Bertolt Brechts Theaterstück Leben des Galilei wurde 1938 im dänischen Exil fertiggestellt und 1943 uraufgeführt. Andere Stücke folgen Brechts Theorie des epischen Theaters konsequenter, was Brecht selbst erkennt. So nennt er das Stück in seinem Arbeitsjournal in formaler Hinsicht einen „Rückschritt“ (vgl. Hahnengrep, Karl-Heinz, Klett Lektürenhilfe: Leben des Galilei, Stuttgart 1992, S.5). Aufgrund der Aktualität des Themas wird die Aussage des Stückes heute oft auf die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Gesellschaft verkürzt. Dieses Motiv ist jedoch nur eines unter vielen in dem Stück und stand für Brecht damals auch nicht im Vordergrund. Neben dem bereits genannten sind der Konflikt von Wissenschaft und Obrigkeit (in diesem Fall die Kirche), die Frage nach dem Wert und der Verwertbarkeit von Wissen und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Wissenschaft zentrale Aspekte des Stücks.
Inhalt
Epische Strukturelemente
Wie bereits erwähnt, folgt Leben des Galilei noch nicht konsequent der Brecht'schen Dramentheorie. Vielmehr lassen sich hier auch noch einige Abschnitte finden, die in klassisch-aristotelischer Weise aufgebaut sind. Sehr viele klassische Elemente des epischen Theaters, die beispielsweise in Der gute Mensch von Sezuan zu finden sind, fehlen. Ein episches Strukturelement, welches vorhanden ist, sind die zahlreichen Reflexionsdialoge, die eine reflektierend-kommentierende Perspektive darstellen und die eigentliche Bühnenhandlung ergänzen und verfremden. Ein weiteres angewandtes Mittel stellt das Gegenüberstellen inhaltlich konträrer Bilder dar, die dicht aufeinanderfolgen. So setzt das päpstliche Collegium Romanum im 6. Bild einen Denkprozess in Gang, der die ambivalente Haltung der Kirche entlarvt, die einerseits von Galilei profitieren möchte, ihn aber andererseits verfolgt. Dieses Mittel der Kontrastierung findet sich auch in der Sprache des Stücks wieder: Viele Sätze besitzen eine antithetische Struktur, stellen also zwei widersprüchliche Thesen gegenüber: „die alte Zeit ist rum, es ist eine neue Zeit“ (S. 9), „Sollen wir die menschliche Gesellschaft auf Zweifel begründen und nicht mehr auf den Glauben?“ (S. 105). Ein weiteres Element der Verfremdung stellt die Komik dar, die erzeugt wird, wenn sich beispielsweise eine handelnde Personen der Lächerlichkeit preisgibt, indem sie sich selbst widerlegt oder wenn Sprache und Handlung in einem offensichtlichen Widerspruch zueinander stehen, wie im 6. Bild, als der alte Kardinal, nachdem er überheblich verkündete, es komme „unwiderleglich alles an auf mich, den Menschen“, erschöpft zusammenbricht. Auch die oft zitierten Bibelstellen sind ein Stilmittel des epischen Theaters. Die ursprünglich in einem religiösen Zusammenhang stehenden Bibelzitate werden oft zur Rechtfertigung politisch-gesellschaftlicher Positionen von allen Seiten zitiert und somit in einen völlig fremden Zusammenhang gestellt, so z.B. im Zitatduell zwischen Galilei und den zwei Kardinälen im 7. Bild.