Integrative Spiritualität

Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. Februar 2009 um 16:32 Uhr durch SchoenfeldSJ (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Integrative Spiritualität bezeichnet eine Form der Geistlichen Theologie (theologia spiritualis). Der Begriff spezifiziert die christliche Spiritualität, sowohl der Theorie als auch Praxis nach. Ihre Eigenart liegt darin, dass sie die Fülle der Überlieferung des Christentums, eine konfessionelle Identität und die Offenheit für andere Traditionen miteinander verbindet. Dabei sind synkretistische Anleihen bei anderen Religionen prinzipiell ausgeschlossen. Sie handelt insbsondere vom Bewusstsein für die Wesensmomente christlicher Spiritualität in ihren zeitgemäßen Form.

Die "Integrative Spiritualität" entstammt dem Programm, wie es die Zeitschrift Geist und Leben vertritt. Ihr Konzept beruht auf der modernen Theologie der Spiritualität, wie sie Juan G. Arintero OP, Réginald Garrigou-Lagrange OP, Erich Przywara SJ, Karl Rahner SJ, Friedrich Wulf SJ und Josef Sudbrack SJ entwickelt haben. Entscheidend ist der Dialog mit den Humanwissenschaften, insbesondere der Humanistischen Psychologie, aber auch anderen religiösen Traditionen. Der Begriff "integrativ" steht der Entwicklungs- bzw. Tiefenpsychologie und Gestalttherapie nahe. Die Theorie der spirituellen Form wurzelt in Meister Eckharts Moduslehre geistlichen Lebens (Lehre von der "guten wîse").

Die Prinzip und Kriterium der Integrativen Spiritualität ist der Glaube an Jesus Christus und die moderne Existenzerfahrung des Menschen. Es geht um eine Synthese in der das Eigene des Menschen (Natur) und die mystische Entfaltung des Glaubens (Gnade) eine Einheit bilden. Die Aufgabe ist ein Glaubensbewusstsein, das christozentrisch, individuiert wie pneumatisch ist. Spirituells Ideal ist die Gottvertrautheit als Ineinander von Beschauung und Tätigsein (in actione contemplativus).

Dieser Grundansatz beruht auf dem Innewerden der mystischen Dimension des Glaubens- und Taufgnade. Denn darin wurzeln alle Berufungen und jede Eigenspiritualität. Glaube und Taufe stiften die mystische Einheit in Christus. Jede besondere Ausformung oder Richtung von Spiritualität ist demgegenüber sekundär. Deshalb hat die Mystik im Rahmen der Integrativen Spiritualität auch keinen Sonderstatus. Die mystische Erfahrung wird nicht allein kontemplativen Orden und besonders begnadeten Personen zugeordnet, sondern als bewusste Intensivierung des normalen Gnadenlebens betrachtet.

Die Beschäftigung mit einer bestimmten Partikularfrömmigkeit (benediktinische, franziskanische, dominikanische Formen usf.) oder etwa einzelnen Standesberufungen (Priestertum, Ehe, Rätestand, Laienspiritualität) steht daher nicht im Mittelpunkt des Interesses.

Diese Form der Frömmigkeit kann auch als „Fundamentalspiritualität“ bezeichnet werden, weil sie die Wesensmomente des Christseins nicht isoliert von einander realisiert (Entfremdung), sondern zur Synthese bringt (Glaubenslebendigkeit). Solch eine Grundhaltung macht alle partikularen Frömmigkeitsausprägungen überhaupt erst fruchtbar. Dies ist anspruchsvoll, weil sie die Einung mit Gott (Mystik) im Glaubenseinsatz der ganzen Person (Aszese) ohne ein Bauen auf ihre eigenen Mittel erstrebt (Gnade). Zugleich ist sie einfach, da sie unmittelbar im gnadenhaft geschenkten Glaubensakt selbst wurzelt.

Integrativer Glaube vermeidet religöse Einseitigkeit: Überbetonung spiritueller Erfahrung, Profanisierung der Frömmigkeit, Verlust der kirchlichen Dimension, Relativierung der Offenbarungswahrheit, ichhafter Individualismus, Politisierung des Glaubens, Vernachlässigung geistlicher Übungen, Psychologisierung der Spiritualität, Missachtung der liturgischen Formen, Auflösung konfessioneller Identität, unverbindlicher Synkretismus, Esoterik, Ritualismus usf.

