Russlandfeldzug 1812
Als Vaterländischer Krieg (russisch Отечественная война) wurde der Krieg zwischen Frankreich unter Napoléon und Russland im Jahre 1812 von Seiten der Russen bezeichnet. Er gilt als Teil des sechsten Koalitionskrieges. Die Bezeichnung Vaterländischer Krieg wurde von der sowjetischen Geschichtsschreibung im Großen Vaterländischen Krieg für den Krieg gegen Deutschland 1941 bis 1945 aufgegriffen. Von Napoleon wurde der Krieg 1812 auch als „Zweiter Polnischer Krieg“ bezeichnet.
Politische Vorgeschichte
Durch den Frieden von Tilsit wurden Napoléon und der russische Zar Alexander I. Verbündete. Ursprünglich wollte Napoléon eine noch engere Verbindung mit Russland und beabsichtigte Katharina Pawlowna, eine Schwester des Zaren, zu heiraten, doch die heiratete 1809 den Prinzen Georg von Oldenburg.
Napoléon lockerte im Jahr 1810 die Kontinentalsperre gegen England für französische Schiffe. Französische Kaufleute durften, unter Auflagen, wieder Handel mit England betreiben. Am Ende des Jahres annektierte er das Herzogtum Oldenburg und griff damit den Schwager des Zaren an. Alexander I. beteiligte sich nun nicht mehr an der Kontinentalsperre, die auch zu einer wirtschaftlichen Belastung geworden war. Russland durfte keine Rohstoffe wie Holz, Flachs oder Pech nach England exportieren. Textilien, Kaffee, Tee, Tabak oder Zucker durften aus England nicht importiert werden. Auch die Steuereinnahmen aus diesen Geschäften fehlten in der Staatskasse, dafür machten Schmuggler Riesengewinne. Aufgrund der negativen Handelsbilanz verbot der Zar am 31. Dezember den Import von Luxusgütern. Davon war besonders Frankreich betroffen, das große Mengen Seide, Wein und Parfüm nach Russland exportierte. Russland hielt große Teile des ehemaligen Königreichs Polen besetzt. Diese Gebiete waren traditionell wichtige Holzlieferanten für den Bau englischer Kriegs- und Handelsschiffe. Da Russland auch das waldreiche Finnland besetzt hatte, war es der größte Holzlieferant Europas und für den englischen Schiffbau lebenswichtig.
Im Jahr 1811 begannen Frankreich und Russland mit den Vorbereitungen für einen Krieg. Im März 1812 berichtete die Vossische Zeitung in Berlin über den Aufmarsch französischer Truppen. John Quincy Adams, amerikanischer Gesandter in Sankt Petersburg und später Präsident der USA, notierte zur gleichen Zeit den Abmarsch russischer Truppen aus Sankt Petersburg in sein Tagebuch. Schweden schloss ein Bündnis mit Russland, in dem es auf das von Russland besetzte Finnland verzichtete. Im Gegenzug sollte es nach einem Sieg gegen Napoléon Norwegen erhalten, das zu Dänemark gehörte. Alexander I. verlangte am 8. April den Rückzug aller französischen Truppen als Vorbedingung für weitere Verhandlungen. Mit dem Frieden von Bukarest beendete Russland am 28. Mai den Krieg mit dem Osmanischen Reich, wodurch weitere Truppen für einen Krieg gegen Napoléon frei wurden. Nach den Verträgen mit Schweden und dem Osmanischen Reich marschierten 90.000 russische Soldaten als Verstärkung in Richtung der russisch-polnischen Grenze. Am 22. Juni verfasste Napoléon in Wilkowisky einen Tagesbefehl, in dem er den 2. Polnischen Krieg verkündete[1].
