Ziegenproblem

wahrscheinlichkeitstheoretische Fragestellung
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Das Ziegenproblem, auch als Drei-Türen-Problem, Monty-Hall-Problem oder Monty-Hall-Dilemma bekannt (nach dem Moderator der amerikanischen Spielshow Let's make a deal, Monty Hall), dient zur Veranschaulichung eines Problems aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Schwierigkeiten im Verständnis der bedingten Wahrscheinlichkeiten. Berühmtheit erlangte das Problem 1990 durch eine Lösungsbeschreibung der amerikanischen Kolumnistin Marilyn vos Savant im Parade Magazine, deren Richtigkeit zunächst selbst von Mathematikern angezweifelt wurde.

Problem

Bei einer Spielshow (wie z.B. Geh aufs Ganze) soll ein Kandidat eines von drei aufgebauten Toren auswählen. Hinter einem verbirgt sich der Gewinn, ein Auto, hinter den anderen beiden jeweils eine Ziege, also Nieten. Der Spielablauf ist immer gleich:

  • Der Kandidat wählt zufällig ein Tor aus.
  • Daraufhin öffnet der Moderator, der die Position des Gewinns kennt, eines der beiden anderen Tore, hinter dem sich eine Ziege befindet.
  • Der Moderator bietet dem Kandidaten an, seine Entscheidung zu überdenken und das andere Tor zu wählen.

Wie soll der Kandidat sich entscheiden, um seine Gewinnchance zu maximieren?

Erklärung

Auch wenn die allermeisten Menschen dazu neigen, davon auszugehen, dass es keinen Unterschied macht zu wechseln oder bei der getroffenen Entscheidung zu bleiben, ist diese Annahme falsch.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Auto hinter dem zuerst gewählten Tor befindet, beträgt 1/3, dass es hinter einem der anderen beiden steht, 1/3 + 1/3 = 2/3. Wenn nun klar ist, hinter welchem Tor das Auto nicht steht, dieses also die Wahrscheinlichkeit 0 hat, das ausgewählte Tor aber immer noch eine 1/3-Chance hat - siehe weiter unten, liegt jetzt die 2/3-Wahrscheinlichkeit auf dem nichtgewählten Tor. Bei einem Wechsel verdoppelt der Kandidat also seine Chancen auf das Auto.

Um das Problem zu verstehen, muss man bedenken, dass die Chance auf dem gewählten Tor von Anfang an nur 1/3 betrug, und sich beim Festhalten des Spielers an seiner Wahl auch nicht ändern kann - unabhängig ob der Showmaster ein Ziegentor öffnet oder nicht - andererseits die Wahrscheinlichkeitssumme aller Auswahlmöglichkeiten 1 beträgt.

Oder anders: In 2/3 aller Fälle hat der Kandidat eine Tür mit einer Ziege ausgewählt. Der Moderator muss auf jeden Fall eine Tür mit einer Ziege öffnen. Das heißt, dass in 2/3 aller Fälle die verbliebene Tür den Preis enthalten muss. Daher ist ein Wechsel stets sinnvoll, denn nur in 1/3 der Fälle hat der Kandidat am Anfang die richtige Tür genannt, und ein Wechsel würde zum Verlust des Preises führen.

Fehleinschätzung durch Fehlinterpretation der Rolle des Moderators

Ein typischer Grund für das Finden einer falschen Antwort ist ein falsches Verständnis von der Rolle des Moderators. Es wird oft fälschlicherweise angenommen, dass dieser irgendeine der anderen beiden Türen öffnet, wobei dann zufällig die Ziege zum Vorschein kommt. Wäre dies so, dann wäre es zunächst tatsächlich egal, ob man wechselt. Dann würde aber auch mit der Wahrscheinlichkeit 1/3 das Auto vom Moderator selbst gezeigt werden, und die anderen beiden Türen hätten dann jeweils eine Wahrscheinlichkeit von Null, wenn sich das Auto zeigt. In diesem Fall ist Wechseln egal. Zeigte sich die Ziege, dann wäre Wechseln wieder besser. (Unter der Voraussetzung der Aufgabe, dass genau ein Auto und zwei Ziegen vorhanden sind.)

Laut Aufgabenstellung muss er aber auf jeden Fall eine Tür öffnen, die nicht das Auto enthält. Würde man die Aufgabe des Türöffnens einem anderen Mitspieler oder einer Maschine geben (mit der Prämisse, das Auto nicht zu offenbaren), wäre der Zusammenhang unter Umständen verständlicher, da man bei ihnen eher als bei einem Moderator akzeptiert, dass sie - durch die Vorgabe des Spiels - gezwungen sind, dem Kandidaten zu helfen. Genau dies aber geschieht in 2/3 der Fälle durch Öffnen der jeweils anderen Tür. Es ist also eine bedingte Wahrscheinlichkeit gegeben, da es mit einem Vorwissen ("Wo ist das Auto?") einhergeht.

Aus diesem Grund erhöht sich bei der Sendung Wer wird Millionär? von Günther Jauch die Gewinnwahrscheinlichkeit nicht, wenn ein Kandidat sich vor Anwendung des "50:50 Jokers" für eine Antwort entscheidet und sich nach dem Wegfallen von zwei Antworten umentscheidet: Der Computer darf nämlich sehr wohl die vom Kandidaten ausgewählte Antwort wegfallen lassen, wenn diese falsch ist.

