Der Stern von Betlehem (auch: Dreikönigsstern, Weihnachtsstern oder Stern der Weisen) soll nach dem Matthäusevangelium den Weg nach Betlehem, dem Geburtsort Jesu Christi, gewiesen haben (Mt 2,1f EU):

- Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.
Vers 9 fährt fort:
- Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.
An diese Episode erinnert das christliche Fest „Erscheinung des Herrn“ („Dreikönigstag“).
Seit der Spätantike versuchen verschiedene astronomische und astrologische Theorien, eine damalige Himmelserscheinung nachzuweisen, um damit das matthäische Zeugnis und die allgemeine Bedeutung von Christi Geburt zu bekräftigen.
Heutige historisch-kritische Bibelexegese beurteilt die Geburtsgeschichten des Neuen Testaments mitsamt der Stern-Episode als Legenden, die Jesus die Bedeutung eines allen Völkern (nicht nur den Juden) erschienenen Messias geben.
Überblick
Die Suche nach dem Gestirn von Betlehem begann mit der christlichen Theologie des 2. Jahrhunderts, die stark von hellenistischer Philosophie und Kosmologie beeinflusst war. Dort war die Beobachtung des Sternhimmels wesentlich zur metaphysischen Erklärung der Welt. Besondere Himmelsphänomene wurden in vielen Hochkulturen des Altertums - besonders in Ägypten, Mesopotamien, Persien und Südamerika - auf wichtige historische Ereignisse bezogen.
Einige dieser Erklärungsversuche für den Stern von Betlehem erwiesen sich später als Irrtümer. Andere gelten ihren Vertretern mehr oder weniger als wahrscheinlich. Naturwissenschaftlich bewiesen sind auch sie bisher nicht. Die historische Bibelwissenschaft betont die späte Entstehungszeit und die auf biblische Verheißungen bezogene Verkündigungsabsicht der Geburtsberichte Jesu, deren Bedeutung nur im Glauben zugänglich sei.
Die spätantike Kometentheorie
Nach Diodor von Sizilien konnten schon die Babylonier oder Chaldäer Kometen beobachten und ihre Wiederkehr berechnen. Dort hatte die „Sternenkunde“ ähnlich wie in den Pharaonendynastien Ägyptens eine zentrale, staatserhaltende Tradition und Funktion. Dabei wurde noch nicht zwischen Sterndeutung (Astrologie) und Sternbeobachtung (Astronomie) unterschieden.
Auch der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras von Samos, dessen Lehren von ägyptischem und persischem Wissen beeinflusst waren, lehrte nach einer Legende: Kometen seien Himmelskörper, die eine geschlossene Kreisbahn hätten, also in regelmäßigen Zeitintervallen wieder sichtbar würden. Dem römischen Autor Seneca zufolge war man in den antiken Großreichen enttäuscht, wenn Kometen nicht wiederkehrten, Vorhersagen darüber sich also als falsch erwiesen.
Diese antike Sternenkunde beeinflusste manche biblischen Motive und von dort aus auch die christliche Theologie. Origenes (185 - ca. 253), Theologe aus der hellenistischen Schule von Alexandria (Ägypten) und Vorsteher der Theologenschule von Cäsarea, vertrat - wohl als einer der ersten - die Meinung, der Stern von Betlehem sei ein Komet im Sinne des Pythagoras gewesen. (Lit.: Origenes, I. LVIII-LIX)
Seit Beginn des 14. Jahrhunderts stellen Künstler den Stern von Betlehem als Kometen dar: so als einer der ersten Giotto di Bondone aus Florenz, nachdem er 1301 den Halleyschen Kometen beobachtet hatte, von dem schon antike Quellen recht oft berichten. Beeindruckt davon malte er zwei Jahre später diesen auf dem Fresco „Anbetung der Könige“ in der Scrovegni-Kapelle in Padua als Stern von Betlehem.
Gegen die Kometentheorie sprechen jedoch mehrere Gründe:
- Kometen sind irregulär auftauchende Himmelskörper, die im Volksglauben zur Zeit um Christi Geburt meist mit Unheil, nicht mit Heil verbunden wurden.