Logistik
In früheren Kriegen hatte sich die französische Armee aus dem Land versorgt. In der Regel hatten französische Revolutionstruppen ebenso wie später Napoleons Truppen keinen großen Tross wie andere Armeen und waren deshalb schneller und beweglicher. Für den Krieg gegen Russland hatte Napoléon eine umfangreiche Logistik geplant. In Preußen und Polen wurden Lagerhäuser mit Vorräten gefüllt, 6.000 Fuhrwerke sollten die Armee versorgen. Zur Versorgung mit frischem Fleisch führten die Truppen Rinderherden mit. Die medizinische Versorgung war für die damalige Zeit vorbildlich. Die französische Armee war die erste, die über Sanitätsfuhrwerke verfügte. Der Arzt Dominique Jean Larrey, der die mobilen Lazarette eingeführt hatte, begleitete die Armee in Russland als Leiter des medizinischen Korps.
Die Grande Armée
Die Grande Armée bestand beim Feldzug gegen Russland nicht einmal zur Hälfte aus Franzosen. Selbst diese waren nach heutigem Verständnis zu einem erheblichen Teil Polen, Holländer, Belgier oder Deutsche. Alle Gebiete westlich des Rheins gehörten zu Frankreich. Die Niederlande und große Teile Norddeutschlands waren im Jahr 1810 annektiert worden. Holländer, Belgier, Kölner, Bremer, Hamburger oder Lübecker waren deshalb Franzosen. Die Staaten des Rheinbundes stellten mehr als 100.000 Soldaten für den Feldzug gegen Russland, allein Bayern musste mehr als 30.000 Mann stellen. Das Königreich Westphalen stellte mehr als 27.000 Mann, hinzu kamen Sachsen, Baden, Württemberg und weitere Staaten des Rheinbundes. Auch Italiener, Spanier, Portugiesen, Schweizer und Kroaten kämpften in Russland für Napoléon. Polen versprach sich ein neues Königreich sowie die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete und stellte nach Frankreich und Deutschland den drittgrößten Anteil an der Grande Armée. Österreich und Preußen mussten sich unter politischem Druck verpflichten, Hilfskorps für Napoléon zu stellen.
Der Einmarsch der Grande Armée

Am 24. Juni 1812 überschritt Napoléon mit rund 422.000 Soldaten[2], der Grande Armée, den Njemen und damit die russische Grenze. Er erwartete einen schnellen Sieg, sein strategisches Ziel war es, die russischen Hauptstreitkräfte zu einer Schlacht zu stellen und möglichst früh vernichtend zu schlagen, deshalb folgten seine Truppen den russischen Streitkräften in Eilmärschen. Das hatte katastrophale Folgen.
Unmittelbar nach dem Einmarsch begannen tagelange Gewitterregen, die das Land in Sumpf und Morast verwandelten. Beim Versuch die angeschwollene Wilia zu überqueren, ertranken die meisten Soldaten eines polnischen Kavallerieschwadrons. Die Armee entfernte sich immer mehr von ihren Versorgungsfuhrwerken, die im Schlamm stecken blieben. Das dünn besiedelte Land konnte die große Masse der Armee nicht ernähren, zudem hatte sich bereits die russische Armee aus dem Land versorgt. Durch unsauberes Wasser, das man aus Flüssen und Sümpfen schöpfte, erkrankten viele Soldaten an der Ruhr. Der Branntwein, mit dem man üblicherweise das Wasser genießbar machte, war ausgegangen. Tausende Soldaten starben in den ersten Wochen an Krankheiten oder Entkräftung, viele desertierten.
Zar Alexander I. befand sich bereits seit Ende April bei der russischen Armee und hatte das Kommando. Militärisch hatte er wenig Erfahrung und vertraute auf seine Berater, wie dem preußischen General Phull. Die 1. russische Westarmee unter Barclay de Tolly war den Franzosen zahlenmäßig weit unterlegen, sie bestand aus etwa 118. 000 Mann. Ihr stand eine mehr als dreifache Übermacht gegenüber. Mehr als 150 km südlich befand sich die 2. Westarmee unter Bagration mit 35.000 Mann. Die Reservearmee von Tormasow mit 30-35.000 Mann[3] befand sich noch weiter südlich und konnte in den Kampf gegen Napoléons Hauptarmee vorerst nicht eingreifen. Östlich von ihr waren die riesigen Pripjetsümpfe, die einen Rückzug in diese Richtung unmöglich machten. Ihr stand nur das österreichische Hilfskorps im Raum Brest-Litowsk gegenüber. Napoléon verstärkte es mit dem 7. Korps, das aus sächsischen Truppen bestand. Die Armee von Tschitschagow, die aus dem Krieg gegen das Osmanische Reich zurückkehrte, war noch weit entfernt, ebenso Verstärkungen aus Finnland unter General Steinheil. Barclay de Tolly und Bagration mussten sich zurückziehen.
