Methylphenidat

Arzneistoff
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Methylphenidat (C14H19NO2) ist ein Arzneistoff, der zu der Familie der Amphetamine gehört und somit unter das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) fällt. Es gilt derzeit als eines der wichtigsten Wirkstoffe gegen das mittlerweile immer häufiger beobachtete Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADS/ADHS, diagnostiziert bei ca. 5-10% der schulpflichtigen Bevölkerung, Tendenz steigend). Aber auch bei Narkolepsie findet Methyphenidat Anwendung. In Deutschland ist Methylphenidat unter dem Handelsnamen Ritalin®, Equasym®, Medikinet® und unter generischer Bezeichnung im Handel. Auch wirkungszeitverzögerte Präparate sind erhältlich.

Datei:Methylphenidate.png

Pharmakologie

Wirkungsweise

Methylphenidat reduziert bei ADHS die Ablenkbarkeit, indem es die Impulsivität von Reizen abschwächt. Somit reduziert es die Hyperaktivität und verbessert die Fähigkeit Aufgaben abzuschließen. Dadurch können ADHS-Betroffene auch besser an Gesprächen teilnehmen. Darüber hinaus werden auch Aggression gemildert und z.T. verbessert sich die Handschrift.

Die Wirkung von Methylphenidat wird dadurch erklärt, dass bei ADHS gewisse Gehirnzonen, die z.B. Impulse kontrollieren, weniger aktiv sind und durch Stimulanzien angeregt werden, wodurch das Gehirn seine Kontrollfunktionen besser wahrnimmt.

Menschen mit ADHS weisen eine erhöhte Anzahl und Aktivität von sog. Dopamin-Transportern auf. Dieses Rücktransportsystem der Nervenzellen saugt wie eine Art "Staubsauger" von der Nervenzelle in den Synapsenspalt zur nächsten Nervenzelle freigesetztes Dopamin wieder auf. Ritalin (Methylphenidat) blockiert dieses Rücktransport-System vorübergehend, das heißt in aller Regel 3-5 Stunden. Dadurch wird ein Zustand erzielt, der annähernd dem Funktionszustand von Menschen ohne ADHS entspricht, das heißt die Verfügbarkeit des Dopamins verbessert wird. Methylphenidat ist also ein Dopamin-Wiederaufnahmehemmer.

Dosierung

Methylphenidat sollte nur nach einer sorgfältigen Diagnose verabreicht werden. Die Dosierungseinstellung muss unbedingt individuell vorgenommen werden, da die optimale Wirkung bei sehr unterschiedlichen Dosen erreicht wird. Die individuell optimale Wirkung lässt sich weder auf das Körpergewicht noch auf die Plasmakonzentration zurückführen.

Kinder sollten in aller Regel nicht vor dem 6. Lebensjahr mit Methylphenidat behandelt werden (Ausnahmen nur nach strenger Indikationsstellung). Während man früher davon ausging, dass die Regeldosis nicht über 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht liegen sollte, ist heute eine derartige Empfehlung nicht mehr gängig. Vielmehr soll beginnend von einer Einzeldosis von 2,5 oder 5 mg die individuell notwendige Einzeldosis ermittelt werden (sog. Titrationsmethode). Gewöhnlich wird die Dosis wöchentlich um 5-10 mg gesteigert, bis die optimale Dosis erreicht ist. In vielen Fällen ist nach einigen Monaten eine neue Einstellung mit eventuell nochmals erhöhter Dosis erforderlich.

Die Wirkung von Methylphenidat-Hydrochlorid Tabletten tritt innerhalb von 15-30 Minuten ein und hält drei bis vier Stunden an, in einzelnen Fällen auch länger. Nach Ende der Wirkungsdauer können sich die Symptome von ADHS verstärkt zeigen (der sogenannte Rebound).

Erwachsene brauchen im Durchschnitt 20-30 mg pro Tag, in manchen Fällen genügen jedoch auch 5-10 mg während in anderen Fällen bis 60 mg erforderlich sind. Gewöhnlich wird die Tagesdosis auf zwei bis drei Einzeldosen verteilt. Bei Erwachsenen wird anfangs gewöhnlich eine Einzeldosis von 10 mg gegeben, bei Kindern ab sechs Jahren eine Einzeldosis von 5 mg (eine halbe Tablette).

Neben den normalen Tabletten ist Methylphenidat-Hydrochlorid auch in Form von Retard-Tabletten (z.B. Concerta, Medikinet retard, Ritalin SR, Ritalin LA) erhältlich. Bei diesen tritt die Wirkung langsamer ein und hält dafür etwa sechs bis acht Stunden an. Einige davon kombinieren schnell wirkendes mit verzögert wirkendem Methylphenidat.

Früher wurde empfohlen, Methylphenidat nur an Schultagen zu verwenden. Heute wird das Medikament in der Regel ununterbrochen abgegeben, da gerade an schulfreien Tagen oft wichtige soziale Kompetenzen eingeübt werden, wobei das Ritalin ebenso unterstützend wirkt wie beim Unterricht.


Nebenwirkungen

Appetit

Rückgang des Appetits ist eine sehr häufige Nebenwirkung. Dies kann dadurch gemildert werden, dass das Ritalin nach dem Essen verabreicht wird oder dass die Hauptmahlzeit auf den Abend verlegt wird, wenn die Ritalinwirkung abgeklungen ist. Gewöhnlich verliert sich diese Nebenwirkung innerhalb einiger Monate.

Schlafstörungen

Eine zu hohe Dosis von Methylphenidat oder eine zu schnelle Steigerung der Dosis kann zu Nervosität und Schlafstörungen führen. Diese Nebenwirkung klingt oft im Verlauf einiger Wochen ab. Auch wenn die Einnahme der letzten Dosis zu spät erfolgt, können Einschlafstörungen auftreten.

