Rudi Dutschke

deutscher Soziologe, politischer Aktivist und Redner
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. Mai 2005 um 20:09 Uhr durch 80.237.206.93 (Diskussion) (Spätzeit der Bewegung: Detail zu Zweifel an Todesumständen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Rudi Dutschke, eigentlich Alfred Willi Rudolf Dutschke (* 7. März 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde; † 24. Dezember 1979 in Århus, Dänemark), war ein marxistischer Soziologe. Er gilt in Deutschland als bekanntester Studentenführer der Studentenbewegung in den 1960er Jahren (sog. "68er-Bewegung") und war Gründungsmitglied der Grünen Partei Deutschlands. Dutschke war mit Gretchen Klotz verheiratet und hatte drei Kinder.

Leben

Jugend und Studium

Rudi Dutschke, zweiter Sohn eines Brandenburger Postbeamten, verbrachte seine Jugendjahre in der DDR. Er war in der evangelischen Jugend von Luckenwalde aktiv, wo er seine "religiös sozialistische" Grundprägung erhielt. Als Leistungssportler (Zehnkampf) war er zudem Mitglied der FDJ. In den Jugendorganisationen schulte sich Dutschke autodidaktisch in der Kunst der Rhetorik, zunächst noch mit dem a-politischen Ziel, Sportreporter zu werden.

 
Gedenktafel vor dem Luckenwalder Gymnasium

Seit dem Volksaufstand in Ungarn 1956 wurde Dutschke jedoch zunehmend politisiert. Er ergriff Partei für einen demokratischen Sozialismus, der sich sowohl durch eine Distanz zu den USA wie zur Sowjetunion auszeichnen sollte. Mit diesem Programm war auch eine Distanzierung von der Parteiideologie der SED verbunden. Dutschke war der Auffassung, die „faschistische“ Mentalität der Deutschen müsse in Ost und West gleichermaßen bekämpft werden. Im folgenden Jahr trat er sogar öffentlich für Pazifismus und Reisefreiheit ein. Zuletzt verweigerte er den Militärdienst und rief andere dazu auf. Dies war für den DDR-Apparat genug, um ihm nach dem Abitur im Jahre 1958 das gewünschte Sportstudium zu verwehren. Dutschke begann erzwungenermaßen eine Ausbildung zum Industriekaufmann in einem Luckenwalder VEB. Nach Abschluss der Lehre begann Dutschke regelmäßig nach West-Berlin zu pendeln, um dort sein Abitur zu wiederholen. Dies benötigte er, um in der Bundesrepublik studieren zu können. Nebenher schrieb der ehemalige Leistungssportler Sportreportagen, zeitweise für die "Berliner Zeitung".

1961, kurz vor dem Mauerbau, siedelte Dutschke nach West-Berlin über, um sich hier an der noch jungen Freien Universität für Soziologie, Ethnologie, Philosophie und Geschichte zu immatrikulieren. Der FU sollte Dutschke bis zu seiner Promotion über den ungarischen Marxisten Georg Lukács (Doktorvater: Hans-Joachim Lieber) im Jahre 1973 verbunden bleiben. Hier beschäftigte sich Dutschke anfangs mit dem Existentialismus Heideggers, bald aber auch mit marxistischer Theorie (vor allem Lucács und Bloch). Die West-Berliner Reformuniversität bot beste Voraussetzungen für linke Theoriearbeit und vermittelte eine solide Schulung in der Geschichte der Arbeiterbewegung und der "Kritischen Theorie" der "Frankfurter Schule" (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse). Angeregt durch die Begegnung mit der amerikanischen Theologie-Studentin Gretchen Klotz – seiner späteren Frau – las Dutschke auch zunehmend die Theologen der Weimarer Zeit, etwa Karl Barth und Paul Tillich.

