Soziale Mobilität
Unter sozialer Mobilität versteht man die Bewegung der Einzelpersonen zwischen den Klassen und Schichten und innerhalb dieser bei Veränderung des Berufs und der beruflichen Stellung, also Bewegung und Veränderung im sozialen Beziehungsraum; zumeist als Auf- oder Abstieg (vertikale Mobilität). Demgegenüber ist die räumliche Mobilität (auch als territoriale Mobilität bezeichnet) die Bewegung der Einzelpersonen im geographischen Raum (siehe auch Wanderung, Auswanderung. Horizontale Mobilität ist die Veränderung des Berufs oder der Tätigkeit, ohne dass sich dabei die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ändert.
Begriff
Soziale Mobilität vollzieht sich sowohl auf der Grundlage der Dynamik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen sowie demographischen Verschiebungen (siehe Kinderzahl, Generationenabstand) zwischen den Klassen und Schichten (dabei selbstverständlich die Berufe und die Zahl ihrer jeweils darin Beschäftigten einschließend), als auch auf der Grundlage der Neuverteilung der Talente (siehe auch Begabungen) und Fähigkeiten in einer jeden Generation.
Intragenerationenmobilität
Die Intragenerationenmobilität, die Karriere, erfolgt innerhalb eines Menschenlebens. Zu ihr gehören Veränderung der sozialen Stellung einer Person durch Ausbildung, durch Beförderung, oft auch durch Erbschaft von Vater und Schwiegervater oder durch wirtschaftliche Strukturveränderungen (etwa durch Schließung von Kohlengruben und Übergang in Ersatz-Erwerbszweige), nicht selten verbunden mit räumlicher Mobilität.
Intergenerationenmobilität
Unter Intergenerationenmobilität, der sozialen Mobilität im engeren Sinne, versteht man den Wechsel der sozialen Stellung, der sich von einer Generation zur anderen vollzieht. Soziale Mobilität, deshalb oft im gleichen Sinne wie soziale Herkunft (oder mit sozialem Aufstieg und Abstieg bei einem Schichtenmodell) gebraucht, wurde von der Sozialforschung, oft nur als Vater-Sohn-Mobilität verstanden, weil die Frauen früher keinen eigenen Beruf hatten. Ein vollständiges Bild ergibt sich aber nur, wenn man auch die Vater-Schwiegersohn-Mobilität mit betrachtet.A
Das Problem der Vergleichbarkeit von Intergenerationenmobilität bei unterschiedlicher Skalierung
Der Begriff "Soziale Mobilität" wurde 1927 durch den Soziologen Pitrim Sorokin geprägt. Da Klassen und Schichten, ebenso wie Berufe und Beschäftigte in Wirtschaftszweigen dynamische Kategorien sind, die ihren zahlenmäßigen Umfang ständig ändern, ergeben sich für die Messung der Intergenerationenmobilität schwerwiegende methodische Probleme. Aus der Sicht der Skalierungstheorie handelt es sich bei den eben genannten Kategorien um die Messung von Mobilität mit Nominalskalen, was dazu führt, dass die Werte verschiedener Länder oder über mehrere Generationen hinweg nicht direkt vergleichbar sind. Auch wenn es nicht an Anstrengungen gefehlt hat, mit diesem Problem fertig zu werden, so ist doch - bis auf Teillösungen - auf diesem Skalierungsniveau keine völlige Vergleichbarkeit von Daten zu erreichen.
Günstiger sieht es bei den Ordinalskalen beziehungsweise quasimetrischen Skalen aus, also mit Einkommen, Bildungsjahren, Besitz und Steuerklasse. Aus diesen werden oft synthetische Skalen gebildet, wie Sozialprestige und Sozialstatus, die eine statistische Synthese der eben genannten Kriterien darstellen.
