Judenchristen

historische jüdische Mehrheit der Urchristen
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Als Judenchristen werden Christen jüdischer Herkunft in der frühen Kirche des 1. Jahrhunderts bezeichnet. Christen nichtjüdischer Tradition jener Zeitperiode werden Heidenchristen genannt. In der kirchengeschichlichen Forschung bezeichnet der Begriff ab dem zweiten Jahrhundert eine häretische Gruppe, die gegen die von Paulus geprägte Großkirche an jüdischen Traditionen und Vorschriften festhält (Beschneidung,Sabbat, Speisegebote usw.)

Judenchristentum im ersten Jahrhundert

Mit seinem Hervorgehen aus dem Judentum war das Christentum notwendigerweise jüdisch geprägt. Praktisch alle neutestamentlichen Autoren können als Judenchristen gelten. Das neue Testament belegt in der Apostelgeschichte ein Befolgen der jüdischen Traditionen und Vorschriften wie Tempelbesuch und Opferdarbeitung durch die ersten Christen. Das Einhalten der jüdischen Speisevorschriften sowie der Feier des Sabbat lassen sich ebenfalls ablesen oder erschließen. Allerdings wurde dies von Judenchristen mit griechischem Namen, den sogenannten Hellenisten schon früh kritisiert.

Die ersten Christen verstanden sich dennoch als Juden; allerdings als Juden, die erkannt hatten, dass ihnen in Jesus von Nazareth der erwartete jüdische Messias erschienen war. Das rabbinische Judentum (Pharisäer) duldete die Christen anfangs als innerjüdische Sekte und verteidigte sie gegen die Sadduzäer. Diese Akzeptanz wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass mehrfach Messiasanwärter aus der jüdischen Geschichte bekannt sind; die Jünger dieser Messiasse waren genau wie die frühen Christen Juden, und wurden auch von anderen Juden als solche akzeptiert.

Dagegen machen andere Aufzeichnungen im Neuen Testament (Paulusbriefe, Apostelgeschichte, Jakobusbrief) deutlich, dass innerhalb und zwischen den christlichen Gemeinden eine Spannung entstand: Auf der einen Seite vertraten die Leiter der jerusalemer Gemeinde (Jakobus, Petrus, Johannes) die Sichtweise, dass die jüdischen Gesetze weiter erfüllt werden müssten; dagegen wollten die Hellenisten, vor allem aber Paulus, der vorwiegend nichtjüdische Christen missionierte, eine Aufhebung der Vorschriften erreichen. Auf einer Versammlung der Apostel versuchte man einen Kompromiss zu erzielen, der von Paulus selbst und von Lukas in der Apostelgeschichte unterschiedlich dargestellt wird. Letztlich setzte sich die Version von Paulus durch, dass den nichtjüdischen Christen nichts auferlegt werden dürfe.

Die Durchsetzung der paulinischen Position leitete gleichzeitig die Abgrenzung des Christentums vom Judentum ein.

Abgrenzung

Von christlicher Seite

Nachdem die Einhaltung jüdischer Vorschriften nicht mehr Voraussetzung christlicher Lebensweise war, dominierten zunehmend Heidenchristen die christlichen Gemeinden. Das "Imitieren" jüdischen Verhaltens durch Heiden wurde als unchristlich abgelehnt. Paulus belegte konkurrierende Prediger, die genau dies von den Christen seiner Gemeinden forderten mit dem ersten Anathema der Kirchengeschichte (Gal 1,8).

Abschnitte aus den Briefen des Ignatius von Antiochien an die Magnesier (8-10) und Philipper (3-4,6,8) geben Hinweise auf die weitere Entwicklung jüdischer Traditionen innerhalb des Christentums. Ignatius bestätigt in diesen auf etwa das Jahr 110 datierten Briefen ein Fortbestehen jüdischer Traditionen, die er streng ablehnt.

Im Barnabasbrief (1. oder frühes 2. Jhdt) wird die gesamte jüdische Heilgeschichte als etwas vorläufiges heruntergespielt, so dass man eigentlich nur die Wahl hat entweder Jude zu sein oder Christ. Hier begegnet einem die Ersatztheologie, dass die Christenheit das wahre Israel sei. Aus der Lehre von der Verwerfung des "alten Israel" entsteht der christliche Antijudaismus.