- Origenes versuchte zwar, dies zu relativieren, konnte aber nicht überzeugend erklären: Woher wussten die Weisen aus dem Osten, dass gerade dieser bestimmte Komet gerade mit der Geburt eines bestimmten Königs in Israel und Jerusalem zusammenhängen sollte?
- Warum fiel ein Komet um die Zeit der Geburt Jesu zwar den Weisen aus der Ferne, aber nicht den Jerusalemern und Judäern aus der Nähe auf? Keine zeitgenössische außerbiblische Quelle berichtet von derartigen Himmelsphänomenen.
- Das mögliche Geburtsjahr Jesu wird zwischen 7 und 4 v. Chr. datiert. Der Halleysche Komet war jedoch nur im Zeitraum Oktober 12 v. Chr. bis Februar 11 v. Chr. sichtbar. Am 29. Dezember 12 v. Chr. (Datum des gregorianischen Kalenders) erreichte er seine größte Annäherung.[1] Nur nach einer chinesischen Quelle wurde ein weiterer Komet im Jahr 5 v. Chr. gesichtet.
Die ältere Konjunktionstheorie
Im 12. und 15. Jahrhundert sahen jüdische Gelehrte in einer Konjunktion (Begegnung) der Planeten Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische ein Zeichen der Geburt des Messias, die dann jedoch ausblieb.
Der Astronom Johannes Kepler kannte diese Berechnungen. Er konnte im Dezember 1603 eine solche Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn beobachten. Am 9. Oktober 1604 beobachtete er außerdem in über 9 Grad Distanz dazu im Sternbild Schlangenträger (Ophiuchus, damals Serpentarius) das Aufleuchten einer Supernova. Sie wird heute als Typ I klassifiziert, und ihre Überreste sind noch als Supernova 1604 bekannt. Sie geschah zeitgleich mit einer Konjunktion zwischen Jupiter und Mars und in einer Distanz von nur ca. 2 Grad (4 Monddurchmesser) von der damaligen Jupiterposition.
Kepler konnte den - wie er annahm - „neuen Stern“ (nova stella) ab dem 17. Oktober 1604 beobachten, da die Supernova eine scheinbare Helligkeit von -2,m5 erreichte und damit der hellste Stern am Abendhimmel wurde. Er konnte sich das Phänomen mit dem Wissensstand des 17. Jahrhunderts nicht erklären und die Distanz zur Erde nicht einschätzen (sie betrug etwa 20.000 Lichtjahre). So glaubte er irrtümlich, der neue Stern sei durch die Konjunktion von Jupiter und Saturn verursacht worden. Er rechnete nun zurück und fand zutreffend heraus: 7 v. Chr. hatte es eine dreifache Konjunktion zwischen Saturn und Jupiter im Sternbild Fische gegeben. 6 v. Chr. zog Mars an den beiden Planeten vorbei. Warum also, so schloss er daraus, sollte damals nicht analog zu 1604 ebenfalls ein neuer Stern entstanden sein? Dies musste der Stern von Betlehem gewesen sein.
Heute weiß man, dass eine Planetenkonjunktion und eine Supernova zwei völlig verschiedene, unabhängige Ereignisse sind. Insofern war Keplers Theorie ein Irrtum. Richtig war jedoch seine Rückberechnung und die Annahme, dass solche Phänomene auch vor Jesu Geburt schon beobachtet und mit besonderen historischen Ereignissen in Verbindung gebracht wurden.
Die moderne Konjunktionstheorie
Konradin Ferrari d'Occhieppo wies schon ab 1965[2] in mehreren Büchern auf eine sehr seltene, ungewöhnlich enge, dreifache Jupiter-Saturn-Konjunktion im Zeichen der Fische am 27. Mai, 6. Oktober und 1. Dezember 7 v. Chr. hin (Lit.: Ferrari d' Occhieppo, 2003). Diese scheint gut in den ungefähren Zeitraum der Geburt Jesu zu passen. Occhieppo argumentiert dafür wie folgt:
Ein babylonischer Astronom habe eine solche Konjunktion als Hinweis auf ein Ereignis in Israel (Judäa) in Verbindung mit der Endzeit verstehen müssen. Denn Jupiter war damals der Stern des babylonischen Gottes Marduk, während Saturn das Volk der Juden kosmisch repräsentiert habe. Daraus könnte sich folgende Schlussfolgerung ergeben: Königstern (Jupiter) + Israelschützer (Saturn) = „Im Westen (Sternbild der Fische) ist ein mächtiger König geboren worden.“
Die Planetenbegegnung sei als Ankündigung der Geburt eines großen Königs im Westland zu verstehen gewesen, da sie sich „im Aufgang“ ereignete, das heißt kurz vor Sonnenaufgang sichtbar war. Und diese Ankündigung habe, da Marduk (Jupiter) beteiligt war, auch für Babylonien Bedeutung gehabt.
