Technik und Wissenschaft als „Ideologie“

Aufsatz-Zusammenstellung von Jürgen Habermas
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Technik und Wissenschaft als 'Ideologie' ist ein Buch von Jürgen Habermas. Er widmete es Herbert Marcuse zum 70. Geburtstag (19.7.1968).

Einleitung

Diesen Aufsatz voran ging die Arbeit über Erkenntnis und Interesse. Erkenntnis und Interesse rekonstruierte die geistige Vorgeschichte des neuen Positivismus und suchte auf erkenntnisanthropologischen Weg zu einer Rechtfertigung kritischer Gesellschaftstheorie zu gelangen. "Die erkenntnisanthropologische Begründung der kritischen Gesellschaftstheorie brachte allerdings eine Reihe von Problemen mit sich." (Wiggershaus, S. 706) Darum setzte Habermas auf "das Projekt einer kommunikationstheoretisch ansetzenden kritischen Gesellschaftstheorie." Wiggershaus sieht in Wissenschaft und Technik als 'Ideologie' die "erste komplexe, vielfältige Motive bündelnde Analyse der Pathologie der Moderne, der deformierenden Aufklärung", (S. 708) und Habermas stellt nach Wiggershaus in diesem Aufsatz "abrupt die Alternative" zur "Dialektik der Aufklärung" und zum "Eindimensionalen Menschen" (Marcuse) gegenüber.

Dubiel sieht in Wissenschaft und Technik als 'Ideologie' einen Text, "der alle Elemente der entfalteten Theorie (des kommunikativen Handelns, d.V.) schon keimhaft in sich enthält". (Dubiel, S. 95) "Im Ergebnis besteht in der Diagnose kein großer Unterschied zu der Sorte von Zivilisationskritik, wie sie in der Dialektik der Aufklärung und in Marcuses „Eindimensionalen Menschen“ proklamiert wurde. Aber Habermas nimmt für sich in Anspruch, dass sein diagnostischer Apparat "durch die Einführung einer durch kommunikative Strukturen bestimmten lebensweltlichen Dimension" und "die Einführung des zweidimensionalen Gesellschaftskonzepts" differenzierter ist. Denn Gesellschaft kommt für Habermas nicht nur durch das blinde Wirken von Marktgesetzen und wissenschaftlich-technischen Imperativen zustande, sondern eben auch durch das tendenziell bewusste, an Normen und soziokulturellen Traditionen orientierte kommunikatives Handeln ihrer Mitglieder.

Wissenschaft und Technik als 'Ideologie'

Habermas behauptet, dass die zwei Schlüsselkategorien Karl Marx, nämlich Klassenkampf und Ideologie, nicht mehr umstandslos angewendet werden können, sondern neue Konfliktzonen innerhalb der bürgerlichen spätkapitalistischen Gesellschaft entstehen. Diese neuen Konfliktzonen können nach seiner Meinung nur "im System der durch Massenmedien verwalteten Öffentlichkeit" (Habermas, 1989, S. 100) entstehen. Aber das Problem stellt sich, wer diese neuen Konflikte beleben wird. Er sieht in den Studenten und Schülern unter Umständen eine Gruppe, die dafür in Frage kommt.

Aufgrund von zwei Entwicklungstendenzen des Spätkapitalismus, gelangt Habermas zu der Überzeugung, dass der Klassenkampf im Sinne Marx aus zwei Gründen überholt ist. "1. ein Anwachsen der interventionistischen Staatstätigkeit, welche die Stabilität des Systems sichern muß, und 2. eine wachsende Interdependenz von Forschung und Technik, die die Wissenschaft zur ersten Produktivkraft macht." (S. 74) Diese beiden Tendenzen waren zurzeit Marx nicht vorhanden, und "damit entfallen relevante Anfangsbedingungen für die Politische Ökonomie in der Fassung, die Marx ihr im Hinblick auf den liberalen Kapitalismus mit recht gegeben hatte." (S. 74)

Die erste Tendenz hat zur Folge, dass die Basis-Überbau-Theorie nicht mehr greift. Wenn die bürgerliche Ideologie des gerechten Tausches zerfällt, da der Staat heute fast überall mit Hilfe von Subventionen eingreift und die Individuen das kapitalistische System durchschaut haben, dann sind die beiden Sphären der spätkapitalistischen Gesellschaft nicht mehr unabhängig voneinander. "Der institutionelle Rahmen (hiermit meint Habermas die Gesellschaft an sich, und nicht irgendwelche speziellen Institutionen wie Polizei, Gewerkschaften, Kirche oder Arbeitsstellen, ..., die er Subsysteme nennt, d.V.) wurde repolitisiert." (S. 75) Politik ist also nicht mehr nur ein Überbauphänomen.

