Der Ursprung der Welt (Gemälde)
Der Ursprung der Welt (L’Origine du monde) ist ein Gemälde von Gustave Courbet aus dem Jahr 1866. Das skandalträchtige Gemälde hängt heute im Musée d'Orsay in Paris. Es ist in Öl auf Leinwand gemalt und 55 cm mal 46 cm groß.
Titel und Inhalt des Bildes verweisen auf die Doppelnatur des weiblichen Geschlechtsteils: einerseits als Objekt sexueller Befriedigung, andererseits als Ausgang der Geburt, von wo aus jedes Kind zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt. Insofern ist der Unterleib der Frau der Ursprungsort des Menschen, der jegliche Existenz und Welterfahrung erst möglich macht. In diesem übertragenen Sinn stellt das Bild den "Ursprung der Welt" dar.
Bildinhalt
Das Bild zeigt eine Nahsicht der schambehaarten Vulva einer nackten Frau, die auf dem Bett liegt und die Schenkel spreizt. Der Ausschnitt ist so gewählt, dass der Rest des Körpers, vor allem das Gesicht der Frau, nicht zu erkennen ist, mit Ausnahme des Bauches samt einer erigierten Brustwarze.
Die realistische Darstellung des unverhüllten weiblichen Geschlechts im Zentrum des Bildes wird durch die weichen Linien des seidenartigen Stoffes, der den Körper der Frau verhüllt und zugleich enthüllt, noch unterstrichen. Der braune Bildhintergrund steht im Kontrast zu der hellen, gleichsam glänzenden menschlichen Haut im Bildvordergrund. Die geöffneten, weich gerundeten Schenkel drücken entspannte sexuelle Bereitschaft und völlige Hingabe aus. Auf diese lenkt die Komposition die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters. Der Kopf der Frau ist verborgen, er befände sich rechts oben außerhalb des Bildrahmens. Das Bild wirkt daher wie eine Einladung zum reinen Geschlechtsakt, losgelöst von der Persönlichkeit der Frau.
Geschichte des Bildes
Das Bild ist eine Auftragsarbeit des französischen Malers Gustave Courbet aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Autraggeber soll Khalil-Bey, ein türkischer Diplomat, gewesen sein. Er bestellte das Bild für seine private Sammlung erotischer Bilder. Nach einer Geschäftspleite jedoch verkaufte er seine Sammlung.
Diese ging 1868 zunächst an den Antiquitätenhändler Antoine de la Narde. Edmond de Goncourt entdeckte in dessen Laden 1889 daraus dieses Bild, versteckt hinter einer Abdeckung aus Holz, die mit einem Landschaftsbild dekoriert war. Der ungarische Sammler Baron François de Havatny kaufte es 1910 für die Bernheim-Jeune Galerie und brachte es nach Budapest. Dort verblieb es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Der letzte Besitzer des Gemälde war Jacques Lacan, ein Psychoanalytiker. Er und seine Frau, die Schauspielerin Sylvia Bataille, kauften es 1955 und hängten es in ihrem Landhaus in Guitrancourt auf. Lacan fragte seinen Stiefbruder André Masson, ob er nicht einen Doppelrahmen bauen könne, der vorn ein anderes Gemälde zeigen würde. Masson malte daraufhin ein surrealistische Version des Bildmotivs mit demselben Namen ("L’Origine du monde").
Die New Yorker Öffentlichkeit hatte 1988 erstmal die Gelegenheit, das Bild im Brooklyn-Museum zu sehen. Nach Lacans Tod im Jahr 1981 gelangte es wieder nach Frankreich. Dort wird es seit 1995 im Musée d'Orsay in Paris ausgestellt.
Die Wirkung
Der Realismus menschlicher Sexualität ist das offensichtliche Thema des Bildes. Er rief naturgemäß teilweise heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit hervor, wenn diese das Bild zu Gesicht bekam. In Feuilletons und Debatten wurde immer wieder der Vorwurf der Pornographie laut: Die Grenzen der Kunst schienen hier überschritten worden zu sein. Die unverhüllte Darstellung der Vagina löst auch heute noch heftige Reaktionen beim Publikum aus. Im Musée d’Orsay wurde deswegen ein Wachmann mit der permanenten Bewachung nur dieses Kunstwerkes beauftragt.
Ein Teil dieser Wirkung erklärt sich aus der Spannung zwischen dem Bildtitel und dem Bildinhalt. Der Titel enthält einen universalen Anspruch und lässt ein religiöses Motiv oder eine Naturbetrachtung erwarten. Der Inhalt konfrontiert den Betrachter tatsächlich mit der Natur: aber eben seiner eigenen, nämlich unmittelbar mit der "Fleischeslust." Der Schockeffekt ist vom Maler intendiert: Gerade als reine Pornographie würde das Bild diese Wirkung kaum erzielen.
Die Vagina als Ursprung der ganzen Welt drückt große Verehrung für die unverstellte Sexualität aus. In direkter Schlichtheit wird der Betrachter auf das Wesentliche hingewiesen: Der Zustand vor allem Wissen, aller Reflexion, vor aller Entzweiung und Fremdheit scheint in der sexuellen Vereinigung mit dem dargebotenen Körper zum Greifen nahe. Der Titel spielt also unverkennbar auf den Urzustand vor dem "Sündenfall", als Adam und Eva nackt waren, ohne sich dafür zu schämen, an. Er will dem Betrachter den Sinn seiner Menschlichkeit, sein triebhaftes Angewiesensein auf den Anderen, nahebringen und ihn daran erinnern.
Literatur
- Philippe Dagen, Le Musée d’Orsay dévoile « L’Origine du monde » in Le Monde, June 21st, 1995
- Philippe Dagen, Sexe, peinture et secret in Le Monde, October 22nd, 1996
- Maxime Du Camp, Les Convulsions de Paris, 1878
- Isabelle Enaud Lechien, James Whistler, ACR Édition
- Stéphane Guégan and Michèle Haddad, l’ABCdaire de Courbet, Flammarion
- Florence Noiville, Le retour du puritanisme in Le Monde, March 25th, 1994
Filmografie
- Jean Paul Fargier, L’Origine du monde, 1996