Die drei Konjunktionen ereigneten sich im Abstand von Monaten, so dass die babylonischen Sterndeuter Mai bis Dezember nach Israel hätten reisen können.
Am 12. November kurz vor Sonnenuntergang hätten sie die Planeten Jupiter und Saturn in der Abenddämmerung direkt vor Augen gehabt, als sie von Jerusalem gen Süden auf das nur etwa 10 Kilometer entfernte Betlehem zugeritten seien. Auf diesen konkreten Zeitpunkt beziehe sich Mt 2,10: Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut.
Nach dem Eintitt der astronomischen Dämmerung hätten die Sterndeuter dann das Planetenpaar an der Spitze des Zodiakallichtkegels stehen sehen. Es habe ausgesehen, als ginge das Licht von diesem Planetenpaar aus. Die Achse des Lichtkegels habe während der folgenden Stunden beständig auf das vor ihnen liegende Bethlehem gezeigt, dessen Häuser sich wie bei einem Scherenschnitt gegen das Zodiakallicht abzeichneten. Dadurch habe man den Eindruck gehabt, dass die Planeten trotz der weiterlaufenden Drehung des Sternhimmels über der Stelle stehenblieben, wo das Kind war.[3] Demnach sei dieses Datum als Tag der Auffindung des Geburtsortes Jesu anzunehmen. Es komme gar nicht so sehr auf die drei Konjunktionen der beiden Planeten an, sondern dass jene sehr dicht beieinander erstmals seit 854 Jahren im Sternbild der Fische stillstanden und damit auf ein ungewöhnliches Ereignis hinwiesen.[4]
Ein dreimaliges Zusammentreffen von Jupiter und Saturn, mit zweimaligen Phasen des Stillstands der Planetenbewegungen relativ zum Fixsternhintergrund ist den Astronomen als nicht ungewöhnlicher, rein perspektivischer Effekt bekannt: Die Erde überholt die äußeren Planeten auf der Innenbahn, wodurch sich scheinbar die Bewegung der Planeten umkehrt. [5]
Für einen Geburtstag Jesu im frühen November spreche auch, dass sich später im Winter in Israel keine Hirten auf den Feldern befunden hätten. Denn im Winter wächst kein Gras wegen zu geringer Sonneneinstrahlung.
Occhieppo betrachtet Mt 2,1-12 also wegen der inhaltlichen Details als schriftlichen Augenzeugenbericht der drei Weisen oder eines ihrer Begleiter. Er habe Matthäus vorgelegen, dieser habe ihn abgeschrieben. Demzufolge übersetzt er den oben zitierten Text wie folgt wortwörtlich:
- Als nun Jesus geboren worden war in Betlehem in Judäa in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da gelangten Magier von den Aufgängen (von Osten: griechisch: magoi apo anatolón, απο ανατολων) nach Jerusalem. Sie fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben nämlich seinen Stern in dem Aufgang (griechisch: en te anatole, εν τη ανατολη, Sternenaufgang in der Morgendämmerung beim Sonnenaufgang) gesehen und sind gekommen, um ihm demütig zu huldigen. ... Und siehe, der Stern, den sie in dem Aufgang gesehen hatten, zog ihnen voran, bis er im Gehen stehenblieb oben darüber, wo das Kind war. Als sie nun den Stern erblickten, wurden sie froh in großer Freude gar sehr.