Dem politisch ambitionierten Studenten war der reine theoretische Nachvollzug nicht genug. Er strebte in die Praxis. So begann er eine eigene Zeitschrift mit dem doppeldeutigen Titel "Anschlag" herauszugeben, in der er über Antikapitalismus und die "Dritte Welt" schrieb. Themen, die ihn sein Leben lang begleiten sollten. Das Blatt galt in etablierten sozialistischen Kreisen allerdings als zu radikal. 1962/63 wurde der Aktivist Mitbegründer der radikalen Gruppierung "Subversive Aktion", die sich auf sein Betreiben 1964 dem West-Berliner Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) anschloss. 1965 wurde Dutschke, nach dem kollektiven Übertritt der "Subversiven Aktion", in den politischen Beirat des West-Berliner SDS gewählt. Hier waren bekannte Persönlichkeiten, wie Ulrike Meinhof, Bernd Rabehl oder Horst Mahler politisch aktiv. Der SDS - eine frühere Jugendorganisation der SPD (1961 ausgeschlossen) - wurde Dutschke eine neue politische Heimat. Der SDS lavierte zwischen SED-Nähe und SPD-Zugehörigkeit.

Studentenbewegung

Ab 1966 organisierte Dutschke zahlreiche Demonstrationen gegen Vietnamkrieg, Notstandsgesetze und die Bildung einer "Großen Koalition". Dabei erfand er einen Begriff, der das Lebensgefühl seiner Generation auf den Punkt brachte: die "außerparlamentarische Opposition" (APO).

Im März kündigte Universitätsrektor Hans-Joachim Lieber Dutschkes Assistentenvertrag, weil dieser ungenehmigte Aktionen in den Universitätsräumen durchgeführt hatte. In Folge musste Dutschke seine erstrebte akademische Karriere an den Nagel hängen. Seiner politischen Betätigung mag das zugute gekommen sein. Im Mai organisierte der SDS einen bundesweiten Vietnamkongress, der Professoren der „neuen Linken“ – etwa Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Oskar Negt – mit denen der "alten", dem Leninismus zuneigenden Linken – z.B. Wolfgang Abendroth, Frank Deppe, Kurt Steinhaus – vereinte. Zum Abschluss dieses Kongresses fand die bisher größte Demonstration gegen den Vietnamkrieg in der Bundesrepublik statt.

Ab 1967 spitzte sich die Konfrontation zwischen Studenten und Polizei zu. Anlass war der Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, im Juni des Jahres, der medienwirksam als Staatsempfang inszeniert werden sollte. Studenten versuchten dagegen im Vorfeld, Armut, Folter und Missachtung der Menschenrechte in Persien zu thematisieren. Eine Springer-Kampagne behauptete ein geplantes Attentat auf den Staats-Besucher. Die Bundesregierung bezahlte sogenannte "Jubelperser", die von den Protesten ablenken sollten. Die Berliner Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Wasserwerfern auf die Demonstranten. Bei dem Versuch, einem Verletzten zu helfen, wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. In dem folgenden Skandal schlugen sich erstmals wichtige Teile der deutschen Presse – Der Spiegel, Frankfurter Rundschau, Die Zeit – auf die Seite der Studenten. Allerdings solidarisierten sich nur wenige Professoren mit der Studentenbewegung.

Podiumsdiskussionen und Fernsehinterviews, z.B. mit Rudolf Augstein und Ralf Dahrendorf, machten Dutschke in der Öffentlichkeit zunehmend populärer. Dennoch stiegen auch Ablehnung und offener Hass. Zu einem ersten persönlichen Übergriff kam es nach einem „Go-in“ zum Weihnachtsgottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche, bei dem Plakate mit Bildern von vietnamesischen Folteropfern getragen wurden. Bei dem Versuch, den Gottesdienst zu einer Diskussion über den Vietnamkrieg umzufunktionieren, wurde Dutschke von einem Gottesdienstbesucher angegriffen und verletzt.

Ebenfalls sehr große Aufmerksamkeit erlangt der von Dutschke mitorganisierte «Internationale Vietnam-Kongreß», der am 17. und 18. Februar 1968 unter Beteiligung von mehreren tausend Studenten an der Berliner TU stattfindet. Nach Aufhebung eines Demonstrationsverbots durch das Berliner Verwaltungsgericht demonstrierten im Anschluss mehrere Tausend Menschen, darunter auch auch eine Reihe von SPD-Mitgliedern, die damit ein Parteiordnungsverfahren riskierten, gegen den Vietnam-Krieg. Auf der Abschlußkundgebung rief Dutschke zur massenhaften Desertion amerikanischer Soldaten und zur «Zerschlagung der NATO» auf.

