Weltruf als Handelsmetropole bei. Einige Zeit erwirtschafteten die dort ansässigen Unternehmen der Rauchwarenbranche den größten Anteil der Steuereinnahmen Leipzigs. Im Gebäude des Gasthofs Zum roten und weißen Löwen wurde Richard Wagner geboren. Der Schriftsteller Karl May wurde wegen eines auf dem Brühl unterschlagenen Pelzes und weiterer Delikte zu einer Zuchthausstrafe verurteilt.

Brühl, vom Westen her gesehen

Lage

 
Die Leipziger Innenstadt um 1913

Der Brühl (amtlicher Straßenschlüssel 01009) ist eine Anliegerstraße in der nördlichen Leipziger Altstadt. Südliche Querstraßen sind die Große Fleischergasse, die Hainstraße, Katharinenstraße, Reichsstraße, die kreuzende Nikolaistraße und die Ritterstraße; Richtung Norden führen außer der Nikolaistraße die Straße Am Hallischen Tor (gegenüber der Reichsstraße) und die Ritterpassage (gegenüber der Ritterstraße).

Die geradzahligen Hausnummern befinden sich auf der südlichen Straßenseite, die ungeraden auf der Nordseite.

Pelzgroßhandelsstraße

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Dekorationen der Firmen Robert Schütz und Fr. Carl Wöbke, Brühl 55 beim Einzug König Friedrich August III. in Leipzig. Um 1904

Im Katalog zur Internationalen Pelzfachausstellung IPA in Leipzig von 1930 hieß es: „Spricht man irgendwo in der internationalen Rauchwarenbranche vom „Brühl“, so meint man nicht etwa die altehrwürdige Straße in Leipzig, sondern den Rauchwarenhandel in seiner Gesamtheit. Man spricht von „Brühl-Usancen“, „Brühltendenzen“, vom „Eingreifen des Brühl“ oder von seiner zeitweiligen Zurückhaltung. Kurz, der „Brühl“ ist die Weltmacht in der Rauchwarenbranche seit unvordenklichen Zeiten. Er ist ein Wirtschaftsgebilde von ausgeprägter Eigenart und Geschlossenheit, wie es kaum eine andere Branche der Welt aufzuweisen hat.“[1]

„Der Name der Leipziger Pelzgroßhandelsstraße – „der Brühl“ – ist in doppeltem Sinn zum Symbol geworden. Er umfasst zugleich die mit dem Wachstum von Handel und Gewerbe mit einbezogenen Nebenstraßen, insbesondere die Ritter-, Nikolai- und Reichsstraße und rückt überdies alles in den Blickpunkt dessen, der sich mit der Bedeutung des Wortes befasst, was zur Rauchwarenwirtschaft gehört.“ (Branchen-Fachverzeichnis, 1938)[2]

Der unvergessene „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch beschreibt den Platz aus einem anderen, mehr satirischen Blickwinkel: „Der Inhaber des Höhlenlagers hat draußen im offenen Dschungel, auf dem Brühl, einen Fang zu erjagen versucht, nun hofft er in seinem Bau, die Beute zu erlangen...“ Sein Gast „kann nicht Deutsch (Das Menschenpack ist in Rudel geteilt, die verschiedene Sprachen reden) und kennt die Weidgründe von Leipzig, er hat sich einen Jagdfreund mitgebracht, den „Kommissionär“, damit ihm das Fell nicht über die Ohren gezogen werde.“[3][4]

In einem Reiseführer von 1930 wird der Brühl als eine der merkwürdigsten Geschäftsstraßen einer Großstadt beschrieben: „Ein Pelzgeschäft liegt neben und über dem anderem, Lastauto nach Lastauto werden mit Pelzen beladen. Am sonderbarsten aber sind die Sitten...“, eine davon war das Auf dem Brühl stehen. Gründe dafür gab es viele: Geschäftsabschlüsse, Akquisition, Informationsaustausch oder einfach nur das Pflegen von sozialen Kontakten.[5][4]

Geschichte

Frühgeschichte und Mittelalter

Der Brühl, anfangs Bruel[6], war Teil der Via Regia und entstand an der Kreuzung mit der Via Imperii, beides waren besonders privilegierte Reichsstraßen. Schon die wichtige Straßenverbindung mit der Stadt Halle wirkte darauf hin, dass dort immer ein Handelsmittelpunkt war.[7] Am Westende des Brühls, an der Stelle des heutigen Richard-Wagner-Platzes, bildete sich vermutlich im 7. Jahrhundert der erste slawische Markt (später Eselsmarkt genannt) sowie die slawische Siedlung Lipsk, aus welcher sich später die Stadt Leipzig entwickelte. Für das 10./11. Jahrhundert ist eine erste Kaufmanns- und Handwerkersiedlung im Bereich Brühl/Reichsstraße nachgewiesen. An der Ecke zur Katharinenstraße wurde 1233 die Katharinenkapelle geweiht, die dort bis 1546 stand.[8]

 
Der Brühl in Leipzig, hier links entlang (innerhalb) der Stadtmauer auf einem Stich von Matthäus Merian um 1650

Mit dem Bau der Stadtmauer, also vermutlich zwischen 1265 und 1270, erhielt die Straße den Namen Brühl, was soviel wie Moor oder Sumpfland bedeutet. Allerdings haben Grabungen gezeigt, dass nur nördlich der Straße sumpfiges Land zu finden war und damit die Bezeichnung Am Brühl wohl zutreffender wäre.[9][5] Schriftlich erwähnt wurde die Straße als „Brühl“ jedoch erstmals um 1420.[10] Die Straße verlief im Norden der Stadt in Ost-West-Richtung und wurde durch den Bau der Stadtmauer an ihrem Ostende zur Sackgasse. Im Westen des Brühls lag damals das Ranstädter Tor, von dem die Hainstraße nach Süden führte, im Norden lag die Hallische Gasse, die zum Hallischen Tor, der Gerbervorstadt und zur Straße nach Halle führte. Etwas später, vermutlich im 16. Jahrhundert, entstand zwischen dem Ranstädter Tor und dem Hallischen Tor eine kleine Gasse, die zunächst für Fußgänger zum Hallesch Pförtlein führte. Daraus entwickelte sich später die Plauensche Straße.