Mit anderen Worten, der liberale Kapitalismus funktionierte ohne Staatseingriffe. Da aber der Kapitalismus Krisen aus sich heraus erzeugt, versucht der Staat im Spätkapitalismus diese Krisen dadurch zu meistern, dass er den Kapitalismus reguliert. D.h. die Produktionsverhältnisse waren im liberalen Kapitalismus gegeben, und unabhängig vom Staat. Dies war eine der Voraussetzungen, die Marx zu seiner Zeit beobachtete, aber heute werden eben diese Produktionsverhältnisse auch durch den Staat (durch die Politik als Überbau) reguliert. Darum kann "das Herrschaftssystem ... nicht mehr an den Produktionsverhältnissen unmittelbar kritisiert werden." (S. 76)

Aber woher bekommt die Herrschaft heute ihre Legitimation? Die Legitimation kann nicht, wie oben beschrieben, aus den Produktionsverhältnissen (über den Tauschprozess ausgeübte Macht) abgeleitet werden, sondern müsste wieder, wie in traditionellen Gesellschaften, direkt ausgeübt werden. Aber dies ist in den heutigen "formal-demokratischen" (S. 76) Gesellschaften nicht mehr möglich. "Darum tritt an die Stelle der Ideologie des freien Tausches eine Ersatzprogrammatik". (S. 76)

Diese Ersatzprogrammatik "verbindet das Moment der bürgerlichen Leistungsideologie (...) mit der Garantie von Wohlfahrtsminima, der Aussicht auf Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie der Stabilität des Einkommens." (S. 77) Sie ist also orientiert an "einer die Dysfunktionen des freien Tauschverkehrs kompensierenden Staatstätigkeit" (S. 76) Darin sieht Habermas einen "eigentümlichen negativen Charakter" der Politik, denn die praktischen Fragen, also wie die Lebensverhältnisse vernünftig gestaltet werden, werden eliminiert, und an ihre Stelle tritt eine an der Lösung technischer Fragen orientierte Politik.

Die zweite Tendenz, die Habermas im Spätkapitalismus sieht, bezeichnet er auch als "die Verwissenschaftlichung der Technik." (S. 79) Während früher die Technik wissenschaftliche Forschungsergebnisse eher zufällig übernahm, ist es heute so, dass es in der Industrie selbst Forschungsabteilungen gibt, und die Industrie Forschungsgelder (Drittmittel) an Forschungseinrichtungen (u. a. Universitäten) vergibt. Auch der Staat fördert die Forschung mit Geld. Sei es für die Militärs, die Weltraumaktivitäten, oder so scheinbar sinnvoller wie Energieeinsparung bzw. Klimaforschung (CO2-Vermeidung mit Hilfe von Atomkraftwerken). Damit entfällt eine Anfangsbedingung für die Arbeitswerttheorie Marx, da Technik und Wissenschaft zur ersten Produktivkraft geworden sind.

Es scheint also so, dass die Entwicklung unserer Gesellschaft vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt bestimmt ist, denn, wenn man sich mal die Nachrichten anschaut, erscheint es so, dass das Wirtschaftswachstum "die wichtigste einzelne Systemvariable" (S. 80) ist, die eben vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt abhängig ist. Wenn die Wirtschaft wächst, können Arbeitslose beschäftigt werden, Kindergärten gebaut werden, ..., m.a.W es geht der Gesellschaft (materiell) besser.

Habermas vertritt aber nicht die Technokratie-These, nämlich "im visionären technischen Staat, in der industriellen Superkultur von Technik, Wirtschaft, Wissenschaft (Gehlen) seien letztlich alle politischen Entscheidungen durch eindeutige technische Problemlösungen der Experten zu ersetzen, herrsche niemand mehr, sondern es werde nur eine Apparatur sachgemäß bedient (Schelsky)". Sondern Habermas sieht nur "Entwicklungstendenzen, die zu einer schleichenden Erosion dessen, was wir den institutionellen Rahmen genannt haben, führen können." (S. 83) Er benennt die folgenden Entwicklungstendenzen:

