Die Lorentz-Transformation verknüpft die Koordinaten eines Ereignisses in einem bestimmten Inertialsystem, mit den Koordinaten des gleichen Ereignisses in einem anderen Inertialsystem, welches in positiver x-Richtung mit der Geschwindigkeit v relativ zum ersten System bewegt ist. Ursprünglich wurde das ungestrichene System als im Äther ruhend betrachtet und das "bewegte", gestrichene System wurde mit der Erde identifiziert. Erste Näherungen an diese Transformation wurden von Woldemar Voigt (1887) und Hendrik Lorentz (1895) veröffentlicht. Diese wurden von Joseph Larmor (1897, 1900) und Lorentz (1899, 1904) vervollständigt und durch Henri Poincaré (1905, welcher der Transformation ihren Namen gab), und Albert Einstein (1905) in ihre moderne Gestalt gebracht.
In diesem Artikel werden die historischen Ausdrücke durch moderne ersetzt, wobei
der Lorentz-Faktor ist, v ist die Relativgeschwindigkeit zwischen den Körpern, und c ist die Lichtgeschwindigkeit.
Voigt (1887)
Im Zusammenhang mit dem Dopplereffekt und einem inkompressiblen Medium entwickelte Voigt (1887) die Voigt-Transformation, welche in moderner Notation die Form hatte: [1]
Wenn die rechten Seiten dieser Gleichungen mit multipliziert werden, ergeben sich die Lorentz-Transformationen. Lorentz (1909) erklärte später, dass wenn er Kenntnis von diesen Gleichungen besessen hätte, er sie in seiner Elektronentheorie hätte verwenden können. [2] Auch Hermann Minkowski sagte 1908: [3]
„Historisch will ich noch hinzufügen, daß die Transformationen, die bei dem Relativitätsprinzip die Hauptrolle spielen, zuerst mathematisch von Voigt im Jahre 1887 behandelt sind.“
Lorentz (1895)
Ein fundamentales Konzept der Lorentzschen Äthertheorie war das 1895 eingeführte "Theorem der korrespondierenden Zustände" für Größen zu v/c, aus dem folgt, dass ein im Äther bewegter Beobachter annähernd dieselben Beobachtungen in seinem „fiktiven“ Feld macht wie ein im Äther ruhender Beobachter in seinem „realen“ Feld. [4] Ein wichtiger Teil des Theorems für optische Phänomene war die Ortszeit , wo t die Zeitkoordinate ist, welche ein im Äther ruhender Beobachter benutzt und t' der Wert ist, den ein zum Äther bewegter Beobachter benutzt. Das war dieselbe Gleichung, welche bereits von Voigt benutzt wurde, jedoch gab Lorentz später an, zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von dessen Arbeit besessen zu haben. Lorentz erklärte auch, dass die Dimensionen von elektrostatischen Systemen (eines im Äther ruhend und eines dazu bewegt) durch diese Transformationen verknüpft sind:
Als eine zusätzliche und unabhängige Hypothese behauptete Lorentz (ohne Beweis wie er zugab), dass auch die intermolekularen Kräfte auf eine ähnliche Weise beeinflusst werden und führte zur Erklärung des Michelson-Morley-Experiments die Längenkontraktion ein. Aber während für Lorentz die Längenkontraktion ein realer, physikalischer Effekt war, bedeutete für ihn die Ortszeit vorerst nur eine Vereinbarung oder nützliche Berechnungsmethode. Mit Hilfe der Ortszeit konnte Lorentz die Aberration des Lichts, den Dopplereffekt und die von Armand Hippolyte Louis Fizeau gemessene Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit in bewegten Flüssigkeiten erklären.