Der Brühl wie die Reichsstraße waren noch bis nach 1284 Reichsgut, bis sie vermutlich nach 1350 in die Lehnshoheit des Bischofs von Merseburg gelangten. Einige Grundstücke in der Nähe der Kreuzung Brühl/Reichsstraße wurden in den Schöffenbüchern des 15./16. Jahrhunderts als au dem Berge liegend geführt. Dies deutet auf einen Platz, an dem Recht gesprochen wurde, hin. Dabei handelte es sich um die Grundstücke Brühl 44 (später Standort des Brauhauses Zum roten Adler) und Brühl 34 bis 40, auf dem im 15. Jahrhundert der große Gasthof Zum roten Löwen stand, den 1542 die Ratsfamilie Breunsdorf besaß.[5]

Im Osten des Brühls stand eine Vogtei, ähnlich einem befestigtem Wehrhof. 1262 wurde eine St. Maria geweihte Kapelle in dieser Vogtei erwähnt. Die Herren des Hauses, die von Schkeuditz, starben um 1263 aus. Danach fiel das Kammerlehn des Königs an den Bischof von Merseburg. Vermutlich wurde ein Teil des Grundes, der die heutigen Grundstücke Brühl 73, 75, und 77 umfasste, damals abgetrennt und an Privatpersonen als Lehn vergeben. Bei der Gründung der Universität 1409 bezog das Bernhardiner Kolleg (eine Stiftung der Zisterzienser) die Baulichkeiten der Vogtei auf den Grundstücken 75/77.

Schon im 12. und 13. Jahrhundert gab es eine dichte Bebauung am Brühl. In Richtung der nördlich parallel zum Brühl verlaufenden Stadtmauer befanden sich Höfe und Stallungen für Pferde. Stadtbrände zerstörten 1498 und 1518 auch die Häuser am Brühl, die aber immer wieder aufgebaut wurden. Der Brühl war, bedingt durch seine Lage, Stauraum für Waren und Reisende von und nach Norden. Die Häuser waren deshalb als Gast- und Lagerhäuser angelegt. Besonders die Bauten auf der Nordseite boten durch ihre große Tiefe hin zur Stadtmauer vielen Hofbauten und Warenlagern Platz.[11]

Der Handel mit Pelzen und Leder fand vorwiegend in der Nähe der Kreuzung Brühl/Reichsstraße statt, während Wolle, Tuch und Leinen mehr im westlichen Brühlteil (um den Eselsmarkt) gehandelt wurden. Diese Aufteilung blieb bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten.[5]

Zwar ist im Jahre 1335 der Kürschnermeister Andreas „pellifex“ als Ratsherr erwähnt, eine eigene Innung der Kürschner wurde jedoch erst 1423 auf Drängen der Stadt gegründet. Für den Pelzhandel in Leipzig gab es schon 1419 ein Pelzhaus am Naschmarkt. Viele der Rauchwarenhändler besuchten aber die zahlreichen Gasthäuser am Brühl und machten dort ihre Geschäfte. Bretter oder Heringstonnen in den Höfen am Brühl dienten als Ladentisch. Das Ratspatent vom 5. Oktober 1594 warnte vor unlauteren Geschäftsgebaren „die geringsten Waren und Sorten...unter die besten...nicht verstecken“. Der Verkauf durfte erst nach dem Einläuten stattfinden.[12]

Kurfürst Friedrich I. erließ 1425 einen Schutzbrief für alle Leipziger Juden. Damit wuchs der Handel auch am Brühl.[13] Gerade der Fernhandel von Pelzen wurde schon im Mittelalter besonders von Juden betrieben.

Frühe Neuzeit

 
Pelzniederlage von Heinrich Lomer am Brühl um 1862
 
Die Große Tuchhalle Ecke Brühl/Hainstraße/Große Fleischergasse
 
Georgenhaus]] und alte Heuwaage an der Ecke zum Brühl
 
Der Plauensche Hof vor 1874

Der Leipziger Rat gab 1501 die erste Wasserleitung (aus Kiefernstämmen) in Auftrag, die auch einen öffentlichen Brunnen auf dem Brühl versorgte.

Der als Baumeister zu Ruhm gekommene, aus Nürnberg stammende Leipziger Bürgermeister Hieronymus Lotter führte auf dem Brühl seinen ersten Auftrag für die Stadt Leipzig aus. Er errichtete 1546 das Kornhaus, in dem Gebäude, in dem bis zur Einführung der Reformation 1543 das Bernhardinerkollegium untergebracht war. Die Stadt Leipzig hatte 1546 das Gelände für 20.000 Gulden vom Markgrafen gekauft, in dessen Besitz das Grundstück nach der Säkularisation gelangt war.[5] Offenbar war der Rat mit der Arbeit Lotters zufrieden und man beauftragte ihn, auf dem Blumberg, Brühl/Ecke Fleischergasse, wo sich heute das Café Am Brühl befindet, eine Badestube zu bauen.[12]

1554 hielt die Hanse auf ihrer Lübecker Hansetagung den Rauchwarenhandel in Leipzig für gewichtiger als den in Nowgorod. Im 16. Jahrhundert erwähnten Quellen erstmals Häusernamen, darunter die Gasthäuser Zum Roten Ochsen und die Goldene Eule (Brühl 25, Gastwirt war 1532 Hans Fruben aus Schönau in Schlesien).

1693 wurde am Brühl das erste Opernhaus eröffnet und wenige Jahre später 1704 das Romanushaus fertig gestellt.[8][14][15]

Das Kornhaus am östlichen Ende des Brühls wurde 1700/1701 abgerissen, an seiner Stelle entstand das Georgenhaus als „Zucht- und Waisenhaus“. Ursprünglich befand sich das St.-Georgen-Hospital nach 1212 in der Rosentalgasse, später an anderen Standorten. Es diente zur Verwahrung und Versorgung Gefangener, Waisen und Geisteskranker.[16]

Am westlichen Ende des Brühls, dem Fleischerplatz, trat von 1727 bis 1734 im Haus Großer Blumberg die Neuberin mit ihrer Theatertruppe auf. Zusammen mit ihrem Mann Johann Neuber und Johann Christoph Gottsched betrieb sie dort die Neuber'sche Komödiantengesellschaft und führte Dramen in deutscher Hochsprache auf.

1743 fanden sich in Leipzig sechzehn Kaufleute zusammen, um den Konzertverein Großes Concert zu gründen. Sie finanzierten zunächst 16 Musiker, ihr erstes Konzert war am 11. März 1743. Ab 1744 fanden die Konzerte in den Drey Schwanen statt, einem Gasthaus am Brühl 7, in dem schon im 16. Jahrhundert Fuhrleute aus Zwickau eingekehrt waren. Mit dem Umzug in das Messehaus der Tuchwarenhändler (Gewandhaus) im Jahre 1781 erhielt das Orchester den Namen Gewandhausorchester.[17]

Der Rat zu Leipzig verbot 1752 das Auspacken der Ware eher als drei Tage vor Messebeginn. Rauchwarenhändler aus London, Koppigen, der Gegend um Brody, Hamburg, Königsberg und Breslau beschwerten sich, sie hätten keinen Handel mit Pfeffer oder Tonware und müssten ihre großen Pelzbündel nicht nur auspacken, sondern die Felle lüften, klopfen und sortieren. Nach langem Zögern gab der Rat nach: die Rauchwarenhändler durften ab Montag vor Messebeginn auspacken, jedoch noch nicht verkaufen.[12]

