Modell (Wissenschaft)

Modell, welches nach wissenschaftlichen Kriterien, Phänomene erklärt
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Das Wort Modell entstand im Italien der Renaissance (modello, hervorgegangen aus modulo, dem Maßstab in der Architekten) und gehörte bis ins 18. Jahrhundert der Fachsprache der bildenden Künstler an. Um 1800 verdrängte Modell im Deutschen das ältere, direkt vom lateinischen modulus entlehnte Model (Muster, Form, z.B. Kuchenform), das noch im Verb ummodeln fortlebt.

Wortbedeutungen

Die primäre Wortbedeutung von Modell ist somit: ein der Nachahmung dienendes Vorbild. In Kunst und Kunstgewerbe ist ein Modell in der Regel eine Person (aber auch: ein Tier, ein Gegenstand), die dem Künstler (Maler, Bildhauer, Fotograf) "Modell steht" oder "sitzt". Da diese Tätigkeit zum Gelderwerb ausgeübt werden kann, ist Modell ein Beruf. Allerdings wird das Wort Modell, wenn ohne Erläuterung genannt, im Zweifel als Aktmodell, wenn nicht als Euphemismus für Prostituierte verstanden; zur Unterscheidung davon werden spezifischere Bezeichnungen wie insbesondere Fotomodell oder/und die englische Aussprache Model bevorzugt.

In seiner sekundären Wortbedeutung ist Modell umgekehrt, was durch Nachahmung eines - existierenden oder imaginierten - Vorbilds entsteht. In der Regel ist ein Modell dreidimensional und stellt das Vorbild ("Original") in verkleinertem Maßstab dar. Modellbau ist ein verbreitetes Hobby (Modelleisenbahn, Flugmodell, Schiffsmodell), dient aber auch beruflichen Zwecken (Architekturmodell, Tonmodell zum Formenbau in Kunst und Industrie); in diesen Anwendungen geht das Modell dem erst noch zu schaffenden Original voraus.

Davon abgelöst hat sich die Wortbedeutung: Ausprägung eines industriellen Produktes (Auto, Kleidung, ...) ("Modellreihe", "Modellpflege", ...). Der früher gleichbedeutende Ausdruck Muster ist hier, wahrscheinlich unter dem Einfluss des Englischen, verdrängt worden und lebt nur noch in Termini wie Geschmacksmuster fort.

Modelle in der Wissenschaft

Die Vorstellung, dass Wissenschaft mit Modellen arbeitet, ist inzwischen Gemeingut.

Der inflationäre Gebrauch des Wortes Modell in wissenschaftlichen Arbeiten kann als eine intellektuelle Mode angesehen werden. In medizinischen Publikationen ist es zum Beispiel gängige Praxis, nicht "fünfzig Mäuse", sondern "das Mausmodell" zu untersuchen; dieser Sprachgebrauch drückt die Hoffnung aus, an der Maus erzielte Ergebnisse auf andere Lebewesen, insbesondere den Menschen, übertragen zu können.

Ich vermute, dass die Rolle von Modellvorstellungen in der wissenschaftlichen Theoriebildung erstmals anlässlich der Atommodelle Anfang des 20ten Jahrhunderts erkannt wurde. Die wissenschaftstheoretische Vorbildfunktion der Physik erklärt dann, dass sich der Begriff Modell, wie andere ursprünglich physikalische Begriffe auch, in andere Disziplinen ausgebreitet hat.

Eine wissenschaftliche Untersuchung, die sich auf ein Modell stützt, besteht aus den drei Arbeitsschritten Formulierung, Untersuchung und Validierung des Modells.

Grundidee bei der Formulierung eines wissenschaftlichen Modells (Modellbildung, Modellierung) ist die Reduktion von Komplexität: man versucht, Wirklichkeit beschreibbar und verstehbar zu machen, indem man sie vereinfacht.

