Der Generalbass oder Basso continuo ist das harmonische Gerüst in der instrumentalen Ensemble-Musik des Barock. Wegen der großen Bedeutung des Generalbasses in dieser Zeit wird diese Epoche auch Generalbasszeitalter (Hugo Riemann) genannt.
Der Generalbass besteht aus der tiefsten Instrumentalstimme in Verbindung mit zum musikalischen Ablauf passenden Akkorden. Diese werden nicht ausgeschrieben, sondern durch Ziffern und andere Symbole angegeben, die unter die Noten der Generalbassstimme geschrieben werden (Bezifferung). Die genaue Realisierung der Akkorde ist damit dem Spieler überlassen und ist oft improvisiert. Moderne Notenausgaben enthalten aber oft eine vom Herausgeber angefertigte mögliche Realisierung der Akkorde in Notenschrift (ausgesetzter Generalbass). Sehr frühe Generalbassstimmen haben oft keine Bezifferung. Der Spieler muss dann die Akkorde aus dem musikalischen Zusammenhang erschließen.
Für die Ausführung der Akkorden kommen mehrstimmige Instrumente wie z. B. Orgel, Cembalo, Spinett, Laute, Theorbe, Gitarre oder Harfe in Frage. Die Bassstimme selbst wird oft von einem Bassmelodieinstrument mitgespielt (z.B. Violoncello, Fagott, Viola da Gamba). In größeren Besetzungen können mehrere Akkord- und Bassinstrumente eingesetzt werden. Es wird üblicherweise nicht angegeben, welches Instrument den Generalbass spielt, diese Entscheidung bleibt den Aufführenden überlassen und ist abhängig von der genauen Entstehungszeit, dem Entstehungsort und dem Charakter des Musikstücks.
Ausführung des Generalbasses
Die Bezifferung besteht aus einer oder mehreren Ziffern, die unter dem Basston vertikal angeordnet werden. Sie kennzeichnet die passenden Akkorde, wobei lediglich die Abweichung vom Normalen notiert wird.
Als Normal wird der sogenannte Grunddreiklang angenommen, der aus dem Basston mit der leitereigenen Terz und Quinte besteht. Eine Sexte (6) bzw. eine Quarte (4) ersetzen die Quinte bzw. die Terz, falls keine anderen Angaben gemacht werden. Alle anderen Ziffern gelten als Ergänzung des Dreiklanges, so dass eine notierte 7 als Vierklang aus Grundton, Terz, Quinte und Septime interpretiert wird.
Beispiele
Typische Dreiklänge
- keine Bezifferung: Terz und Quinte [c e g]
- : Terz und Sexte [c e a], Sextakkord, entspricht der ersten Umkehrung
- : Quarte und Sexte [c f a], Quartsextakkord, entspricht der zweiten Umkehrung
Typische Vierklänge
- : Terz, Quinte und Septime [c e g h], Septakkord
- : Terz, Quinte und zusätzlich die Sexte [c e g a] (Sixte ajoutée)
Typische Vorhalte
- : Die Terz wird durch die Quarte vorgehalten, es wird zunächst die Quarte gespielt und im gleichen Akkord dann zur Terz aufgelöst [c f-e g]
- : Die Quinte wird durch die Sexte vorgehalten [c e a-g]
- : Die Oktave wird durch die None vorgehalten. Damit ergibt sich ein Vierklang, da der Grundton in der Auflösung durch die Oktave verdoppelt wird [c e g d-c].
- : Die Terz und die Quinte werden durch die Quarte und die Sexte vorgehalten [c f-e a-g].
Ein Sekundvorhalt (das wäre eine "2 1") kann nicht in Ziffern notiert werden, da er in der Bassstimme stattfindet und deswegen im Notenbild notiert werden muss.
Alterationen
Der Generalbass geht grundsätzlich von leitereigenen Tönen aus. In einem Stück, das in C-Dur notiert ist, ergibt sich damit folgender Tonvorrat: c, d, e, f, g, a, h.
Da auch schon im Barock ein größerer Tonumfang genutzt wird, gibt es Notationen, mit denen die Alteration eines leitereigenen Tons zu einem leiterfremden angezeigt wird. Beispiele:
- b: Einzelne Versetzungszeichen beziehen sich auf die Terz; der Grunddreiklang wird hier also mit der leiterfremden kleinen Terz und damit in Moll ausgeführt
- 7#: Der Septakkord wird statt mit der leitereigenen kleinen Septime mit der leiterfremden großen Septime ausgeführt.
Die Bezifferung gibt keinen Aufschluss darüber, wie die entsprechenden Töne im Akkord angeordnet sind, der Spieler hat also die Auswahl, den Grundakkord über c als [c e g] zu spielen, wobei zwischen den Tönen jeweils eine Terz liegt. Er kann aber auch [c g e] spielen, so dass der Klang aus einer Quinte plus einer Sexte besteht.
Die Regeln der korrekten Stimmführung müssen auch im Generalbass beachtet werden, was besonders das Verbot von Quint- und Oktavparallelen betrifft.
Grenzen der Generalbassnotation
Das Konzept der leitereigenen Töne beschränkt die Generalbassnotation praktisch auf Musik, die harmonisch im näheren Umfeld der Grundtonart bleibt (siehe Quintenzirkel), da Modulationen zu weiter entfernten Tonarten zu einem Übermaß von Alterationen führen und die Lesbarkeit der Notation beeinträchtigen würden.
