Heeresgruppenpresse
Unter Heeres- oder Armeegruppenzeitungen (in Ostdeutschland Frontzeitungen) werden Zeitungen verstanden, die nach der Besetzung deutscher Gebiete durch die alliierten Truppen seit Ende des Jahres 1944 in deutscher Sprache herausgegeben wurden.
Anfangs richteten sie sich an die gegnerischen deutschen Truppen, mit dem Vormarsch auf deutsches Territorium jedoch vor allem auch an die Zivilbevölkerung.
Herausgeber waren einzelne größere militärische Verbände, die Heeres- oder Armeegruppen.
Die Zeitungen erschienen je nach Besatzungsmacht wenige Wochen oder einige Monate.
Die Heeresgruppenzeitungen hatten die Aufgabe, die deutsche Bevölkerung zu informieren, zugleich aber auch Vertrauenswerbung zu betreiben, den Widerstandswillen zu brechen und so den Truppen die Besatzungsarbeit zu erleichtern. Später, als die Herausgabe von den Heeresgruppen auf die Militärverwaltung übergegangen war, kamen als wesentliche Aufgaben die politische Umerziehung und die Aufforderung zum Wiederaufbau hinzu.
Aus diesen Heeresgruppenzeitungen gingen in den westdeutschen Besatzungszonen eine Reihe von deutschen Tageszeitungen hervor, die heute noch eine führende Position einnehmen.
Amerikanische Heeresgruppenpresse
In Deutschland waren die 6. und die 12. amerikanische Heeresgruppe (U.S. Army Group) aktiv. Beide gaben Heeresgruppenzeitungen heraus. Während diese Zeitungen Anfangs schlicht Mitteilungen hießen und ein überregionales Verbreitungegebiet hatten, entstand ab Anfang April eine regionale Heeresgruppenpresse, die in jenen größeren Städten erschien, die in dem von US-Truppen besetzten Gebiet südlich einer Linie Osnabrück-Brauschweig lagen.
Die 12. amerikanische Heeresgruppe gab folgenden regionale Zeitungen heraus:
- Kölnischer Kurier, 2.4.45-16.6.45, dann den Briten übergeben;
- Frankfurter Presse, 21.4.45-26.7.45, dann als Frankfurter Rundschau deutschen Herausgebern übergeben;
- Hessische Post (Kassel), 28.4.45-22.9.45, dann als Hessische Allgemeine (heute Hessisch-Niedersächsische Allgemeine/HNA) deutschen Herausgebern übergeben;
- Braunschweiger Bote, 4.5.45-8.6.45, dann den Briten übergeben, die die Zeitung wegen Papiermangels nicht fortführten;
- Ruhr Zeitung (Essen), 12.5.45-16.6.45, dann den Briten übergeben;
- Bayrischer Tag (Bamberg), 19.5.45-13.11.45, später als Fränkischer Tag deutschen Herausgebern übergeben;
- Münchner Zeitung, 9.6.45-6.10.45, dann als Süddeutsche Zeitung deutschen Herausgebern übergeben;
- Süddeutsche Mitteilungen (Heidelberg), 16.6.45-1.9.45, dann als Rhein-Neckar-Zeitung deutschen Herausgebern übergeben;
- Weser Bote (Bremen), 23.6.45-15.9.45, dann als Weser-Kurier deutschen Herausgebern übergeben;
- Regensburger Post, 29.6.45-16.10.45, dann als Mittelbayerische Zeitung deutschen Herausgebern übergeben;
- Augsburger Anzeiger, 13.7.45-23.10.45, dann als Schwäbische Landeszeitung (ab 1959 Augsburger Allgemeine) deutschen Herausgebern übergeben;
- Stuttgarter Stimme, 3.8.45-14.9.45, dann als Stuttgarter Zeitung deutschen Herausgebern übergeben.
Die 6. Heeresgruppe gab neben den Mitteilungen, die im Mai in Heidelberg auch in einer Regionalausgabe erschienen waren, lediglich zwischen dem 18.5. und dem 1.6.45 die Bayerische Landeszeitung heraus, dann wurden die Presseaktivitäten der 12. Heeresgruppe übertragen.