Attentat

Am 11. April 1968 wurde der populäre Studentenführer von dem jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann, dem rechtsextreme Tendenzen nachgesagt wurden, mit drei Schüssen niedergestreckt und lebensgefährlich verletzt. Die Hintergründe der Tat ließen sich nie ganz aufklären, in der Gerichtsverhandlung wurde jedoch eine Beeinflussung durch die Kampagne der Springer-Presse gegen Dutschke nahegelegt. Es folgten nationale und internationale Protestkundgebungen mit schweren Krawallen. Heute erinnert eine Gedenktafel am Tatort vor dem Haus Kurfürstendamm 141 an das Attentat. Dutschke überlebte nur mit schwersten Gehirnverletzungen und musste mühsam das Sprechen wieder erlernen. Zur Genesung weilte er ab 1969 in der Schweiz, in Italien und Großbritannien. In England ließ er sich schließlich nieder, wurde aber während eines Irland-Urlaubes vorübergehend ausgewiesen. 1970 begann er ein Studium an der Universität Cambridge, das er aber nach baldiger erneuter Ausweisung wegen angeblicher "subversiver Tätigkeit" nicht fortsetzen konnte. Daraufhin reiste er nach Dänemark, wo er eine Anstellung als Dozent an der Aarhus Universität erhielt.

Spätzeit der Bewegung

1973 hielt Dutschke seine erste öffentliche Rede nach dem Attentat auf einer Anti-Vietnam-Demonstration in Bonn. Auch seine wissenschaftliche Karriere kam vorran. 1974 veröffentlichte er seine Dissertation über Lukács und ein Jahr später wurde er Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der FU Berlin. Im Rahmen dieses Projektes reiste er zum ersten Mal offiziell in die DDR. Hier nahm er Kontakt mit Dissidenten wie Wolf Biermann und Robert Havemann auf.

Ab 1977 war Dutschke freier Mitarbeiter verschiedener linksgerichteter Zeitungen und wurde Gastdozent an der Universität Groningen in den Niederlanden. Er unternahm Vortragsreisen über Menschenrechte und engagierte sich ab 1978 für die Gründung der Partei Die Grünen.

Am Heiligabend des Jahres 1979 starb der ehemalige Studentenführer überraschend. Er ertrank - offiziellen Angaben zufolge nach einem epileptischem Anfall als Spätfolge des Attentats - allein in der heimischen Badewanne. Freunde wie Bernd Rabehl schließen dagegen Fremdeinwirkung nicht aus. Am 3. Januar 1980 fand die feierliche Beisetzung auf dem St.-Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem unter großer öffentlicher Anteilnahme statt.

Denken

Dutschkes Denken kreiste um den revolutionären Marxismus. Diese Ausrichtung verhinderte letzlich auch ein Ankommen in der bundesrepublikanischen Staatlichkeit. Dutschke lehnte die soziale Marktwirtschaft ebenso ab, wie die repräsentative Demokratie und den Parlamentarismus. Diese Strukturen waren für ihn unreformierbar repressiv und rein auf Ausbeutung angelegt.

Dennoch unterschied sich sein Denken auch deutlich von dem doktrinären Marxismus sowjetischer Provenienz, insbesondere durch die antiautoritäre Ausprägung. Dutschke bekannte etwa, sich für die Berliner Mauer regelrecht zu schämen und lehnte Lenins Prinzip einer Kaderpartei explizit ab. In seinen Überlegungen bezog er sich statt dessen vor allem auf Georg Lukacs, Mao Tse-tung, Frantz Fanon, Che Guevara und die Kritische Theorie.

Sein Ziel war die „totale Befreiung der Menschen von Krieg, Hunger, Unmenschlichkeit und Manipulation“. Mit dieser radikalen Erlösungsutopie knüpfte er an das Christentum seiner Kindheit und Jugend an, auch wenn er nicht mehr an einen persönlichen, transzendenten Gott glaubte. Der religiös fundierte Sozialismus Dutschkes – seinen ersten Sohn nannte er "Hosea-Che", eine Zusammensetzung aus den Namen des biblischen Propheten Hosea und kubanischen Guerilla-Kämpfers Che Guevara – hielt ihn auf gewisser Distanz zu seinen atheistisch orientierten Mitstreitern.