General von Phull ging der Rückzug nicht schnell genug, mehrfach schickte er den Oberstleutnant Carl von Clausewitz zu Barclay de Tolly, um ihn zu einem schnelleren Rückzug zu bewegen[4]. Er befürchtete, dass Napoléon vor der russischen Armee in Drissa sein würde. Dort hatte Russland bereits Monate vorher mit dem Ausbau von Stellungen begonnen und die Armee wollte sich, nach dem Plan von Phull, zur Schlacht stellen. Bagration sollte gleichzeitig im Rücken der Armee Napoléons die Offensive ergreifen. Als die Armee in Drissa ankam, erwies sich das vorbereitete Gelände als ungeeignet. Es befand sich direkt an der Düna, die an dieser Stelle nicht sehr tief war. Teile der französischen Armee hätten der russischen Armee nach einer Umgehung in den Rücken fallen können. Brücken waren nicht vorhanden, weshalb man bei einem Rückzug die Kanonen hätte zurücklassen müssen. Eine Niederlage hätte die Vernichtung der Armee zur Folge gehabt und damit die Niederlage Russlands. Am 10. Juli geriet die Vorhut des 4. französischen Kavalleriekorps Latour-Maubourg bei Mir in einen Hinterhalt und wurde von Kosaken unter General Platow geschlagen. Am 14. Juli verließ die russische Armee Drissa.
Barclay de Tolly übernimmt das Kommando
Nachdem die Armee am 18. Juli in Polozk angekommen war, übergab der Zar das Kommando an Barclay de Tolly und reiste über Moskau nach Sankt Petersburg. Barclay de Tolly ließ 25.000 Mann unter General Wittgenstein in Polozk zurück, um den Weg nach Sankt Petersburg zu sichern, das 2. und 6. Korps der Armee Napoléons marschierten in Richtung Polozk. Barclay de Tolly zog mit seiner Armee weiter nach Witebsk, wo er sich mit der 2. Westarmee vereinigen wollte. Napoléon versuchte die Vereinigung der beiden Armeen zu verhindern. Am 23. Juli wurde Bagration bei Mohilew von Marschall Davout geschlagen, dadurch war ein Marsch in Richtung Norden nach Witebsk nicht mehr möglich. Bagration musste sich nun in Richtung Smolensk bewegen. Barclay de Tolly hatte inzwischen Witebsk erreicht und schickte das Korps von General Ostermann zur Erkundung nach Ostrowno. Nach dreitägigen Kämpfen wurde Ostermann am 27. Juli geschlagen. Am gleichen Tag gab es einen russischen Erfolg, mehr als 2.100 Sachsen unter General Klengel kapitulierten in Kobryn vor Einheiten der Armee Tormasows[5]. Am 2. August erreichte Barclay de Tolly Smolensk, Bagration zwei Tage später. Wenige Tage danach begannen die Kämpfe um Polozk zwischen dem russischen Korps von Wittgenstein und den beiden französischen Korps.
Im Hinblick auf Bagration hatte der Zar keine klaren Verhältnisse geschaffen. Bagration war der dienstältere General und wurde Barclay de Tolly nicht ausdrücklich unterstellt. Da der auch Kriegsminister war, übernahm er das Kommando. Bagration war mit der Kriegsführung von Barclay de Tolly nicht einverstanden, er wurde dabei besonders von General Jermolow unterstützt. Auch Eugen von Württemberg und der russische Oberst Toll unterstützten Bagration und wollten, dass der den Oberbefehl übernahm. General [Levin August von Bennigsen|Bennigsen]] hatte wohl selbst Ambitionen auf den Oberbefehl und setzte sich ebenfalls für eine Ablösung Barclay de Tollys ein. Diese Intrigen und die Furcht des russischen Adels um seine Besitztümer führten zur Ernennung Kutusows zum Oberbefehlshaber.