Auf dem Brühl Nr. 326 (heute Nr. 19) hatte Johann Gottlob Schönkopf, Vater von Anna Katharina Schönkopf, der frühen Liebe Goethes (sie währte von 1766 bis Frühjahr 68), sein Weinlokal, in dem Goethe während seiner Leipziger Studienzeit auch seinen Mittagstisch einnahm: „Ich blieb wirklich nach Schlossers Abreise bei ihnen, gab den Ludwigischen Tisch auf und befand mich in dieser geschlossenen Gesellschaft um so wohler, als mir die Tochter vom Hause, ein gar hübsches, nettes Mädchen, sehr wohl gefiel und mir Gelegenheit ward, freundliche Blicke zu wechseln, ein Behagen, das ich seit dem Unfall mit Gretchen weder gesucht noch zufällig gefunden hatte.“[18]

Obwohl sich dreimal jährlich die deutschen und ausländischen Rauchwarenhändler zur Messezeit in Leipzig trafen, bestanden kaum Leipziger Rauchwarenfirmen. 1784 gab es in der Stadt nur neun Handlungen mit Rauchwaren und Leder, davon sollen am Ende der Napoleonischen Kriege nur zwei übrig geblieben sein. Um das nach den Kriegen darniederliegende Messegeschäft wiederzubeleben, wurden 1813 gegen den Widerstand der einheimischen Kaufmannsschaft erstmals sechs „fremde Juden“ als Messmäkler zugelassen. Dieses Amt gewährte den Inhabern das dauernde Wohnrecht in Leipzig und war deshalb sehr geschätzt.[6]

Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es auf dem Brühl, insbesondere im östlichen Teil, neben den Rauchwarengeschäften noch Leinen, Darm- und Prodụktenhandlungen (landwirtschaftliche Erzeugnisse) in größerer Zahl. Auf dem Brühl waren damals die Hauptmessen an Pelzen, Hasenfelle, Schweinsborsten, und Rosshaar zu finden.[19] [7]

Mit der Zeit spezialisierte sich der Brühl jedoch weiter auf den Rauchwarenhandel. Die oftmals jüdischen Händler fanden zunächst in der Judengasse in der Ranstädter Vorstadt eine Unterkunft. Als diese Ende des 17. Jahrhunderts abgerissen werden musste, gab es am Brühl besondere Judenherbergen. Seit 1687 übernachteten die jüdischen Messebesucher hauptsächlich in der „Bruel“, später Brühl genannten Straße, und man weiß, dass dort fast ausschließlich jüdische Kaufleute ihre Messelager hatten.[6] Zu den Messen hat Leipzig offenbar den Eindruck einer Judenstadt erweckt, jedenfalls nennt Leonhardi sie 1799 in seiner Beschreibung Leipzigs so.

Bereits Ende des 17. Jahrhunderts hieß das Peißkerische Haus am Brühl „die alte Judenherberge“.[20] 1753 entstand im Blauen Harnisch, heute Brühl 71, die „Brodyer Schul“ beziehungsweise Tiktiner Synagoge für die in Leipzig Handel treibenden Juden. Die jüdischen Rauchwarenhändler kamen meist aus Brody, Galizien, Lissa (Leszno) und Sklow. Brody war neben Lemberg das bedeutendste Handelszentrum Galiziens, die Kaufleute aus Brody waren mit die wichtigsten Messebesucher und trugen nicht nur zur Schaffung einer bodenständigen Rauchwarenwirtschaft sondern auch zur Neubelebung der jüdischen Gemeinde Leipzigs wesentlich bei. Zeitgenössischen amtlichen Berichten ist zu entnehmen, dass der Erfolg der Leipziger Messen vielfach geradezu davon abhing, in welchem Umfang sich die Brodyer Handelshäuser beteiligten.[6]

Auf dem Gelände der mittelalterlichen St. Katharien-Badestube, Brühl 23, wurde 1804 der Plauensche Hof gebaut, benannt nach den zahlreichen Messegästen aus der Gegend um Plauen. Er bestand bis 1874 und wurde durch den Geschäftsbau Plauensche Passagen ersetzt.

Industrialisierung

 
Der Brühl um 1823
 
Einer der typischen „Höfe“, hier Brühl 13 „Zur Grünen Tanne“,
einige Zeit im Besitz des Völkerkundlers Moritz Lazarus

Der Brühl, der über lange Zeit die jüdischen Messegäste beherbergt hatte, wurde zum Mittelpunkt eines ganzjährigen Rauchwarenhandels. Dem Griechen Constantin Pappa (1819) folgten Kaufleute deutscher und anderer Nationalität. Trotzdem war weiterhin ein Großteil der damaligen Bedeutung des Brühls auf die internationalen Verbindungen der jüdischen Branchenmitglieder zurückzuführen.[6] Während die Leipziger Messe sich immer mehr zur Mustermesse veränderte, war das für den Pelzhandel mit seinen individuellen Produkten kaum möglich, der Käufer wollte die Ware sehen und in die Hand nehmen, allenfalls der Konfektionär konnte eine annähernd gleichbleibende Ware anbieten. Damit war der Weg für den raschen Aufschwung des Brühl mit seinen großen Felllagern frei.[21] Zu den Fellhändlern kamen nun auch die Kürschner und die Büros der Pelzveredler, die ihre Gerbereien und Färbereien alle außerhalb an fließenden Gewässern hatten. 1815 gab es nur zwei Rauchwarenhändler auf dem Brühl, 1875 aber schon 70, das waren mehr als der Brühl Häuser hatte.

 
Eintrag in einem alten Hauptbuch: Verkäufe im Jahr 1876 an den Griechen Constantin Pappa, dem ersten am Brühl ansässigen ausländischen Rauchwarenhändler.

Der erste jüdische Bankier Leipzigs war de facto Joel Meyer auf dem Brühl 25. Er hatte dort schon jahrzehntelang ein „Büro“, als sein Bankhaus 1814 durch den russischen Stadtkommandanten Oberst Prendel konzessioniert wurde. Diesem verdankte auch Isaak Simon auf Brühl 39 seine Zulassung. Offiziell gab es vor den Befreiungskriegen nur die jüdische Bank von Adolph Schlesinger & Jakob Kaskel, Brühl 34. Nach sieben Jahren trennten sich die Teilhaber; aus der Dresdner Niederlassung entstand die Dresdner Bank.[12]

1820 wurde mit den Psalmen von Giacomo Meyerbeer der Tempel Beth Jacobs im Leipziger Paulinum eingeweiht.[22] Bis dahin hatten die Brodyer Juden eine Betstätte im Quartier des Messmaklers Marcus Harmlin im Blauen Harnisch, Brühl 71.[12]

Mit dem Bau der ersten wirtschaftlich bedeutsamen Eisenbahnstrecke zwischen Dresden und Leipzig im Jahre 1837 wuchs Leipzigs Bedeutung als überregionaler Handelsplatz. Gleichzeitig expandierte die Pelzbranche und der ihr zuliefernde Großhandel rund um den Brühl. Möglich wurde dieser Aufschwung durch die zunehmende Spezialisierung und, sehr entscheidend, durch die Erfindung der Pelznähmaschine. Besonders Fellhändler, die sich auf den Fernhandel spezialisiert hatten, sowie Tuch- und Modehändler konnten in ihren Geschäftsräumen und -häusern am Brühl jetzt auch außerhalb der Messezeiten gute Geschäfte machen und zu Wohlstand oder sogar Reichtum gelangen. Zunehmend veränderte der Brühl sein Gesicht, alte Gasthöfe wichen Lagern der Pelzhändler sowie Werkstätten und Verkaufsräumen der Kürschner.