"Die manifeste Herrschaft des autorativen Staates weicht den manipulativen Zwängen der technisch-operativen Verwaltung. Die moralische Durchsetzung einer sanktionierten Ordnung, und damit kommunikatives Handeln, das an sprachlich artikuliertem Sinn orientiert ist und die Verinnerlichung von Normen voraussetzt, wird in zunehmenden Umfang durch konditionierte Verhaltensweisen abgelöst, während die großen Organisationen als solche immer mehr unter die Struktur zweckrationalen Handelns treten. Die industriell fortgeschrittenen Gesellschaften scheinen sich dem Modell einer eher durch externe Reize gesteuerten als durch Normen geleiteten Verhaltenskontrolle anzunähern. Die indirekte Lenkung durch gesetzte Stimuli hat, vor allem in Bereichen scheinbar subjektiver Freiheit (Wahl-, Konsum-, Freizeitverhalten), zugenommen. Die sozialpsychologische Signatur des Zeitalters wird weniger durch die autoritäre Persönlichkeit als durch Entstrukturierung des Über-Ich charakterisiert." (S. 83)

Aber die Zunahme "des adaptiven Verhaltens", die sich in den oben genannten Entwicklungstendenzen zeigt, ist nur eine Seite der sich ausbreitenden Struktur des zweckrationalen Handelns, auf Kosten des durch Sprache vermittelnden Handelns. Die andere ist mehr subjektiv, nämlich dass die Individuen die Differenz zwischen den beiden Handlungsmöglichkeiten nicht mehr erkennen. Hier sieht Habermas "die ideologische Kraft des technokratischen Bewusstseins", die diese Differenz "verschleiert" (S. 84).

Wenn aber diese beiden Entwicklungstendenzen bestehen, muss der Ansatz von Marx revidiert werden. "Der Zusammenhang von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen müsste durch den abstrakteren von Arbeit und Interaktion ersetzt werden." (S. 92) Diesen neuen Ansatz gewinnt Habermas aus der Kritik an Max Weber und Herbert Marcuse.

Habermas unterstellt Marcuse, dass er von einer Technik ausgeht, die eine historische Epoche kennzeichnet, also veränderbar ist. Habermas geht aber davon aus, dass Technik "offenbar nur auf ein Projekt der Menschengattung insgesamt zurückgeführt werden kann". (S. 55)

"Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die technische Entwicklung einer Logik folgt, die der Struktur zweckrationalen und am Erfolg kontrollierten Handelns, und das heißt doch: der Struktur der Arbeit, entspricht, dann ist nicht zu sehen, wie wir je, solange die Organisation der menschlichen Natur sich nicht ändert, solange wir mithin unser Leben durch gesellschaftliche Arbeit und mit Hilfe von Arbeit substituierenden Mitteln erhalten müssen, auf Technik, und zwar auf unsere Technik, zugunsten einer qualitativ anderen sollten verzichten können." (S. 56f)

Habermas kritisiert an Marcuse, dass er "eine alternative Einstellung zur Natur im Sinn [hat], aber aus ihr läßt sich nicht die Idee einer neuen Technik gewinnen." (S. 57) Habermas sieht "die alternative zur bestehenden Technik, der Entwurf der Natur als des Gegenspielers statt des Gegenstandes" in einer alternativen Handlungsstruktur: auf symbolisch vermittelte Interaktion im Unterschied zum zweckrationalen Handeln." (S. 57) Mit Marcuse kann man nicht "die eigentliche Rationalität von Wissenschaft und Technik, die einerseits ein wachsendes, den institutionellen Rahmen nach wie vor bedrohendes Potential von überschießenden Produktivkräften kennzeichnet, und andererseits auch den Maßstab zur Legimitation der einschränkenden Produktionsverhältnisse selber abgibt" (S. 58f), kritisieren. Es lässt sich also nicht bestimmen, wie "sich die rationelle Form von Wissenschaft und Technik, also die in Systemen zweckrationalen Handelns verkörperte Rationalität, zur Lebensform, zur gesellschaftlich Totalität einer Lebenswelt erweitert." (S. 59f) Weil dies weder Weber noch Marcuse nach Habermas Meinung gelingt, versucht er Webers Begriff der "Rationalisierung" in einem anderem Bezugssystem neu zu formulieren.