Larmor (1897, 1900)
Larmor präsentierte die Transformationen in zwei Schritten. Er folgte Lorentz während des ersten Schrittes und schilderte die Transformation für Größen zu von einem Ruhesystem in ein bewegtes System: [5] [6]
Diese Transformation ist lediglich die Galilei-Transformation, jedoch enthält sie Lorentz' Ortszeit, multipliziert mit dem Lorentz-Faktor für Größen zu . Larmor wusste zu dieser Zeit, dass das Michelson–Morley-Experiment genau genug war, um bewegungsbedingte Effekte von der Größe aufzuzeigen und so suchte er eine Transformation, welche auch für diese Größen gültig ist. Deshalb modifizierte der die Gleichungen und formulierte als erster die komplette Lorentz-Transformation:
Er zeigte, dass die Maxwell-Gleichungen invariant unter dieser 2-Schritte-Transformation waren. Larmor bemerkte, dass wenn eine elektrische Konstitution der Moleküle angenommen wird, die Längenkontraktion eine Konsequenz der Transformation sind. Es ist auch bemerkenswert, dass Larmor der Erste war, der eine Art Zeitdilatation als Konsequenz der Gleichungen bemerkte, denn nach ihm laufen periodische Vorgänge von bewegten Objekten im Verhältnis langsamer als bei ruhenden Objekten ab.
Lorentz (1899, 1904)
Auch Lorentz leitete 1899 durch die Erweiterung des Theorems der korrespondierenden Zustände die vollständige Transformation ab. Jedoch benutzte er den unbestimmten Faktor ε als Funktion von . Wie Larmor bemerkte Lorentz eine Art Zeitdilatation, da er erkannte, dass die Vibrationen eines oszillierenden Elektrons, welches sich relativ zum Äther bewegen, langsamer verlaufen. [7] Der unbestimmte Faktor ε bzw. wurde dann 1904 von Lorentz gleich 1 gesetzt und so erreichte er dieselbe Form wie Larmor: [8]
In diesem Zusammenhang leitete er bereits 1899 die korrekten Formeln für die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Masse ab und er schloss 1904, dass diese Transformation auf alle Kräfte der Natur angewendet werden müsse, nicht nur auf elektrische, und deshalb ist die Längenkontraktion eine Konsequenz der Transformation.
Poincaré (1900, 1905)
Ortszeit
Weder Lorentz noch Larmor gaben eine klare Interpretation des Ursprungs der Ortszeit an. 1900 interpretierte Poincaré jedoch die Ortszeit als Ergebnis einer mit Lichtsignalen durchgeführten Synchronisation. Er nahm an, dass zwei im Äther bewegte Beobachter A und B ihre Uhren mit optischen Signalen synchronisieren. [9] Da sie glauben, sich in Ruhe zu befinden, müssen sie jetzt nur noch die Lichtlaufzeiten berücksichtigen und ihre Signale kreuzen um zu überprüfen, ob ihre Uhren synchron sind. Hingegen aus Sicht eines im Äther ruhenden Beobachters läuft eine Uhr dem Signal entgegen, und die andere läuft ihm davon. Die Uhren sind also nicht synchron (Relativität der Gleichzeitigkeit), sondern zeigen nur die Ortszeit an. Da die Beobachter aber kein Mittel haben zu entscheiden, ob sie in Bewegung sind oder nicht, werden sie von dem Fehler nichts bemerken. Poincaré verstand daher im Gegensatz zu Lorentz die Ortszeit genauso wie die Längenkontraktion als realen physikalischen Effekt.
Lorentz-Transformation
Am 5. Juni 1905 (veröffentlicht am 9. Juni) vereinfachte Poincaré die Gleichungen (welche äquivalent zu denen von Larmor und Lorentz sind) und gab ihnen ihre moderne Form (Poincaré setzte die Lichtgeschwindigkeit gleich 1): [10]
Offenbar war Poincaré die Arbeit von Larmor unbekannt, denn er bezog sich nur auf Lorentz und benutzte deswegen als Erster den Ausdruck "Lorentz Transformation". Er zeigte, dass Lorentz' Anwendung der Gleichungen das Relativitätsprinzip nicht vollständig erfüllen. Poincaré hingegen konnte neben dem Aufzeigen der Gruppeneigenschaft der Transformation die Lorentzkovarianz der Maxwell-Lorentz-Gleichungen vollständig demonstrieren.