Für die ersten nennenswerten Veränderungen sorgte Moritz Schreber, bekannt geworden als „Vater der Kleingärten“. Er ließ 1844 auf Brühl 65 eine Rauchwarenhalle erbauen.[12]

August Lieberoth gründete 1861 ein Bank- und Speditionsgeschäft (Bankhaus August Lieberoth) am Brühl 7–9. Beide Geschäfte blieben in Familienbesitz, bis 1947 das Bankhaus abgewickelt und 1953 der Speditionsbetrieb enteignet wurde.[23]

 
Karl May um 1875

Eine Begebenheit besonderer Art spielte sich am 20. März 1865 am Brühl ab. Dazu aus einem Polizeiprotokoll: „Der Kürschnergeselle Otto Erler sagt aus: »Derselbe (gemeint ist Karl May, der Autor von Winnetou und Old Shatterhand) sei (unter dem Namen Hermin) nachmittags in das Geschäftslokal, wo nur Erlers Schwiegermutter nachmittags anwesend gewesen, Brühl Nr. 73 gekommen, habe einen Biberpelz mit Biberfutter und desgleichen Aufschlag und schwarzem Tuchüberzug für 72 Taler gekauft und den Auftrag gegeben, den Pelz in seine Wohnung bei Frau Henning zu tragen. Dies habe Erler auch getan, habe den angeblichen Hermin angetroffen, demselben den Pelz übergeben und nun auf Zahlung gewartet. Hermin sei damit zur Stube hinaus gegangen, um den Pelz seinen Wirtsleuten zu zeigen, jedoch nicht wiedergekommen.“ Karl May versetzte den Pelzmantel auf dem Leihhaus für zehn Taler. Zusammen mit anderen Vergehen wurde er zu 49 Monaten Arbeitshaus verurteilt, von denen er dreieinhalb Jahre im Zuchthaus Zwickau verbüßte.[4]

Im Kellerlokal „Zur Guten Quelle“ am Brühl stand Mitte des 19. Jahrhunderts der sogenannte Verbrechertisch. Hier trafen sich Politiker und Gelehrte, die mit dem damaligen System in Konflikt geraten waren. Es galt in oppositionellen Kreisen jedoch durchaus als Ehre, dort eingeladen zu werden. Bedeutende Namen sind in die Tischplatte eingeritzt, die sich im Stadtgeschichtlichen Museum befindet. Es saßen dort unter anderem der Naturforscher Alfred Brehm und der Politiker August Bebel, vermutlich auch Wilhelm Liebknecht.

Blütezeit und Krisen

 
Brühl um 1904
 
Pelzzentrum Leipziger Brühl zur Messe
 
Postkarte vom Brühl um 1908
 
Aus Führer durch den Brühl und die Berliner Pelzbranche[24]
 
Gedenktafel zum 575-jährigen Bestehen der Kürschnerinnung

1870 erwarb die Allgemeine Deutsche Creditanstalt (ADCA) das am Ost-Ende vom Brühl gelegene Waisenhaus St. Georg für 370.770 Goldmark. Das Gebäude befand sich in einem maroden Zustand und wurde 1872 abgerissen. Dadurch wurde der Brühl nach Osten hin geöffnet und an die Goethestraße angebunden. Die Hauptfront des von der ADCA errichteten Geschäftsneubaus lag auf der Goethestraße. [5]

Durch die Leipziger Pferde-Eisenbahn wurde 1882 die Linie Lindenauer Straßenbahntrasse über den gesamten Brühl verlegt. Ab 1897 wurde die Strecke dann durch das Nachfolge-Unternehmen, die Große Leipziger Straßenbahn, elektrifiziert. Die Strecke existierte bis 1964.

Um 1913 wurde rund ein Drittel der „Welternte“ an Rauchwaren über Leipzig gehandelt. Typisch war der Geruch am Brühl, hervorgerufen durch Konservierungsmittel wie Campher und Naphtalin sowie den süßlichen Duft der rohen Felle. Charakteristisch für das Flair auf dem Brühlteil, auf dem der Fellhandel florierte, war auch das rege Treiben auf der Straße und in den Höfen. Sogenannte Markthelfer schoben auf Stechkarren große, in Flechten (größe Körbe) gepackte Warenmengen, von Hof zu Hof oder luden sie auf Lieferwagen, die sie zu den Veredlungsbetrieben in der Umgebung Leipzigs brachten. Händler in ihren typischen langen weißen Kitteln versuchten ihre potenziellen Kunden abzufangen, bevor sie womöglich in den Lagern der Konkurrenz verschwanden. Vor allem traf man sich dort zu einem Gespräch, dem „Stehkonvent“[25], allgemein herrschte ein freundschaftlicher Ton, schließlich machte man auch untereinander Geschäfte. Nicht nur bei schlechtem Wetter saß man in den umliegenden Cafés und Gaststätten, wie dem Reichskanzler (Brühl/Ecke Goethestraße) und später in der Goldenen Kugel und im Café Küster (beide Richard-Wagner-Straße) sowie in dem koscheren Restaurant Zellner (Nikolaistraße). Nachdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Kürschnergeschäfte eröffnet hatten, ähnelte der Brühl einem Basar. Auf der Straße wiesen fast vor jedem Haus aufgehängte Fellbündel auf die Profession der Bewohner hin. In den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts war zur Messezeit ein zeitweise als lebensgefährlich empfundener Verkehr, die Ostermesse dauerte beachtliche sechs Wochen. Wenn ein Wagen in der Nähe der Nicolaistraße den Brühl passieren wollte, musste oft ein Polizeidiener erst Platz schaffen. Besonders auffallend waren die damals noch „malerisch“ gekleideten Griechen und die „alttestamentarischen Kaftanträger“ aus Russland. Aber auch Armenier, Engländer, Franzosen und andere waren zahlreich vertreten.[26]

Gloecks Haus entstand 1909/1910 auf dem Brühl 52, Ecke Nikolaistraße. Vorher stand an dieser Stelle das Gasthaus Zum Walfisch. Der Leipziger Architekt Otto Paul Burghardt errichtete das Haus für den Pelzhändler Richard Gloeck. Die Fassade aus Muschelkalk zieren Plastiken von Völkerschaften aller Erdteile als Symbole des weltweiten Rauchwarenhandels. Im Volksmund hatte das Haus den Namen Chinchilla-Haus. Das Gebäude wurde 1996 saniert.[27][28] 1909 wurde auch der Gasthof zum Strauß abgerissen. Die entstandene Lücke ermöglichte die Weiterführung der Nikolaistraße zum Hauptbahnhof. Pfadfinder konnten 1914 ihre Pfadfinderausrüstung nur im Herren- und Knaben-Modehaus Hollenkamp & Co. (Brühl 32 /Ecke Reichsstraße) gegen Abgabe einer Bescheinigung kaufen.[29]