An anderer Stelle beschreibt Habermas expliziter die Probleme, die sich in Webers "subjektiven Ansatz" (S. 61) stellen, zum einen, "dass Weber die Rationalisierung der Handlungssysteme allein unter dem Aspekt der Zweckrationalität untersucht." Zum anderen, weil Weber "das kapitalistische System der Modernisierung mit gesellschaftlicher Rationalisierung überhaupt gleichsetzt." In "Wissenschaft und Technik als 'Ideologie'" entwirft er sein neues Konzept, welches Dubiel mit "zweidimensionalen gesellschaftstheoretischen Blick" beschreibt.

Auf den Seiten 62-65 von Wissenschaft und Technik als 'Ideologie' definiert Habermas seine Begrifflichkeit, die hier kurz vorgestellt wird.

Unter Arbeit oder zweckrationalen Handeln verstehe Habermas entweder

  • Instrumentelles Handeln: richtet sich nach technischen Regeln, die auf empirischen Wissen beruhen.

oder

  • Rationale Wahl: richtet sich nach Strategien, die auf analytischen Wissen beruhen.

Unter Interaktion bzw. kommunikativen Handeln versteht Habermas eine symbolisch vermittelte Interaktion; sie richtet sich nach obligatorisch geltenden Normen, die reziproke Verhaltenserwartungen definieren und von zwei handelnden Subjekten verstanden und anerkannt wer den müssen.

Zweckrationelles Handeln verwirklicht definierte Ziele unter gegebenen Bedingungen; aber während

  • instrumentelles Handeln Mittel organisiert, die angemessen oder unangemessen sind nach Kriterien einer wirksamen Kontrolle der Wirklichkeit, hängt das
  • strategische Handeln nur von einer korrekten Bewertung möglicher Verhaltensweisen ab, die sich allein aus einer Deduktion unter Zuhilfenahme von Werten und Maximen ergibt.

Während die Geltung

  • technischer Regeln und Strategien von der Gültigkeit empirisch wahrer oder analytisch richtiger Sätze abhängt,
  • ist die Geltung gesellschaftliche Normen allein in der Intersubjektivität der Verständigung über Intentionen begründet und durch die allgemeine Anerkennung von Obligationen gesichert.

In beiden Fällen hat Regelverletzung verschiedene Formen.

  • Ein inkompetentes Verhalten, das bewährte technische Regeln oder richtige Strategien verletzt, ist per se durch Misserfolg zum Versagen verurteilt; die Strafe ist sozusagen das Scheitern an der Realität.
  • Ein abweichendes Verhalten das das geltende Normen verletzt löst Sanktionen aus, die nur äußerlich, nämlich durch Konventionen, mit den Regeln verknüpft sind.

Gelernte Regeln zweckrationalen Handelns statten uns mit der Disziplin von Fertigkeiten, verinnerlichte Normen mit der von Persönlichkeitsstrukturen aus.

Fertigkeiten setzen uns instand, Probleme zu lösen. Motivationen erlauben uns, Normenkonformität zu üben. Zu beachten ist auch die Tabelle auf der S. 64 von Wissenschaft und Technik als 'Ideologie' !

Auf der Grundlage von Habermas "Instrumentarium", wie oben beschrieben, "wird in einem weiteren Schritt seiner Argumentation sozialhistorisch und entwicklungslogisch weiterdifferenziert". Nach Habermas unterscheiden sich traditionelle Gesellschaften (so genannte Hochkulturen) von primitiven Gesellschaften in drei Punkten. "1. durch den Tatbestand einer zentralisierten Herrschaftsgewalt (...); 2. durch die Spaltung der Gesellschaft in sozioökonomische Klassen (...); 3. durch die Tatsache, dass irgendein zentrales Weltbild (Mythos. Hochreligion) zum Zwecke einer wirksamen Legitimation der Herrschaft in Kraft ist." (S. 65) In den traditionellen Gesellschaften ist der institutionelle Rahmen überlegen gegenüber den Sub-Systemen zweckrationalen Handelns. Traditionelle Herrschaft war also politische Herrschaft. Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, die ein zwar nicht krisenfreies aber stetiges Wachstum der Produktivität hervorbrachte, "wird die Neuerung als solche institutionalisiert" (S. 68). D.h. die Sub-Systeme zweckrationalen Handelns weiten sich ständig aus und untergraben damit die traditionelle "Form der Legitimation von Herrschaft". (S.69) Aber gleichzeitig bietet der Kapitalismus eine andere Legitimation an, nämlich "das Herrschaftssystem kann vielmehr seinerseits an der legitimen Verhältnissen der Produktion gerechtfertigt werden". (S.70) (ökonomische Legitimation)

