Elektrokonvulsionstherapie

psychiatrische Behandlung mit Auslösung kurzer Krampfanfälle durch elektrische Hirnreizung
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Die Elektrokrampftherapie (EKT), auch Elektrokonvulsionstherapie, früher auch Elektroschocktherapie, ist eine medizinische Methode zur Behandlung von psychischen Störungen. An den Kopf des Patienten werden heute vorzugsweise einseitig (unilateral), früher an beiden Schädelhälften (bilateral) die zwei Elektroden angelegt, die einen kurzzeitigen elektrischen Wechselstrom oder einzelne Stromimpulse durch das Gehirn leiten.

Dies führt zu einem Krampfanfall wie bei der Epilepsie. Ursprünglich ohne Narkose und mit Anschnallen des Patienten durchgeführt wird heute der Patient in eine ca. fünfminütige Kurznarkose versetzt und mit Muskelrelaxantien alle Muskelbewegungen unterdrückt, die normalerweise bei einem Krampfanfall Verletzungen verursachen können.

Anwendung

Die Elektrokrampftherapie ist bei wahnhaften schweren Depressionen, therapieresistenten Depressionen mit oder ohne Suizidalität und bei der so genannten Katatonie angezeigt. Eine therapieresistente Schizophrenie spricht weniger häufig positiv auf eine Elektrokrampftherapie an, so dass die EKT bei diesem Krankheitsbild nur in individuellen Fällen zur Anwendung kommt. Die Anwendung der Elektrokrampftherapie ist nur zulässig, wenn zuvor eine Behandlung mit Medikamenten aus der Gruppe der Neuroleptika oder Antidepressiva nicht erfolgreich war.

Die allermeisten Kliniken führen Elektrokrampftherapien nur auf freiwilliger Basis mit Einwilligung des Patienten durch. Bei nicht einwilligungsfähigen Patienten kann die Behandlung nur erfolgen, wenn durch das Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt wird und dieser in die Behandlung einwilligt. Eine gesonderte Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes vor Anwendung einer EKT wird nach der derzeitigen Rechtsprechung nicht als erforderlich angesehen, obwohl das Betreuungsrecht für beide Seiten im Falle von Uneinigkeit die Beschwerde beim Betreuungsgericht zulässt.

Wirksamkeit

Die Elektrokrampftherapie ist eine der wirksamsten Therapien der Psychiatrie. Ihre Wirksamkeit in der Behandlung schwerer depressiver Störungen wurde in zahlreichen klinischen Studien untersucht. Eine systematische Übersichtsarbeit der „United Kingdom ECT Review Group“ bewertete 18 Studien mit insgesamt 1144 Patienten, in denen die Wirksamkeit der EKT mit der der medikamentösen Behandlung verglichen wurde. Die EKT war effektiver als die Pharmakotherapie und erreichte eine Effektstärke von 0,80. Einschränkend waren jedoch methodische Mängel einiger Studien wie beispielsweise suboptimale Dosierung der EKT oder unzureichende Beschreibungen der angewandten pharmakologischen Therapien. Die Bewertung von sechs Studien mit 256 Patienten, in denen eine korrekt durchgeführte EKT mit einer Schein-EKT („Sham-ECT“) verglichen wurde, zeigte eine Effektstärke von 0,91 und eine signifikante Überlegenheit der EKT gegenüber der Sham-EKT. Der Anteil der Patienten, bei denen die depressive Symptomatik weitgehend aufgehoben werden konnte (Remissionsrate), betrug in einer Studie, die durch das „Consortium for Research in ECT“ (CORE) an 217 Patienten durchgeführt wurde, 75 %. Bei 65 % der Patienten wurde die Remission nach vierwöchiger Therapie erreicht.[1]

Wirkungsmechanismus und unerwünschte Wirkungen

Der Wirkmechanismus der Elektrokrampftherapie ist bis heute nicht geklärt. Durch die Auslösung eines so genannten generalisierten Krampfanfalles kommt es zu einer raschen De- und Repolarisierung der elektrisch leitenden Hirnzellen sowie einer kompletten Ausschüttung der wichtigsten Neurotransmitter. Bestimmte psychiatrische Symptome wie Wahn, Depressivität, insbesondere schwere depressive Hemmung und andere reduzieren sich nach einer Reihe solcher Anwendungen deutlich oder verschwinden ganz. Man vermutet, dass durch die Auslösung der unkontrollierten elektrischen Entladungen im Gehirn der Stoffwechsel der Neurotransmitter und Hormone so beeinflusst wird, dass es zu einer Neuorganisation im Nervensystem kommt.