Nachdem das Berliner Messeamt 1926 eine deutsche Pelz-Fachausstellung in der Funkhalle am Berliner Funkturm organisiert hatte, begannen Vertreter der Stadt Leipzig, vom Brühl und vom Leipziger Messeamt eine in der weltweiten Pelzbranche nie vorher dagewesene Pelzschau zu planen. Man fürchtete, dass Leipzig seine Bedeutung in der Branche verlieren könnte. Im Brühl Nr. 70 bezog 1928 der Verein für die Durchführung der Ausstellung Quartier. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde die Internationale Pelz-Fachausstellung (IPA) erst am 31. Mai 1930 eröffnet. Der Großteil der IPA lag zwar auf angemietetem Messegelände, aber auch der Brühl bot zahlreiche Attraktionen. Schauwerkstätten, historisch eingerichtete Hinterhöfe, Sonderausstellungen wie die von Valerian Tornius und Rudolf Saudek gestaltete Ausstellung Pelzmode im Wandel der Jahrhunderte begeisterten nicht nur das Fachpublikum. Bis zum 30. September 1930 war der Brühl eine naturgetreue Nachbildung längst vergangener Zeiten: Der Rote Ochse, die Drei Schwäne, ein Speditions- und Packhof, die alten Steinpflasterungen bis hin zum Markenzeichen der alten Pelzhändler und Fellbündel vor den Eingängen der Pelzhandelshäuser.

Die größte Dichte erreichte der Brühl mit 794 Rauchwarenhandlungen im Jahr 1928, durchschnittlich 7 je Haus. So gab es allein im Blauen Hecht, der postalisch zur Nikolaistraße zählt, 34 Pelzbetriebe. Damit hielt dieses Haus zwar den Rekord, aber 20 Firmen und mehr unter einem Dach waren keine Seltenheit.[4]

1926 bis 1930 hatte der Brühl seinen Weltruf nach den schweren Zeiten des Ersten Weltkriegs und der anschließenden Inflation zurückerobert. Mit einem Rohwarenumsatz von 500 bis 600 Millionen Reichsmark beherrschte er in dieser Zeit etwa 30 bis 35 Prozent des Weltmarkts.[4] Das Jahr 1931 jedoch wurde durch die anhaltende Weltwirtschaftskrise zu einem Pleitejahr für viele Pelzhändler. Mit Warenverlusten von 40 bis 50 Millionen Reichsmark mussten etwa 30 Prozent der Händler ihr Geschäft aufgeben. Besonders die Devisenkontrollen machten vielen Pelzhändlern zu schaffen. Schon 1930 erhielt die Gebrüder Assuschkewitz AG am Brühl 74 von der Deutschen Bank keine Kredite mehr ohne dingliche Absicherung. 1934 konnte die Firma dann einige Hypothekendarlehen aufnehmen, bis ihr 1935 kein Bankkapital mehr zur Verfügung stand. Die Firma von D. Biedermann, der als der bei weitem reichste Mann am Brühl galt, wurde nach seinem Tod 1931 liquidiert, die Chaim Eitingon AG nach dem Tod des Eigners 1932 aufgelöst. Der Firma Allalemjian & Mirham wurden 1934 alle Kredite bei der Deutschen Bank gekündigt. [30]

Mit der Machtergreifung der NSDAP 1933 kamen weitere Probleme auf den Rauchwarenhandel zu. Die faschistische Führung begrenzte aus politischen Gründen das Einfuhrkontingent für Waren aus der UdSSR so niedrig, dass sich der Handel für beide Seiten nicht mehr lohnte. Gerade der Handel mit dem Osten hatte Leipzig groß gemacht, nun wurde es schwieriger, Felle zu besorgen; eine Massenarbeitslosigkeit in der Rauchwarenindustrie war die Folge. Einige Fachleute glaubten an eine berufliche Zukunft in Moskau und bewarben sich dort. Jedoch war die Sowjetunion weder in der Lage sie zu beschäftigen, noch sie entsprechend den deutschen Vorstellungen zu entlohnen.

Einige der bekanntesten jüdischen Rauchwarenhändler waren[6]

  • Julius (Judel) Ariowitsch (1855–1908). Sein Vater, Rauchwarenhändler Mordechai Ariowitsch aus Weißrussland, war bereits regelmäßiger Leipzig-Messebesucher. Julius (Judel) Ariowitsch' Witwe, der Sohn Max Ariowitsch und dessen Schwager gründeten zusammen 1930 die Ariowitsch-Stiftung. Die Firma am Brühl 71 wurde 1941 zwangsliquidiert. [31]
  • Chaim Eitingon (1857–1932, auch „Pelzkönig“ vom Brühl und Mäzen), Brühl 37–39, aus Shklov in Weißrussland[32][33], später Moskau, Übersiedlung nach Leipzig 1917, mit einem Jahresumsatz 1926 und 1928 von 25 Millionen Reichsmark.
  • Familie Fränkel; der Nachfahre Jury Fränkel (1899–1997) begründete das noch heute bedeutendste Handbuch des Rauchwarenhandels.
  • Familie Harmelin (1830–1939) aus Brody. Jacob Harmelin (1770–1851) war regelmäßiger Messebesucher in Leipzig, 1818 wurde er als Messmäkler vereidigt und errichtete unter seinem Namen eine Leipziger Rauchwarenfirma.
  • John B. (John [Joel] Berend) Oppenheimer & Comp. (1834) eine der bedeutendsten Rauchwarenfirmen Mitte des 19. Jahrhunderts.
  • F. Weiss (1893–1982)
  • Theodor Wolf (um 1833), 1874 von der Firma N. Haendler & Sohn übernommen.