Diese Theorie ist zur Zeit sehr populär und gehört jedes Jahr in der Weihnachtszeit zum Standardprogramm von Planetarien. Sie erscheint zunächst plausibel, ist aber vielen gravierenden Einwänden und ebenso skeptischen Fragen ausgesetzt wie die frühere Kometentheorie. Beispiele:
- Die Formulierung „Wir haben seinen Stern im Aufgang (= in der Morgendämmerung vor Sonnenaufgang) gesehen“ setzt detailliertes astronomisches Fachwissen voraus. Ist dieses aber von einem Evangelisten anzunehmen? Christen standen der Sternenkunde damals ebenso wie Juden recht distanziert gegenüber. Andererseits könnte Matthäus einfach bestimmte Sätze aus einem Augenzeugenbericht entnommen haben.
- Die meisten historisch geschulten Bibelausleger übersetzten die Textstelle (griechisch: en te anatole, εν τη ανατολη, „Sternenaufgang in der Morgendämmerung beim Sonnenaufgang“) mit „im Osten gesehen“ (lat.: ab oriente) oder daraus folgernd „im Morgenland gesehen“. Sie beziehen den griechischen Ausdruck anatole also nicht auf den Zeitpunkt des Aufgehens des Sterns, sondern auf das Herkunftsgebiet der Sterndeuter, das von Israel aus gesehen im Osten lag.
- Dass der Stern zuvor am Hof von Herodes nicht auffiel und dieser dann - durch die Fremden aufmerksam gemacht - nicht selbst nachforschte, um seinen Konkurrenten direkt auszuschalten, erscheint weiterhin als unglaubwürdig, da keine außerbiblische Quelle davon berichtet. Dagegen wäre einzuwenden, dass eine solche Konjunktion, die für Astronomen wie Kepler ein Jahrtausendereignis war, für Nichtfachleute kaum bemerkenswert und ansehenswert war. {Quelle}
- Wird der Text als detailgetreuer Augenzeugenbericht genommen, dann bezieht sich der letzte Satz auf den bereits stehenden Stern, wie Occhieppo annimmt - und nicht auf die Wiederentdeckung des Sterns in Jerusalem offensichtlich wenige Wochen vor der dritten Konjunktion. Die große Freude bezieht sich deutlich auf das Ziel der Reise, das Auffinden des Geburtsortes des lange gesuchten Königs. Wegen der tiefen Niedergeschlagenheit und der erlebten Enttäuschung in Jerusalem - dort wurde ja kein Königskind gefunden - erschien ihnen der Stern in diesem Augenblick wie eine himmlische Bestätigung dafür, dass sie nun doch auf dem richtigen Weg waren.[6]
- Matthäus gebraucht das griechische Wort für „Stern“ und nicht das für „Planet“. Er habe damals sehr wohl zwischen Fixsternen und Planeten unterscheiden können. Dieser Einwand setzt allerdings seinerseits ein bestreitbares astronomisches Fachwissen beim Evangelienautor voraus.
- Zweifelhaft ist vor allem, ob Saturn für die babylonischen Astronomen der kosmische Repräsentant des Volkes Israel gewesen ist. Saturn (akkadisch kewan) wurde nach babylonischer Deutung mit dem Land Syrien verbunden, nach griechischer Deutung mit dem Gott Kronos, der in manchen antiken Zauberbüchern mit dem jüdischen Gott Jahwe gleichgesetzt wurde -- möglicherweise wegen des jüdischen Sabbat, der mit dem "Dies Saturni" (Saturnstag, vgl. engl. Saturday) zusammenfiel.{Quelle} Eine Siebentagewoche mit Planetennamen als Tagesnamen war bei den Babyloniern damals schon gebräuchlich. Trotzdem erscheint die Übertragung vom Planeten Saturn auf das Judentum zweifelhaft - zumal dieses Sterne als Götter ablehnte. Andere wenden ein, daß die altsyrische Übersetzung des Matthäusevangelium das Wort kaukeba für Stern benutze, welches dem akkadischen kakkabu, dem Namen des Jupiter entspreche und als Stern des Weltherrschers und als im Zeichen der Fische besonders machtvoll galt, weshalb z. B. im Jahr 7 v. Chr. auf der Nilinsel Philae ein Denkmal zu Ehren des Kaisers Augustus errichtet und ihm der Titel Jupiter hinzugefügt wurde.