Häufigste unerwünschte Wirkung der Elektrokrampftherapie sind Gedächtnisstörungen, die die Zeitspanne vor und nach der EKT-Anwendung betreffen (retrograde und anterograde Gedächtnisstörung). Diese Gedächtnisstörungen treten nach beidseitiger (bilateraler) Anwendung der EKT häufiger auf als nach einseitiger (unilateraler) Anwendung. Auch bei mehrfacher Anwendung der EKT in einem kurzen Zeitraum (hochfrequente EKT) kommt es häufiger zu Gedächtnisstörungen. Da durch eine hochfrequente EKT kein schnellerer Wirkungseintritt erreicht werden kann, wird diese aufgrund der gleichzeitig erhöhten Nebenwirkungsrate nicht empfohlen. In der Regel bilden sich die Gedächtnisstörungen nach einigen Stunden bis Tagen spontan wieder zurück.

Sehr seltene Komplikationen entsprechen den Komplikationen einer Narkose. Bei etwa 40000 Anwendungen tritt ein Todesfall auf. Diese Rate entspricht der Todesfallrate bei einer Zahnextraktion in Narkose.

Gegenanzeigen

Die Elektrokrampftherapie darf nicht durchgeführt werden, wenn bei dem Patienten ein kürzlich überstandener Herzinfarkt, Gefäßaussackungen an der Hauptschlagader oder an Gefäßen des Gehirns (aortale oder zerebrale Aneurysmen), Gefäßneubildungen im Gehirn (zerebrale Angiome) sowie ein erhöhter Hirndruck vorliegt. Bei Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung, eines ausgeprägten Bluthochdrucks, einem Schlaganfall in der Vorgeschichte oder Erkrankungen der Lungen müssen die Risiken des Verfahrens gegen die Risiken einer unterlassenen Therapie aufgewogen werden (relative Kontraindikationen).

Geschichte

Die Elektrokrampftherapie ist eine Weiterentwicklung der Behandlung psychischer Erkrankungen mittels medikamentöser Auslösung von Krampfanfällen. Sowohl die pharmakologische als auch die elektrische Krampftherapie wurden in den 1930er Jahren entwickelt und stellten zusammen mit der einige Jahre zuvor entwickelten Insulinkomabehandlung die ersten wirksamen Therapiemaßnahmen in der Behandlung schizophrener und depressiver Patienten dar. Die Elektrokrampftherapie verdrängte schnell die pharmakologische Krampftherapie, da diese mit erheblichen unerwünschten Wirkungen der hierzu verwendeten Medikamente (zunächst Kampfer, später Cardiazol) verbunden war.[2]

Der ungarische Arzt Ladislas J. Meduna (1896-1964) hatte aufgrund klinischer Beobachtungen an Patienten und neuropathologischer Befunde in den 1920er Jahren einen Antagonismus zwischen der Schizophrenie und Epilepsie angenommen. Ausgehend von dieser Theorie führte Meduna ab November 1933 Tierversuche mit Kampfer durch. Von Kampfer, einem Stoff aus der Naturheilkunde, war schon seit längerem bekannt, dass seine Verabreichung zu epileptischen Anfällen führen konnte. Am 23. Januar 1934 führte Meduna erstmals eine Kampferinjektion bei einem schizophrenen Patienten durch, dessen Zustand sich nach dem medikamentös ausgelösten epileptischen Anfall schlagartig besserte. Da die Verabreichung von Kampfer mit teilweise qualvollen Angstzuständen, Übelkeit und Muskelschmerzen an den Injektionsstellen einherging und ein epileptischer Anfall nicht immer sicher ausgelöst werden konnte, begann Meduna, statt Kampfer das synthetisch hergestellte Cardiazol zu verwenden, welches besser steuerbar war. Bis 1936 führte Meduna bei 110 Patienten eine pharmakologische Krampftherapie mit Cardiazol aus. Bei der Hälfte der Patienten kam es zu einer Remission. Vorwiegend Patienten, bei denen die psychische Störung erst kurz zuvor aufgetreten war, profitierten von der Therapie. Auch bei der Verwendung von Cardiazol konnte es jedoch wie bei der Anwendung von Kampfer zu erheblichen unerwünschten Wirkungen kommen. Viele psychiatrische Kliniken in Europa und Amerika übernahmen in den folgenden Jahren die pharmakologische Krampftherapie, bis diese von der Elektrokrampftherapie abgelöst wurde.[2]