In volkswirtschaftlichen Fragen war Dutschke dagegen traditioneller Marxist. So prognostizierte er der Bundesrepublik nach dem Ende des Wirtschaftswunders eine Periode der Stagnation, da die für sie typische Subventionierung unproduktiver Sektoren wie Landwirtschaft und Bergbau künftig nicht mehr finanzierbar sein würde. Dies und der absehbare massive Abbau von Arbeitsplätzen würden in eine Strukturkrise münden, die den Staat zu immer weitergehenderen Eingriffen in die Wirtschaft veranlasse. Das Ergebnis dieser prognostizierten Entwicklung – eine staatlich gelenkte Wirtschaft bei formaler Beibehaltung des Privateigentums – nannte er „integralen Etatismus“. Dieser Zustand sei nur durch Zuhilfenahme staatlicher Gewalt gegen die aufbegehrenden Opfer der Strukturkrise zu stabilisieren. Bei der Suche nach Alternativen setzte der Soziologe durchaus auf technischen Fortschritt: Die fortschreitende Automatisierung und Computerisierung führe zu einem radikalen Wandel der bestehenden Verhältnisse. Die Notwendigkeit zu verdinglichender Lohnarbeit falle zunehmend weg. Dies könne der Ausgangspunkt für eine grundlegende Erneuerung sein. Dazu fehle der Bundesrepublik jedoch ein "revolutionäres Subjekt", das den Umsturz ins Werk setzen könne. Das deutsche Proletariat sei verblendet und lebe im "falschen Bewusstsein" (siehe auch Marcuse, "Der Eindimensionale Mensch"). Der Gewaltzusammenhang, der den Wesenskern des kapitalistischen Staates bilde, sei abstrakt geworden und könne nicht mehr unmittelbar wahrgenommen werden. Die „globale Eindimensionalisierung aller ökonomischen und sozialen Differenzen“ (Marcuse) und ein „gigantisches System von Manipulation“ stelle „eine neue Qualität von Leiden der Massen her, die nicht mehr aus sich heraus fähig sind, sich zu empören. Die Selbstorganisation ihrer Interessen, Bedürfnisse, Wünsche ist damit geschichtlich unmöglich geworden.“ Nicht vom Proletariat der ökonomisch entwickeltesten Länder, wie Marx es vorausgesehen hatte, würde daher die Revolution ausgehen, sondern von den unterdrückten Völkern der Dritten Welt. Als wesentlichen Katalysator dieser Entwicklung begriff Dutschke den Vietnamkrieg. In diesem Zusammenhang befürwortete er auch ausdrücklich die Anwendung von Gewalt: „Dieser revolutionäre Krieg ist furchtbar, aber furchtbarer würden die Leiden der Völker sein, wenn nicht durch den bewaffneten Kampf der Krieg überhaupt von den Menschen abgeschafft wird“. Diese Rechtfertigung der Gewalt enthält einen klassischen Topos, da sie einen gerechten Kombattanten stilisiert, der die Gewalt anwendet, um sie zu bekämpfen.