- Heute sind mindestens vier Keilschrifttafeln bekannt - darunter die aus Borsippa, über die Paul Schnabel 1925 berichtete -, auf denen die Babylonier die Ephemeriden (Umlaufbahnen) von Planeten wie Saturn und Jupiter im Jahr 7 v. Chr. vorausberechnet haben. Dort spielte deren große Konjunktion keinerlei Rolle. [7] Ob die Babylonier ihr überhaupt Bedeutung beimaßen, ist daher ebenfalls zweifelhaft.{Quelle}
- Occhieppos offenbar irrtümliche Gleichsetzung von Saturn mit Israel geht vermutlich auf die „Historien“ des Tacitus zurück. Dieser ordnete das Sternbild der Fische den Flüssen Euphrat und Tigris zu, während die Griechen nur ungenau vom „Band“ sprachen. Tacitus´ Angaben sind auch sonst historisch unzuverlässig. Bisher wurde keine Quelle vor 1100 bekannt, in der das Sternbild der Fische eindeutig mit dem Volk Israel in Zusammenhang gebracht wird.
- Die tägliche Bewegung der Gestirne kommt niemals zum Stillstand. Selbst ein Planet, der am Umkehrpunkt seiner Bewegung relativ zum Fixsternhimmel stillsteht, bewegt sich mit diesem ständig von Osten nach Westen. Der Eindruck bei heutigen Planetariumsvorstellungen ist ganz anders, da diese die Erdrotation zur Darstellung einer großen Konjunktion ausblenden.
- Da die Konjunktionen von Jupiter und Saturn 7 v. Chr. einen Abstand der beiden Planeten zwischen drei Bogenminuten und einem Grad aufwiesen, wären sie damals auch mit bloßem Auge noch möglicherweise als getrennte Planeten erkennbar gewesen.
Konjunktionstheorien für die Jahre 3 und 2 v. Chr.
Die vielfachen historischen und astronomischen Argumente gegen Occheppios Theorie brachten einige Astronomen dazu, nach anderen Konjunktionen um die Zeitenwende zu forschen. Sie fanden weitere sehr enge Konjunktionen bzw. Bedeckungen, diesmal von Jupiter und Venus.
3 v. Chr. am 12. August passierte Venus den Jupiter mit einem Abstand von 0°4'. Bei dieser Konjunktion schienen die Planeten mit bloßem Auge betrachtet fast miteinander zu verschmelzen. So muss es in Persien bei hellem Tageslicht sichtbar gewesen sein. Beim Sonnenaufgang am Folgetag waren sie schon wieder sichtbar getrennt.
2 v. Chr. am 17. Juni passierten die beiden Planeten einander mit einem Abstand von nur 0°0'36". Diese Konjunktion war ebenfalls in Persien sichtbar. Um 20:58 Uhr Ortszeit schienen die beiden Planeten sich zu decken.
Gegen jede noch so enge Konjunktion besteht der Einwand: Zuvor waren zwei Sterne sichtbar, so dass die Bedeckung als Bewegung aufeinander zu erkennbar blieb. Wieso eine solche Bedeckung - und wieso gerade diese - den Aufbruch von - diesmal persischen - Sterndeutern nach Judäa veranlasst haben soll, bleibt unerklärt.
Die Supernovatheorie Werner Papkes
Der Altorientalist und Religionswissenschaftler Werner Papke rekonstruiert den Stern von Betlehem aus einem Himmelsmodell des alten Babylon, wie es das Gilgamesch-Epos im 3. Jahrtausend v. Chr. beschrieb. Die Sternbilder der Babylonier waren teilweise andere als die heute gebräuchlichen. Das Sternbild der Jungfrau etwa befand sich im Bereich des galaktischen Nordpols, den Gilgamesch als Thron der Götter ansah. Dieses Sternbild hieß in Babylon ERUA.
Die einzelnen Keilschriftzeichen für E4.RU6.U2.A hatten für sich jeweils wieder eine eigene Bedeutung: E4 hieß „Same“, RU6 war das Zeichen für das Wort „Edin“ - Eden -, und U2.A ist das zusammengesetzte Zeichen für „hervorbringen“ oder „gebären“. Für E-RU-A gewinnt Papke daher die Bedeutung: diejenige, die den Samen von Eden gebären wird.