Zunehmend wurden jüdische Händler am Brühl diskriminiert und vertrieben. 1935 wurden drei jüdische Geschäftsleute von Nazis gezwungen, mit Schildern um den Hals, auf denen zu Boykott gegen jüdische Geschäfte aufgerufen wurde, über den Brühl und andere Straßen Leipzigs zu gehen.[34]
Allein auf die bis 1936 vertriebenen Juden war 1929 ein Umsatz von 93 Millionen Reichsmark entfallen. Sie nahmen ihre Geschäftsverbindungen mit nach England oder in die USA, wo sie neue Unternehmen gründeten. In Leipzig machte die jüdische Bevölkerung nur einen Anteil von etwa 2,04 Prozent aus, jedoch lag das Hauptbetätigungsfeld traditionell im Handel. Somit waren von insgesamt (Stand 1929) 794 Rauchwarenhändlern 460 jüdischer Abstammung, also etwa 58 Prozent. 2000 Menschen waren in den jüdischen Betrieben beschäftigt und verloren ihre Existenz. Weitere Betriebe, die ihre Kunden verloren hatten, gingen in Konkurs. Mit der Reichspogromnacht, in der auch die Tiktiner Synagoge brannte, wurde es für jüdische Händler gänzlich unmöglich, ihr Geschäft weiter zu führen. Bis 1936 waren am Brühl bereits 113 Firmen, die 1931 einen Umsatz von 60 Millionen Reichsmark erzielt hatten, ins Ausland abgewandert, wurden liquidiert oder waren an „arische“ Unternehmer gefallen.[20][4] Die antisemitische Politik der Nationalsozialisten hatte den Pelzhandel am Brühl um seinen Weltruhm gebracht.[4]

An der „Pelzecke“ vom Brühl wurde anlässlich des 575-jährigen Bestehens der Leipziger Kürschnerinnung am 28. August 1998 eine Gedenktafel angebracht: „Der Brühl war jahrhundertelang Zentrum des internationalen Rauchwarenhandels, geprägt auch durch jüdische Händler.“[35]

Zweiter Weltkrieg und DDR-Zeit

 
Ansicht des Brühls mit dem „Konsument-Kaufhaus“, dahinter die Wohnhochhäuser
 
Polnisches Informations- und Kulturzentrum 1969

Am 4. Dezember 1943 brannte der Brühl nach dem schwersten Bombenangriff des ganzen Krieges britischer Flieger fast restlos nieder, obwohl es kaum Treffer in diesem Gebiet gab. Der Brand griff jedoch auf die Brühl-Höfe über und wütete bis zum 15. Dezember 1943. Nur neun Gebäude überstanden das Inferno. Die Nordseite zwischen Nikolaistraße und Goethestraße wurde ganz zerstört, die wenigsten Schäden gab es auf der Südseite. Die in den Kellern in Sicherheit gebrachten Warenvorräte wurden durch einen Rohrbruch vernichtet. Nach dem Ende des Krieges gab es von den ehemals 794 Rauchwarenhandlungen noch 170, die sich in der Nachbarschaft des Brühls, vor allem in Oelsners Hof auf der Nikolaistraße zusammendrängten.

Nachdem der Brühl baulich wie wirtschaftlich verwüstet war, schien ein Neuanfang zunächst unmöglich. Die neue politische Lage machte es notwendig, Beziehungen zu neuen Lieferanten und Kunden zu erschließen. Felle waren schwierig zu bekommen, da aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage mehr Wert auf die Fleischproduktion gelegt wurde. Seit 1946 wurde die Organisation des Rauchwarenhandels von der Deutschen Handelszentrale Textil-Niederlassung Rauchwaren in der Nikolaistraße 36 geleitet. Stadtpelz, ein Kommunal-Wirtschafts-Unternehmen der Stadt Leipzig hatte 1950 seine Räume auf dem Brühl 54.[36]Trotz aller Probleme kam es im Februar 1958 zur Gründung des Außenhandelsunternehmens Deutsche Rauchwaren-Export- und -Import-GmbH in der Nikolaistraße, später umbenannt in Interpelz. Das zehngeschossige Haus der Interpelz wurde 1966 eingeweiht, seit 1967 stellte die Rauchwarenindustrie der DDR in einem angeschlossenen Messehaus, dem Kongressgebäude Brühlzentrum am Sachsenplatz, ihre Erzeugnisse aus.[21] 1960 fand die erste Leipziger Rauchwarenauktion nach dem Zweiten Weltkrieg statt (ab 1968 im Brühlzentrum). Der Brühl hatte jedoch seinen Ruf als Weltstraße der Pelze endgültig verloren.

Die meisten Pelzbetriebe gingen in die aufblühende Bundesrepublik, wo mit dem beginnenden Wirtschaftswunder der Pelzumsatz jährlich zweistellige Zuwachsraten erzielte und die Bundesrepublik für längere Zeit zum Pelzkonsumland Nr. 1 wurde (heute Russland). Insbesondere in Frankfurt bildete sich rund um die Niddastraße ein neues Pelzzentrum mit beinahe ähnlicher Ausstrahlung, lange Zeit von der Branche und auch heute noch gelegentlich als der Brühl bezeichnet. Das Charakteristische dort war lange noch der neu entstandene Dialekt des sächsischen „Frankforterisch“.[37]

 
Brühl mit Wohnhochhäusern und „Leipzig-Information“ 1970

Ende der 1950er Jahre gab es Pläne, moderne Lückenbauten, die sich in ihrer Fassadenstruktur an die historische Bebauung anlehnten, zwischen die nach dem Zweiten Weltkrieg übriggebliebenen, teilweise bereits wiederhergestellten alten Gebäude einzufügen. Die Pläne wurden jedoch nicht verwirklicht und die Reste der Altbebauung, u. a. das Messehaus Union im nordwestlichen Teil abgebrochen.[38]

Am östlichen Ende vom Brühl, wo bis 1943 das Geschäftshaus der ADCA gestanden hatte, entstand 1963 unter Hinzunahme weiterer Grundstücke in der Richard-Wagner-Straße 3-6 das Interhotel Stadt Leipzig. Das Hotel hatte seine Front in Richtung Hauptbahnhof.[5] In der Zeit von 1966 bis 1968 wurden drei zueinander parallele, aber zum Brühl querstehende zehngeschossige Wohnhochhäuser auf der nördlichen Seite vom Brühl errichtet, die durch eingeschossige Flachbauten miteinander verbundene kleine Innenhöfe bildeten. Die Anbindung zur Plauenschen Straße wurde dabei überbaut.[39]

Auf dem angrenzenden Sachsenplatz wurde 1969 das eigenwillig gestaltete Gebäude der Leipzig-Information eröffnet. In diesem Gebäude befanden sich neben gastronomischen Einrichtungen wie der Mocca-Bar auch Räume für representative und kulturelle Anlässe. Gegenüber auf dem Brühl wurde am 5. Februar 1969 das Polnische Informations- und Kulturzentrum eröffnet. Ziel derartiger Einrichtungen war neben dem Austausch der Kulturen die politische Bildung. Hier sollten sich DDR-Bürger davon überzeugen, dass die Volksrepublik Polen festes Mitglied des sozialistischen Staatenblocks war.[40]

Nach der Wende

Datei:Fischer-art2.JPG
Vom Pop-Art-Künstler Michael Fischer-Art verhülltes Wohnhochhaus am Brühl
 
Brühl, Ecke Nicolaistrasse

1993 sorgte in Leipzig die Diskussion um den Abgabepreis für Oelßners Hof, ehemals Mittelpunkt des Leipziger Pelzzentrums, für Schlagzeilen. Diese Passage mit 3400 Quadratmetern, die bis zur Enteignung der Rauchwarenhändlerfamilie Thorer gehört hatte, wollte die Familie der damaligen Besitzer zurückerwerben. Der Stadtkämmerer vereinbarte einen Preis von 20,5 Millionen DM, Wertschätzungen waren bis auf 50 Millionen DM gegangen.[41]