In der Bundesrepublik hielt Dutschke eine solche revolutionäre Gewalt allerdings nicht für möglich. Er erwartete vielmehr, dass die Wahrnehmung des Vietnamkriegs und weiterer, ähnlich gelagerter Konflikte in der Dritten Welt, die erhoffte revolutionäre Bewusstseinsbildung in der akademischen Jugend herbeiführen würde („Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam“). In dem globalen Befreiungskampf gedachte er den deutschen Studenten die Aufgabe zu, durch provokante „Verweigerungen“, sich selbst und die deklassierten (d.h. durch die Strukturkrise erwerbslos gewordenen) Arbeiter aufzuklären und so zur Schaffung eines revolutionären Bewusstseins beizutragen. Diese Aufklärung solle durch die Schaffung einer Gegen-Öffentlichkeit und durch „Agitation in der Aktion“ bewerkstelligt werden. Durch die sinnliche Erfahrung staatlicher Gewalt, die – durch auch illegale Aktionen provoziert– zum Vorschein komme, werde das falsche Bewusstsein aufgehoben. Der Revolutionär revolutioniere sich auf diesem Wege also gleichsam selbst – darin gewissermaßen dem Baron Münchhausen nicht unähnlich, der sich bekanntlich am eigenen Schopf aus dem Sumpfe zog. Die sinnliche Erfahrung von Gewalt sei die "entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen". Darüber, wie diese „Kulturrevolution“ und die weiteren Phasen des revolutionären Prozesses genau aussehen sollten, äußerte sich Dutschke allerdings vage und unscharf. Das Konzept könne erst „in der ständigen Vermittlung von Reflexion und Aktion, von Theorie und Praxis erarbeitet“ werden. Er bezeichnete den Prozess als ausgesprochen „langen Marsch durch die Institutionen“, in dem die Studenten das neue Bewusstsein in alle gesellschaftliche Bereiche tragen sollten. Dass nach dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 die Studentenbewegung vorübergehend tatsächlich massenhaften Zulauf bekam, deutete er als hoffnungsvolles Zeichen. Jetzt bestehe die Chance, den revolutionären Prozess in Gang zu bringen: „Wir haben eine historisch offene Möglichkeit – es hängt primär von unserem Willen ab, wie diese Periode der Geschichte enden wird“. Diese „voluntaristische“ Überzeugung Dutschkes, es komme nur noch auf den revolutionären Willen an, nannte einer der prominentesten Vertreter der Kritischen Theorie, Jürgen Habermas, „linken Faschismus“. Dieser ziele nur darauf ab, „die sublime Gewalt, die notwendig in den Institutionen enthalten ist, manifest werden zu lassen.“ Richtig daran ist, dass Dutschke tatsächlich den Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung revolutionärer Ziele befürwortete. Außerhalb von kriegerischen Auseinandersetzungen solle es sich aber nur um Gewalt gegen Sachen handeln, nicht gegen Personen. So wurde von Dutschke selbst überliefert (gestützt durch Aussagen seines Freundes Bahman Nirumand), dass er sich zweimal Sprengstoff beschafft habe, um einen Sendemast des amerikanischen Soldatensenders AFN oder ein Schiff mit Versorgungsgütern für die Besatzer in Vietnam in die Luft zu sprengen. Beide Anschläge blieben unausgeführt, teils wegen praktischer, Schwierigkeiten, teils weil nicht völlig ausgeschlossen werden konnte, dass auch Menschen zu Schaden kamen. Für den Fall aber, dass sich die Bundesrepublik auf Grund ihrer NATO-Mitgliedschaft aktiv am Vietnam-Krieg beteiligen sollte, kündigte er an, „dass wir dann Waffen benutzen werden…, – dass wir dann im eigenen Lande auch kämpfen werden.“ Was sich hier wieder nur vage andeutet, ist die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen Gewalt gegen Personen dadurch zu legitimieren, dass sie als Kriegshandlung deklariert wird.

Das Ziel, das mit dem revolutionären Prozess erreicht werden sollte, beschrieb Dutschke in einem Gespräch mit dem Kursbuch-Herausgeber Hans Magnus Enzensberger. Darin schildert er die Utopie einer herrschaftsfreien Räterepublik West-Berlin, in der es keine Polizei, keine Justiz und keine Gefängnisse mehr gebe. Auch werde man nur fünf Stunden am Tag arbeiten müssen – eine 25 Stunden-Woche. Auf die Reaktion der Nachbarstaaten angesprochen, erwiderte Dutschke: „Wenn sich Westberlin zu einem neuen Gemeinwesen entwickeln sollte, würde das die DDR vor eine Entscheidung stellen: entweder Verhärtung oder wirkliche Befreiung der sozialistischen Tendenzen in der DDR. Ich nehme eher das letztere an.“