Es gibt also keine "soziale Mobilität an sich", sondern nur Mobilität auf beziehungsweise in einer definierten Skala. Für eine Feststellung, dass die soziale Mobilität, zum Beispiel auf der Bildungsskala (gemessen in Bildungsjahren und Qualifikationsstufen) zugenommen oder abgenommen hat, ist es notwendig, diese Bildungsskala auf Standardwerte zu normieren.
Zentrale Fragestellungen
Zwangsläufig ist jede Untersuchung zur sozialen Mobilität auch ein Vorstoß in die Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte. Nach Reinhard Schüren haben vier Fragestellungen in der jüngeren Forschung einen besonderen Stellenwert:
- Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Industrialisierung, Berufsstrukturwandel und beruflicher Mobilität, wobei diese häufig als Indikator für die Offenheit einer Gesellschaft interpretiert wurden.
- Das Interesse am sich wandelnden Grad der Offenheit und Durchlässigkeit einer Gesellschaft, dokumentiert an der Zugänglichkeit von Elite-Positionen, etwa des Adels oder des Besitz- und Bildungsbürgertums, durch berufliche Rekrutierung und durch Heiratskreise.
- Das Interesse an der sozialen und politischen Bedeutung und Auswirkung von Mobiliät. Vor allem wurde nach der Bedeutung von Aufstiegschancen und -barrieren für die Lebenschancen, das Bewusstsein und die Bewegung der Arbeiterklasse gefragt.
- Man kann häufige oder zunehmende berufliche Mobilität oder Heiratsbeziehungen zwischen zwei oder mehr gesellschaftlichen Gruppen als Ausdruck großer oder wachsender sozialer Nähe zwischen ihnen deuten, umgekehrt geringe oder abnehmende Mobilität als Ausdruck ausgeprägter oder zunehmender sozialer Distanz.
Das wünschenswerte Maß an sozialer Mobilität
Über die in sozialen Systemen wünschenswerte soziale Mobilität gibt es unterschiedliche politische Auffassungen. Eine erste Auffassung hält eine völlige Gleichverteilung beziehungsweise Zufallsverteilung der Kinder auf die sozialen Klassen und Schichten für absolut wünschenswert, das heißt die soziale Herkunft beziehungsweise das Elternhaus sollten darauf überhaupt keinen Einfluss haben. Ein derartiges Ideal erscheint utopisch beziehungsweise nur auf Kosten der Zerstörung der Familie und der Familienerziehung und der Beseitigung der freien Berufswahl möglich (siehe Pol Pot).
Für eine zweite Auffassung erscheint die völlige Vorherbestimmung des Berufes beziehungsweise der Berufsgruppe aus der sozialen Stellung der Eltern wünschenswert. Ihren Ausdruck hat diese Zielstellung in der hinduistischen Kastenverfassung gefunden. Mit dem von den wissenschaftlichen und technischen Veränderungen geforderten sozialen Wandel ist ein solches System unvereinbar.
In der Realität existieren deshalb Systeme mit verschiedenen Graden der sozialen Mobilität. Selbst die vom Adel geprägte Gesellschaft war, wie konkrete Untersuchungen zeigen, in nicht unerheblichem Maße offen und mobil, das heißt wirtschaftlich anpassungsfähig und dynamisch, schon allein deswegen, um die Bevölkerungsverluste durch Seuchen, Kriege und Hungersnöte in bestimmten Gebieten und Berufsgruppen rasch wieder ausgleichen zu können.
Literatur
- Peter A. Berger: Soziale Moblität, in: Bernhard Schäfers´/Wolfgang Zapf (Hrsg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, Opladen 2001, S. 595-605 [1]
- Hartmut Kaelble: Soziale Mobilität und Chancengleichheit im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 1983.
- Reinhard Schüren: Soziale Mobilität. Muster, Veränderungen und Bedingungen im 19. und 20. Jahrhundert. St. Katharina 1989.
- V. Weiss: Bevölkerung und soziale Mobilität: Sachsen 1550 - 1880. Berlin: Akademie-Verlag 1993, ISBN 3-05-001973-5.