Das Glaubensbewusstsein muss so geformt werden, das es integrative Kraft gewinnt. Dabei sind folgende Momente zu beachten: Liturgische Bildung, Studium der spirituellen Überlieferung, Unterscheidung der Geister, interreligiöser Dialog, Annehmen der Gottesferne, spirituelle Psychologie, Ernstnehmen der Theodizeefrage, Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit, Kunst des personalen Gebets, kontemplative Exerzitienpraxis, alternativer Lebensstil, spirituelle Netzwerke des kirchlichen Lebens und neue Organisationsformen usf.

Damit wird kein „spiritueller Holismus“ angestrebt. Entscheidend ist, dass die notwendigen Wesensmomente christlicher Spiritualität in zeitgemäßer Form erkannt werden, um sie gemäß der persönlichen Berufung (Charisma) verwirklichen zu können.

Die Integration geschieht nicht dadurch, dass möglichst viele Aspekte realisiert werden. Viel wichtiger ist es, sich ihre geistliche Bedeutung für einen lebendigen Glauben bewusst zu machen.: Nicht alle etwa haben die Aufgabe einen interreligiösen Dialog führen. Doch die Vertiefung der christlichen Identität angesichts anderer Wahrheitsansprüche muß jedem ein ernster Wunsch sein. Dazu ist keine Vollständigkeit, wohl aber ein Bewusstsein davon erforderlich.

Die Kunst der Integration aus christlicher Sicht liegt darin, die spirituelle Wahrheit des anderen in das Eigene zu aufzunehmen, ohne sie damit zu vereinnahmen bzw. auszubeuten oder sich selbst an sie zu veräußern. Das gilt heute umso mehr, sofern der eigene Glaube im Angesicht des Anderen gelebt werden muss. Wir stehen heute vor der Herausforderung eine „interreligiöse Spiritualität“ zu verwirklichen, die Offenheit für die spirituellen Werte anderer Religionen mit einer Verwurzlung in der eigenen Tradition verbindet.

Literatur

  • Juan G. Arintero, Evolución Mystica [1908]. Editorial San Esteban, Salamanca 1989, ISBN 84-85045-87-4
  • Réginald Garrigou-Lagrange, Mystik und christliche Vollendung . Hass & Grabherr Buchverlag, Augsburg 1927
  • Erich Przywara, Exerzitien und Frömmigkeitstypen, in: Stimmen der Zeit 112 (1927), 149f.
  • Erich Przywara, Der religiöse Typus der Gesellschaft Jesu, in: Zeitschrift für Aszese und Mystik 17 (1942), 121-138.
  • Karl Rahner, Frömmigkeit heute und morgen, in: Geist und Leben 39 (1966), 326-342
  • Andreas Schönfeld, Integrative Spiritualität. Zum 80. Jahrgang von "Geist und Leben", in: Geist und Leben 80 (2007), 1-8
  • Andreas Schönfeld, Spirituelle Identität und Mystik, in: Geist und Leben 81 (2008), 1-8
  • Andreas Schönfeld, Grunddynamik geistlicher Begleitung. Integrativ-dialogische Spiritualität, in: R. Prokschi/M. Schlosser (Hrsg.), Vater, sag mir ein Wort. Geistliche Begleitung in den Traditionen von Ost und West. Echter Verlag, Würzburg 2007, ISBN 978-3-429-02942-5
  • Andreas Schönfeld, Meister Eckhart. Geistliche Übungen. Meditationspraxis nach den "Reden der Unterweisung". Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 2002, ISBN 3-7867-2365-6
  • Ludger A. Schulte, Aufbrauch aus der Mitte. Zur Erneuerung der Theologie christlicher Spiritualität im 20. Jahrhundert - im Spiegel von Wirken und Werk Friedrich Wulfs SJ (1908-1990). Echter Verlag, Würzburg 1998, ISBN 3-429-01987-7
  • Josef Sudbrack, Spiritualität - Modewort oder Zeichen der Zeit, in: Geist und Leben 71 (1998), 198-211
  • Josef Sudbrack, Gottes Geist ist konkret. Spiritualität im christlichen Kontext. Echter Verlag, Würzburg 1999, ISBN 3-429-02078-6
  • Friedrich Wulf, Merkmale christlicher Spiritualität heute, in: Geist und Leben 42 (1969), 350-358