Noch bei Justin (Dialog mit dem Juden Tryphon, 2.Jhdt) erkennt man die Haltung, dass sich Judenchristen zwar selber nach jüdischem Gesetz verhalten dürfen, aber niemanden dazu auffordern dürfen, es ihnen gleich zu tun. Er macht dabei aber auch deutlich, dass nicht alle seine christlichen Zeitgenossen so tolerant sind.

Von jüdischer Seite

Schon seit der Judenverfolgungen durch die Diadochen galten die jüdischen Gesetze um Sabbat, Beschneidung und Tempelkult als identity markers der jüdischen Gemeinschaft, also als untrügliches Zeichen der Zugehörigkeit. Dass gerade diese vom Christentum suspendiert wurden, wurde als Irrlehre aufgefasst und verfolgt. Dabei gerieten vor allem Judenchristen ins Fadenkreuz, da diese als Abtrünnige des Glaubens und Verräter des Volkes betrachtet wurden.

Nach der Zerstörung des jüdischen Tempels verlor die tempelorientierte Richtung der Sadduzäer zugunsten der rabbinischen Pharisäer ihre Führungsrolle. (Synode von Jamnia 72 n. Chr.) Die Rabbiner sahen eine strenge Befolgung der jüdischen Tora, wie sie im Talmud ausgelegt wird, als maßgeblich für das Judentum. Die Christen, die vor allem in der Partei der Hellenisten Tempelkritik geäußert haben, wurden indirekt für mitschuldig am Ende des Tempels gehalten, zumal sie dieses Ereignis als Gericht Gottes über Israel wegen der Hinrichtung Jesu interpretierten.

Eine neue Phase kam nach dem gescheiterten jüdischen Aufstand im Jahre 135. Da die Christen auch hier die Waffengemeinschaft mit den jüdischen Kämpfern ablehnten, wurden sie selbst Ziel militärischer Aktionen. Die Judenchristliche Gemeinde in Jerusalem musste fliehen, und verlor vollends ihre Vormachtstellung im Christentum an Rom.

Für die jüdische Seite war in der Zeit der Verbannung aus Jerusalem eine identitätsbewahrende strenge Tradition entscheidend, um das Aufgehen in der Mehrheit zu verhindern.

Daneben war die christliche Verehrung Jesu als Gott im Widerspruch zum streng monothestischen Judentum.

"Judenchristentum" ab dem 2.Jhdt

Durch die gegenseitige Abgrenzungen ist das Judenchristentum als solches ab dem zweiten Jahrhundert kaum noch als selbständige Größe in Erscheinung getreten, so wurden mit der Bezeichnung "Judenchristentum" nun all jene Gruppierungen bezeichnet, die aus verschiedensten Gründen an den verschiedensten Elementen des Judentums gegen die kirchliche Lehre festhalten wollten. Von diesen Gruppen die als Nazoräer, Ebionäer, Elkesaiten, Nazarener und Hebräer bezeichnet werden, gibt es nur wenige Quellen. Das meiste ist bei den großen Ketzerstreitern Irenäus, Hegesipp oder Euseb wiederzufinden. Als weitere Quellen dienen der Dialog mit Trypho von Justin und die Kerygmata Petrou in den Pseudoklementinen (nicht authentische, dem Bischof Clemens von Rom zugeschriebene Schriften). Dazu existieren noch Evangelienfragmente. Gemeinsam ist diesen Parteien in der Regel, dass sie Paulus als Ketzer bezeichnen, und deshalb von der Kirche als Häresie abgelehnt werden. Über die Größe und den Einfluss dieser Gruppen herrscht in der Forschung Uneinigkeit. Ihre Bezeichnung "Judenchristen" ist übrigens erst seit dem 19. Jhdt nachweisbar (F.C.Baur), sie hat sich aber in der Kirchen- und Dogmengeschichte durchgesetzt.

Neuzeit/Moderne

Judenchristen die durchgängig eine Tradition in der Kirchengeschichte haben, gibt es heute nicht mehr. Allerdings gibt es neuerdings wieder Juden, die zum Christentum übertreten und ihre jüdische Tradition beibehalten, gleichzeitig Jesus Christus als Messias anerkennen. Hier findet sich ebenfalls die Selbst- und Fremdbezeichnung Judenchristen. Alternativ wird auch der Begriff Messianische Juden verwendet.