Diese Zeitungen erschienen jeweils ein- bis zweimal wöchentlich und erreichten Auflagen zwischen 150.000 (Weser Bote) und über einer Million (Hessische Post). Im Schnitt kam auf je fünf Einwohner eine Zeitung.
Britische Heeresgruppenpresse
Auf britischer Seite gab die 21. Heeresgruppe anfangs die überregionalen Mitteilungen und später regionale Heeresgruppenzeitungen heraus. Die Briten übernahmen mit der Übernahme ihres eigentlichen Besatzungsgebietes (siehe Besatzungszone) auch einige Zeitungen der US-Armee.
Es erschienen:
- Hamburger Nachrichtenblatt, 9.5.45-28.3.46, dann eingestellt;
- Lübecker Nachrichtenblatt, 10.5.45-28.3.46, dann als Lübecker Nachrichten deutschen Herausgebern übergeben;
- Flensburger Nachrichtenblatt, 11.5.45-28.3.46, dann eingestellt;
- Neue Westfälische Zeitung (Oelde), 19.5.45-30.7.46, ab 1949 wieder Tageszeitung Die Glocke von 1880;
- Neuer Hannoverscher Kurier, 29.5.45-16.7.46, dann Herausgabe unterschiedlicher deutscher parteinaher Zeitungen;
- Nordwest-Nachrichten (Oldenburg), 2.6.45-24.4.46, dann als Nordwest-Zeitung deutschen Herausgebern übergeben;
- Hannoversches Nachrichtenblatt, 2.6.45-31.5.46, dann eingestellt;
- Neues Oldenburger Tageblatt, 2.6.45-31.5.46, dann eingestellt;
- Kieler Nachrichtenblatt, 4.6.45-30.3.46, dann als Kieler Nachrichten deutschen Herausgebern übergeben;
- Neue Hamburger Presse, 9.6.45-30.3.46, dann Herausgabe unterschiedlicher deutscher parteinaher Zeitungen;
- Kölnischer Kurier, 23.6.45-26.2.46, dann als Kölnische Rundschau und Rheinische Zeitung Fortführung durch deutsche Herausgeber;
- Ruhr Zeitung (Essen/Dortmund), 23.6.45-27.2.46, dann als Rhein Ruhr Zeitung (eingestellt am 30.9.49) sowie Westfälische Rundschau Fortführung durch deutsche Herausgeber;
- Neue Rheinische Zeitung (Düsseldorf), 18.7.45-27.2.46, dann als Rheinische Post deutschen Herausgebern übertragen;
- Lübecker Post, 25.7.45-30.3.46, dann als Lübecker Nachrichten deutschen Herausgebern übergeben;
- Kieler Kurier, 25.7.45-30.6.46, dann als Kieler Nachrichten deutschen Herausgebern übergeben;
- Der Berliner, 2.8.45-1.5.46, dann als Telegraf deutschen Herausgebern übergeben (eingestellt am 30.6.72);
- Lüneburger Post, 6.8.45-11.1.46, dann als Lüneburger Landeszeitung (heute Landeszeitung für die Lüneburger Heide) deutschen Herausgebern übergeben;
- Braunschweiger Neue Presse, 12.10.45-7.1.46, dann als Braunschweiger Zeitung deutschen Herausgebern übergeben;
- Osnabrücker Rundschau, 1.3.46-15.9.46, dann als Neues Tageblatt (heute Neue Osnabrücker Zeitung) deutschen Herausgebern übergeben.
Die Auflagen lagen zwischen 12.000 und einer Million Exemplare, womit ebenfalls rund fünf Einwohner auf eine Zeitung kamen.
Sowjetische Heeresgruppenpresse
Die sowjetischen Heeresgruppen ("Fronten") gaben nur jeweils ein bis zwei Zeitungen ("Frontzeitungen") heraus.
Die Frontzeitung der 2. Belorussischen Front hieß Deutsche Zeitung und erschien vom 20.5. bis 10.6.45 im heutigen Mecklenburg-Vorpommern und in Nordbrandenburg. Nach ihrer Einstellung wurde die Zeitung bis 1946 in den an Polen übertragenen deutschen Gebieten (siehe polnische Ostgebiete) für die deutsche Bevölkerung herausgegeben.