Das Gebäude der Leipzig-Information auf dem Sachsenplatz wurde nicht mehr genutzt, so dass man 1996 den Abriss und die Neubebauung des Platzes beschloss. Es entstand von 1999 bis 2004 ein kubusförmiger Neubau des Museums der bildenden Künste.[42] Der Leipziger Pop-Art-Künstler Michael Fischer-Art verhüllte anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 die Wohnhochhäuser am Brühl mit einer bunten Pop-Art-Folie.[43] Die nach dem Zweiten Weltkrieg noch erhalten gebliebenen Gebäude auf der Südseite des Brühls zwischen Richard-Wagner-Platz, Katharinenstraße und Reichsstraße bis Ritterstraße, wurden in den 1990ern saniert und einige Baulücken durch Neubauten geschlossen. An der Ritterpassage entstand 1996 das Forum am Brühl . Der siebengeschossige Gebäudekomplex aus Sandstein und Granit bietet mit einer Gesamtfläche von über 23.000 Quadratmetern Büros, Praxen und Geschäften mit über 11.000 Quadratmetern Platz.[44] 1998 entstand auf dem Brühl 33 an der Ecke Am Hallischen Tor das Marriott Hotel.

Nach dem Ende der DDR gab es neue Ideen, den Brühl umzugestalten. 1999 rief man eine „Planungswerkstatt“ ins Leben, bei der mehrere Architektenbüros Ideen und Konzepte entwickeln konnten.[45][46] Ein Vorschlag des Architektur Raum e. V., die Wohnhochhäuser zu erhalten und modernen sozialen Wohnraum zu schaffen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.[47] Geplant wird nun die Errichtung eines innerstädtischen Einkaufszentrums mit anteiligen Wohnnutzungen. Ein bedeutender Teil des neuen Gebäudes soll das denkmalgeschützte ehemalige Interims-Karstadt-Kaufhaus (die sogenannte Blechbüchse) sein.[48] 2007 erfolgte der Abriss eines Großteils der Wohnblöcke und Geschäftsgebäude am nördlichen Brühl.[49] Im Februar 2009 bekundete der Investor des Einkaufszentrums seinem Willen, das Projekt zu verwirklichen, obwohl er sein Finanzierungsangebot zum 200-Millionen-Euro-Bauvorhaben vorher zurückgezogen hatte.[50] Das Einkaufszentrum soll nun Höfe am Brühl heißen und auf einer Fläche von etwa 22.300 Quadratmetern mit einer Verkaufsfläche von 27.500 Quadratmetern und bis zu 950 Parkplätzen bis Herbst 2010 entstehen.[51][52]

Richard Wagners Geburtshaus

 
Richard Wagners Geburtshaus um 1885

Am 22. Mai 1813 wurde Richard Wagner im Brühl 3, dem Gasthof Roter und Weißer Löwe, geboren. Der 1656 erstmals erwähnte Gasthof wurde nach dem rot über weiß quergestreiften Wappenlöwen des Landgrafen von Thüringen benannt und war Unterkunft der Fuhrleute aus Thüringen. Im Jahr 1882 nahm das Haus den Namen Geburtshaus Richard Wagners an. Vier Jahre später wurde es abgerissen, der Folgebau jedoch weiter als Wagnerhaus bezeichnet. 1913 erhielt der ehemalige Platz am Ranstädter Tor, später Theaterplatz, den Namen Richard-Wagner-Platz. 1914 wurde ein Neubau des Kaufhauses Brühl auf den Grundmauern von Brühl 1 und 3 errichtet und 1928 erweitert. Das Gebäude hatte anfangs eine geschwungene Linienführung und eine Natursteinfassade. Erneute Umbauten zum Konsument am Brühl fanden 1964–66 statt. Dabei erhielt das Gebäude einen achtgeschossigen Anbau sowie eine Waben-Metallfassade ohne Fenster, die dem Kaufhaus den Spitznamen Blechbüchse eintrug.[53] Es war das größte und modernste Warenhaus der DDR, es steht jetzt unter Denkmalschutz.[54] Seit 1937/1970 erinnert eine Bronzetafel des Leipziger Bildhauers Fritz Zalisz am Kaufhaus Brühl an das Geburtshaus Richard Wagners.[55]


Siehe auch

Literatur

Bücher

  • Walter Fellmann: Der Leipziger Brühl. Geschichte und Geschichten des Rauchwarenhandels. Fachbuchverlag, Leipzig 1989, ISBN 3-343-00506-1
  • Waltraud Volk: Historische Straßen und Plätze heute. Leipzig. Verlag für Bauwesen, Berlin 1981
  • Gustav Herrmann: Einer vom Brühl. Roman. Wilhelm-Goldmann-Verlag, Leipzig 1930
  • Richard Küas: Kinder vom Brühl. Roman. Phönix-Verlag, Berlin o. J. (1919)
  • Birk Engmann: Bauen für die Ewigkeit: Monumentalarchitektur des zwanzigsten Jahrhunderts und Städtebau in Leipzig in den fünfziger Jahren. Sax-Verlag, Beucha 2006, ISBN 3-934544-81-9