Fehleinschätzung durch Übertragung auf eine andere Situation

Ein oft falsch gegangener Gedankenweg besteht darin, dass man sich nach Aufdeckung einer der Ziegentore eine fälschlicherweise davon ausgegangene "vergleichbare" Situation vorstellt: Wenn man die Auswahl zwischen 2 Toren hat, aber nur 1 die Richtige ist, dann müssen die Chancen 50% zu 50% stehen. Dies wäre aber eine andere Situation als die des Ziegenproblems, denn die Wahrscheinlichkeiten, dass der Gewinn sich hinter dem einen bzw. dem anderen Tor befindet, sind nicht gleich.

Schema für die (richtige) "Immer - Wechsel"-Strategie

Bei einer "Immer - Wechsel"-Strategie zeigen sich drei Fälle, anhand der drei vom Kandidaten gewählten Türen:

  A               B               C
 Ziege          Ziege           Auto
\-----/        \-----/         \-----/
Kandidat

Der Kandidat wählt vorerst A, die Ziege B wird ihm gezeigt, durch einen Wechsel von A auf C gewinnt er.

  A               B               C
 Ziege          Ziege           Auto
\-----/        \-----/         \-----/
               Kandidat  

Der Kandidat wählt vorerst B, die Ziege A wird ihm gezeigt, durch einen Wechsel von B auf C gewinnt er.

  A               B               C
 Ziege          Ziege           Auto
\-----/        \-----/         \-----/
                               Kandidat

Der Kandidat wählt vorerst C, die Ziege A (oder B) wird ihm gezeigt, durch einen Wechsel von C auf B (oder A) verliert er.

Ergo: er gewinnt in zwei von drei Fällen durch einen Wechsel.

Beim Schätzen und Berechnen von Wahrscheinlichkeiten ist es wichtig, keine Informationen, die zur Verfügung stehen, zu übersehen: Ein Entscheidungsbaum oder der Satz von Bayes.

Datei:Entscheidungsbaum Ziegenproblem.png
Entscheidungsbaum zum Ziegenproblem


Erklärung mit Hilfe des Bayesschen Theorems

Es sind die Ereignisse definiert:

KA: Der Kandidat hat das Tor A gewählt, ...
MA: Der Moderator hat das Tor A geöffnet, ...
GA: Der Gewinn ist im Tor A, ...

Es soll beispielsweise die Situation vorliegen: Der Kandidat hat Tor A gewählt, und der Moderator hat daraufhin das Tor B geöffnet. Lohnt es sich für K zu wechseln? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Auto hinter Tor C ist? Gesucht ist also die bedingte Wahrscheinlichkeit P(GC|MB), dass das Auto hinter Tor C ist, wenn bekannt ist, dass es nicht hinter Tor B ist. Man kann diese Wahrscheinlichkeit mit dem Bayesschen Theorem ermitteln:

 
 
 

Es ist dem Kandidaten also zu empfehlen zu wechseln.

Das Ziegenproblem wird oft als Beispiel dafür herangezogen, dass der menschliche Verstand zu Trugschlüssen neigt, wenn es um das Schätzen von Wahrscheinlichkeiten geht.

Mehrere Türen

Für die Erklärung der richtigen Lösung wird die Problemstellung gelegentlich auf eine höhere Anzahl von Türen übertragen, zum Beispiel 100. Diese Vorgehensweise ist jedoch unzulässig, da bei der Übertragung vom speziellen Fall t=3 zum allgemeinen Fall t=n die Anweisung an den Moderator auf mindestens zwei verschiedene Weisen generalisiert werden kann.

  1. Öffne eine der n-1 verbleibenden Türen, auf keinen Fall aber die, hinter der sich das Auto befindet.
  2. Öffne alle bis auf eine der n-1 verbleibenden Türen (ergo n-2 Türen), auf keinen Fall aber die, hinter der sich das Auto befindet.

Nur für n=3 sind beide Interpretationen gleich.

Die Befürworter dieses Erklärungsmodells beziehen sich auf die zweite Interpretation, bei der die Chance von 1/n auf (n-1)/n steigt, also für n=100 von 1% auf 99% (in 99 von 100 Fällen wählt der Kandidat nicht das Auto, und in alle diesen Fällen führt der Wechsel auf eine der 98 verbleibenden Türen zum Gewinn des Autos).

Die erste Interpration der Anweisung an den Moderator ist aber genauso zulässig und für viele überdies intuitiver. Auch hier erhöht sich die Chance durch einen Wechsel, aber nur geringfügig von 1/n auf (n-1)/n x 1/(n-2), also für n=100 von 1% auf ca. 1,01% (in 99 von 100 Fällen wählt der Kandidat nicht das Auto, und in 1 von 98 Fällen verbirgt sich dann das Auto hinter einer der anderen Türen).

Nach beiden Interpretationen lohnt sich also der Wechsel. Es ist aber unzulässig, die zweite Interpretation zur Veranschaulichung des Spezialfalls n=3 heranzuziehen.

Literatur

  • Gero von Randow: Das Ziegenproblem - Denken in Wahrscheinlichkeiten. Rowohlt, Reinbek 1992. ISBN 3-499-19337-X