In Dresden gab die 1. Ukrainische Front die Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung heraus, die vom 22.5. bis 1.8.45 im Raum Sachsen erschien.
Die 1. Belorussische Front gab vom 21.5. bis 21.6.45 die Berliner Zeitung heraus, die dann dem Berliner Magistrat übergeben wurde, sowie in Brandenburg vom 15.5.45 bis zum 30.6.55 die Tägliche Rundschau, die ab Sommer 1945 zum Verkündigungsorgan der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland (SMAD), der obersten Besatzungsbehörde, wurde.
Die Auflagen lagen zwischen 50.000 und 200.000 Exemplare. Diesen Zeitungen gingen jeweils von den Heeresgruppen herausgegebene Titel voraus, die Nachrichten oder Nachrichtenblatt (für die deutsche Bevölkerung) benannt wurden.
Französisches Besatzungsgebiet
Im französischen Machtbereich entstand keine Heeresgruppenpresse, da die französischen Truppen nicht als eigene Armee deutschen Boden betraten.
Stattdessen gaben lokale und überregionale Militärbefehlshaber eigene Zeitungen und Mitteilungsblätter heraus, beispielsweise:
- die Gazette officielle du Gouvernement Militaire du pays de Bade (Zone Française),
- das Bulletin d'information de la ville de du Landkreis de Loerrach/Mitteilungs-Blatt für die Stadt und den Landkreis Lörrach oder
- die Informations du Gouvernement Militaire de Fribourg ville et campagne/Mitteilungen der Militärregierung Freiburg Stadt und Land.
Eigentlich als Zeitungen gegründet, die lediglich amtliche Bekanntmachungen drucken sollten, nahmen diese Blätter bald auch eine reguläre Berichterstattung auf.
Heeresgruppenpresse in Österreich
Auch in Österreich, das ab 1938 als "Ostmark" zum Deutschen Reich gehört hatte, kam es nach der Eroberung durch die Alliierten zur Gründung von Heeresgruppenzeitungen, aus denen sich einige heute noch bestehende österreichische Tageszeitungen entwickelten.
Die amerikanische 6. Heeresgruppe gründete am 7.6.45 die Salzburger Nachrichten sowie am 11.6.45 die Oberösterreichische Nachrichten, die am 23.10.45 bzw. am 8.10.45 an österreichische Herausgeber übergeben wurden. Die am 21.6.45 gegründete Tiroler Tageszeitung wurde am 9.7.45 an die französische Armee übergeben.
Die 8. britische Armee übernahm am 22.7.45, nachdem die Rote Armee die Steiermark geräumt hatte, die von Österreichern betriebene Neue steirische Zeitung und wandelte sie in eine Heeresgruppenzeitung um. Bereits am 16.5.45 gründete die Armee die Kärntner Nachrichten. Beide Zeitungen wurden am 31.12.45 eingestellt.
Die 3. Ukrainische Front gab erstmals am 15.4.45 die Österreichische Zeitung heraus, "Frontzeitung für die Bevölkerung Österreichs", die ab 23.8.45 zum offiziellen Organ der sowjetischen Besatzungsmacht und am 31.7.55 eingestellt wurde.
Die französischen Streitkräfte übernahmen am 9.7.45 von den Briten die Tiroler Tageszeitung und übergaben sie ab dem 8.2.46 schrittweise in österreichische Hände.
Literatur
- Elisabeth Matz: Die Zeitungen der US-Armee für die deutsche Bevölkerung (1944-1946). (=Studien zur Publizistik Bd. 12.) Münster: Verlag C.J. Fahle 1969;
- Stefan Matysiak: Die britischen Heeresgruppenzeitungen und die Wiedergeburt der niedersächsischen Lokalpresse 1945/46. In: Osnabrücker Mitteilungen Bd. 107/2002, S. 233-251;
- Stefan Matysiak: "Bäckereien wieder eröffnet" - Mit sowjetischen Militärzeitungen begann 1945 die lokale Berichterstattung in Mecklenburg-Vorpommern. In: Zeitgeschichte regional, 7. Jg., Heft 2/Dezember 2003, S. 49-55:
- Gabrielle Melischek/Josef Seethaler: Die Wiener Tageszeitungen. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang Verlag 1999.