Als Wunder gilt in einem magisch-mythischen Verständnis und auch in vorwissenschaftlicher Sicht all das, was über das Alltägliche und Gewöhnliche herausgeht und in diesem Sinn als "wunderbar" hervorragt. Philosophisch-theologische Reflexion wird präziser formulieren und als Wunder all jene Ereignisse und Geschehnisse anführen, die sich durch Gottes Wirken außerhalb der geltenden Ordnung der natürlichen Gesetze ereignen.
Gegenüber der Möglichkeit von Wundern sind verschiedene Standpunkte möglich: Der weltanschauliche Agnostizismus und Skeptizismus, der sich mitunter als Rationalismus, aber auch als Empirismus ausgibt, stellt die Möglichkeit von Wundern grundsätzlich in Frage; ebenso der Atheismus. Theistische Religionen und damit kompatible Philosophien rechnen grundsätzlich mit der Möglichkeit von Wundern. Bestimmte religiöse Gruppen und Strömungen können als ausgesprochen "wundersüchtig" bezeichnet werden, indem hier das Spektakel und die Sensation sowie die gefühlsmäßige Ergriffenheit im Vordergrund stehen, während rationale Überlegungen zurückgedrängt werden und die Wahrheitsfrage ungelöst bleibt.
Die Frage, ob durch Wunder wirklich die Naturgesetze außer Kraft gesesetzt werden, ist kontrovers. Die traditionelle Antwort lautet "Ja", da man darin einen Beweis für die Größe und Freiheit Gottes sieht, des Herrn seiner Schöpfung, der die Macht hat, der Natur ihre Gesetze zu geben und auch Ausnahmen zu verfügen. Eine moderne Antwort, die sich teilweise vom veränderten Begriff des Naturgesetzes durch die moderne Physik (z.B. Heisenbergs Unschärferelation) inspirieren läßt, nimmt an, dass die Naturgesetze als solche schon eine gewisse Offenheit aufweisen, die der Einwirkung geistiger Realitäten und letztlich Gott gegenüber nicht grundsätzlich fremd sein können.
Grundsätzlich muss jedoch festgehalten werden, dass ein wissenschaftlicher Ansatz scheitern muss, die Möglichkeit und Existenz der Wunder an sich zu überprüfen. Wenn es Wunder tatächlich gibt, so sind diese nicht von Menschen reproduzierbar bzw. provozierbar, da sie ja per Definition im alleinigen Macht- und Willensbereich Gottes liegen. Von daher kann keine empirische Überprüfung durchgeführt werden. "Zufällige" Messungen eines Wunders können wissenschaftlich nicht von einem misslungenen Experiment oder Messfehlern unterschieden werden, sind also wissenschaftlich nicht verwertbar. Es bleiben lediglich Zeugenaussagen von Menschen, die natürlich je nach Hintergrund und Persönlichkeit mehr oder weniger glaubwürdig sind und entsprechend gewertet werden müssen. Bei einer Bewertung dieser Glaubwürdigkeit spielt wiederum die grundsätzliche Einstellung des Bewertenden gegenüber der grundsätzlichen Möglichkeit von Wundern eine entscheidende Rolle.
Insgesamt muss damit die Frage nach der Existenz der Wunder als eine verkappte Frage nach der Existenz und "Persönlichkeit" Gottes bezeichnet werden.
In biblischer Deutung gelten die Wunder Jesu (Naturwunder, Heilungswunder, Dämonenaustreibungen) als "Zeichen" für die Größe Jesu und seine göttliche Sendung. In früheren Jahrhunderten wurden die biblischen Wunder als historisches Faktum betrachtet, erst die historisch-kritische Methode interpretiert Wunder auch im übertragenen Sinne (z.B. jemandem die Augen und Ohren öffnen, weil er blind und taub war gegenüber der Rede Jesu vom Reich Gottes). Wenn Menschen (im uneigentlichen Sinn) Wunder wirken, so wirkt Gott in ihnen, denn er allein hat die letzte Macht über seine Schöpfung. Wunder geschehen also immer durch Gott. Sie sollen den Glauben nicht ersetzen, sondern zu ihm hinführen. Wundertaten werden auch zu den Gaben des Heiligen Geistes gezählt.
Weitere "Wunder"-Artikel:
Aladins Wunderlampe, Alice im Wunderland, Des Knaben Wunderhorn, Naturwunder, Verwunderung, Weltwunder, Wirtschaftswunder, Wunderheilung, Wunderkerze, Wunderkind, Wundermittel
Siehe auch: Heiligenlegende, Magie, Okkultismus, Parapsychologie, Zauber
Weitere Informationen
Literatur
- Josef Imbach: Wunder. Eine existenzielle Auslegung. Echter, Würzburg 1995 ISBN 3-429-01675-4
- Ernst Keller, Marie-Luise Keller: Der Streit um die Wunder. Kritik und Auslegung des Übernatürlichen in der Neuzeit. Gütersloh 1968
- Ulrich Mann: Das Wunderbare. Wunder, Segen und Engel, Gütersloh 1979 (Handbuch Systematischer Theologie Bd. 17)
- Bela Weissmahr, Otto Knoch: Natürliche Phänomene und Wunder, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Teilband 4, Freiburg i. Br. 1982
- Fritz Fenzl: Wahre Wunder. Aufzeichnungen aus dem geheimen Archiv des Pater Frumentius über das Wirken von Engeln und Dämonen. Nymphenburger, München 2000 ISBN 3-485-00853-2
Weblinks
- Umfangreiches Nachschlagewerk der Wunder und Phänomene
- Der Begriff des Wunders in der christlichen Theologie (Seminararbeit)
- Differenzierung zwischen Wunder I (echte) und Wunder II (scheinbare)
- Sind Wunder möglich? (Karl-Leisner-Jugend)
- Wunder und Supernaturalismus
- Wunderheilungen in Kanonisationsprozessen (aus medizinischer Sicht)
- Am Ende der Skepsis (Werner Thiede)