Falls dies zutrifft, würde der Name an eine biblische Erzählung erinnern: In Gen 3, der Geschichte vom Sündenfall im Garten Eden, spricht Gott eine Verfluchung, aber auch eine Verheißung für alle Nachkommen Adams und Evas aus. An Eva gerichtet heißt es dort (Vers 16): Unter Mühen sollst Du Kinder gebären. Weiter heißt es (Vers 20): Adam nannte sein Weib Eva, denn sie wurde die Mutter allen Lebens. Diese indirekte Verheißung wird von manchen Bibelauslegern auch auf den zukünftigen Erlöser bezogen.
Papke findet darin einen Bezug zu ERUA und folgert daraus: Eine Supernova oder auffällige Sternenkonjunktion, die im „Schoß“ dieses babylonischen Sternbilds aufleuchtete, musste für die Weisen in Babylon das Zeichen dafür sein, dass der Erlöser nun geboren sei. Er meint, die dreimalige Konjunktion von Jupiter und Regulus in den Jahren 3 und 2 v. Chr. sei als dieses Zeichen aufgefasst worden. Demzufolge übersetzt er Mt 2,2ff folgendermaßen:
- Als nun Jesus zu Betlehem in Judäa geboren war in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Magier vom Osten (griechisch: apo anatolon, απο ανατολων) nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist? Denn wir haben seinen Stern hervorgehen (griechisch: en te anatole, εν τη ανατολη) sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen! ... Und siehe, der Stern, den sie hatten hergehen sehen, geleitete sie, bis er gerade über (dem Haus) stand, wo das Kindlein war. Als sie nun den Stern (so stehen) sahen, freuten sie sich mit sehr großer Freude. (zitiert nach (Lit.: Papke, S. 16)).
Auch diese Theorie basiert auf einer Reihe von Ungewissheiten:
- Ist die Übersetzung von ERUA die einzig mögliche?
- Inwiefern bezieht sich der Same, den Erua hervorbringen wird, auf einen zukünftigen Erlöser?
- Inwiefern bezieht sich der Genesistext auf einen solchen Erlöser?
- Inwiefern waren beide Erlöser - falls die Texte auf sie hindeuten - aus babylonischer Sicht miteinander zu identifizieren?
- Warum also sollten die Babylonier den Nachkommen Eruas ausgerechnet in Israel suchen?
- Wie leitete die Supernova oder Konjunktion sie genau nach Betlehem?
- Warum lassen sich für den fraglichen Zeitraum keine Spuren einer Supernova oder ein Pulsar (geschrumpfter Neutronenstern) im Haar der Berenike, das heute im Schoß des alten Sternzeichens ERUA liegt, nachweisen?
Auf den letztgenannten Einwand antwortete Papke mit dem Hinweis auf den galaktischen Sternenstaub, der gerade in diesem Himmelsbezirk durch neue Teleskope nachgewiesen wurde und sich als Rest einer Supernova interpretieren lasse bzw. deren Lichtreste absorbiere. Doch auch dann bleiben die übrigen oben genannten Fragen. So ist auch Papkes Deutung - ungeachtet wahrscheinlicher historischer Abhängigkeiten der Genesis vom Gilgameschepos - bis auf weiteres nicht beweisbar.
Die astrologische Theorie von Michael Molnar
Einen völlig anderen Ansatz präsentierte 1999 Michael M. Molnar. Er argumentierte nicht primär naturwissenschaftlich, sondern fragte zuerst danach, wer die „Magier“ in Mt 2 waren und was sie selbst für bedeutend gehalten hätten.
Zunächst stellte er fest, dass sämtliche der oben dargestellten Deutungen Vorgänge heranziehen, die einem neuzeitlichen Astronomen seit Kepler spektakulär vorkommen müssen. Die „Weisen“ waren jedoch wohl Astrologen, denen damals etwas anderes wichtig war: ihre Berechnungen zu geometrischen Relationen zwischen den Planeten und bestimmten Sternbildern. Kometen und explodierende Sterne tauchten in ihren Horoskopen nicht auf, und Konjunktionen etc. hatten bei verschiedenen astrologischen Schulen sehr unterschiedliche Bedeutungen.
