Relevanzkriterien für literarische Einzelwerke nicht erkennbar erfüllt LKD 20:50, 14. Jan. 2009 (CET)
Messiah (Messias)
Messiah (2008) ist der Titel eines Buches, das einem Autor mit dem Pseudonym Antoine Derride SJ zugeschrieben wird. Es trägt den Untertitel Eine Dekonstruktion christlicher Theologie. Erschienen ist es im Passagen Verlag, Wien.
Zur Begriffsklärung: Dekonstruktion
Obwohl das Pseudonym des Autors an Jacques Derrida erinnert, wird der Begriff der Dekonstruktion in Messiah nicht ausschliesslich im Sinne Derridas gebraucht. De-Konstruktion ist hier als schöpferische Zerstörung christlicher Theologie dem Text immanent. Nicht vergleichbar der Dekonstruktion des Christentums von Jean-Luc Nancy.
Inhalt
Messiah ist ein Dokument, dem ein Vorwort vorangestellt ist.
Vorwort
Darin erzählt der Jesuit Antoine Derride unter welchen Umständen er Ende November 2007 in den Besitz eines Textes gekommen ist, bei dem es sich um Aufzeichnungen seines kurz zuvor verstorbenen Ordensbruders und Freundes Dr. Josef Stein handelt. Als ein Dokument bezeichnet er die Aufzeichnungen Steins, weil sie das Leben des wiedergekommenen Jesus Christus, des Messias, im Hier und Jetzt belegen.
Dokument
Dieses ist ein in bezifferte Abschnitte verschiedener Länge unterteilter Text. Fast ein „Roman“.
Der alte, todkranke Jesuit Josef Stein erzählt darin über sein eigenes Leben. Über seine familiäre Herkunft, die entfernt an jene von Max Horkheimer erinnert. Er erzählt, wie er als einziger der Familie den Holocaust überlebte, wie er nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Christentum konvertierte und dem Jesuitenorden beitrat. Er erzählt und lässt einen anderen über sich erzählen. Einen, in dem er, nun, kurz vor seinem Ableben, endlich und wirklich den wahren „Tröster“ und „Fürsprecher“ (Paraklet) erkennt. Stein erzählt in freier, literarischer Bearbeitung von der ersten Begegnung mit dem fremden Besucher. Er erzählt über ihre diversen Gespräche über Gott und die Welt: über Pierre Teilhard de Chardin; über Filme wie Dogville und Im Reich der Sinne; über Madonna, die an der Kabbala interessierte Sängerin; über Theodor W. Adorno und seinen Hund, die Performance-Künstlerin Marina Abramovic; über Jean-Philippe Toussaint und sein Buch Das Badezimmer. Ausserdem erzählt er aus dem Privatleben seines Besuchers und seiner Freundin Lourdes.
Bedeutung
Messiah ist kein sachlicher Bericht. Der Text ist literarisch und zum Teil auch reine Fiktion. Von theologischer Relevanz ist der von Dr. Josef Stein SJ hinterlassene Text, soweit durch ihn die Parusie Christi in der Jetztzeit bezeugt wird. Und bedeutend ist die messianische Kritik an christlicher Theologie. Diese findet sich am prägnantesten in der Forderung des wiedergekommenen Christus, christliche Theologie habe sich nach dem Holocaust in wesentlichen Glaubenspostulaten grundsätzlich in Frage zu stellen. Er tut dies zu einer Zeit, in der die christlich-jüdischen Beziehungen durch die Karfreitagsfürbitte "Für die Juden" in der Fassung für den ausserordentlichen Ritus von 2008 von Josef Ratzinger, Papst Benedikt XVI neuerlich belastet werden, und er ergänzt dadurch auch Daniel Goldhagen, indem er religionskritisch über die Goldhagen-Debatte hinausweist.
Zitate
„Es könnte geradezu so aussehen, als hätte dieser Tod des einen Juden doch nicht ganz gereicht zur Erlösung aller Getauften (...) Es könnte so scheinen, als ob noch viele Juden eine Art „Opfertod“ hätten sterben müssen nach dem Opfertod des einen Juden damals. Aber nein – es scheint offenbar nicht so! Andernfalls nämlich die christliche Lehre des exklusiven „Opfertodes“ eines einzigen Juden die Shoah nicht hätte überleben können. Das Christentum as usual überlebte den Holocaust als Ideologie, als eine grosse Lüge.“ (S. 44)
„Es gibt keine wirkliche Versöhnung ohne theologische Konsequenz, sagte er damals zu mir. Ich erinnere mich genau. Und was sich bis heute nicht alles „interreligiöser Dialog“ nennt! Ein Witz – das ist doch kein Dialog! Beim Wort Dialog steht nämlich kein griechisches di-, „doppelt“ vorneweg, wie in dem „Dilemma“, in das ein Jude sich bringt, wenn er ein Christ sein möchte. Vielmehr ein dia- „durch“. In einem Dialog sprechen die Partner etwas „durch“. Und darauf wie, in welcher Art, sie dies tun, weist das Stammwort lógos hin. Der Lógos bezeichnet eigentlich Verhältnisse, Lourdes hat mir dies erklärt, Zahlenverhältnisse zum Beispiel, wie zwei zu drei, eins zu zwei. Und entsprechende „Analogien“ und Ableitungen wie logízesthai, “berechnen“, Logismós, „Berechnung“, deuten darauf, dass es bem Diálogos um mehr als ein „Durchsprechen“, vielmehr um ein „Durchrechnen“ geht. Lógos, „Verhältnis“. Bei Heraklit, sagt Lourdes, benennt der Lógos die Ordnung, die die Welt „im Innersten zusammenhält“, und eben auch die Vernunft, die uns diese Ordnung ein klein wenig verstehen lässt. Von daher die geläufige Bedeutung „Sprache“, „Rede“. Diálogos, dialogízesthai, das bedeutet nicht einfach „sich unterhalten“, blablabla, nein, es geht dabei um ein beharrliches, wechselseitiges „Durchrechnen“ einer Angelegenheit . . .“ (S. 116)
Literatur
- Antoine Derride SJ: Messiah. Eine Dekonstruktion christlicher Theologie, Passagen Verlag, Wien, 2008, ISBN 9783851658705
- Jean-Luc Nancy: Dekonstruktion des Christentums, Diaphanes Verlag, Zürich, 2008, ISBN 978-3-03734-010-3
- Daniel Jonah Goldhagen: Hitler's Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust, Alfred A. Knopf, New York, 1996, ISBN 0-679-44695-8
- Walter Homolka/Erich Zenger (Hg.): "...damit sie Jesus Christus erkennen" Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 2008, ISBN 978-3-451-29964-3