Am 17. August kam es zur Schlacht um Smolensk. Napoléons Hauptarmee hatte vor der Schlacht nur noch 175.000 Mann. Insgesamt hatte er bereits mehr als ein Drittel seiner Armee verloren, hauptsächlich durch Krankheiten, Entkräftung und Desertion. Auch die russische Armee hatte auf dem Weg nach Smolensk Verluste durch Desertion erlitten, überwiegend waren es Soldaten aus den von Russland besetzten polnischen Gebieten. Hinzu kamen Verluste durch Krankheiten, von denen auch die russische Armee nicht verschont wurde. Nach zweitägigem Gefecht zog sich die russische Armee aus Smolensk zurück, auch Wittgenstein musste sich in Polozk zurückziehen.
Kutusow wird Oberbefehlshaber
Nach der Schlacht von Smolensk löste der 67jährige Kutusow Barclay de Tolly ab, dem später die Zerstörung von Smolensk vorgeworfen wurde. Tatsächlich war die Stadt auch durch Artilleriebeschuss in Brand geraten und Soldaten beider Seiten hatten während der Kämpfe Brände gelegt, um ihren Rückzug zu sichern oder den Vorstoß des Gegners zu verhindern. Barclay de Tolly hatte den Befehl zur Verbrennung der Lagerhäuser gegeben. Da die Stadt zu einem großen Teil aus Holzhäusern bestand, hatten diese Brände verheerende Folgen. Am 20. August ernannte der Zar Kutusow zum Oberbefehlshaber. Die Entscheidung für Kutusow war bereits drei Tage vorher getroffen worden, ein vom Zaren einberufenes Gremium aus sechs Generalen hatte diesen Vorschlag unterbreitet. Der Zar hatte die Ernennung Kutusows verzögert, weil er ihn nicht mochte[6].
Am 7. September kam es zur Schlacht von Borodino. Die Verluste der Grande Armée betrugen weniger als 30.000 Mann. Die russische Armee verlor mehr als 50.000 Soldaten. Die Schlacht wurde auf russischer Seite von Bagration und Barclay de Tolly geleitet, die beide an der Spitze ihrer Truppen in die Kämpfe eingriffen. Bagration erhielt einen Schuss in den Unterschenkel und starb siebzehn Tage später. Kutusow hatte sein Hauptquartier bei Gorki, von dort konnte er den Kampf kaum verfolgen. Als er von der Niederlage erfuhr, bekam er einen Wutanfall und wollte es nicht glauben. Danach verkündete er einen russischen Sieg und noch heute wird vielfach behauptet, dass es mindestens ein Unentschieden war. Die Fakten sprechen dagegen. Kutusow musste sich zurückziehen und erreichte Moskau mit nur noch etwa 70.000 einsatzfähigen Soldaten von vorher 128.000. Napoléon erreichte Moskau mit etwa 100.000 Soldaten von vorher weniger als 130.000. Im Vergleich zur ursprünglichen Stärke hatte er zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits mehr als zwei Drittel seiner Hauptarmee verloren, hinzu kam der hohe Verlust an Pferden, der später dramatische Auswirkungen haben sollte. In der Schlacht von Borodino wurde ein großer Teil von Napoléons noch verbliebener Kavallerie vernichtet. Aus Mangel an Pferden wurden Kavallerieeinheiten zu Fuß gebildet.
Die Besetzung von Moskau
Da Kutusow einen Sieg bei Borodino verkündet hatte, sah man in Moskau anfangs keinen Grund die Stadt zu verlassen. Die Entscheidung die Stadt zu räumen wurde erst am Nachmittag des 13. September getroffen. Als Marschall Murat am 14. September in Moskau einrücken wollte, war die Stadt noch nicht vollständig geräumt, viele Bürger Moskaus und Soldaten der russischen Armee befanden sich noch in der Stadt. Nach Verhandlungen erklärte sich Murat bereit einige Stunden zu warten. Am Nachmittag marschierte er in Moskau ein. Die russische Armee musste fast 10.000 verwundete oder kranke Soldaten zurücklassen. Mehrere Tausend russische Nachzügler wurden gefangen genommen, einige davon hatten sich lieber an der Plünderung Moskaus beteiligt und dabei den Anschluss an die Armee verloren. Moskauer Kaufleute hatten sie zur Plünderung aufgefordert, weil sie nicht wollten, dass ihre Waren in französische Hände fielen. Heinrich von Brandt, Offizier in der Weichsellegion, berichtete, dass man beim Einmarsch ganze Wagenzüge mit Mehl, Grütze, Fleisch und Schnaps vorfand. Am gleichen Tag wurde in Sankt Petersburg der Sieg von Borodino verkündet. Tagelang wurde der Sieg gefeiert, Kutusow wurde zum Marschall und Fürst ernannt.