Eine deutlich erweiterte Fassung dieser Schrift vom Juli 1905 (veröffentlicht Januar 1906) enthielt die Erkenntnis, dass die Kombination invariant ist; er führte den Ausdruck als vierte Koordinate eines vierdimensionalen Raums ein; er benutzte dabei Vierervektoren bereits vor Minkowski, er zeigte dass die Transformationen eine Konsequenz des Prinzip der kleinsten Wirkung sind und er demonstrierte ausführlicher als vorher deren Gruppeneigenschaft, wobei er den Namen Lorentz-Gruppe („Le groupe de Lorentz“) prägte. [11]
Einstein (1905)
Am 30. Juni 1905 (veröffentlicht September 1905) präsentierte Einstein eine radikal neue Ableitung der Transformation, welche nur auf dem Relativitätsprinzip und dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit beruhte. [12] Im Gegensatz zu Lorentz, welcher die Ortszeit nur als mathematischen Trick ansah, zeigte Einstein dass die "effektiven" Koordinaten der Lorentztransformation in der Tat gleichberechtigte Koordinaten von Inertialsystemen sind. Das wurde in gewisser Weise auch schon von Poincaré so dargestellt, jedoch unterschied dieser weiterhin zwischen "wahrer" und "scheinbarer" Zeit. Einsteins Version der Transformation war identisch mit der von Poincaré (wobei Einstein jedoch die Lichtgeschwindigkeit nicht gleich 1 setzte):
Siehe auch
Quellen
- Primärquellen
- ↑ Voigt, W.: Über das Doppler’sche Princip. In: Göttinger Nachrichten (= Nachrichten von der königl. Gesellschaft der Wissenschaften und der G.A. Universität zu Göttingen). Nr. 2, 1887, S. 41–51.
- ↑ Lorentz, H.A: The theory of electrons. B.G. Teubner, Leipzig & Berlin 1916.
- ↑ Bucherer, A. H.: Messungen an Becquerelstrahlen. Die experimentelle Bestätigung der Lorentz-Einsteinschen Theorie. In: Physikalische Zeitschrift. Band 9, Nr. 22, 1908, S. 755–762. Siehe S. 762.
- ↑ Lorentz, H.A.: Versuch einer theorie der electrischen und optischen erscheinungen in bewegten Kõrpern. E.J. Brill, Leiden 1895.
- ↑ Larmor, J.: On a Dynamical Theory of the Electric and Luminiferous Medium, Part 3, Relations with material media. In: Phil. Trans. Roy. Soc. Band 190, 1897, S. 205–300.
- ↑ Larmor, J.: Aether and Matter. Cambridge University Press, 1900.
- ↑ Lorentz, H.A.: Simplified Theory of Electrical and Optical Phenomena in Moving Systems. In: Proc. Roy. Soc. Amst. Band 1, 1899, S. 427–442.
- ↑ Lorentz, H.A.: Electromagnetic phenomena in a system moving with any velocity smaller than that of light. In: Proc. Roy. Soc. Amst. Band 6, 1904, S. 809–831.
- ↑ Poincaré, H.: La théorie de Lorentz et le principe de réaction. In: Archives néerlandaises des sciences exactes et naturelles. Band 5, 1900, S. 252–278. . Nachdruck in Poincaré, Oeuvres, tome IX, pp. 464-488
- ↑ Poincaré, H.: Sur la dynamique de l'électron. In: Comptes Rendus. Band 140, 1905b, S. 1504–1508. Nachdruck in Poincaré, Oeuvres, tome IX, S. 489-493.
- ↑ Poincaré, H.: Sur la dynamique de l'électron. In: Rendiconti del Circolo matematico Rendiconti del Circolo di Palermo. Band 21, 1906, S. 129–176. Nachdruck in Poincaré, Oeuvres, tome IX, Seiten 494-550. Teilweise englische Übersetzung in Dynamics of the electron.
- ↑ Einstein, A.: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. In: Annalen der Physik. Band 17, 1905a, S. 891–921.
- Sekundärquellen
- Macrossan, M. N.: A Note on Relativity Before Einstein. In: Brit. J. Phil. Sci. Band 37, 1986, S. 232–234.
- Darrigol, O.: The Electron Theories of Larmor and Lorentz: A Comparative Study. In: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences. Band 24, 1994, S. 265–336.
- Darrigol, O.: The Genesis of the theory of relativity. In: Séminaire Poincaré. Band 1, 2005, S. 1–22.