Dutschke in der aktuellen Diskussion

Dutschke ist noch heute außerordentlich umstritten. Auf der einen Seite trat zu seinem 25. Todestag die Berliner Tageszeitung (TAZ) mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Kreuzberger Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen - ein Vorschlag, der von der PDS, den Grünen und den Ausschüssen der (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg unterstützt wird. Auf der anderen Seite stellt ein Aufsatz Wolfgang Kraushaars, der jüngst in dem vom Hamburger Institut für Sozialforschung veröffentlichten Reader "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF" erschien, Dutschke als gewaltbereiten Theoretiker der „Stadtguerilla“ dar. Dazu werden neben Notizen aus dem Nachlass unter anderem Zitate aus dem „Organisationsreferat“ angeführt, das Dutschke gemeinsam mit Hans-Jürgen Krahl verfasst und am 5. September 1967 auf der 22. Delegiertenkonferenz des SDS in der Frankfurter Mensa vorgetragen hat. Darin heißt es u. a.: „Die `Propaganda der Schüsse´ (Che) in der `Dritten Welt´ muss durch die `Propaganda der Tat` in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht. Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen.“ Ob damit aber tatsächlich einer Stadtguerilla, wie die RAF sie verstand, das Wort geredet wird, bleibt umstritten. Immerhin weist Kraushaar selbst darauf hin, dass Dutschke sich in den siebziger Jahren vom Terror der RAF distanzierte. Nach Ansicht der Frankfurter Rundschau dagegen lasse "der Band ... keinen Zweifel daran, dass Dutschke propagierte, was Baader und die RAF praktizierten." In einer neunteiligen Essayreihe der Tageszeitung wurde diese These von Wissenschaftlern, Publizisten und Protagonisten der Bewegung kontrovers diskutiert.

Werke

  • Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben - Die Tagebücher 1963-1979 (Hrsg. v. Gretchen Dutschke), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. ISBN 3462032240
  • Rudi Dutschke: Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren (Hrsg. von Gretchen Dutschke-Klotz, Helmut Gollwitzer und Jürgen Miermeister), Rowohlt 1980. ISBN 3499147181
  • Rudi Dutschke: Aufrecht gehen - Eine fragmentarische Autobiographie, Olle und Wolter, Berlin 1981. ISBN 3883954276
  • Rudi Dutschke: Lieber Genosse Bloch... - Briefe Rudi Dutschkes an Karola und Ernst Bloch (Hrsg. v. Karola Bloch und Welf Schröter), Talheimer Verlag 1988. ISBN 3893760016
  • Rudi Dutschke: Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus., Wagenbach, Berlin 1984
  • Uwe Bergmann/Rudi Dutschke/Wolfgang Lefèvre/Bernd Rabehl: Rebellion der Studenten oder die neue Opposition. Eine Analyse, Rowohlt, Reinbek b. Hamburg, 1968.
  • Frank Böckelmann/Herbert Nagel (Hrsg.): Subversive Aktion. Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1976.

Literatur

  • Ulrich Chaussy, Die drei Leben des Rudi Dutschke. Eine Biographie, Pendo, Zürich 1999 (1. Aufl. 1983). ISBN 385842532X
  • Dany Cohn-Bendit und Reinhard Mohr, „1968. Die letzte Revolution, die noch nichts vom Ozonloch wusste“, Wagenbach, Berlin 1988. ISBN 3803121612
  • Jürgen Miermeister: Rudi Dutschke, rororo bildmonographien, Reinbek b. Hamburg, 1986 und Nachauflagen. ISBN 3499503492
  • Bernd Rabehl: Rudi Dutschke - Revolutionär im geteilten Deutschland, Edition Antaios, Dresden 2002. ISBN 3935063067
  • Michaela Karl: Rudi Dutschke - Revolutionär ohne Revolution, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 2003. ISBN 380150364X
  • Gretchen Dutschke: Rudi Dutschke. Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben. Eine Biographie, Knaur, München 1998. ISBN 3426608146
  • Gerd Langguth: Mythos '68 - Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke - Ursachen und Folgen der Studentenbewegung; München 2001 (Olzog), ISBN 3-7892-8065-8
  • Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF, Hamburger Edition 2005 ISBN 3936096546