Am Abend des 14. September kam es in Moskau zu den ersten Bränden, die möglicherweise, durch den sorglosen Umgang mit Feuer, von betrunkenen französischen Soldaten verursacht wurden. Diese Brände hatte man am nächsten Morgen weitgehend unter Kontrolle. In der folgenden Nacht brachen an vielen Stellen Moskaus neue Brände aus. Ein Sturm am 16. September führte dazu, dass sich das Feuer schnell ausbreitete. 75% der Stadt, die zu zwei Dritteln aus Holzhäusern bestand, wurden vernichtet. Viele Menschen starben in den Flammen, darunter auch verwundete oder kranke russische Soldaten. Mit dem Brand begannen die Plünderungen der französischen Armee, die offiziell verboten worden waren. Nach dem Motto, bevor es verbrennt können wir es ja für uns retten, wurde alles was einen Wert hatte und sich bewegen ließ, aus den Häusern geholt. In einem Brief an den Zaren machte Napoléon am 20. September den Gouverneur von Moskau, Graf Rostoptschin, für die Brände verantwortlich. Nach seiner Darstellung waren 400 Brandstifter auf frischer Tat ertappt worden. Sie hatten Rostoptschin als ihren Auftraggeber genannt und wurden erschossen[7].
Trotz des Brandes hatte die Armee in Moskau immer noch Unterkünfte und Lebensmittel. Es entstand ein Basar, auf dem Soldaten die Beute ihrer Plünderungen verkauften. Napoléon selbst residierte im Kreml, der unversehrt geblieben war. Der größte Teil der Armee war, weniger komfortabel, außerhalb der Stadt untergebracht. Napoléon wartete vergeblich darauf, dass ihm der Zar Verhandlungen anbot. Mehrmals sandte er Unterhändler zu Kutusow, um Verhandlungen anzubieten. Der Zar war nicht zu Verhandlungen bereit und verbot Kutusow Anfang Oktober weitere Gespräche zu führen. Bis auf einige Vorpostengefechten herrschte bis zu diesem Verbot eine Art stillschweigender Waffenstillstand, da Napoléon anfangs auf Verhandlungsangebote wartete und, als diese ausblieben, selbst Verhandlungen anbot. Die russische Armee konnte das ausnutzen und führte Verstärkungen heran.
Napoléons Rückzug



Am 17. Oktober griff Wittgenstein, der Verstärkungen aus Finnland erhalten hatte, bei Kljastizy die französischen Truppen an und einen Tag später Polozk. Das 2. und 6. Korps der Grande Armée mussten sich zurückziehen. Am 18. Oktober wurde Murat bei Tarutino von russischen Truppen geschlagen, einen Tag später verließ Napoléon Moskau. Da man im Zeughaus des Kremls große Mengen Waffen und Pulver gefunden hatte, wurden diese Teile des Kremls in Brand gesteckt. Trotz des Mangels an Pferden wurde eine große Zahl von Fuhrwerken dazu verwendet, das Beutegut aus Moskau abzutransportieren. Vor allem hohe Offiziere hatten sich mit Gemälden, Wein, Pelzen und anderen wertvollen Gegenständen aus den Palästen in Moskau versorgt, viele Verwundete und Kranke mussten zu Fuß gehen.