Molnar argumentiert, dass sich diese Sternbilddeuter nur dann auf den weiten Weg nach Judäa gemacht hätten, wenn ihre Berechnungen ein außergewöhnlich wichtiges Ereignis - wie die Geburt eines sehr mächtigen Königs - vorhergesagt hätten und sie dieses Ereignis in Judäa vermuten mussten. Er zog dazu den Tetrabiblos des Ptolemäus heran. Dieser besagt, dass das herodianische Königtum in Judäa vom Sternbild Widder regiert wurde. Daher hätten zeitgenössische Astrologen eine Geburt, die unter dem Zeichen des Widders stattfinden würde, in Judäa lokalisiert.
Damit werden zwei alte Probleme gleichzeitig lösbar: Weshalb zogen die Magier nach Westen, obwohl der Stern doch im Osten sichtbar war? Und warum kümmerte sich in Jerusalem damals niemand um diese Erscheinung? Zur ersten Frage führt Molnar aus, dass die Aussage „...wir haben seinen Stern hervorkommen gesehen...“ für einen Astrologen seinerzeit den heliakischen Aufgang - also im Osten - bedeutet habe. Zur zweiten Frage stellt er fest, dass die Juden in Judäa grundsätzlich kein Interesse an Astrologie hatten. Daraufhin suchte er ein Datum, an dem eine berechnete Planetenkonstellation aus der Sicht damaliger außerisraelischer Sterndeuter nicht nur eine königliche Geburt in Judäa vorhersagte, sondern auch besonders bedeutend war.
Er stieß auf den 17. April des Jahres 6 v. Chr.: An jenem Tag hatte Jupiter seinen heliakischen Aufgang im Sternbild Widder. Ferner war die Sonne laut Molnar „exaltiert“ (besonders mächtig) im Sternbild Widder, ebenso die Venus. Die „Regenten der Widderdreiheit“ waren sämtlich in diesem Sternbild versammelt, die Sonne und der Mond hatten ihre planetarischen „Diener“ nahebei und – um das Maß voll zu machen - erfolgte noch am selben Tag eine Jupiterbedeckung durch den Mond.
Nach dieser Theorie hätten die Astrologen tatsächlich die Geburt eines bedeutenden Königs in Judäa „vorhersehen“ können und wären auch dorthin gereist. Ebenso ist aber auch denkbar, dass ein Evangelist die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland Jahrzehnte später erdachte – allerdings auf der von Molnar dargestellten Basis damaligen astrologischen Wissens.
Da das Tetrabiblos des Ptolemäus erst etwa ein Jahrhundert nach den Evangelien verfasst wurde, lässt auch dieser Erklärungsansatz viele Fragen offen. Ungewiss ist u.a., ob babylonische Astrologen die dort beschriebenen Deutungen kannten, wie der Jupiteraufgang im Osten genau an den Geburtsort Jesu leitete, wie ihr Bericht davon zu einem Evangelisten gelangte, warum damalige jüdische Quellen davon schweigen.
Historisch-kritische Bibelexegese
In der historisch-kritischen Bibelexegese wird der Stern als mythologisches oder symbolisches Verkündigungsmotiv ohne realen Hintergrund aufgefasst. Dabei wird der Matthäustext auf seine eigene Aussageabsicht, seinen unmittelbaren Kontext und weitere biblische Bezüge befragt, um nicht zu vermeintlich wissenschaftlichen Fehldeutungen zu gelangen.
Außergewöhnliche Himmelsphänomene wurden sowohl in der antiken Umwelt als auch im biblischen Israel als Hinweise auf besondere Geschichtsereignisse aufgefasst. Sie waren in Israels Prophetie jedoch meist Zeichen für kommendes Unheil. So sollten im Zusammenhang des angekündigten Endgerichts Sterne „vom Himmel fallen“ (z.B. Mk 13,25) oder „sich verfinstern“ (z.B. Joel 4,15). Dagegen heißt es in 4. Mose 24,17ff:
- Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen. Und Er wird zerschmettern die Schläfen der Moabiter und den Scheitel der Söhne Seths. Edom wird er einnehmen, und Seir, sein Feind, wird unterworfen werden. Israel aber wird den Sieg erhalten.