Es gibt jedoch auch Fälle, wo durch ADHS oder durch den Rebound bedingte Einschlafstörungen durch eine kleine Dosis Ritalin oder durch eine letzte Tagesdosis 3-4 Stunden vor dem Einschlafen behoben werden können.

Gastrointestinale Störungen

Da das Methylphenidat in Ritalin als Hydrochlorid enthalten ist, entsteht bei der Auflösung in Wasser etwas Salzsäure. Da diese im Magensaft ohnehin in viel größerer Menge enthalten ist, spielt das normalerweise keine Rolle, aber wenn Ritalintabletten ohne Flüssigkeit eingenommen werden, kann das zu Übelkeit oder unangenehmem Brennen in der Speiseröhre führen.

Zu Beginn der Behandlung treten gelegentlich Bauchschmerzen oder Erbrechen auf, die im Normalfall gemildert werden, wenn Methylphenidat zu oder mit einer Mahlzeit genommen wird. Hin und wieder treten Unverträglichkeiten hinsichtlich der Trägersubstanz der Arzneizubereitung auf. In solchen Fällen kann auf wirkstoffidentische Präparate anderer Hersteller ausgewichen werden.

Seltenere Nebenwirkungen sind Schwindel, Schweissausbrüche, Fieber, Kopfschmerzen, Störungen des Herzrhythmus und Trockenheit der Schleimhäute.

Suchtgefahr

Methylphenidat (vor allem Ritalin) wird seit Jahrzehnten in der Therapie von ADHS verwendet. Während Methylphenidat in wesentlich höherer Dosis als Straßendroge geschnupft oder intravenös injiziert zur Sucht führen kann, wurde bisher bei fachgerechten Therapie von ADHS kein Fall von Sucht festgestellt. Auch die Gewöhnungseffekte betreffen im Normalfall nur Appetitstörungen und Nervosität, nicht die Wirkung gegen ADHS.

Das bei ADHS durch die Störung selbst erhöhte Risiko von Drogen-, Zigaretten- oder Alkoholsucht kann, wie Langzeitstudien gezeigt haben, durch die Behandlung mit Methylphenidat auf das allgemeine Suchtrisiko reduziert werden.

Lange andauernder Missbrauch von Methylphenidat kann zu Psychosen oder Depressionen führen. Bei ADHS-Patienten wurde bislang jedoch keine Häufung von Psychosen und affektiven Störungen (Depressionen) durch die Medikation beobachtet.

Das plötzliche Absetzen von Methylphenidat nach längerem Gebrauch kann in manchen Fällen während einigen Tagen zu einer verstärkten Hyperaktivität, Gereiztheit oder depressiven Verstimmung (nicht Depression) führen, in anderen Fällen tritt einfach das ADHS wie vorher wieder auf. Sicherheitshalber sollte die Dosis deshalb innerhalb von einer Woche schrittweise reduziert werden.

Wechselwirkungen

  • Methylphenidat sollte nicht zusammen mit Zitrussäften eingenommen werden, da die Wirkung dadurch reduziert wird.
  • Ritalin SR und ähnliche Präperate wirken am besten zusammen mit einer fetthaltigen Mahlzeit.
  • Alkohol sollte während der Behandlung mit Methylphenidat nicht getrunken werden.

Überdosierung

Eine leichte Überdosierung von Methylphenidat kann zu Schwindel, Herzklopfen oder erhöhter Vigilanz führen, in einigen Fällen auch zu einer übermäßigen Beruhigung.

Eine versehentlich doppelt eingenommene Dosis kann zu Schwindel, Herzklopfen, erhöhtem Blutdruck und Schlafproblemen führen. Durch die kurze Halbwertszeit von wenigen Stunden ist normalerweise keine Behandlung erforderlich.

Eine starke Überdosierung kann zu Übererregtheit des zentralen Nervensystems, Krämpfen, und Delirum bis zum Koma führen, zu Bluthochdruck und Herzrythmusstörungen. Ärztliche Behandlung ist in solchen Fällen dringend.

Methylphenidat als Droge

Bei hochdosiertem Gebrauch (ein Vielfaches der therapeutisch verwendeten Dosen), insbesondere wenn es geschnupft oder intravenös injiziert wird, wirkt Methylphenidat stark antriebssteigernd und kann zu Halluzinationen und überschwenglicher Euphorie führen. Aufgrund der sehr langen Halbwertszeit (im Vergleich zu Kokain oder Ecstasy) kann nur unter Verwendung extrem hoher Dosen und den genannten Aufnahmewegen eine Suchtentwicklung entstehen. Gefährlich daran sind jedoch weniger die Suchtentwicklung, sondern vielmehr eine mögliche Embolie (Verstopfung der Lungengefäße) durch die Tablettenstoffe (Talkumembolie). Verglichen mit der Wirkung und dem Preis sowie der allgemeinen Verfügbarkeit hat Methylphenidat kaum eine Bedeutung in der Drogenszene. Seltener wird ein Beikonsum berichtet, oder aber eine Selbstmedikation der ADHS. Ein nennenswertes Drogenproblem lässt sich bisher nicht beobachten, eine solche Entwicklung kann aber auch bei der zunehmenden Verfügbarkeit der Substanz nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Daher sollte die Abgabe auch weiterhin kontrolliert und sorgfältig indiziert erfolgen.

In der Drogenszene ist die Substanz auch unter den Kosenamen "Vitamin R", "Ritas" oder "MPH" bekannt.

Literatur

Dr. med E. Aust-Claus u. Dr. P.-M. Hammer "Das ADS-Buch" ObersteBrink Verlag ISBN 3-9804493-6-X