Alexandriner

Versmaß
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Der Alexandriner ist ein in der französischen Literatur um 1180 entwickeltes und von dort in andere Literaturen übernommenes Versmaß. In der deutschen Dichtung ist er vor allem im Barockzeitalter gängig, und zwar als jambischer Vers mit sechs Hebungen (sechshebiger Jambus), genauer mit zwölf Silben bei stumpfem Versausgang oder dreizehn Silben bei klingendem. Nach der dritten Hebung bzw. der sechsten Silbe weist er meistens eine Zäsur auf. Er trägt einen festen Akzent auf der sechsten und zwölften Silbe. Man unterscheidet zwischen heroischem Alexandriner mit fortlaufenden Reimpaaren und elegischem Alexandriner mit anderen Reimschemata, z. B. umarmendem Reim. Manchmal wird der Alexandriner auch als jambischer Hexameter bezeichnet, doch dies führt zu Verwechslungen mit dem eigentlichen (daktylischen) Hexameter.

Ein Beispiel aus Andreas Gryphius, Es ist alles eitel:

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein,
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Der Alexandriner in der französischen Literatur

Der französische Alexandriner (vers alexandrin) erhielt seinen Namen von dem sehr populären Roman d'Alexandre (Alexanderroman), der ihn gegen 1180 erstmals durchgehend verwendete.

Er zählt zwölf Silben bei männlichem oder 13 Silben bei weiblichem Reim; die zwölfte Silbe muss immer betont sein. Er wird in der Regel durch eine Zäsur (césure) nach der ebenfalls betonten 6. Silbe in zwei Halbverse (hémistiches) unterteilt. Eine sonstige, zum Beispiel durch drei Jamben oder zwei Daktylen geprägte Ordnung kommt vor, ist aber nicht verbindlich und wird im Artikel der französischen Wikipedia ausführlich besprochen.

Der Alexandriner stieg im 16. Jahrhundert (Renaissance) in Frankreich zur vorherrschenden Versform auf. Er wurde in der Lyrik, im Epos und in der dramatischen Dichtung verwendet. Die Tragödien der französischen Klassiker aus dem 17. Jahrhundert, zum Beispiel Pierre Corneilles oder Racines, sowie ein erheblicher Teil der Komödien Molières sind in paarweise gereimten Alexandrinern (rimes plates oder rimes suivies) verfasst, ebenso zahlreiche Tragödien Voltaires im 18. Jahrhundert.

In der Lyrik blieb der Alexandrinervers bis ins 20. Jahrhundert hinein lebendig, vor allem bei den ihn erneuernden Symbolisten Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud oder Stéphane Mallarmé. Seine Dominanz endete erst, als um 1900 die Verwendung strenger metrischer Schemata unmodern erschien. Auf der Theaterbühne blieb dieser Vers allerdings dauerhaft präsent. Sogar in dem belgischen Comic Asterix und Kleopatra begrüßt Numérobis, Einwohner von Alexandria, den gallischen Druiden Miraculix mit den Worten

"Je suis, mon cher ami, / très heureux de te voir." (vers alexandrin)

woraufhin dieser seinen Freunden erklärt:

"C’est un alexandrin." (hémistiche)

Dieser Vers ließ sich problemlos ins Deutsche übersetzen: "Ich bin, mein lieber Freund, / sehr glücklich Dich zu sehen." Allerdings würde im hierzu für's Deutsche verwendeten sechshebigen Jambus in längeren Texten der eigentlich große rhythmische Abwechslungsreichtum des französischen Verses verloren gehen. Deshalb haben erfahrene Übersetzer - wie zum Beispiel Paul Celan in seiner Nachdichtung von Rimbauds berühmtem Langgedicht "Das trunkene Schiff" (Le Bateau ivre) - den französischen Alexandriner durch eine weibliche Endung nach jeder Zäsur ergänzt:

Comme je descendais / des Fleuves impassibles,
Je ne me sentis plus / guidé par les haleurs...

auf Deutsch:

Hinab glitt ich die Flüs-se, / von träger Flut getragen,
da fühlte ich: es zo-gen / die Treidler mich nicht mehr...

Der Alexandriner in der deutschen Literatur

Aus der damals maßgeblichen französischen Literatur drang der Alexandriner im 17. Jahrhundert nach Deutschland vor. In der von Martin Opitz geprägten Form wird er in der Dichtung des Barock, vor allem im barocken Sonett, zur herrschenden Versform. Andreas Gryphius benutzt ihn mit großer Meisterschaft in seinen Sonetten, aber zum Teil auch in den dramatischen Dichtungen.

Der Alexandriner eignet sich besonders zum prägnanten Formulieren von Paradoxen oder Antithesen, etwa in Sinnsprüchen. Ein Beispiel aus Der cherubinische Wandersmann von Angelus Silesius:

Blüh auf, gefrorner Christ, der Mai ist vor der Tür:
Du bleibest ewig tot, blühst du nicht jetzt und hier.

Auch in der Dichtung der Aufklärung und der Anakreontik wird der Alexandriner häufig verwendet. Goethe verfasste seine frühen Komödien in diesem Versmaß, ebenso seine Übertragung von Voltaires Stück Mahomet. Anlässlich dessen Aufführung schrieb ihm Schiller:

„Die Eigenschaft des Alexandriners, sich in zwei gleiche Hälften zu trennen, und die Natur des Reims, aus zwei Alexandrinern ein Couplet [=Reimpaar] zu machen, bestimmen nicht bloß die ganze Sprache, sie bestimmen auch den inneren Geist dieser Stücke, die Charaktere, die Gesinnung, das Betragen der Personen. Alles stellt sich dadurch unter die Regel des Gegensatzes, und wie die Geige des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zweischenklige Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und der Gedanken. Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert und jedes Gefühl, jeder Gedanke in dieser Form wie in das Bette des Prokrustes gezwängt.“

In der Epoche des Sturm und Drang und unter dem Einfluss der Kritik Lessings am französischen Theater wurde die Tendenz des Alexandriners zum Gekünstelten als negativ empfunden. Er wurde für die dramatische Dichtung der Weimarer Klassik und die Zeit danach von dem aus England kommenden freieren und dynamischeren Blankvers abgelöst.

Der Alexandriner in der englischen Dichtung

In die spanische und italienische Literatur, wo der 10- oder 11-silbige jambische Pentameter (decasillabo, endecasillabo) vorherrschte, fand der Alexandriner keinen Eingang.

Auch in der englischen Literatur spielt der er eine eher untergeordnete Rolle. Michael Drayton z. B. benutzte ihn in seinem umfangreichen Werk Poly-Olbion (1613 −1622). Chapman verwendete ihn zwar in der Übertragung von Homers Ilias (1611), wechselte aber für die der Odyssee (1614–15) zu dem flexibleren heroic couplet (einem reimenden jambischen Pentameter).

Der Alexandriner tritt manchmal zur Erzielung einer besonderen Wirkung in Verbindung mit einem jambischen Pentameter auf. Edmund Spenser benutzt ihn z. B. in dem Versepos Fairie Queene (1589 −1596) als abschließenden Vers in der „Spenserstrophe(Spenserian stanza), wodurch er der Strophe einen getragenen und feierlichen Ausklang verleiht. Auch Lord Byrons Childe Harold's Pilgrimage ist in Spenserstrophen geschrieben.

In seinem Essay on Criticism (1711) spottet Alexander Pope:

A needless Alexandrine ends the song,
That, like| a wound|ed snake, |drags its| slow length| along.