Der zögerliche und zaghafte Kutusow war kein ebenbürtiger Gegner für Napoléon. In Krasnoi konnte er trotz starker Überlegenheit Napoléon nicht aufhalten. Später ließ er es zu, dass sich die beiden französischen Korps aus Polozk mit der Hauptarmee Napoléons vereinigen konnten, wodurch der Übergang über die Beresina erst möglich wurde. Mit drei russischen Armeen gelang es Kutusow nicht, den Übergang von 28.000 Soldaten der Grande Armée über die Beresina zu verhindern, obwohl sich an beiden Ufern russische Truppen befanden. Die teilweise getrennt operierenden Armeen von Tschitschagow und Wittgenstein, mit jeweils etwa 30.000 Mann, waren nicht stark genug gegen nur noch 50.000 schlecht versorgte Soldaten der Grande Armée. Tschitschagow ließ sich durch einen vorgetäuschten Übergang an anderer Stelle ablenken. Kutusow selbst war mit mehr als 50.000 Mann weit zurückgeblieben und an der Schlacht an der Beresina nicht beteiligt. Damit wurde eine politische Lösung, nach einer Kapitulation oder Gefangennahme Napoléons, verpasst. Tschitschagow wurde für sein angebliches Versagen in den Ruhestand versetzt. Bei Kutusow beschränkte sich der Zar auf Vorwürfe, weil Napoléon entkommen konnte[8]. Am 21. Dezember kam der Zar in Wilna an und übernahm wieder das Kommando über die Armee. „Der alte Kerl soll zufrieden sein. Das kalte Wetter hat ihm einen großen Dienst erwiesen“, äußerte er über Kutusow[9].
Das Wintermärchen
Häufig wird der Winter für die Niederlage Napoléons verantwortlich gemacht, aber die russischen Soldaten kämpften unter den gleichen Wetterbedingungen. Die Schneefälle begannen am 6. November. Eine Analyse der bei Martinien für diesen Monat genannten französischen Offiziersverluste ergibt, dass fast 90% zeitlich und geographisch auf Kampfhandlungen entfallen. Für einige Tage wurde es etwas wärmer, weshalb die Beresina nicht zugefroren war. Die niedrigsten Temperaturen erreichte der Winter erst nach dem Übergang, vorher wurde Napoléons Armee immer wieder in Kämpfe verwickelt. Sie verfügte über zuwenig Pferde und musste viele ihrer Fuhrwerke verbrennen, Kanonen wurden unbrauchbar gemacht und zurückgelassen. Sogar die mitgeführten Pontons zum Brückenbau wurden, wenige Tage bevor man die Beresina erreichte, verbrannt. Tatsächlich war Napoléon auf einen Winterkrieg nicht vorbereitet, es fehlte an warmer Bekleidung und die Pferde waren für diese Temperaturen falsch beschlagen. Das führte häufig zu Unfällen mit den Fuhrwerken. Lediglich die polnische und die preußische Kavallerie hatten ihre Pferde scharf beschlagen und waren damit auf die Winterbedingungen eingestellt. Ein großes Problem waren die katastrophalen hygienischen Verhältnisse. Die meisten Soldaten hatten Läuse, von denen Krankheiten wie Typhus oder Wolhynisches Fieber übertragen wurden. Brach jemand erschöpft zusammen, nahm man ihm seine Kleidung ab und eignete sich damit auch die Läuse an. Die Armee schleppte diese Krankheiten später auch nach Polen und Deutschland. Tausende Soldaten und Hunderttausende Zivilisten beider Seiten starben an Krankheiten. Eine Volkszählung in Russland ergab 1816 einen Bevölkerungsrückgang von einer Million Menschen[10].