Der italienische Psychiater Ugo Cerletti, der seit Beginn der 1930er Jahre tierexperimentell die Folgen elektrisch ausgelöster epileptischer Anfälle auf das Gehirn untersuchte, widmete sich unter dem Eindruck der Erfolge Medunas der Frage zu, ob auch beim Menschen epileptische Anfälle gefahrlos elektrisch eingeleitet werden konnten. Cerletti und seine Assistenzärzte Lucio Bini, Ferdinando Accornero und Lamberto Longhi führten zunächst systematische tierexperimentelle Untersuchungen an Hunden und Schweinen durch. Diese sollten klären, an welchen Stellen die Elektroden am besten anzubringen wären und wie groß die zu verabreichenden Stromstärken und Spannungen sein sollten, um epileptische Anfälle auszulösen ohne die Patienten zu gefährden. Im April 1938 wendeten sie die neue Methode erstmals bei einem schizophrenen Patienten an. Nach elf Therapiesitzungen konnte der Patient in gebessertem Zustand entlassen werden. Nach weiterer Anwendung der Elektrokrampftherapie wurde deutlich, dass mit ihrer Hilfe keine Heilung schizophrener Symptome möglich war. Da dennoch der Zustand vieler Patienten gebessert werden konnte, verbreitete sich die Elektrokampftherapie in den folgenden Jahren rasch in den psychiatrischen Kliniken. Maßgeblichen Anteil an der Verbreitung der EKT hatte Lothar Kalinowsky, der bei Cerlettis ersten EKT-Anwendungen anwesend gewesen war und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zunächst nach Paris, anschließend nach England und schließlich in die USA emigrierte.[2]

Bei der heute in Deutschland ausschließlich angewendeten sogenannten modifizierten EKT erfolgt die Behandlung unter Kurznarkose und Muskelrelaxation und etwa 0,9 A bei bis zu 480 V. Zu einem motorischen Krampfgeschehen kommt es dabei abgesehen von Muskelzuckungen eines zur Krampfbeobachtung isolierten Unterarms nicht mehr, so dass bestimmte körperliche Folgen der Behandlung, wie sie früher mitunter vorkamen (bis hin zu Wirbelbrüchen) heute nicht mehr auftreten. Durch Veränderung der Reizparameter (unipolare Rechteckimpulse statt sinusförmigen Wechselstroms) werden darüber hinaus die kognitiven Nebenwirkungen der EKT deutlich seltener beklagt, jedoch nicht ganz vermieden.

Kontroverse

Unter Fachleuten gibt es einen relativ breiten Konsens bezüglich der Anwendung der EKT für die oben bezeichneten Indikationen. Ein Grund dafür ist die bereits erwähnte katatone Schizophrenie, die sich aus einer paranoiden Schizophrenie entwickelt, und die bei malignem Verlauf (man spricht dann von perniziöser Katatonie) lebensbedrohlich wird. Hierbei kommt es zu höchster Erregung und/oder Stupor mit hohem Fieber und Störung der vom vegetativen Nervensystem gesteuerten Funktionen; die EKT ist derzeit die einzige bekannte Therapieform bei diesem Krankheitsbild. Die Bundesärztekammer berichtet in dem unten näher bezeichneten Gutachten bzw. in der unten näher bezeichneten Richtlinie von einer guten bis sehr guten Beurteilung durch die Patienten selbst. Nach einer neueren Studie an der Universität Lund schien sich im Tierversuch die Vermutung zu bestätigen, dass bei Stress-Hormon induzierten Veränderungen bei Ratten[3] durch elektrischen Strom Blutgefäße und Nervenzellen in den betroffenen Gehirnregionen zu neuem Wachstum und zu neuer Vernetzung angeregt werden. Die physischen Nebenwirkungen wurden auch von den Befürwortern erkannt und zum Anlass diverser Modifikationen genommen.

Die EKT wird insbesondere von Laien kritisch diskutiert. Die Antipsychiatrie-Bewegung, der Scientology-Ableger KVPM und diverse regionale Menschenrechts-Vereine organisieren Widerstand gegen die Elektrokrampftherapie.

Literatur

  • Thomas C. Baghai, Richard Frey, Siegfried Kasper: Elektrokonvulsionstherapie. Klinische und wissenschaftliche Aspekte. Springer, Wien 2003, ISBN 3-211-83879-1 (Aktuelles Standardwerk in deutscher Sprache)
  • Here W. Folkerts: Elektrokrampftherapie. Ein praktischer Leitfaden für die Klinik. Thieme, Stuttgart 1999, ISBN 3-432-27831-4 (vergriffen)
  • Roberta Passione, "Italian Psychiatry in an International Context: Ugo Cerletti and the Case of Electroshock" in: History of Psychiatry, 3 2004; vol. 15: pp. 83 - 104.
  • Edward Shorter, David Healy: Shock Therapy: The History of Electroconvulsive Treatment in Mental Illness. Rutgers University Press, 2007, ISBN 978-0813541693

Einzelnachweise

  1. Sarah H. Lisanby: Electroconvulsive therapy for depression. In: N Engl J Med. 2007 Nov 8;357(19):1939–45. PMID 17989386
  2. a b c Edward Shorter: Geschichte der Psychiatrie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. S. 326–335.
  3. http://www.alphagalileo.org/index.cfm?fuseaction=readrelease&releaseid=507741