Ein Beispiel aus der Physik: Magnetismus kann verschiedene Ursachen haben; in einem einzelnen Magneten können verschiedene Mechanismen wirken, die den Magnetismus hervorbringen, verstärken oder abschwächen; der Magnet kann aus kompliziert aufgebauten, verunreinigten Materialien bestehen; ... In dieses Durcheinander versucht man Licht zu bringen, indem man Modellsysteme untersucht. Ein physikalisches Modell für einen Ferromagneten kann etwa so lauten: eine unendlich ausgedehnte (man sieht also von Oberflächeneffekten ab), periodische (man sieht also von Gitterfehlern und Verunreinigungen ab) Anordnung atomarer Dipole (man konzentriert sich auf den Magnetismus gebundener Elektronen und beschreibt diesen in der einfachsten mathematischen Näherung).

Bei der Untersuchung des Modells sieht man von dem, was das Modell darstellen soll, ab; allein das Modell ist Gegenstand der Untersuchung; es ist eine dem Modell angemessene Methodik zu wählen.

Um das oben eingeführte physikalische Modell eines Ferromagneten zu untersuchen, sind verschiedene Methoden denkbar:
  • Man könnte ein dreidimensionales, physisches Modell bauen, etwa ein Holzgitter (das das atomare Gitter repräsentiert), in dem frei bewegliche Stabmagneten (die die atomaren Dipole repräsentieren) aufgehängt sind. Dann könnte man experimentell untersuchen, wie sich die Stabmagneten in ihrer Ausrichtung gegenseitig beeinflussen.
  • Da die Naturgesetze, denen die atomaren Dipole unterworfen sind, wohlbekannt sind, kann man aber auch den Modellmagneten durch ein System geschlossener Gleichungen zu beschreiben: auf diese Weise hat man aus dem physikalischen Modell ein mathematisches Modell erhalten.
    • Dieses mathematische Modell kann man vielleicht mit analytischen Methoden exakt oder asymptotisch lösen.
    • Vielleicht setzt man aber auch einen Computer ein, um das mathematische Modell numerisch auszuwerten.
Ein sogenanntes Computermodell ist nichts anderes als ein mathematisches Modell, das man mit dem Computer auswertet (ein Computer kann nichts anderes - in dem Augenblick, in dem ein Modell computertauglich formuliert ist, ist es ein mathematisches Modell). Eine Computersimulation ist nichts anderes als die Auswertung eines mathematischen Modells, das stochastische Freiheitsgrade enthält.

Die Validierung des Modells besteht darin, Ergebnisse der Untersuchung des Modells mit bekannten Eigenschaften des durch das Modell repräsentierten Systems zu vergleichen. Ohne Validierung bleibt die Untersuchung von Modellen l'art pour l'art.

Die Untersuchung von Modellen kann sich, wie jede wissenschaftliche Tätigkeit, verselbständigen:

im genannten physikalischen Beispiel kann man die Anordnung der Dipole oder deren Wechselwirkung beliebig variieren. Damit verliert das Modell den Anspruch, eine Wirklichkeit zu beschreiben; man interessiert sich nun dafür, welche mathematischen Konsequenzen eine Änderung der physikalischen Annahmen hat.

Diese Vorgehensweise ist nicht auf die Naturwissenschaften beschränkt; so beruhen die bekannten zweidimensionalen Auftragungen funktionaler Zusammenhänge in den Wirtschaftswissenschaften auf radikal vereinfachender Modellbildung.

In der Informatik bildet man Auszüge der Wirklichkeit in ein Datenmodell ab; ein Wort wie Speichermodell hat wohl weniger mit wissenschaftlicher Modellierung als mit der Wortbedeutung Modell = Muster, Form zu tun.

Auch in den Sozialwissenschaften wird der Begriff Modell gerne verwendet. Zum Beispiel wird ein "Rezept für eine runde Unterrichtsstunde" als "didaktisches Modell" bezeichnet. Dieser modische Sprachgebrauch beruht wahrscheinlich auf der Analogie, die darin besteht, dass auch in der Entwicklung einer Handlungsanleitung die methodischen Schritte Formulierung, Erprobung, Validierung aufeinander folgen.