Der Beginn der Moderne (soziokulturelle Schwelle) kann "mit dem Verlust der Unangreifbarkeit des institutionellen Rahmens durch die Sub-Systemen zweckrationalen Handelns" (S.93) bestimmt werden. Hier sieht Habermas ein Missverhältnis der soziokulturellen Entwicklung. Zum einen wird die Umgebung, die Natur aktiv an unsere Bedürfnisse angepasst, zum anderen wird aber der institutionelle Rahmen passiv an die Bedürfnisse der Sub-Systeme zweckrationalen Handelns angepasst. Dies hat, nach Habermas, Marx schon gesehen, und "als Aufgabe einer praktischen Beherrschung bisher unkontrollierter Prozesse der gesellschaftlichen Entwicklung angesehen. Andere haben es als eine technische Aufgabe verstanden". (S.96) Die Folge für letzteres ist nach Habermas, die Enthumanisierung, weil bei den Individuen "die alten, in umgangssprachlicher Kommunikation entfalteten Bewußtseinszonen vollend austrocknen (...) die Menschen machen ihre Geschichte mit Willen, aber nicht mit Bewußtsein." (S.97)

Daraus schlussfolgert Habermas, "daß zwei Begriffe von Rationalisierung auseinander gehalten werden müssen." (S.98) Einmal Rationalisierung auf der Ebene zweckrationalen Handelns. Diese Art von Rationalisierung kann aber nur dann ein Potential der Befreiung sein, wenn es nicht die Ebene der Rationalisierung des institutionellen Rahmens verletzt.

"Rationalisierung auf der Ebene des institutionellen Rahmens kann sich nur im Medium der sprachlich vermittelten Interaktion selber, nämlich durch eine Entschränkung der Kommunikation vollziehen. Die öffentliche, uneingeschränkte und herrschaftsfreie Diskussion über die Angemessenheit und Wünschbarkeit von handlungsorientierenden Grundsätzen und Normen im Lichte der soziokulturellen Rückwirkungen von fortschreitenden Sub-Systemen zweckrationalen Handelns - eine Kommunikation dieser Art auf allen Ebenen der politischen und der wieder politisch gemachten Willenbildungsprozesse ist das einzige Medium, in dem so etwas wie Rationalisierung möglich ist" (S.98)


Aber damit kommen wir wieder zum Anfang zurück. Denn Habermas sieht selber, dass "vielmehr jene entschränkte Kommunikation über Ziele der Lebenspraxis" im Spätkapitalismus schwierig ist, denn der Spätkapitalismus ist "auf eine entpolitisierte Öffentlichkeit strukturell angewiesen" (S.99f), und ist resistent gegen die Thematisierung solcher Themen. Aber wer soll oder kann die Themen in die Massenmedien bzw. algemeiner Öffentlichkeit tragen - die priviligierten Schülerinnen und Studentinnen, oder irgendeine andere Gruppe, Klasse oder Schicht?

Literatur:

  • Dubiel, Helmut, Kritische Theorie der Gesellschaft, Weinheim und München, 1988
  • Habermas, J,: Wissenschaft und Technik als 'Ideologie', Frankfurt am Main, 1989 (1968)
  • Habermas, J,: Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände, Frankfurt am Main, 1988
  • Krämer-Badoni, Thomas, Zur Legitimität der bürgerlichen Gesellschaft: Eine Untersuchung des Arbeitsbegriffs in den Theorien von Locke, Smith, Ricardo, Hegel und Marx, Frankfurt/Main, New York, 1978
  • Lenk, Hans, Technokratie, in: Mickel, W., Handlexikon zur Politikwissenschaft, München, 1986
  • Marcuse, Herbert, Der eindimensionale Mensch, Frankfurt a.M., 1990
  • McCarthy, Thomas, Kritik der Verständigungsverhältnisse, Zur Theorie von Jürgen Habermas, übersetzt von Max Looser, Frankfurt/Main, 1980
  • Reijen, Willem van, Philosophie als Kritik. Einführung in die Kritische Theorie. Königstein/Ts., 1984
  • Therborn, Göran, Jürgen Habermas: Ein neuer Eklektiker, In: Materialien zu Habermas' Erkenntnis und Interesse, Hrsg. von Dallmayer, Winfried, Frankfurt/Main, 1974, S.244-267
  • Wiggershaus, Rolf, Die Frankfurter Schule. Geschichte - Theoretische Entwicklung - Politische Bedeutung. München, Wien 19872