Boethius

spätantiker römischer Philosoph und Staatsmann
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Anicius Manlius Torquatus Severinus Boëthius, auch: Boethius oder Boëtius (* 480 in Rom, † 524 oder 525 in Pavia), christlicher Philosoph des 6. Jahrhunderts, wird als der letzte römische und erste scholastische Philosoph betrachtet.

Mittelalterliche Illustration Anicius Manlius Severinus Boëthius'

Geboren wurde Boëthius wahrscheinlich um 480 oder später in Rom. Er entstammte einer einflussreichen römischen Familie, sein Vater Flavius Manlius Boethius wie auch viele seiner Vorfahren waren als Konsuln tätig.

Boëthius übersetzte einige Werke des Aristoteles ins Lateinische, insbesondere dessen Schriften zur Logik (Organon). Bis ins 12. Jahrhundert blieben seine z.T. kommentierenden und erläuternden Übertragungen die einzigen in Europa auf Lateinisch verfügbaren Schriften des Aristoteles. Ebenfalls verfasste Boethius einen Kommentar zu Isagoge, dem Kommentar des Porphyrius zur aristotelischen Logik, worin die Natur der species (Arten) hinsichtlich der Frage behandelt wird, ob diese eigenständig und unabhängig vom Denken bestehen oder ob sie allein in Form von Ideen existieren. Die hieraus entstandene Kontroverse wurde später als Universalienstreit bezeichnet und prägte nahezu die gesamte Scholastik. Auch philosophische Termini, wie principium, substantia, subiectum usw. gehen maßgeblich auf Boëthius bzw. auf seine Übertragung aristotelischer Begriffe ins Lateinische zurück. Neben seiner übersetzenden und kommentierenden Arbeit verfasste Boethius auch eigene Schriften, hauptsächlich über Syllogismen, aber auch über Mathematik und Musik. Ihm werden auch einige theologische Texte zugeschrieben.

Sein Hauptwerk, Der Trost der Philosophie, consolatio philosophiae (auch: Philosophiae consolationis [libri quinque] oder De consolatione ...), entstand jedoch erst nach seiner Inhaftierung durch den Ostgotenkönig Theoderich. Maßgebliche Erkenntnisse, die Boethius hier gewonnen hat, sind: Ewigkeit ist nicht lediglich Unendlichkeit (im Sinne einer zeitlichen Abfolge), sondern das Zugleich von Allem (consolatio V, 6), dann die Definition der Freiheit (cons V, 2) und die Erkenntnis, dass Erkennen in der Weise des Erkennenden geschieht (cons V, 4). Auch wird die Verbindung von Vernunft und Offenbarung, die rationale Durchdringung der Glaubensinhalte gefordert, wie sie später von Bonaventura aufgenommen wird: fidem si poteris rationemque coniunge! (Brief an Papst Johannes I.). Erst bei Wilhelm von Ockham sollte diese coniunctio, die u.a. dafür verantwortlich ist, dass Boëthius jener vir saecularis, der "letzte Römer" und der "erste Scholastiker" gesehen wurde, wieder auseinandertreten zu altera est fides et altera ratio. Der Trost sollte so über diese Zeit hinaus Einfluss nehmen auf das ganze mittelalterliche Denken.

Boëthius, der verdächtigt wurde für das Byzantinische Reich spioniert zu haben, wurde 524 oder 525 in Pavia auf Befehl des ostgotischen Königs Theoderich hingerichtet.

Die neuerdings zu vernehmende Diskussion, das Todesdatum auf das Jahr 546 zu legen und Boëthius nicht nur einen Fingieren seines Todes um das Jahr 525 zu unterstellen, sondern auch manche "zweite geheime Lesart" für seine Tröstungen zu erwarten (siehe Institut für Gregorianik-Forschung), ist allerdings eher in den Bereich des in sich selbst obskuren Logen- und Verschwörungsdenkens zu rechnen.

Werke

  • Boethius, Trost der Philosophie; Bremen 1964

Literatur

  • H. Brosch, Der Seinsbegriff bei Boëthius. Mit besonderer Berücksichtigung der Beziehung von Sosein und Dasein; 1931
  • J. Gruber, Kommentar zu Boëthius' de consolatione Philosophiae; hg. v. O. Gigon, F. Heinimann u.a., 1978
  • R. Lösch, Severinus Boëthius. Trost der Philosophie. Vermächtnis und Verhängnis eines Philosophen; 1998
  • V. Schmidt-Kohl, Die neuplatonische Seelenlehre in der Consolatio Philosophiae des Boëthius; 1965