Das Ende des Feldzuges
In Frankreich war es Ende Oktober zu einem Putschversuch unter General Malet gekommen. Malet hatte verkündet, dass Napoléon tot sei. Napoléon verließ die Armee am 5. Dezember, obwohl er bereits Anfang November in Smolensk vom Putschversuch erfahren hatte, und reiste nach Paris. Eine frühere Abreise war zu riskant, da er sich noch in russisch kontrolliertem Gebiet befand. Das Kommando übergab er an Murat. Am 14. Dezember überschritten Reste der Grande Armée den zugefrorenen Njemen und erreichten Polen. Murat schrieb an Napoléon: „An einsatzfähigen Soldaten melde ich dem Kaiser 4.300 Franzosen und 850 Hilfstruppen“. Später folgte eine Handvoll Nachzügler. Das 10. Korps befand sich noch in Russland und marschierte in Richtung Preußen. Die Division Grandjean des Korps erreichte Preußen mit 6.000 Mann, überwiegend Polen, Bayern und Westphalen. Das preußische Korps hatte noch 15.000 Soldaten von vorher 20.000 Mann. Durch die Konvention von Tauroggen am 30. Dezember wurde es neutral und griff nicht mehr in die Kampfhandlungen ein. Das österreichische Korps hatte schon vorher die Kampfhandlungen eingestellt. Es bestand ursprünglich aus 33.000 Mann und zählte am Ende des Feldzugs noch 20.000 Mann, hinzu kamen Reste des 7. Korps. 100.000 Soldaten der Armee Napoléons waren in Gefangenschaft geraten, viele davon starben an ihren Verwundungen, Krankheiten oder erfroren auf dem Marsch in die Gefangenschaft, wer zurückblieb wurde meist getötet. Das gleiche Schicksal erlitten auch die russischen Soldaten, die in französische Gefangenschaft geraten waren. Die überlebenden Gefangenen wurden von Russland bis zum Jahr 1814 freigelassen. Sobald sich ihr Heimatland dem Kampf gegen Napoléon angeschlossen hatte, ließ man sie frei. Nach Holzhausen kehrten von den deutschen Gefangenen 2.000 bis 3.000 zurück[11]. Einige blieben in Russland, wie der württembergische Regimentsarzt Heinrich von Roos. Er geriet an der Beresina in Gefangenschaft und praktizierte später in Sankt Petersburg.
Die Grande Armée wurde von mehreren Zehntausend Zivilisten begleitet, darunter Handwerker, Verwaltungsbeamte und Schreiber. Wer es sich leisten konnte, hatte Diener oder Köche dabei und es war nicht selten, dass Ehefrauen und Kinder die Armee begleiteten. Glücksritter und Kriminelle folgten der Armee, um sich am Krieg zu bereichern. Auch von diesen sind die meisten umgekommen. Im Frühjahr 1813 wurden entlang des Rückzugweges der Grande Armée mehr als 240.000 Tote verbrannt oder in Massengräbern beigesetzt, darunter auch die Toten von Borodino, die man nach der Schlacht liegengelassen hatte.
Der Vaterländische Krieg erhielt seinen Namen, weil Russland erbittert gegen die Franzosen auf seinem eigenem Territorium gekämpft hatte. Seine alte und heutige Hauptstadt Moskau (damals war St. Petersburg die Hauptstadt) war das Opfer, um das Land zu verteidigen.
Nachwirkungen
Nach der Niederlage der Grande Armée in Russland begannen die Befreiungskriege. Sie führten zum Ende des Imperiums, das Napoléon geschaffen hatte. In der Schlacht von Waterloo wurde er endgültig geschlagen. Das polnische Herzogtum Warschau wurde zwischen Russland, Österreich und Preußen geteilt. Der Wiener Kongress schuf 1815 ein Kongresspolen unter russischer Herrschaft, mit einer liberalen Verfassung. Russland, Österreich und Preußen sicherten die Nachkriegsordnung durch die Gründung der Heiligen Allianz ab. Der polnisch-russische Gegensatz verschärfte sich weiter und führte 1830 zu einem Aufstand der von Russland niedergeschlagen wurde. Die Verfassung wurde aufgehoben, Polen wurde eine russische Provinz.
Kulturelle Hinterlassenschaften
In der Folgezeit entstanden zahlreiche Literaturwerke, die dem Vaterländischen Krieg gewidmet sind, darunter Leo Tolstois Krieg und Frieden.
In der russischen Sprache hinterließ der Krieg das Wort Scharomyga (Шаромыга), was soviel wie Bettler, Landstreicher, Schmarotzer bedeutet. Dies rührte von den zahlreichen französischen Deserteuren her, die der Krieg hinterließ. Sie streiften durch das Land umher und sprachen die Bauern mit "Cher ami" an, um sie nach etwas Essbaren zu bitten.