Diese Weissagung ist eine der frühesten biblischen Ankündigungen, die später auf den Messias als Retter Israels bezogen wurden. Dabei ist dieser hier mit einem gewöhnlichen, außenpolitisch erfolgreichen König identisch. Das Zitat steht im Rahmen der Erzählungen vom Seher Bileam (4. Mose 22,24) und verweist, laut manchen Historikern, wahrscheinlich auf das Königtum Davids, als die angekündigten Siege über Israels Nachbarvölker schon errungen oder absehbar waren. Sie geben einen ersten Hinweis auf die spätere jüdische Messiaserwartung, die in der Davidzeit ihre historischen Wurzeln hat.
Die Erwartung eines Königs der Heilszeit, der Israel aus der Hand seiner übermächtigen Feinde befreit und diese vernichtet, hat nach vielen Wandlungen auch das Bild der Evangelien von Jesus mitbestimmt. Der durchgängige Rückbezug auf biblische Verheißungen ist gerade für den Evangelisten Matthäus typisch.
So kann der Stern von Betlehem, der vor den Weisen herging und sie nach Israel führte, eine Erinnerung an den Stern aus Jakob sein, der in Israel „aufgehen“ sollte: Er will offenbar die universale Bedeutung dieses neuen, ganz anderen Königs aussagen, der Israels Feinde eben nicht vernichtete, sondern von deren Weisen als ihr König erkannt wurde - im bewussten Kontrast zu Herodes, dem jüdischen König im Gefolge Davids, der Jesus ablehnte und wie der Pharao verfolgte (Mt 2,13-20). Er wurde erst durch die „Heiden“ aus dem Ausland darauf aufmerksam gemacht, dass seine Macht begrenzt war, und musste sich daran erinnern lassen, dass schon ein jüdischer Prophet eben nicht die Hauptstadt Jerusalem, sondern das unscheinbare Dorf Betlehem als Geburtsort des künftigen Messias angekündigt hatte (Mt 2,3-8 / Mi 5,1 EU).
So ist der Stern im biblischen Kontext als Symbol der Erkenntnis des wahren Retters gegenüber dem Hochmut der eigenmächtigen Gewaltherrscher in Israel zu sehen. Sein Erscheinen muss also nicht unbedingt als reales Ereignis „bewiesen“ werden.
Siehe auch
Referenzen
- ↑ Vgl. dazu das Berechnungsprogramm Southern Stars Systems - SkyChart III -, Saratoga, California 95070, United States of America.
- ↑ ÖAW.SmnII/173, Wien 1965, S.343-376, aus: Occhieppo, Der Stern von Bethlehem, 1994, S.7
- ↑ Occhieppo, a.a.O. 1994, S.38 u. 66
- ↑ Occhieppo, a.a.O. 1994, S.52 und 155-157
- ↑ WDR.de, Themen: Blick ins All, dann auf Start AstroViewer
- ↑ Occhieppo, a.a.O. 1994, S.66
- ↑ Papke, Werner: Der Stern von Bethlehem: Abschied von alten und neuen Märchen, S.9
Literatur
- Die Bibel. Genfer Bibelgesellschaft, Genf 2003, ISBN 2-608-25311-3 (Schlachter-Übersetzung Version 2000)
- Konradin Ferrari d'Occhieppo: Der Stern von Bethlehem in astronomischer Sicht. Brunnen-Verlag, 4. Aufl. 2003, ISBN 3-7655-9803-8
- Johannes Kepler: De Stella Nova in Pede Serpentarii. Frankfurt 1606
- Michael R. Molnar: The Star of Bethlehem: The Legacy of the Magi, Rutgers University Press, 1999, ISBN 0-8135-2701-5
- Werner Papke: Das Zeichen des Messias. 1. Aufl. CLV, Bielefeld 1995, ISBN 3-89397-369-9#
- Gerhard Voss: Astrologie christlich, Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1980, ISBN 3-7917-0643-8
Weblinks
Vorlage:Alpha Centauri – Bitte nur die Nummer der Episode angeben!