Damit ist der Generalbass für die Musik im Barock geeignet. Die nachfolgenden Epochen haben sich größere harmonische Zusammenhänge erschlossen und die klangliche Differenzierung im Klangkörper weiter entwickelt, so dass es ab der Wiener Klassik nicht selbstverständlich ist, dass das Fagott die gleiche Stimme wie die Violoncelli spielt, und dass das harmonische Gerüst durch ein mehrstimmiges Instrument gestützt wird.
Damit wurden andere Notationen (ausgeschriebene Partitur) und ein anderes Harmonieverständnis (Stufentheorie, später Funktionstheorie) erforderlich.
Zur Geschichte
Agostino Agazzari sprach sich 1607 für die Notation mit Ziffern aus, aber das Intavolieren einer Partitur (d.h. ohne Ziffern) blieb als Begleittechnik besonders bei mehrstimmig-kontrapunktischen Sätzen noch lange Zeit üblich. Der ’’basso continuo’’ verbreitete sich von Italien aus rasch durch ganz Europa. Wohl als erster deutscher Komponist bezog sich 1607 Gregor Aichinger (nach Studienreisen in Venedig und Rom) in der Vorrede zu seinen Cantiones ecclesiasticae’’ auf sein Vorbild Lodovico Grossi da Viadana. 1619 - zeitgleich mit Michael Praetorius' Syntagma - erschienen dessen Psalmen Davids (op. 2) „mit beygefügten Basso continovo, vor die Orgel/Lauten/Chitaron/ etc.“ Dabei wird der Generalbass generell nicht bei Motetten, sondern bei Konzerten (auch geistlichen!) eingesetzt.
Andreas Werckmeister umschrieb 1702 wohl einen Grundsatz der Generalbasspraxis mit den Worten, es solle „ohne viel Laufwerck und Gequirrle“ gespielt werden; er zog Arpeggien als Ornamente vor. Der Bass hatte mit einem andauernden Klangfluss die kontinuierliche Leitung zu übernehmen. Johann Sebastian Bach formulierte es in seiner Generalbass-Lehre (1738) so: „Er heist Bassus Continuus oder nach der Italiänischen Endung Basso contin[u]o, weil er continuirlich fortspielet, da mittels die andern Stimmen dann und wann pausiren…“ Laut Daube (1756) ist diese Spielart „...nützlich zu gebrauchen, wenn die beyden Stimmen in gleichgeltenden aber langsamen Tönen oder Noten einhergehen: ...Sie kömmt hierinn mit dem Accompagnement der Theorbe oder Laute überein.“ Neben Orgel und Cembalo - die für fast zweihundert Jahre das Rückgrat bildeten - kamen Zupfinstrumente wie Laute, Theorbe, Harfe, aber auch Violone und Trombone zum Einsatz.
Dabei entwickelte sich langsam aus dem Spiel mit der Generalbassstimme in der linken Hand und zweistimmigen Akkorden in der rechten das sogenannte „vollstimmige“ Spiel mit fünf- (und mehr-) stimmigem Satz. Zu Bachs Zeiten war dreistimmiges Spiel nur noch üblich, wenn der Melodieführung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sein Sohn Carl Philipp Emanuel Bach jedoch ging 1762 in der Endphase des Generalbassspiels vom vollstimmigen Spiel wieder ab; der Basso continuo war ihm nicht mehr Fundament, sondern Accompagnement, also Begleitung.
Mitte des 18. Jahrhunderts kam der Generalbass allmählich wieder aus der Mode. Der Grund war – neben dem allgemeinen stilistischen Wandel zum galanten Stil mit seinem Streben nach Leichtigkeit – vor allem ein technischer: den immer stärker in die Musikpraxis drängenden Laien erschien das Generalbass-Spiel zu schwer. (Heinichen kam 1711 noch mit 12 Signaturen aus, 1732 zeigte Rameau, dass für 30 Akkorde 62 verschiedene Bezifferungen im Gebrauch waren.) Auch Beschwerden über gar nicht oder unzureichend bezifferten Generalbass begleiteten die Praxis fortwährend. Mittels Ziffern wurden harmonische und kontrapunktische Abläufe der Komposition angedeutet – wenn überhaupt. Dies führte – neben der uneinheitlichen Bezifferung – zu Mehrdeutigkeiten, was ebenso wieder und wieder gerügt wurde wie die Tatsache, dass man sich nicht auf die Vollständig der Bezifferung verlassen konnte.
Abgrenzung zu verwandten Notationsarten und Harmoniekonzepten
Die Generalbassnotation ist sowohl eine Notationsmöglichkeit als auch eine Grundlage des Harmonieverständnisses in der Musik ihrer Zeit.
Die Stufentheorie hat die Idee der Normalversionen, der Bezifferung von abweichenden Elementen und die Basis der leitereigenen Töne übernommen, aber die Bindung an die Basslinie aufgegeben. Statt dessen ist der abstrakte Klang Ausgangspunkt der Untersuchung – von der normalen Dreiklangsstruktur abweichende Bassverläufe müssen gesondert durch Ziffern angegeben werden.