Die Orte der Schlachten wurden bei der Ansiedlung deutscher Auswanderer ab 1814 in Bessarabien berücksichtigt. Das Fürsorgekomitee als russische Ansiedlungsbehörde vergab diese Namen für bessarabiendeutsche Ansiedlungen, wie Borodino, Beresina, Malojaroslawez, Krasna (Krasny).
Anmerkungen
- ↑ Soldaten! Der zweite polnische Krieg hat begonnen! Der erste wurde in Friedland und Tilsit beendet. In Tilsit schwor Russland ewiges Bündnis mit Frankreich und Krieg gegen England. Heute bricht es seine Schwüre. Es verweigert jede Erklärung seines befremdeten Verhaltens, bis die französischen Adler über den Rhein zurückgegangen und unsere Verbündeten seiner Willkür preisgegeben sind. Russland wird vom Verhängnis fortgerissen, sein Schicksal muss in Erfüllung gehen. Glaubt es uns denn entartet? Wären wir denn nicht mehr die Soldaten von Austerlitz? Es stellt uns zwischen Entehrung und Krieg. Die Wahl kann nicht zweifelhaft sein. Marschieren wir also. Gehen wir über den Njemen und tragen den Krieg auf russischen Boden. Der zweite polnische Krieg wird wie der erste ruhmvoll für die französischen Waffen sein; aber der Friede den wir schließen werden, wird seine Garantie in sich tragen, und dem unheilvollen Einfluss, den Russland seit fünfzig Jahren auf die Angelegenheiten Europas ausgeübt hat, ein Ende bereiten (Kleßmann, Seite 59-60).
- ↑ Nach Minard, Tarle gibt 420.000 an. Weitere 80.000 bis 150.000 Mann Verstärkung rückten in den folgenden Monaten nach
- ↑ Zahlen nach Tarle: 1812, Berlin 1951, Seite 82 f. – Clausewitz gibt die Gesamtstärke der drei russischen Armeen mit 180.000 Mann an. Die 1. Westarmee, bei der er sich befand, hatte nach ihm nur 90.000 Mann sowie einige Kosaken. Bei Drissa kamen 10.000 Mann Verstärkung hinzu.
- ↑ Clausewitz, Der russische Feldzug von 1812, Seite 31
- ↑ Militair Conversations Lexikon, 4. Band, Leipzig 1834, Seite 310
- ↑ Palmer, Alexander I., Seite 218-219
- ↑ Kleßmann, Seite 224
- ↑ Palmer, Alexander I., Seite 230
- ↑ Palmer, Alexander I., Seite 233
- ↑ Presser, Seite 457
- ↑ Presser, Seite 456
Literatur
- Carl von Clausewitz: Sämtliche hinterlassenen Werke über Krieg und Kriegführung, Band 3, Mundus Verlag 1999 (zuerst: Berlin 1832 Band 7 und 8)
- Friedrich Wilhelm von Weymarn: Barclay de Tolly und der vaterländische Krieg 1812, Franz Kluge Verlag, Reval 1914
- Alan Palmer: Napoleon in Russland. Frankfurt, 1967
- Didier Raoult: Evidence for Louse-Transmitted Diseases in Soldiers of Napoleon's Grand Army in Vilnius, in: Journal of Infectious Diseases 193 (Januar 2006), 112-120. online
- Friedrich Steger: Der Feldzug von 1812. Phaidon Verlag, 1985 (bearbeiteter Nachdruck der Erstausgabe von 1845)
- Anka Muhlstein: Der Brand von Moskau: Napoleon in Rußland. Insel Verlag 2008.
- Alan Palmer: Alexander I. Gegenspieler Napoleons, Bechtle Verlag, Esslingen 1982 – ISBN 3-7628-0408-7
- Carl von Clausewitz: Der russische Feldzug von 1812, Magnus Verlag, Essen – ISBN 3-88400-162-0
- Eckart Kleßmann: Napoleons Rußlandfeldzug in Augenzeugenberichten, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1972 – ISBN 3-423-00822-9
- Jacques Presser: Napoleon Das Leben und die Legende, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1977 – ISBN 3 421 01804 9