Zeitschriften

  • Putz und Pelz. Zeitschrift für das deutsche Kürschner- und Putzmacherhandwerk. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1953–1959
  • Der Brühl. Fachzeitschrift für Rauchwarenhandel, Pelzkleidung, Rauchwarenveredlung und Pelztierzucht. Fachbuchverlag, Leipzig 1960–1990, ISSN 0007-2664
  • Modische Linie & Brühl. Fachzeitschrift für das Schneider-, Modisten- und Kürschnerhandwerk, für Rauchwarenhandel, Rauchwarenveredlung, Pelztierzucht. Fachbuchverlag, Leipzig 1990–1991, ISSN 0944-0259
Commons: Brühl – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Der Brühl. In: IPA Internationale Pelzfach-Ausstellung, Internationale Jagd-Ausstellung Leipzig, Amtlicher Katalog, Leipzig, Mai - September 1930, S. 254-270"
  2. Gustav Herrmann: Der Brühl, die Kraftzentrale der deutschen Rauchwarenwirtschaft. In: Führer durch den Brühl und die Berliner Pelzbranche, 7. Auflage, 1938
  3. E. E. Kisch: Pelzschau. Brühl in Leipzig. In Die Weltbühne, S. 654, 1930 (Sekundärquelle Fellmann: Der Leipziger Brühl)
  4. a b c d e f g Walter Fellmann: Der Leipziger Brühl, Fachbuchverlag, Leipzig 1989, ISBN 3-343-00506-1
  5. a b c d e f g Waltraud Volk: Historische Straßen und Plätze heute. Leipzig. Verlag für Bauwesen, Berlin 1981
  6. a b c d e f Wilhelm Harmelin: Die Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft. In: Tradition, Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, 11. Jg., 6. Heft, Dezember 1966, Verlag F. Bruckmann, München, S. 249–282
  7. a b Dr. Friedrich Schulze: Der Brühl. In: IPA Internationale Pelzfach-Ausstellung, Internationale Jagd-Ausstellung Leipzig, Amtlicher Katalog, Leipzig, Mai - September 1930, S. 270-274
  8. a b [1] Leipzig-Info.net (zuletzt abgerufen 12. März 2009)
  9. Horst Riedel: Stadtlexikon Leipzig, Pro Leipzig, 2005, S. 71f.
  10. Informationstafel am Bauzaun am Brühl 2008
  11. Riedel, a.a.O. S.72
  12. a b c d e f Klaus Metscher; Walter Fellmann: Lipsia und Merkur. Leipzig und seine Messen. F. A. Brockhaus Verlag, Leipzig 1990, ISBN 3-325-00229-3
  13. Zeittafel zur Geschichte der Juden in Leipzig bis 1933, auf dem Internetportal juden-in-sachsen.de 12. März 2009
  14. Jutta u. Rainer Duclaud: Leipziger Zünfte, Verlag der Nation, Berlin 1990, ISBN 3-373-00370-9, S.139 ff.
  15. Artikel Die Israelitischen Gemeinde auf der Seite des Synagoge und Begegnungszentrums Leipzig e. V.12. März 2009
  16. Schauplätze Leipziger Psychiatriegeschichte auf der Seite des Sächsischen Psychiatriemuseums 12. März 2009
  17. Aus der Geschichte des Gewandhausorchesters auf der Seite des GEWANDHAUSES ZU LEIPZIG 12. März 2009
  18. Ralf Julke:Zeitreise am Dienstag: 100 Jahre Goethe am Platz 27. Juni 2006
  19. Illustrirte Zeitung, Leipzig, 27.April 1844, S.277 ff
  20. a b Juden in Leipzig. Eine Dokumentation zur Ausstellung anläßlich des 50. Jahrestages der faschistischen Pogromnacht im Ausstellungszentrum der Karl-Marx-Universität Leipzig vom 5. November bis 17. Dezember 1988 (Hrsg. vom Rat des Bezirks der Stadt Leipzig, Abt. Kultur)
  21. a b Lienhard Jänsch; Christine Speer: 575 Jahre Kürschner-Innung zu Leipzig 1423–1998, Festschrift im Auftrag der Kürschner-Innung zu Leipzig, 1998
  22. Simone Lässig:Jüdische Wege ins Bürgertum
  23. Eintrag zu Bankhaus A. Lieberoth, Leipzig auf der Seite des Staatsarchiv Leipzig 12. März 2009
  24. Führer durch den Brühl und die Berliner Pelzbranche, Werner Kuhwald Verlag, 7. Auflage, Leipzig, Oktober 1938, Seite 179
  25. Alexander Tuma: Pelzlexikon XXI. Band der Rauchwarenkunde, Schlagwort Stehkonvent, Verlag Alexander Tuma, Wien, 1951
  26. Emil Brass: Aus dem Reiche der Pelze, 1925, Verlag der „Neuen Pelzwaren-Zeitung und Kürschner-Zeitung“, Berlin, 2. verbesserte Auflage, S. 279-280
  27. Eintrag zu Gloecks Haus beim Leipzig-Lexikon.de 12. März 2009
  28. Der Brühl auf Leipzig.de 12. März 2009
  29. Geschichte der Pfadfinder in Leipzig und Sachsen auf der Seite des Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) e.V. (Stamm LEO - Leipzig) 12. März 2009
  30. Harold James, Avraham Barkai, Karl Heinz Siber: Die deutsche Bank und die „Arisierung“ 12. März 2009
  31. Eintrag zu Ariowitsch, Julius auf dem Internetportal juden-in-sachsen.de 12. März 2009
  32. Eintrag zu Eitingon, Chaim beim leipzig-lexikon.de 12. März 2009
  33. Artikel Bedeutende jüdische Persönlichkeiten in Leipzig aud der Seite des MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNKs Stand 22. Juni 2005
  34. Bild aus William Blye Collection, auf A Teacher's Guide to the Holocaust (englisch) 12. März 2009
  35. Festakt in Leipzig. Über 300 Gäste im Alten Rathaus. In: Winckelmann-Pelzmarkt, Ausgabe 1435, 4. September 1998, Frankfurt (Main), S. 1
  36. Wegweiser durch den Brühl und die Berliner Pelzbranche 1950, Otto Teubel (Hgbr.), Leipzig.
  37. Bernd Klebach: Der Brühl, die Niddastrasse, das Pelzzentrum. Erinnerungen an 35 Jahre Pelzbranche. Selbstverlag, Juni 2006
  38. Birk Engmann: Bauen für die Ewigkeit: Monumentalarchitektur des zwanzigsten Jahrhunderts und Städtebau in Leipzig in den fünfziger Jahren. Sax-Verlag, Beucha 2006, ISBN 3-934544-81-9. S.158-165
  39. Eintrag Der Brühl bei leipzig-lexikon.de 12. März 2009
  40. Internetseite des Polnischen Instituts Leipzig 2008
  41. Oelßner's Hof soll an Thorer Nachfolger verkauft werden. In: Winckelmann-Pelzmarkt, 30. Juli 1993, Frankfurt (Main)
  42. Artikel über den Sachsenplatz auf dem Onlinereiseführer urlaube.info 12. März 2009
  43. Bericht von Michael Voß auf dem ARD-Sportblog am 08. Juni 2006
  44. Anzeige auf immobilienscout24.de 12. März 2009
  45. Leipziger Bürger-Portal: Am Brühl soll Magnet für City entstehen 12. März 2009
  46. Leipziger Bürger-Portal: Projekt Brühl 12. März 2009
  47. Seite des ArchitekturRaum e.V. 12. März 2009
  48. Ausschreibung auf competitionline.de 12. März 2009
  49. Fotodokumentation über den Abriss Wohnblöcke Brühl Leipzig, Frank Eritt 12. März 2009
  50. Leipziger Volkszeitung vom 25. Februar 2009:Geldgeber für Brühl-Projekt abgesprungen: Investor unterzeichnet dennoch
  51. mfi:„Höfe am Brühl“ als Hommage an Standort und Architektur
  52. mfi:Höfe am Brühl: Was Mietinteressenten wissen sollten
  53. Artikel über die Blechbüchse auf leipzig-blaugelb.de 12. März 2009
  54. Sophia-Caroline Kosel: Das langsame Verschwinden der DDR auf netzeitung.de vom 06. Juli 2006
  55. Werner Schneider: Artikel über Wagners Geburtshaus und die Gedenktafel auf dem Leipziger Notenbogen 12. März 2009

Koordinaten: 51° 21′ N, 12° 23′ O

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